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Washingtons Traum der permanenten Revolution ist gescheitert Die Revolution ist beendet. Aber welche Revolution? Das Kernstück der außenpolitischen Umwälzung nach dem 11. September 2001 bildete der Plan, die islamische Welt zu demokratisieren. "Krieg gegen den Terror", Präventivschlagsdoktrin und Einmarsch im Irak leiteten sich von dieser einen Idee ab: Demokratien führen keine Kriege gegeneinander. Und wenn erst Washingtons offensive oder diskrete Interventionen Despoten verscheucht und Demokraten zur Macht verholfen hätten, dann würden die Wurzeln des Terrors ausgerissen sein. Die zweite Revolution fand im Innern statt. Verfassungsbruch und Staatsstreich konnten auch die schärfsten Gegner der Bush-Regierung nicht nachweisen. Zu konstatieren bleibt aber eine stetige Verlagerung der Macht zugunsten der Exekutive. Die Ermächtigung verschaffte ein Kongress, der zeitweise an der Grenze zur Selbstabschaffung der Legislative operierte, einschließlich seiner großen Zahl von Demokraten. Schon früh haben uns gelehrte Kommentatoren wie John Lewis Gaddis daran erinnert, dass die erste Revolution seit "9/11" nur die Zuspitzung einer außenpolitischen Tradition präventiver Machtenfaltung war. Die USA sind lange schon die einzige Macht, die Außenpolitik im klassischen Sinne betreiben kann, die einzige wirklich souveräne Macht. Aus Washingtoner Perspektive konnten die Grenzen anderer Staaten nie die Grenze der eigenen Macht sein. Eine planetarische Ordnungsmacht kann sich nicht um Flüsse und Gebirge scheren. Lediglich die kleine Elite liberaler Internationalisten, die das internationale System schuf, verpflichtete sich selbst auf das Ideal der Gleichberechtigung. Amerikanische Interventionen sind seit dem 19. Jahrhundert an der Tagesordnung. Militärisch unterlegen und ökonomisch abhängig, nahm sich der Rest der Welt in den Augen der USA immer wie eine Horde von Zurückgebliebenen aus, denen der zivilisierte Riese Schutz und Zucht zuteil werden lassen musste. Und alle jüngeren Debatten um die Interventionen wiederholten sich. Irak klang wie Vietnam oder Kuba 1961 oder Iran 1951. Nach der Invasion in der Schweinebucht verhandelten Amerikas Intellektuelle Fragen wie heute. Auf beiden Seiten standen Liberale. Die USA blieben trotz allem immer auch liberaler Wohltäter, die einzige Weltmacht, die sich auch um Menschenrechte sorgte. Einer der führenden liberalen Leitartikler, Joseph Alsop, forderte 1951 amerikanisches Eingreifen im Iran und 1953 die Unterstützung der Franzosen in Indochina auf der Grundlage eines zivilisatorischen Arguments: Die Völker der Dritten Welt und ihre irrationalen Führer bräuchten Hilfe, um nicht im Chaos zu versinken. Dieses strukturelle Problem der USA ist unlösbar. Ihre Doktrin ist ihre Bürde. Dem liberalen Ideal in jedem Fall zu genügen, wäre selbstmörderisch. Dem Primat der Macht zu folgen, ist verlockend, weil es scheinbar Kosten spart und sich mit einem isolationistischen Ressentiment verträgt. Die USA befinden sich in dem Dilemma, einerseits einer aufgeklärten Idee verpflichtet zu sein, die in letzter Konsequenz die Auflösung der eigenen Hegemonie bedeuten kann, andererseits wie jede Macht nach deren Erhaltung zu streben. Allerdings haben die USA die Spannung von Macht und Ideologie stets ausbalancieren können, weil sie gouvernementale Herrschaftstechniken anwandten. Ihr demokratisches System war darauf angelegt, sich der Kritik zu öffnen und Freiheitspotentiale zu gewähren, die zur permanenten Reform und Stabilisierung des Systems beitrugen. Diesen Mechanismus hat die Bush-Regierung ins Leere laufen lassen. Statt Kritik zu inkorporieren, erzeugt die Macht ihre eigene Illusion der Kritik. Stimmen von außen dringen nicht mehr durch. Der heterogene innere Machtzirkel wurde durch eine außenpolitische Strategie zusammengehalten. Als diese Klammer zerbrach, zerfiel die Koalition der verschiedenen internen Lager nicht. Zwar verließen die Intelligenteren das sinkende Schiff, fast alle aber verschanzten sich auf Gedeih und Verderb hinter der Person des Präsidenten. Das Binnenverhältnis im inneren Kreis der Macht ersetzte die Außenwelt und formierte dort ein neues Herrschaftssystem. Rationale Herrschaft wurde in charismatische Herrschaft überführt. Im Zentrum der Macht fand der eigentliche Systemwechsel statt - eine epistemologische Revolution. Das ist das arcanum imperii: Im Innern der Macht regiert ein hermetisches charismatisches Herrschaftssystem. Mit Bush kann es in der Tat, wie Bob Woodwards jüngstes Buch "State of Denial" belegt, keinen Realismus und keine "Realpolitik" mehr geben. Es wurde so deutlich wie nie zuvor, als die für eine Realistin geltende Condoleezza Rice am Beginn des Libanon-Krieges behauptete, die Geburtswehen eines besseren Nahen Ostens zu beobachten. Oder wenn Rumsfeld Kritiker des Irakkrieges mit Nazi-Appeasern vergleicht, während der Präsident den nahen Erfolg im Irak imaginiert. Und wenn es eines Tages tatsächlich einen demokratischen Nahen Osten gäbe? Mit der amerikanischen Invasion hätte es nichts mehr zu tun. Die Ereignisse haben eine Eigendynamik entfaltet. Sowenig wie der symbolische "Sturm" auf die Bastille mit der Krönung Napoleons in Verbindung stand, so wenig trägt das amerikanische Eingreifen zu einem demokratischen Nahen Osten bei. Die Verdichtung charismatischer Herrschaft im Innern der Macht wurde von einem ideologischen Paradigmenwechsel begleitet. In der Sprache historischer Vergleiche: Das römische Paradigma wurde zunehmend vom griechischen überlagert. Das klassische Athen war eine hegemoniale Macht, die demokratischste der Antike. Diese Demokratie folgte ihren führenden Politikern in einen verheerenden Krieg, und doch war die Kontrolle über die Ereignisse den Großen entzogen. Die demokratische Dynamik ist unberechenbar. Es ist gerade die Demokratie, die Athen im Peloponnesischen Krieg so viel kriegslüsterner machte als den Antagonisten Sparta. Die Interessen der Unterschichten, neureicher Bürger und ruhmessüchtiger Aristokraten trafen sich, der Krieg versprach Expansion, Gewinn, Anerkennung, Freiheit. Die großen Pläne entwickelten ein Eigenleben, bis es am Ende nur noch um eines ging. Das Sendungsbewusstsein war umgeschlagen in das Streben nach Macht um der Macht willen, ohne die "römische" Verkleidung als zivilisatorische Mission. Die Ideologie der nackten Macht hat sich auch im Inneren der Bush-Regierung ausgebreitet, was nicht bedeutet, die USA seien auf dem Weg, ihre demokratische Konstitution zu verlieren. Regierung und Masse handeln durchaus im Einklang, immer noch, wenn auch die Mehrheiten schwinden. Den als Gehirne der Regierung gerühmten Neocons fiel dabei lediglich die Rolle zu, die kulturelle Hegemonie zu erobern. Sie reichte weit über die eigene Klientel hinaus, war angewandter Gramsci, war erfolgreich. Sie war. Nicht nur, weil liberale Medien wieder beginnen, liberale Meinungen offensiver zu behaupten. Das symbolische Kapital der Neocons zerbröckelte in dem Augenblick, in dem es seinen Zweck erfüllt hatte. Die Revolution, ein weiteres Mal, ist beendet. Doch die Revolutionäre finden nicht zurück ins Zivilleben. Nur selten ist über das typologische Durcheinander gesprochen worden, das der Begriff Neocon verschweigt - es war ja schon schwierig genug, die verschiedenen Gruppen des Bush-Lagers zu unterscheiden. Aber im Augenblick ihres Verschwindens paradieren sie alle noch einmal ruhelos auf und ab. Da ist der Typus des Tschekisten, Elliott Abrams, erst Demokratisierungs-, dann Nahostdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, der ohne Skrupel jedem Herrn dient und doch ideologisch felsenfest erscheint. Seine Karriere geht weiter. Auf der anderen Seite steht der Idealist, Robert Kagan etwa, der die demokratische Mission der USA beschwört und doch nicht ganz von Bush lassen kann. Der trotzkistische Typus der Väter lebt in den jungen Neocons kaum noch fort, man ahnt einen Glauben an die permanente Revolution nur in Kagans reiner Schriftexistenz und der Überzeugung des einzigen echten neokonservativen Nahostexperten, Reuel Marc Gerecht, der um der Demokratie willen auch einen islamistischen Nahen Osten in Kauf zu nehmen bereit ist. Bill Kristol hingegen gleicht als unerschütterlicher Bushgetreuer eher einem stalinistischen Typus. Der Herrscherkult fordert seinen Preis, nicht zuletzt das sacrificium intellectus, tödlich für einen Intellektuellen. Kristols Verhältnis zu seinem einstigen, dann aber verratenen Helden der Revolution John McCain ist eisig, auch wenn man angesichts der Präsidentschaftswahlen 2008 wieder miteinander redet. Die Neocons waren Händler auf einem protektionistischen Markt der Ideen, der nach außen undurchlässig war. Ist mit dem Niedergang der Neocons, mit ihrer Fahnenflucht, ihrem Schweigen oder ihrer Regression zu Funktionären also ein weiteres Mal das katastrophale Scheitern ideologisch geleiteter Politik zu diagnostizieren? Die Antwort ist nicht einfach. Die Neocons waren in ihrem utopischen Idealismus unvorbereitet, überheblich ignorant, rücksichtslos in ihrem Siegestaumel. Doch nicht die Wucht ihrer Ideen behielt am Ende die Oberhand, sondern das nackte machtpolitische Kalkül der beiden Feldherren-Freunde Cheney und Rumsfeld, die industriell-politische Motive hegen, aber die Neocons einzuspannen wussten. Die Ideenwelt der Neocons bot keine Widerstandskraft gegen die Ideologie der Macht. Die Neocons waren selbst infiziert, fixiert auf die Rolle als Diener ihrer Herren. Das ist die Tragödie dieser brillantesten Generation von Intellektuellen seit den Tagen der Neuen Linken und der Revolutionen Osteuropas. Gerade die gesteigerte Betonung von Werten hat zur völligen Suspension von Verantwortung geführt. Die Bush-Regierung hat die Gesinnungsethik zur Herrschaftsmaxime erhoben. Dass Rumsfeld nie gehen musste, dieses deutlichste Signum dafür, dass das Prinzip Verantwortung außer Kraft gesetzt war, wird einmal als einer der größten Makel dieser Präsidentschaft gelten. Strukturell war es beinahe unvermeidlich. Die charismatische Herrschaft im Innern der Macht kennt rationale Kontrollprozesse nicht mehr. Gefolgschaft steht über Verantwortung. Es war eine Revolution. TIM B. MÜLLER Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.234, Mittwoch, den 11. Oktober 2006 , Seite 15 _______________________ Web-Site: http://www.oekonux.de/ Organization: http://www.oekonux.de/projekt/ Contact: projekt oekonux.de
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