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[chox] Tückisch, gefährlich, falsch: Wie der Bundesinnenminister die Unschuldsvermutung in Frage stellt



Schäubles Feindrecht

Von Heribert Prantl

Der bisherige Rechtsstaat verfolgte ein Doppelziel: Schuldige zu bestrafen und Unschuldige gegen ungerechtfertigte Maßnahmen der staatlichen Gewalt zu schützen. Den neuen Präventionsstaat, wie ihn die Sicherheitsgesetze konstruieren, interessiert etwas anderes: Die Ausschaltung des Gefährlichen - also Vorbeugung mit fast allen Mitteln.

Der neue Präventionsstaat legt es nicht mehr darauf an, Schuldige zu finden, sondern darauf, Schuld auf Mutmaßungen zu stützen, die in ihrer Vagheit unwiderlegbar sind. Er nennt diese gemutmaßte Schuld, um nicht vollends mit den bisherigen Rechtsregeln zu kollidieren, "Gefahr". Weil es nun nicht um Schuld und Unschuld geht, sondern um eine Gefahr, gilt angeblich die Unschuldsvermutung nicht. Das ist der Hintergrund für die höchst befremdlichen Äußerungen von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble über den Kampf gegen den Terror und die dort angeblich unbeachtliche Unschuldsvermutung. Schäubles Äußerung liegt freilich im legislativen Trend. Die neuen Anti-Terror-Gesetze verwandeln das Polizeirecht, das für Gefahrenabwehr zuständig ist, in ein schärferes Recht, als es das Strafrecht ist: Die Mittel und Methoden, die bisher nur im Strafrecht, also bei Aufklärung und Verfolgung von Straftaten (nach strengen rechtsstaatlichen Regeln) angewendet werden durften, haben ins Polizeirecht Einzug gehalten - allerdings ohne die strengen Regeln.

Das bedeutet: Wer keine Straftat begangen hat, aber eine begehen könnte, wer also noch nicht einmal Beschuldigter ist, sondern nur Gefährder, der wird schärfer behandelt und hat weniger Rechte als ein Beschuldigter, dem eine Straftat vorgeworfen wird. Für den Beschuldigten nämlich gelten die Schutzregeln des Strafverfahrensrechts. Für bloße Risikopersonen sollen dagegen diese Schutzregeln nicht gelten. Anders gesagt: Wenn sich Gefahren in einer Straftat realisiert haben, haben die Beschuldigten ordentliche Rechte; im Vorstadium nicht. Dieser Gedankengang, auf den sich Schäuble stützt, ist tückisch und gefährlich.

Die Unschuldsvermutung ist dem Verhältnismäßigkeitsprinzip verwandt. Sie fordert nicht zu dem Kunststück auf, jemanden für unschuldig zu halten, von dem man aufgrund von Indizien vermuten kann, dass er schuldig ist. Die Unschuldsvermutung verlangt aber, dass die Eingriffe nur soweit gehen, dass man sie gegenüber einem Verdächtigen, der in Wahrheit dann doch unschuldig ist, noch verantworten kann. Der Staat darf also nicht die Strafe quasi schon vorweg nehmen. Was bei Verdächtigen gilt, muss nun erst recht bei bloßen Risikopersonen gelten. Die Unschuldsvermutung, so der Münchner Strafrechtsprofessor Klaus Volk, bestimmt das "noch zumutbare Maß der Eingriffsintensität". Wenn Schäuble das nicht mehr gelten lässt, macht er den fatalen Schritt hin zu einem System, das nach Belieben zwischen Bürgern und Feinden unterscheidet und die "Feinde" aus dem Recht ausklinkt.

Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.90, Donnerstag, den 19. April 2007 , Seite 4

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Heribert Prantl war u.a. Staatsanwalt. Seit einigen Jahren leitet er die Abteilung Innenpolitik bei der Süddeutsche Zeitung
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