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[chox] TELEPOLIS: Arbeits- und Kapitaleinkommen



Dieser TELEPOLIS Artikel wurde Ihnen
von hs <helmuth.s gmx.li> gesandt.
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Arbeits- und Kapitaleinkommen
Norbert Rost 16.01.2005

Ein alternativer Blick auf unser Wirtschaftssystem

In der öffentlichen Debatte um die (2. Welt-)Wirtschaftskrise wird 
meist von Lohnnebenkosten, zu hohen Personalkosten und allgemein zu 
teurer Arbeit gesprochen. Tabuisiert wird eine Debatte um die andere 
Seite dieser Medaille: die Kapitalkosten und Kapitaleinkommen. Jene 
stellen nicht nur die eigentliche Ursache der Wirtschaftskrise dar, 
sondern manifestieren zugleich eine gesellschaftlich legitimierte Art 
der Sklaverei, indem die Arbeits- und damit Lebenszeit der großen Masse 
der Bevölkerung in einer ungerechtfertigten Form einer vergleichsweise 
kleinen, aber vermögenden Minderheit zukommt.

Wenn eine Person eine andere zwingt, ohne Gegenleistung Zeit zu opfern, 
um Arbeiten zu verrichten, so lässt sich dies als Sklaverei bezeichnen. 
Sklaverei geht einher mit Freiheitsberaubung der Sklaven und ist 
Diebstahl ihrer Lebenszeit. Sklaverei ist in der sogenannten 
"zivilisierten Welt" moralisch geächtet und gesetzlich untersagt. 
Trotzdem findet sie in einem Maße statt, das nur wenigen bewusst ist. 
Der Großteil der Menschheit wird dabei von einer kleinen vermögenden 
Elite als Sklaven eingesetzt - legitimiert und gefördert durch 
Wirtschaftswissenschaften, Politik, einem passenden Rechtssystem sowie 
eines durch indirekte Wirkungsweisen undurchsichtig wirkenden 
Wirtschaftssystems.

Diese weitreichende Aussage verlangt berechtigterweise eine Erklärung. 
In einer Wirtschaft gibt es grundsätzlich nur zwei Arten von Einkommen: 
Arbeitseinkommen und Kapitaleinkommen. Arbeitseinkommen wird von jenen 
erzielt, welche ihre Arbeitskraft gegen Lohn oder Gehalt anbieten. 
Kapitaleinkommen erhalten die Bereitsteller von Kapital, häufig auch 
"Investoren" oder "Kapitalisten" genannt. Dabei "streiten" sich aber 
beide Interessengruppe um ein Gesamteinkommen, nämlich um das, was 
innerhalb einer bestimmten Periode in der Volkswirtschaft produziert 
wird. Vereinfacht: das Volkseinkommen.

Volkseinkommen = Kapitaleinkommen + Arbeitseinkommen

Insgesamt kann in einer Volkwirtschaft nur das verteilt werden, was 
zuvor produziert wurde. Wenn also Kapitalbereitsteller und 
Arbeitszeitbereitstellern sich die Gesamtproduktion teilen müssen, so 
wird deutlich, dass die jeweilige Gruppe nur das bekommen kann, was die 
andere Gruppe "übrig" gelassen hat. Es gilt also: Volkseinkommen = 
Kapitaleinkommen + Arbeitseinkommen. Anhänger marxistischer 
Wirtschaftstheorien unterteilen aufgrund dieser Einkommensarten die 
Gesellschaft in "Klassen", in diesem Fall in "Arbeiterklasse" und 
"Kapitalisten".

In unserer Gesellschaft ist es weitgehend unhinterfragter Bestandteil, 
dass die Bereitsteller von Kapital einen entsprechenden Bonus erhalten. 
Dieser Bonus nennt sich Zins, Dividende, Miete, Ausschüttung oder 
Rendite. Die Summe aller dieser Boni, die in einer Volkswirtschaft 
meist von Unternehmen gezahlt werden, nennt man Kapitalkosten. 
(Anhänger der "Freiwirtschaft" bezeichnen diese oft sinnentstellend 
pauschal als "Zinsen"). 

Die Kapitalkosten der Unternehmer sind entsprechend Kapitaleinkommen 
der Kapitalgeber. Diese Kapitaleinkommen müssen von den Unternehmen 
aber über den Verkauf von Produkten erzielt werden. Oder anders: Die 
Kunden der Unternehmen bezahlen nicht nur die Kosten für real getane 
Arbeit in den Unternehmen (Personalkosten), sondern auch die darüber 
hinausgehenden Boni für die Kapitalgeber. Jeder Kunde zahlt somit 
Kapitaleinkommen über die Preise. Helmut Creutz kommt in seinen 
Analysen auf einen durchschnittlichen Kapitalkostenanteil [1] in den 
Verkaufpreisen von bis zu 40%.

Ein Beispiel soll zeigen, dass diese Zahlen durchaus realistisch sind. 
Bekanntlich erhalten Vermieter allein für den Besitz ihrer Immobilie 
vom Mieter ein Einkommen (Miete), zu welchem die laufenden Kosten in 
Form von "Nebenkosten" hinzugerechnet werden. Bei einer Wohnung im Wert 
von 100.000 Euro erwartet der Besitzer eine Verzinsung seines 
investierten Kapitals mindestens entsprechend dem Geldmarktzinssatz. 
Eine Verzinsung von 5% entspräche hierbei 5.000 Euro jährlich bzw. ca. 
420 Euro monatlich, die der Mieter pro Jahr an den Wohnungsbesitzer 
bezahlen muss. 

Dieser Zahlung steht keine konkrete Leistung gegenüber, weil der Bau 
der Immobilie offensichtlich bereits abgeschlossen ist und nun nur noch 
die Knappheitssituation auf dem Markt vom Besitzer ausgenutzt wird. 
Beträgt die Monatsmiete dieser beispielhaft angenommenen Situation 600 
Euro, so entsprechen die ca. 420 Euro monatlicher Kapitalkosten etwa 
70% des "Wohnungspreises". Dabei gilt: Je höher der Kapitaleinsatz bei 
einem Produkt, umso höher auch die Kapitalkostenanteile (Kosten für den 
Mieter, Einkommen für den Vermieter) in den Verkaufspreisen.

Leistungsloses Einkommen = Einkommenslose Leistung = gestohlene 
Lebenszeit = gesellschaftlich legitimierte Sklaverei

Kapitaleinkommen stellen genau den Punkt dar, an welchem von 
gesellschaftlicher Sklaverei die Rede sein darf. Diejenigen, die 
Kapitaleinkommen durch die Bereitstellung ihres Eigentums erzielen, 
müssen dafür nichts tun. Sie erzielen diese Einkommen allein durch den 
Besitz. Man spricht deshalb von "leistungslosen Einkommen". 

Erkennbar sollte sein, dass dann, wenn jemand Einkommen erzielt, ein 
anderer Ausgaben haben muss. Wenn also die Kapitalbesitzer Einkommen 
erzielen, ohne eine Leistung dafür zu erbringen, so müssen andere eine 
Leistung erbringen, ohne dafür ein Einkommen zu erzielen: 
einkommenslose Leistung. Erbracht werden muss diese Leistung ohne 
Gegenleistung von allen Kunden, die über die Preise - ohne wirklich 
eine Wahl zu haben - erhöhte Ausgaben haben. Die meisten Kunden sind 
aber Arbeitnehmer, die ihre Einkäufe mit ihrer Lebenszeit bezahlen, 
indem sie in ihrem Job ihr Know-how und ihre Arbeitszeit zur Verfügung 
stellen. Einkommenslose Leistung ist demnach nichts weiter als 
Zeitaufwand der Arbeitenden ohne eine entsprechende Gegenleistung 
erwarten zu dürfen. Oder eben: Sklaverei mittels eines auf 
Kapitaleinkommen basierenden Wirtschaftssystems zugunsten der 
Besitzenden. Michael Ende hat diese Zusammenhänge in seinem Buch "Momo" 
metaphorisch dargestellt. Dort wird den Bewohner von den "Zeitdieben", 
welche die Menschen zum "Zeitsparen" bewegen, hinterlistig ihrer 
Lebenszeit und Lebensfreude beraubt.

Es gibt mehrere Gründe, die heutigen Besitzstände und die Möglichkeit 
der Erzielung leistungsloser Einkommen (Kapitaleinkommen) in Frage zu 
stellen. Zum einen geht es hierbei um Gerechtigkeit. Die Aneignung der 
Arbeits- und damit Lebenszeit anderer, nur durch den bloßen Besitz, 
wäre moralisch zu verurteilen. Abseits von einer Moraldiskussion ist 
jedoch auch die Stabilität eines Wirtschaftssystems gefährdet, wenn es 
leistungslose Einkommen zulässt. Die Ursache zyklischer 
Wirtschaftskrisen in kapitalistischen Wirtschaftssystemen ist nicht in 
zu hohen Lohnnebenkosten oder zu geringen Wachstumsraten zu finden, wie 
uns eine auf dem kapitalen Auge blinde politische "Elite" weismachen 
will, sondern in einem Verteilungsproblem des Wirtschaftssystems.

Lässt man leistungslose Kapitaleinkommen zu, so bedeutet das, dass 
Kapitalbesitzer allein durch die Nicht-Zurückhaltung ihres Kapitals 
noch mehr Kapital erzielen. Sie nutzen ihren Besitzvorteil gegenüber 
der Gesellschaft, indem sie ihr "Privateigentum" nur gegen eine 
Belohnung zur Verfügung stellen. Die Vermögen der Besitzenden werden 
auf diesem Wege immer größer. Die ständig wachsenden Vermögen werden 
jedoch erneut verzinsungsbringend in der Volkswirtschaft investiert und 
erhöhen somit die Kapitaleinkommen der späteren Perioden und so weiter. 
Dies ist ein sich exponentiell beschleunigender Prozess. 

Anhand von Volkseinkommen = Kapitaleinkommen + Arbeitseinkommen lässt 
sich ableiten, dass nur dann die Kapitaleinkommen steigen können, ohne 
die Arbeitseinkommen zu schmälern, wenn die Gesamtwirtschaft wächst (= 
steigendes Volkseinkommen). Anhand dieser simplen Zusammenhänge ließe 
sich somit nicht nur der Wachstumszwang unserer Volkswirtschaften 
erklären (Wachstum, Wachstum über alles [2]), sondern kann zugleich 
abgelesen werden, welcher Interessengruppe die heutige 
Wirtschaftspolitik wirklich dient: den Kapitalbesitzern.

Der Kapitalismus als instabiles Gesellschaftssystem

Ein Wirtschaftssystem, das leistungslose Kapitaleinkommen zulässt, 
tendiert dazu, den Besitzenden immer mehr Besitz zuzuschanzen, während 
für die Arbeitenden immer weniger übrig bleibt. Es dürfte selbst den 
Reichsten der Reichen auffallen, dass eine Gesellschaft, welche diesen 
Gesetzmäßigkeiten unterliegt, nicht dauerhaft stabil sein kann, sondern 
sich in Arm und Reich aufspaltet und zugleich die Wirtschaft schädigt. 
Denn: Arbeitseinkommen werden überwiegend verkonsumiert, anstatt 
investiert, kurbeln demnach den Konsum und damit den 
Wirtschaftskreislauf an und helfen vor allem der kleinen und 
mittelständischen Wirtschaft. Kapitaleinkommen dagegen werden meist nur 
dann in die Wirtschaft in Form von Investitionen oder Krediten 
"zurückgeführt", wenn eine entsprechende Rendite erzielt wird - was 
erneut die Konzentration der Vermögen und damit die Instabilität des 
Wirtschaftssystems fördert. 

Die zunehmende Verschuldung der gesamten Gesellschaft ist ein auf die 
Zukunft bezogenes Zahlungsversprechen an die Kapitalbesitzer. Schulden 
kann eine Gesellschaft nur machen, indem sie sich von den Besitzenden 
etwas borgt. Die Schulden der Gesellschaft sind also zugleich die 
Vermögen der Besitzenden. Auch die jüngste Privatisierungswelle [3] 
resultiert aus diesen Gesetzmäßigkeiten: Dabei wird Vermögen der 
Gesellschaft an jene übertragen, die bereits ausreichend Besitz haben. 
Die Verschuldung der Gesellschaft und der daraus resultierende 
Schuldendienst führt demnach Staats- oder "Volkseigentum" (die Post, 
die Bahn, diverse Wasserwerke u.ä.) in Privateigentum von 
Kapitalbesitzern über. Dieser Prozess verbessert die Situation nicht, 
sondern verschärft sie im Gegenteil.

Führt man diese Entwicklung in die Zukunft fort, so ergeben sich daraus 
zwei mögliche Szenarien. Im ersten Szenario wird die Besitzstruktur 
durch entsprechende Maßnahmen politischer, militärischer und 
gesetzlicher Art festgeschrieben. Dadurch verschiebt sich die Schere 
zwischen Arm und Reich jedoch immer weiter und wird der Anteil ihrer 
Lebenszeit immer größer, den die Arbeitenden für Kapitaleinkommen der 
Besitzenden abgeben müssen. Dies ist der Weg von der heutigen 
indirekten/versteckten in eine direkte/offene Sklavengesellschaft.

Das andere Szenario beinhaltet zwingend eine Hinterfragung des 
Prinzips, dass allein durch den Besitz Einkommen auf Kosten anderer 
erzielt werden kann, sowie die Entwicklung von Werkzeugen und Methoden, 
dies künftig zu verhindern. Die Schaffung eines neutralen Geldsystems 
(Regionales Geld für ein Europa der Regionen [4]), die 
Vergemeinschaftung von Boden und eine Reform von Patent- und 
Urheberrechten (Der Markt wird es schon regeln [5]) sind Themen, die in 
diesem Rahmen zu diskutieren wären..

LINKS

[1] http://userpage.fu-berlin.de/~roehrigw/creutz/renieder.htm
[2] http://www.telepolis.de/r4/artikel/14/14904/1.html
[3] http://www.telepolis.de/r4/artikel/16/16699/1.html
[4] http://www.telepolis.de/r4/artikel/17/17289/1.html
[5] http://www.telepolis.de/r4/artikel/18/18309/1.html

Telepolis Artikel-URL: 
http://www.telepolis.de/r4/artikel/19/19183/1.html

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