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Message 02396 [Homepage] [Navigation]
Thread: choxT02396 Message: 1/1 L0 [In date index] [In thread index]
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[chox] Die neue globale Ordnung



Von Michael Bauchmüller

Die Erosion findet an verschiedenen Stellen zugleich statt. Beispiel
Weltbank: Mitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, wagen die offene
Konfrontation mit der Weltbank-Spitze - und lassen deren ungeliebten
Präsidenten über eine Affäre stolpern. Beispiel Internationaler
Währungsfonds: Der dümpelt, in Ermangelung ernsthafter Finanzkrisen, an
der Grenze der Bedeutungslosigkeit herum - während sich die ersten
Mitglieder davonmachen. Beispiel G8: Da werkeln die Diplomaten des
Industriestaaten-Clubs Tag und Nacht an einem Schlussdokument, das
abermals nicht die Welt verändern wird - oder kann sich noch
irgendjemand an den "Petersburger Aktionsplan" vom vergangenen Jahr
erinnern? Oder an konkrete Ergebnisse des Gleneagles-Gipfels? Und was
geschah gleich noch in Sea Island 2004?

Jahrzehntelang konnten Industriestaaten untereinander die Regeln der
Weltwirtschaft ausmachen. Ihre Welt lag im Kalten Krieg, ihre Macht
stand nicht in Frage, ihre Clubs waren klein und einflussreich. Jetzt
bekommt das Gefüge Risse: Die Globalisierung raubt der globalen Ordnung
von einst die Bedeutung. Doch während sich die Gewichte von Jahr zu Jahr
verschieben, bleiben sich die Institutionen treu: Wenn es um den eigenen
Einfluss geht, ist das Beharrungsvermögen der Nationen groß - zu groß.

Nur so lässt sich erklären, warum Länder wie Italien und Kanada als
G-8-Mitglieder immer noch in der selbst ernannten ersten Liga der
Weltwirtschaft spielen, die Chinesen dagegen auf die Zuschauertribüne
verbannt sind. Das wird den Einfluss des Gremiums ganz sicher nicht
erhöhen. Nur so lässt sich auch erklären, dass die USA nach wie vor ein
Vetorecht in Währungsfonds und Weltbank haben - obwohl sie damit
sehenden Auges den Einfluss beider Organisationen aushöhlen. Das Veto
wird nämlich vor allem dazu genutzt, ein Abschaffung desselben und eine
Neuordnung der Stimmrechte zu verhindern. Die Folge: Aufstrebende
Nationen wenden sich zunehmend ab. Nicht von ungefähr arbeiten die
Tigerstaaten Asiens an einem eigenen Währungspool, treiben Länder
Lateinamerikas die Idee einer eigenen "Südamerika- Bank" voran.

Nur der schöne Schein zählt

Wenn die Diplomaten nicht noch Wunderdinge vollbringen, wird auch der
G-8-Gipfel in Heiligendamm nur ein weiteres Dokument der Erosion. Seit
Jahren übertünchen die Schlusserklärungen mit Müh" und Not die
Differenzen - zwischen Europäern und Amerikanern, zwischen Russen und
Europäern, zwischen Amerikanern und Russen. Nur deshalb beschäftigen
sich die Staatenlenker neben dem Konfliktherd Klimaschutz auch mit dem
Sympathiethema Afrika. Wie schon im schottischen Gleneagles können sie
sich so zumindest auf einen "Durchbruch" für Afrika herausreden, wenn
sie sich am Klimaschutz die Zähne ausbeißen. Was zählt, ist der schöne
Schein; Entscheidungen von ökonomischer Tragweite werden in diesem
Zirkel bestenfalls vorbesprochen. Die Liste der Gemeinsamkeiten wird
eher kürzer - in dem Maße, in dem sich der Wettlauf um die Weltmärkte
verschärft. Absurderweise führt gerade der Widerstand gegen diese
Entwicklung die G8 nur noch tiefer in die Bedeutungslosigkeit. Gerade
weil sie als starkes Bündnis auftreten wollen, bleibt ihnen nur der
kleinste gemeinsame Nenner. Alles andere machte die Brüche offenbar.

Die Krise der Institutionen muss kein Schaden sein. Die Weltwirtschaft
erlebt schlicht den Bedeutungsverlust der konsortialen Führung. Vor
allem Entwicklungsländer haben sie immer - und nicht ganz zu Unrecht -
als Fortsetzung des Kolonialismus mit anderen Mitteln betrachtet. Wo
aber Konsortien nicht mehr dauerhaft eine Ordnung für alle auswürfeln
können, werden sich neue Formen der Zusammenarbeit ergeben müssen.
Stärker als bisher werden Allianzen entlang kurzfristiger Interessen
entstehen. Wo das bisherige Modell nicht mehr funktioniert, wird die
Ordnung der Weltwirtschaft im besten Sinne multilateral ausgehandelt.

Das birgt die Chance einer "gerechteren" Ordnung, aber auch neue
Unsicherheiten. Nirgends zeigt sich dieser Prozess besser als in der
Welthandelsorganisation. Keine andere globale Institution gibt den
einzelnen Ländern so viel Mitsprache, keine andere hat nur annähernd
solche Resultate erbracht. Gerade deshalb (und nicht aus ihrer Schwäche
heraus) kommt die Organisation aber auch nur so mühsam voran: Weil jedes
neue Handelsabkommen tatsächlich Folgen in den Unterzeichnerländern hat,
ob für bayrische Milchbauern oder bangladeschische Näherinnen. Weil es
nicht so rasch verpufft wie eine G-8-Erklärung.

Während die G8 und die Bretton-Woods-Schwestern IWF und Weltbank ihren
Einfluss schwinden sehen, gibt die Welthandelsorganisation der globalen
Ökonomie so tatsächlich einen Rahmen. Sogar einen, der Sanktionen
bereithält für Staaten, die gegen die Spielregeln verstoßen. Mehr noch:
Die Integration der Weltwirtschaft und ein stetig wachsender Welthandel
graben an den Fundamenten der G8. Sie engen den Gestaltungsspielraum der
Staats- und Regierungschefs ein, global wie national.

Ist es zu viel verlangt, sich mit der eigenen Schwäche zu befassen? Den
G-8-Staaten würde rasch klar werden, dass sie den Einfluss ihres
Gremiums nur retten werden, wenn sie Dissens zulassen statt zwanghaft
Formelkompromisse zu schmieden, wenn sie sich obendrein für weitere
Staaten öffnen. Und Weltbank und IWF werden nicht darum herumkommen,
sich zu demokratisieren, wollen sie ihren Einfluss behalten. Millionen
Arbeitnehmer haben in den vergangenen Jahren lernen müssen, dass
Globalisierung ihnen Flexibilität abverlangt. Die Institutionen der
globalen Wirtschaft haben diese Lektion noch vor sich.

Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.114, Samstag, den 19. Mai 2007 , Seite 25
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