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Message 02512 [Homepage] [Navigation]
Thread: choxT02512 Message: 1/1 L0 [In date index] [In thread index]
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[chox] was Wolfgang Sch. zum lesen empfiehlt ...



Schäubles Nachtlektüre
DIE ZEIT Nr.33, 09.August 2007

von Gunter Hofmann

Nur indirekt hat Wolfgang Schäuble in einem Interview mit der ZEIT auf
die Frage geantwortet, ob der Rechtsstaat im Kampf gegen den Terrorismus
bis an seine Grenzen oder - Stichwort Guantanamo - gar darüber, hinaus
gehen müsse (ZEIT Nr.30/07). Der Bundesinnenminister beschränkte sich
auf die Empfehlung, ein Buch dazu zu lesen, Selbstbehauptung des
Rechtsstaats. Sein Autor: Otto Depenheuer. Klingt nicht nach Krimi,
aber wennSchäuble es sagt ... Also liest man.

In eine geradezu paranoid anmutenden, extrem hermetischen Gedankenwelt
sieht man sich versetzt von dem Autor, einem Juraprofessor aus Köln,
Direktor des Seminars für Staatsphilosophie und Rechtspolitik. Highnoon
ist nichts dagegen. Jener Zusammenprall der Kulturen, der Samuel
Huntington zufolge droht, er findet aus Sicht des Autors längst statt.
Mitten im »Zeitalter des Terrorismus« befänden wir uns, seien mit der
»Realitäteines weltweiten Bürgerkriegs konfrontiert«.

Handlungsoptionen, heißt es, müssten »ausgelotet« werden, wenn der
Staat mit seinen »demokratischen und rechtsstaatlichen Drapierungen«
sich nicht selbst aufgeben wolle. Wenn nicht, machten es andere - »aber
zu ihren Bedingungen, zu denen nicht Freiheit und Gleichheit,
Rechtsstaat und Demokratie zählen müssen«. Wie man den »weltweiten
Bürgerkrieg« garantiert verliert, illustriert aus seiner Sicht das
Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das am 15. Februar 2006 das
geplante Luftsicherheitsgesetz für verfassungswidrig erklärte. In
Paragraf 14 enthielt es die Ermächtigung, ein Flugzeug abzuschießen,
»wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Luftfahrzeug
gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, und sie (die
Einwirkung mit Waffengewalt, Anm. d. Red.) das einzige Mittel zur
Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr ist«. Mit der Menschenwürde sei es
nicht zu vereinbaren, befanden die Richter, die beim Abschuss getöteten
Flugzeuginsassen mit den mutmaßlich Geretteten aufzurechnen. Schäuble
kündigte damals Wiedervorlage an. Während einer Tagung von
Staatswissenschaftlern in Jena Anfang Januar plädierte der Bonner
Staatsrechtler Matthias Herdegen, unter dem Applaus einer Minderheit,
dafür, den Grenzbegriff »Menschenwürde« anzutasten, weil die Zeiten es
nun einmal geböten, sie gegen andere Güter abzuwägen.

Alle Zutaten Schmittschen Denkenskommen hier zusammen

Wenn der Rechtsstaat selbst auf dem Spiel steht, gibt es keine
»Grenzen«, lautet die Kurzfassung der Antwort Depenheuers auf die
Frage, die Schäublenicht stellt. Damit landet er aber prompt bei Carl
Schmitt, dem autoritären Juristen, der die Weimarer Republik mit
hinüber argumentierte ins »DritteReich«. Alle Zutaten Schmittschen
Denkens kommen hier zusammen: Das Flugzeug, das in terroristischer
Absicht anfliegt, stellt »die Ausnahme« dar, den akuten Notstand,
zugleich hat man einen »Feind« vor Augen, der mit Rechtsstaatswaffen
nichtzu bekämpfen ist, es muss eine »Entscheidung« ohne langes Palaver
getroffen werden, und »Bürgeropfer« sind zu verlangen, weil es um den
»Staat« selbst geht. Nackte Gewalt gegen Staat pur. Das Recht befindet
sich im Krieg, es wird Teil davon.

So vollkommen dichotomisch ist dieses Weltbild, dass nur noch Freund
oder Feind übrig bleiben: Hier der Westen, dort der islamische Terror.
Kein Gedanke wird darauf verwendet, nach Ursachen für den Terrorismus
oder für das Entstehen eines militanten Islamismus auch nur zu fragen.
Kein Wort über Konflikte zwischen den Religionen, über ethnische
Trennlinien, über materielle Interessen im Hintergrund. Kein
selbstkritischer Blick auf den »Westen«. Die Welt kommt nicht vor. Nur
der archaische Konflikt gegen »den Feind«. Depenheuer klagt, die
deutsche Vergangenheit tauche allenfalls als Ballast auf, der
Denkverbote auferlege.

»Verfassungspatriotisch gestimmte Bürger allein«, die den Staat im
Konfliktfall »im Stich lassen«, hülfen nicht weiter, argumentiert
Depenheuer. Man muss den Staat auf Krieg umrüsten. Die Feinde kommen
nicht mehr von außen, sie kommen von innen. Der harmlose Nachbar von
nebenan kann es sein. Alles potenzielle Schläfer, alles Verdächtige.
Depenheuer: »Normalität ist die Bedingung jeder Rechtsgeltung; die
Ausnahme als - partielle - Durchbrechung der Normalität entzieht der
Rechtsgeltung ihre >normale< Grundlage.« Wer sind die »Feinde«? Der
heutige Feind stellt alle früheren in den Schatten, er ist das »ganz
Andere«. Ihm und dem Bürgerfehlt jede gemeinsame Grundlage. Der Feind
»verkörpert die Negation der Lebensform einer säkularen und
freiheitlichen Demokratie«. Guantanamo, so Depenheuer, sei eine
»verfassungstheoretisch mögliche Antwort im Kampf der rechtsstaatlichen
Zivilisation gegen die Barbarei des Terrorismus«.

Ob zu den ausgeloteten »Handlungsoptionen« auch präventive
Sicherungsverwahrung, die Internierung potenziell gefährlicher
Personenkreise oder Folter zählt? Da bleibt der Professor erwas
vorsichtiger. Verfassungsrechtlich könne die Abwägung zwischen
Sicherheitsbedürfnissen und Freiheitsansprüchen auch anders, also
zugunsten von Internierungen ausfallen. Dazu müsse aber erst Karlsruhe
weichgeklopft sein!

Einfach geht es in dieser Denkhöhle zu, und meist gibt es alles nur im
Singular. Den Feind. Die Ausnahme. Das Opfer. Den Westen. Den Terror.
Die Herausforderung. Fast nichts hat einen Namen, nichts ein Gesicht.
»Die Erwartung einer iranischen Atombombe, die Vorstellung von
Massenvernichtungswaffen in der Hand von terroristischen Islamisten
zusammenmit demographischen Entwicklungen machen den Ausgang in diesem
ersten clash of civilisations nicht prognostizierbar.«


Diese Peaceniks in derVerfassungsrichterrobe

Gegen den »Dornröschenschlaf« der Staatsrechtslehre hält Depenheuer
seine »Theorie des Bürgeropfers«. Jetzt geht es um die, die in den
Flugzeugen sitzen. Angesichts der Größe der Herausforderung, so der
Autor, müsse der Gedanke der Aufopferung enttabuisiert werden. »Die
freiwillige Aufopferung für andere (Pater Kolbe), für den Staat
(Soldaten) oder für eine Wahrheit (Märtyrer) verleiht dem subjektiven
Leben zugleich eine objektive Dimension, die ihm Sinn und Erfüllung zu
geben vermag.« Sich für den Staat opfern zu dürfen, das gibt dem Leben
»eine die individuelle Perspektive transzendierende Dimension«. Das
Opfer für die Gemeinschaft gibt der Existenz Sinn. Es darf gefeuert
werden auf die anfliegenden Flugzeuge mit »dem Feind« am Steuer. Wieder
stört dabei die deutsche Vergangenheit, aber auch der »neuzeitliche
Individualismus«, der schon Carl Schmitt in die Quere kam. Die
Peaceniks in der Verfassungsrichterrobe sind in den Augen Depenheuers
Chiffre für die innere Abrüstung des »Bürgers«.

Wir sind auf Seite 40. Alles drängt auf eine Entscheidung zu. Otto
Depenheuer hat sie getroffen. Er entscheidet sich, und zwar zunächst
einmal für Carl Schmitt! Man hat es in dieser Direktheit lange nicht
mehr gehört. Ob Schmitt sich irrte, als Deutschland als Staat »der
Terrorist« war, interessiert den Juristen nicht. Vom Flug Mohammed
Attas gegen das World Trade Center über die Frage nach dem erlaubten
Flugzeugabschuss kommt Depenheuer direkt zu Schmitts Satz: »Souverän
ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.« Wer dieser Souverän
sein soll, interessiert Depenheuer nicht. Vage spricht ervon der
»politischen Einheit«, die entscheide.Hauptsache, das berühmte Diktum
Schmitts, indem seine Gegnerschaft zum liberalen Rechtsstaat
zusammenschnurrte, lässt sich endlich anwenden.

Zurückversetzt sieht man sich bei solcher Lektüre in jene Zeiten, als
die Bundesrepublik sich noch nicht entschlackt hatte von den Spuren der
autoritären Vergangenheit, von der Verachtung des parlamentarischen
»Palavers« und der deliberativen Demokratie. Damals verabschiedete sie
sich auch von einem überhöhten Staatsbegriff und lernte zu schätzen,
dass die Hüter der Verfassung nicht an der Spitze der Exekutive,
sondern gottlob in Karlsruhe sitzen. Was Otto Depenheuer denkt, weiß
man. Ginge es nur um den »erlaubten Flugzeugabschuss«, wie das
Parlament ihn mehrheitlich wollte, darüber könnte man streiten - aber
er wird nur genutzt zur Überhöhung ins Grundsätzliche, zur Proklamation
eines westlichen heiligen Krieges. Motto: Wer den Rechtsstaat bewahren
will, muss jenseits davon operieren. Man könnte es einen Sieg des
Terrorismus nennen. Dass alles Fassade ist, diese rechtsstaatlichen
Standards, das soll ja bewiesen werden. Diesist die wahre Kapitulation,
sie ist der rechte Skandal. Aber warum empfiehlt Wofgang Schäuble, den
man als leidenschaftlichen »repräsentativen Parlamentarier« und
diskursiven Verteidiger der Prozess-Politik kennt, ein solches
rechtsphilosophisch drapiertes Brevier für den Endkampf zu lesen?
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