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[chox] kontrovers-Internet: Ende der Kultur?




Von Heribert Prantl

"Wer ein Buch stiehlt, in dessen Hand soll es sich in eine Schlange verwandeln. Der Schlagfluss soll ihn treffen. Bücherwürmer sollen in seinen Eingeweiden nagen."

(Inschrift in der Bibliothek des Klosters San Pedro in Barcelona)

Das Kopieren begann in den Skriptorien der Klöster, kopiert wurde mit Vogelfeder und Rußtusche, Buchstabe für Buchstabe. Es war ein mühseliges Geschäft, aber es galt nicht als Geschäft, sondern als Kontemplation, als eine andere Form des Gebets. Heute ist Kopieren zum Kinderspiel geworden. Texte, Musikstücke und Spielfilme aus dem Netz herunterzuladen, also in bester Qualität zu kopieren, dauert nur ein paar Mausklicks. Die Gerätschaften dafür, vor ein paar Jahren noch sündteuer, sind Massenartikel geworden. Das perfekte Filmkopierwerk, so beklagt es der Justitiar von Verdi, der in seiner Gewerkschaft die Künstler vertritt, ist heute ein Spielzeug fürs Kinderzimmer.

Die Mönche würden staunen; für sie wäre das ein Fall für die Inquisition. Die Schriftsteller, Komponisten und Filmemacher sehen das so ähnlich; und auch die Verlags-, Musik- und Filmindustrie, die auf gewerblichen Exklusivrechten aufbaut, ruft Mordio. Das Internet funktioniert in ihren Augen wie eine gigantische Enteignungsmaschinerie. Im Internet ist - zu Lasten der Schöpfer geschützter Werke und zu Lasten der Wissens- und Unterhaltungsindustrie - der Kommunismus wiedereingeführt. Jeder bedient sich dort nach seinen Bedürfnissen, zumeist umsonst. Nur den Befriedigern sexueller Bedürfnisse ist es gelungen, für die Nutzung ihrer Angebote im World Wide Web gutes Geld zu kassieren.

Das Urheberrecht, das den Urhebern einen Verdienst an ihren Werken sichern soll, zerbröselt im Internet, es wird zerrieben in Tauschbörsen, die ihre Namen schneller ändern als Chamäleons ihre Farben. Diese Umschlagplätze für Raubgut und Pirateriewaren hießen Napster und Grokster, sie heißen Limewire und Edonkey. Die Zahl illegaler Downloads wird auf monatlich eine Milliarde geschätzt, neun Millionen Menschen sitzen angeblich jeden Tag am Computer und nutzen die Internet-Tauschbörsen, auf denen es alles gibt, was der Mensch geschaffen hat und was in Einsen und Nullen zerlegbar und kopierbar ist. In den Tagen nach dem Kinostart der Romanverfilmung "Da Vinci Code", wurde der Film als Raubkopie zwei Millionen Mal aus dem Internet heruntergeladen.

Web-Kommunismus

Die Film- und Musikindustrie rennt dagegen an wie Don Quichotte gegen die Windmühlen. Ein Erfolg der Milliarden-Klage, die ein Fernsehkonzern gegen

Google/Youtube vor einem US-Gericht erhoben hat, könnte den globalen Verfall des Unrechtsbewusstseins beim Diebstahl geistigen Eigentums noch stoppen. Bei YouTube sind (an sich urheberrechtsgeschützte, aber nicht bezahlte) Filmclips das Lockmittel und der Rahmen für die Werbung, mit der YouTube sein Geld verdient.

Es gibt einfallsreiche Kampagnen gegen das Raubkopieren: "Kopien brauchen Originale" formuliert das Bundesjustizministerium, um darauf hinzuweisen, dass vor der Technik das Hirn kommt. Solche Kampagnen gegen den geistigen Diebstahl sind die Neuauflage der Bücherflüche des Mittelalters, mit denen die Strafen der Hölle gegen Diebe und Verfälscher heraufbeschworen wurden. In seiner Vorrede zum "Sachsenspiegel", dem wichtigsten Rechtsbuch des Mittelalters, wünschte Ritter Eike von Repgow all denjenigen Aussatz und Hölle, die sein Werk entstellen - heute würde man sagen: die es überschreiben und remixen. Remixen ist natürlich auch eine Leistung. Kritiker des Urheberrechts beklagen daher, dass das Urheberrecht die Kreativität behindere. Wird die Kreativität des B dadurch gefördert, dass A keinen Cent dafür erhält, wenn man sein Werk in Gänze nutzt?

Faktum ist: Das geistige Eigentum ist heute so flüchtig wie nie; "geistig" bezeichnet nicht nur die investierte Substanz, sondern auch den Aggregatzustand dieses Eigentums. Die Versuche vor allem der Musikindustrie, CDs digital zu verplomben, also mit einem technischen Kopierschutz zu versehen (die Mönche haben einst die Bücher angekettet) sind umstritten und funktionieren nicht zuverlässig. Einmal geknackt verhält es sich mit dem Kopierschutz wie mit einem gesprungenen Ei. Im Übrigen passt es nicht zusammen, wenn einerseits das Kopieren zum privaten (nicht zum gewerblichen!) Zweck vom Gesetz erlaubt wird, aber dem zugleich elektronische Riegel vorgeschoben werden.

Digitaler Sauerstoff

Die Kreation des "geistigen Eigentums" entsprang dem Geist der Aufklärung. Als nach der Jahrtausend-Erfindung Gutenbergs immer mehr Nachdrucker von Büchern behaupteten, sie hätten das Recht zum Nachdruck durch den Kauf eines Exemplars erworben, da schrieb Immanuel Kant seine Abhandlung "Von der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks" und wies darin den Verfassern ein "unveräußerliches Recht" zu. Die Aufklärung verstand das Urheberrecht nicht mehr als Privilegium, das von einem Fürsten verliehen wird, sondern als Teil eines universellen Persönlichkeitsrechts. Das Werk war ein wirtschaftlich verwertbarer Teil seines Schöpfers; wenn er Glück hatte, konnte er davon leben - und viele Werke wären nicht entstanden, hätten die Künstler damit nicht ein leidliches Auskommen gehabt. Wenn Bücher (sie seien, weil die Leipziger Buchmesse beginnt, als Exempel genommen) nichts mehr wert wären, weil es sie im Internet umsonst gibt, dann würden nicht nur Existenzen zerstört, sondern auch die kulturelle Vielfalt. Kulturelles Schaffen wäre dann wieder, wie in der Frühtagen der Kulturgeschichte, allein auf die Gunst von Mäzenen angewiesen. Damit endete dann die Aufklärung.

Für die Internet-Kommunisten ist das Web die Allmende der Moderne. Die Allmende war einst die Gemeindewiese, die allen gemeinsam gehörte, auf der also jeder seine Kühe grasen lassen konnte. Ein dergestalt freies Internet ist deswegen eine verführerische Idee, weil große Konzerne die Kultur und das, was sie dafür halte, immer stärker feudalisieren und monopolisieren. Aber das ist nicht die Schuld des Urheberrechts. Und der Vergleich mit der Allmende hinkt: In einem völlig freien Internet mit freiem Zugriff für alle wäre es ja so, dass nicht nur die Wiese sondern auch die Kühe, die dort stehen, allen gehörten. Derjenige, der nur die eine Kuh hat, verhungert dann.

Der freie Zugang zu digitalen Daten sei, so heißt es, auch eine politische Frage: Information sei nun einmal der Sauerstoff der Demokratie! Das ist richtig. Das Urheberrecht hat aber noch nie bloße Informationen geschützt; Informationen waren und sind nicht exklusivierbar. Das Urheberrecht verhindert nicht den Austausch von Informationen, es reserviert nicht Wissen für einzelne Personen, es schützt nur die besondere Verarbeitung und Gestaltung, also das Werk, das daraus gemacht wird (und gibt auch hier der Allgemeinheit reichliche Nutzungsmöglichkeiten).

Der Sauerstoff für das Internet ist also das Urheberrecht - weil es die Originale schafft, die man zum Kopieren braucht.

Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.64, Samstag, den 17. März 2007 , Seite 4
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