GPL-Gesellschaft - Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft ==================================================== Stefan Merten 1. GPL-Gesellschaft - Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft ======================================================= von Stefan Merten 1.1. Vorbemerkungen ------------------- 1.1.1. Gewachsen aus dem Oekonux-Diskurs ---------------------------------------- Der vorliegende Beitrag ist aus dem Diskurs gewachsen, der seit Sommer 1999 auf der Mailing-Liste liste@oekonux.de[1] läuft. Ohne die vielfältigen Impulse und Gedanken, die dort stetig entstehen, wäre dieser Beitrag nicht möglich gewesen. 1.1.2. Beitrag zum Oekonux-Diskurs ---------------------------------- Gleichzeitig soll hiermit ein Beitrag zu eben diesem Diskurs geleistet werden, wobei hauptsächlich zwei Aspekte verfolgt werden. Linien, die aus der Vergangenheit in die Zukunft weisen ------------------------------------------------------- Einige Phänomene, die bereits in der Vergangenheit aufgetreten oder aber gegenwärtige Entwicklungen sind, werden daraufhin untersucht, inwieweit sie in einer GPL-Gesellschaft[2][3] zu dominanten Formen werden können. Ein Stückchen Vision, um Denkblockaden zu überwinden ---------------------------------------------------- Der Großteil des Beitrags breitet aber einige Elemente einer Vision einer GPL-Gesellschaft aus. Dies soll einerseits dazu dienen, sich eine solche Gesellschaft heute vorstellbarer zu machen, andererseits wird öfters an aktuelle Entwicklungen angeknüpft, so daß dieser Teil auch als Ideensammlung für Ansatzpunkte konkreten politischen Handelns gelesen werden kann. Daneben wird auch deutlich, daß eine solche Gesellschaft von den heute gegebenen Voraussetzungen her gar nicht mehr so übermäßig utopisch ist. Als ein Beitrag zum Oekonux-Diskurs wurde dieses Papier bereits während seiner Entstehung in mehreren Teilen in die Oekonux-Mailing-Liste [mailto:liste@oekonux.de] gepostet, woraufhin einige Aspekte dort diskutiert und weitergedacht [http://www.oekonux.de/liste/archive/threads.html#03091] worden sind. Disclaimer: 1.1.3. Kein wissenschaftlicher Anspruch --------------------------------------- Der Beitrag kann leider wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügen. Ich fände es ausgesprochen wünschenswert, wenn für die hier angesprochenen Aspekte ausreichend Ressourcen zur Verfügung stünden, die eine wissenschaftliche Untersuchung möglich machen würden. Dies ist bislang leider nicht der Fall, sondern wie eigentlich alles im Oekonux-Projekt ist auch dieser Beitrag in Freier[4] Tätigkeit entstanden, für die Einzelne sich in ihrem je konkreten Leben geistige und zeitliche Ressourcen verschafft haben. 1.1.4. Einige Beispiele sollen die Richtung illustrieren -------------------------------------------------------- An mehreren Stellen werden im Beitrag Beispiele verwendet. Diese Beispiele sind lediglich als Illustration eines Gedankens gemeint und dürfen nicht als normative Vorgaben mißverstanden werden. Wie immer ist das eigenständige Nachdenken gefragt, das selbstredend zu ganz anderen Ergebnissen kommen kann. Fazit: Das hier ist ein Versuch! -------------------------------- 2. Vergangenheit ================ Schon immer finden sich in der Geschichte der Menschen vielfältige Phänomene. Welche dieser Phänomene historisch wirkungsmächtig werden, hängt dabei von einer Vielzahl von Faktoren ab. Allerdings bilden sich immer wieder Systeme heraus, in denen über lange Zeiträume ganz spezifische Aspekte menschlicher Existenz dominant sind. Zu denken wäre hier an die Religion, die in feudalen Gesellschaftsystemen eine zentrale Rolle eingenommen hat, oder an das Geld, das in unserer noch fortdauernden kapitalistischen Gesellschaftsformation die Dominanzrolle übernommen hat. An beiden Beispielen wird insbesondere deutlich, daß der zu bestimmten Zeiten dominante Aspekt zu anderen Zeiten keine große Rolle gespielt hat bzw. spielt. Dieser Abschnitt soll zeigen, daß Aspekte, die aufgrund theoretisch-empirischer Überlegungen zu Dominanten der GPL-Gesellschaft werden sollen, schon sehr lange existieren. Dies mag als Anknüpfungspunkt für Überlegungen dienen, die die Prinzipien der Entwicklung Freier Software auf andere Bereiche übertragen möchten. 2.1. Frühere SelbstentfalterInnen --------------------------------- Einer der zentralen Aspekte im Diskurs um die GPL-Gesellschaft ist der der Selbstentfaltung[5]. Selbstentfaltung in verschiedenen Ausprägungen[6] wird als zentrales Motiv für die Entwicklung und letztlich auch den Erfolg Freier Software verstanden. Selbstentfaltung ist aber nun wahrlich nichts, was die Freie Software erfunden hat, sondern eine tief im Menschen angelegte Möglichkeit. Klar, daß sich Ausprägungen dieser Möglichkeit auch zahlreich in der Vergangenheit finden lassen. Hier seien einige dieser Ausprägungen herausgegriffen. 2.1.1. KünstlerInnen -------------------- KünstlerInnen sind vielleicht das naheliegendste Beispiel für klassische Selbstentfaltung. Ja, die KünstlerIn definiert sich geradezu durch Selbstentfaltung. In besonders reiner Form tritt dies bei einigen verarmten KünstlerInnen zu Tage, denen ihr künstlerisches Schaffen so sehr Berufung[7] ist, daß ihre materielle Existenz darüber ins Hintertreffen kommt[8]. Weniger wichtig ist der Aspekt der Selbstentfaltung dagegen bei solchen KünstlerInnen, die in erster Linie für einen Markt produzieren. Durch die Orientierung an der Verkaufbarkeit ihrer künstlerischen Produkte treten hier mehr oder weniger deutliche Brüche zwischen der künstlerischen Selbstentfaltung und den Marktvorgaben auf. Eine Kunstgattung, an der beide Phänomene leicht zu studieren sind, ist die Musik. Hier kennen wir sowohl Menschen, die ausschließlich zur Selbstentfaltung musizieren - in besonders reiner Form in der Hausmusik zu finden - als auch Menschen, die Musik für einen Massenmarkt produzieren bis hin zu den willfährigen Marionetten der Musikindustrie, die uns tagtäglich aus den Radios und Video-Clip-Kanälen des Fernsehens entgegentönen. Zwischen diesen Extremen gibt es einen weiten Bereich, in dem sich Selbstentfaltung mit Fremdbestimmung durch Marktinteressen auf vielfältige Weise mischt. 2.1.2. BastlerInnen und andere handwerkliche HobbyistInnen ---------------------------------------------------------- Aber auch nicht als künstlerisch verstandene, nichtsdestotrotz aber schaffende Tätigkeiten können Ausprägungen von Selbstentfaltung sein. Es hat immer wieder ausgedehnte BastlerInnen-Kulturen gegeben, die aus konkreter Notwendigkeit[9], oft aber auch aus Freude am Schaffen tätig geworden sind. Z.B. ist auch die Entwicklung von Computer-Hardware, die heute als Personal Computer bezeichnet würde, über einige Zeit in erheblichem Umfang durch private Bastelei geprägt worden.[10] Die Beschäftigung mit Material, Technik und Problem gepaart mit handwerklichem Können ist immer schon ein Bereich gewesen, in dem Menschen ihrer Selbstentfaltung gefrönt haben. Allerdings waren solche Basteleien bislang immer auf einem nicht-industriellen und damit niedrigen Produktivitätsniveau angesiedelt. Nun sind die industriellen Produktionsmittel, die Maschinen, die für andere Bastelprodukte benötigt würden, eben auch in Anschaffung und Unterhalt sehr aufwendig. Die massenhafte Verbreitung von PCs und Internet, die gleichermaßen in der industriellen / kommerziellen Software-Produktion wie bei Freien Software-EntwicklerInnen verwendet werden, ist in dieser Beziehung ein neues Phänomen. Durch diese Vergesellschaftung industrieller Produktionsmitteln werden die HobbyistInnen in die Lage versetzt, auf dem mindestens gleichen Produktivitätsniveau tätig zu werden wie im die EntwicklerInnen im industriellen Bereich. 2.1.3. Tätigkeit im sozialen Bereich ------------------------------------ Doch es gibt noch ganz andere Felder menschlicher Aktivität, in denen Selbstentfaltung eine Rolle spielt. So werden helfende Tätigkeiten im sozialen Bereich oft als Selbstentfaltung wahrgenommen. 2.1.4. Tätigkeit im familiären Umfeld ------------------------------------- Auch die Tätigkeit im familiären Umfeld wird oft als ein Feld von Selbstentfaltung beschrieben. Insbesondere der Umgang mit Kindern gilt vielen als eine ganz spezifische, leider allzuoft fest an das weibliche Geschlecht gekoppelte Form der Selbstentfaltung. An diesem Beispiel werden vielleicht besonders deutlich, wie verschiedene Aspekte von Selbstentfaltung zusammenwirken: Spaß an der Tätigkeit, Beseitigung von Notwendigkeit und Übernahme von Verantwortung sind im Umgang mit Kindern kaum voneinander zu trennen[11]. An diesem Beispiel wird jedoch auch deutlich, wie der Stellenwert bestimmter Inhalte von Selbstentfaltung sich historisch verändert. War Kindererziehung noch vor einigen Jahrzehnten nicht nur gesellschaftlich und individuell völlig unumstritten, so hat insbesondere durch die Frauenemanzipation ein deutlicher Wertewandel[12] stattgefunden, der sich sowohl gesellschaftlich als auch individuell niederschlägt. Fazit: Selbstentfaltung hat es schon immer gegeben -------------------------------------------------- Wir können also feststellen, daß es Selbstentfaltung in der menschlichen Geschichte schon immer und auf vielfältigste Art und Weise gegeben hat. Wie am Beispiel der Familientätigkeit deutlich wird, unterliegen die je konkreten Inhalte von Selbstentfaltung einem gesellschaftlich-historischen Wandel. Dies gilt es gerade beim Nachdenken über eine GPL-Gesellschaft im Auge zu behalten, da hiermit Einflußgrößen auf Inhalte von Selbstentfaltung sichtbar werden. Soll eine GPL-Gesellschaft ganz auf der Selbstentfaltung der Mitglieder beruhen, so kann es bedeutsam sein, solche Einflußgrößen zu kennen und ggf. auch im Interesse einer funktionsfähigen Gesamtgesellschaft zu nutzen. 2.2. Freie Information ---------------------- Neben der Selbstentfaltung spielt die Freie Information in der Entwicklung Freier Software und für deren Erfolg eine außerordentlich wichtige Rolle. Die Offenlegung des Quellcodes[13] und dessen Freie Verfügbarkeit trägt unmittelbar und auf verschiedenen Weisen zum Erfolg Freier Software bei. Nun hat es aber auch auf dem Feld der Information bzw. des Wissens[14] schon immer Phänomene Freien Wissens gegeben. Einige Beispiele. 2.2.1. Wissenschaft ------------------- Die Wissenschaft ist sicher einer der klassischen Bereiche Freier Information. Der Freie Fluß[15] von geistiger oder naturwissenschaftlicher Erkenntnis in einer Wissenschafts-Community gehört seit jeher zum wissenschaftlichen Grundverständnis. Und die wissenschaftlichen Communities aller Epochen hatten auch einen einfachen Grund für diese Praxis: Es war einfach nützlich, wissenschaftliche Erkenntnis zu verbreiten und durch Peer-Review-Techniken[16] evolutionär zu verbessern. In vielen Fällen wurden wissenschaftliche Errungenschaften auch von den EntdeckerInnen als Teil einer kollektiven Leistung angesehen[17]. Auch heute noch wird in den Sonntagsreden dieser Anspruch der Freien Veröffentlichung aufrecht erhalten, tatsächlich findet Wissenschaft aber immer öfter hinter verschlossenen Türen statt. Dieser Verschluß wissenschaftlicher Erkenntnis ist der Geldform geschuldet, die auch diesen Bereich zunehmend überwuchert. Die daraus resultierende Verknappung von neuem Wissen kann für die jeweiligen InhaberInnen des Wissens für eine gewisse Zeit eine Einkommensquelle bedeuten. Es ist anzunehmen, daß diese abgeschlossene Wissenschaft auch in schlechteren Ergebnissen resultiert als mit gleichem Ressourceneinsatz betriebene Freie Wissenschaft. Andererseits gibt es aber in der Wissenschafts-Community auch interessante Entwicklungen, wo WissenschaftlerInnen ihre Ergebnisse auf eigene Faust im Web publizieren. Mittlerweile gibt es sogar von Seiten der WissenschaftlerInnen Forderungen an die Wissenschaftsverlage [http://www.publiclibraryofscience.org/], die publizierten Artikel nach einer gewissen Frist im Web zu veröffentlichen. 2.2.2. Freie Kochrezepte ------------------------ Doch auch in viel profaneren Bereichen menschlichen Lebens spielt Freie Information eine bedeutende Rolle. Kochrezepte sind seit jeher Information, die Frei verteilt werden, jedermensch zur Verfügung stehen und die permanent weiterentwickelt werden. Überhaupt gibt es bei den Kochrezepten viele verblüffende Parallelen zu den Prinzipien der Entwicklung Freier Software. Die weltweite Koch-Community verteilt Rezepte Frei untereinander und sie stehen allen zum Nutzung zur Verfügung. Kochrezepte können selbstredend angepaßt und beliebig verändert werden. Auch die Qualität der heute verfügbaren Kochrezepte - wobei deren unüberschaubare Vielfalt bereits eine Qualität für sich ist - wäre ohne diesen Freien Fluß sicher nicht so hoch. Kochrezepte werden wie Freie Software für einen je konkreten Nutzen, für ein konkretes Bedürfnis ersonnen und wer schon mal selbst gekocht und damit ein Kochrezept zumindest angewendet hat, wird bestätigen, daß es beim Kochen durchaus Selbstentfaltungsaspekte gibt. Sogar zu bei der Freien Software üblichen und teilweise verkauften Distributionen gibt es das Pendant der Kochbücher. Auch hier wird weniger für die Information als für deren Zusammenstellung und mediale Aufbereitung bezahlt. Durch das Internet und entsprechende Kochrezept-Sites[18] ergeben sich weitere Ähnlichkeiten. Allerdings spielt sich die Entwicklung von Kochrezepten im nicht-industriellen, eher häuslich-handwerklichen Bereich ab. Dies ist allerdings ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal zu Freier Software. 2.2.3. Freie Musik ------------------ Auch Musik war über den größten Teil der Menschheitsgeschichte eine Freie Information. Erst seit historisch kurzer Zeit wird mit Hilfe des Copyrights diese Form der Information künstlich verknappt[19]. Vor dieser Zeit war Musik ein Gemeingut und der Freie Fluß von Melodien, Rhythmen, Stilen und anderen Aspekten von Musik hat uns erst die musikalische Vielfalt[20] beschert, die wir heute genießen können. 2.2.4. Freie Geschichten, Märchen --------------------------------- Eine ähnliche Entwicklung läßt sich im Bereich der Geschichten feststellen. Die Brüder Grimm beispielsweise sammelten nur seit Generationen überlieferte Märchen auf und brachten sie in das Medium Buch. Erst mit diesem Schritt wurde das vorherige Allgemeingut Copyright-fähig und noch dazu wurde es oft einer Person zugerechnet. In oral geprägten Kulturen gilt dagegen die GeschichtenerzählerIn nur als InterpretIn des allgemeinen Geschichtenschatzes. Die persönliche Leistung beschränkt sich in dieser Sicht auf die je konkrete Ausgestaltung der Geschichte während der Erzählung. Und tatsächlich ist auch Literatur ohne den kulturellen Background nicht vorstellbar, so daß jegliche Literatur immer auch als ein Ergebnis gesellschaftlichen Seins verstanden werden kann. Fazit: Das Konzept Freier Information ist nicht neu --------------------------------------------------- Das Konzept Freier Information ist also nicht neu. Vielmehr ist das Konzept des Copyrights historisch neu und die Vermarktung von Information ist überhaupt erst möglich, seitdem es Medien gibt, an die die Information fest gebunden werden kann (z.B. Bücher, CDs), die knapp[21] sind und sich somit zur Ware[22] eignen. An diesen herkömmlichen Beispielen wird deutlich, wie nützlich das Konzept Freier Information für die Menschheit schon in der Vergangenheit war. Freie Software gibt der Menschheit diese Information im Software-Bereich zurück und stößt damit die Tür für ein Modell auf, in der Freie Information (wieder) dem Nutzen aller dient. 3. Gegenwart ============ Die geschilderten teilweise sehr alten Phänomene bestehen natürlich nach wie vor. Beim Nachdenken über eine GPL-Gesellschaft sollten diese Phänomene genau studiert werden, um ihre genaue Natur zu ergründen. Doch gibt es auch heute einige Phänomene, die auf eine GPL-Gesellschaft hindeuten. Es ist klar, daß die heutigen Keimformen einer solchen GPL-Gesellschaft immer nur in gebrochener Form vorliegen können - in Reinform sind sie im Kapitalismus prinzipiell nicht möglich. Es ist jedoch sehr spannend, aktuelle Phänomene auf ihre Relevanz für eine Entwicklung hin zu einer GPL-Gesellschaft zu untersuchen. Dabei wird es in der Regel einen Kern einer Keimform geben, in dem sich die GPL-gesellschaftlichen Aspekte mehr oder weniger rein entwickelt haben, während im Umfeld um die Keimform natürlich Anschlüsse an die nach wie vor dominante kapitalistische Welt existieren müssen. KeineR kann schließlich einfach vollständig aus der Gesellschaft herausspringen. 3.1. Selbstentfaltungsanteile in der Lohnarbeit ----------------------------------------------- Selbst in kapitalistischer Lohnarbeit kann es Aspekte von Selbstentfaltung geben[23]. Es ist klar, daß die Selbstentfaltung in der Lohnarbeit auf vielfältige Weise gebrochen ist, da kapitalistisches Verwertungsinteresse zwar gegenüber der Selbstentfaltung der Agierenden grundsätzlich neutral ist, durch die vielfältigen Entfremdungseffekte aber die Möglichkeiten für Selbstentfaltung mehr oder weniger stark eingeschränkt sind. Ein wenig scheint diese Möglichkeit zu individueller Selbstentfaltung in der freien Berufswahl durch, die in kapitalistischen Vergesellschaftungsformen üblich ist. 3.1.1. Die FloristIn ist beseelt von ihrer Arbeit ------------------------------------------------- Ein beliebig rausgegriffener Beruf, ist der der FloristIn. Viele FloristInnen sind mit Leib und Seele bei ihrer Arbeit. Sie lieben das Material mit dem sie arbeiten, sie lieben den Umgang damit und sie lieben die kreativen Möglichkeiten, die ihnen ihr Beruf gibt. Diese Möglichkeiten hat sie auch in einem auf Verwertung ausgerichteten Betrieb. Aber auch die Pflegeberufe bieten für viele Menschen Möglichkeiten sich über Hilfe für andere selbst zu entfalten.[24] 3.1.2. KassiererIn ist genervt von der Maloche ---------------------------------------------- Im Gegensatz zu den genannten Berufen ist die KassiererIn genervt von der täglichen Maloche. Sie geht einer völlig entfremdeten, anstrengenden und noch dazu stupiden Arbeit nach. In dieser Tätigkeit ist praktisch kein Spielraum vorhanden um sich zu entfalten, sondern es zählt alleine der Tauschwert der Arbeit. Während die vorgenannten Berufsgruppen relativ leicht in eine GPL-gesellschaftliche Form gebracht werden könnten, ist der Beruf der KassiererIn nicht anzupassen. Solche Berufe sind im Interesse einer GPL-Gesellschaft entweder durch Maschinen zu ersetzen oder ganz überflüssig zu machen. Da in einer geldlosen GPL-Gesellschaft das Kassieren von Geld ohnehin zu einer aussterbenden Kunst gehören würde, wäre das Problem für den Beruf der KassiererIn leicht zu lösen. 3.1.3. InformatikerInnen können sich partiell selbstentfalten ------------------------------------------------------------- IngenieurInnen im Allgemeinen und InformatikerInnen im Besonderen haben teilweise erhebliche Möglichkeiten zur Selbstentfaltung in ihrem Beruf. Sie sind beseelt von ihrer Aufgabe und empfinden das was sie tun oft genug als eine persönliche Herausforderung. Klassische gewerkschaftliche Herangehensweise scheitert an MitarbeiterInnen, die freiwillig und ohne Aufforderung Mehrarbeit auch am Wochenende leisten, die zu allem Überfluß oft genug unbezahlt ist. InformatikerInnen verfügen in ihrer Tätigkeit über erhebliche Freiräume und können ihre kreativen Potenzen vielfältig einbringen. Ihre exklusive Kompetenz auf weiten Gebieten ihres Arbeitsfelds verschafft ihnen einerseits nennenswerten Einfluß, andererseits wird es aber auch als eine Herausforderung an die eigene Verantwortlichkeit verstanden. 3.1.4. Moderne Management-Ideologien wollen Selbsttätigkeit fördern ------------------------------------------------------------------- Nicht zuletzt entdecken auch UnternehmerInnen das Potential von Selbstentfaltung als neue Quelle von Mehrwertproduktion. Es ist auch den Managern klar, daß Menschen, die gerne arbeiten, auch besser arbeiten. Während dieser Aspekt der Mehrwertschöpfung unter fordistischen Produktionsverhältnissen weitgehend vernachlässigbar war, müssen alleine aufgrund der oft kreativen Arbeitsinhalte neue Formen gefunden werden: Während einem Menschen mit gewisser Effektivität befohlen werden kann, den ganzen Tag eine bestimmte Handbewegung zu machen, ist es nicht effektiv möglich, Menschen zu befehlen, kreativ zu sein. Zahllose neue Management-Ideologien versuchen, dieses Selbstentfaltungspotential zu aktivieren. Es muß aber klar sein, daß dies wegen der grundsätzlichen Entfremdung kapitalistischer Arbeit nur in Grenzen gelingen kann. Der positive Effekt für die MitarbeiterInnen ist aber auch heute schon da und wird der einen oder anderen MitarbeiterIn das Leben schon heute leichter machen. 3.1.5. Gruppenarbeit in kapitalistischen Betrieben -------------------------------------------------- Auch die Gruppenarbeit, die eine Zeit lang in einigen Betrieben eingeführt wurde, versucht Entfremdung zurückzunehmen. Menschen werden ganzheitlicher gefordert und arbeiten an größeren Produktionsabschnitten eines bestimmten Produktes als in der tayloristischen Organisationsweise von Produktion. Diese Gruppenarbeitsmodelle können aber nur eingeschränkt funktionieren, da sie nach wie vor in ein stark entfremdetes Umfeld eingebettet sind. Einerseits kommen die Vorgaben für die Arbeitsergebnisse nach wie vor von außen und die Gruppenmitglieder setzen sich untereinander unter erheblichen sozialen Druck, diesen äußereren Vorgaben auch zu genügen. Andererseits stehen die einzelnen Gruppen nach wie vor in Konkurrenz zu anderen Gruppen im gleichen Betrieb, obwohl eine Kooperation der Gruppen untereinander vermutlich in vielen Fällen die sinnvollste Organisationsweise wäre. Fazit: Wo Menschen beseelt sind von ihrer Aufgabe, da ist Freiheit ------------------------------------------------------------------ Es sollte klar geworden sein, daß auch in Lohnarbeitsformen Möglichkeiten zur Selbstentfaltung liegen. Diese sind aber immer durch die Entfremdung eingeschränkt. Menschliche Selbstentfaltung kann sich offenbar auf ungeheuer viele Inhalte beziehen, wie das Beispiel der KassiererIn aber zeigt, gibt es auch Tätigkeiten deren immanentes Selbstentfaltungspotential sehr gering ist. Während in der tayloristischen Produktionsorganisation Menschen zu Fortsätzen der Maschinen gemacht wurden, käme es in einer GPL-Gesellschaft darauf an, die Maschinen zu Fortsätzen menschlicher Selbstentfaltung zu machen. 3.2. Wandel im Kapitalismus --------------------------- Doch nicht nur in der unmittelbaren Organisation von Lohnarbeit sind spannende Entwicklungen im real existierenden Kapitalismus zu sehen. Auch die stoffliche Organisation der Produktion verändert sich in einer Art und Weise, die auf eine GPL-Gesellschaft hindeuten. 3.2.1. Industrieroboter ----------------------- Ein mittlerweile säkularer Trend in der materiellen Produktion ist der Einsatz von Industrierobotern und anderen Produktionsautomaten. Große Teile materieller Produktion, die noch vor wenigen Jahren durch den Einsatz menschlicher Arbeitskraft bewältigt wurden, werden heute von Industrierobotern erledigt. Dabei werden genau die Arbeiten ersetzt, die nach dem je aktuellen Stand der Technik stupide genug sind, um von Maschinen ersetzt zu werden. Gleichzeitig bieten Industrieroboter aber auch einen ungleich höheren Freiheitsgrad als die Maschinen, die sie ersetzen. Sie sind von vorneherein als universelle Maschinen konzipiert, die für einen je konkreten Anwendungsfall nur noch wenig oder gar nicht mehr mechanisch umgerüstet[25] werden müssen. Die produktive Kompetenz steckt vielmehr in den Steuerungsprogrammen, mit denen diese Maschinen gesteuert werden. Hier ist bereits eine deutliche Verschiebung zu erkennen, wo sich der Schwerpunkt auch der materiellen Produktion immer weiter auf die Informationsproduktion verlagert, der die konkrete stoffliche Produktion immer stärker nachgeordnet ist. Dieser höhere Freiheitsgrad moderner Industrieroboter hat zwei Folgen, die für die Fragestellung des Beitrags von großer Bedeutung sind. Einerseits ermöglicht die hohe produktive Flexibilität eine ungeahnte Individualisierung der Produktion. Losgröße 1 ist heute kein fernes Ziel mehr, sondern täglich praktizierte Realität[26]. Andererseits erfordern die Industrieroboter die Entwicklung einer Steuerung, die geeignet ist, die kreativen Anteile eines Menschen zu entfalten. So wie es Spaß machen kann, programmierend die ungeheuren Möglichkeiten eines Computers zu erforschen, genauso kann es Spaß machen, einen Industrieroboter für eine konkrete Aufgabe zu programmieren. Das Selbstentfaltungspotential der Tätigen steigt also durch den Einsatz modernster Produktionsautomaten an. Menschen werden durch den zunehmenden Einsatz von Industrierobotern, von Automation allgemein immer mehr aus Teilen der Produktion verdrängt. Was sich wegen der starren Kopplung von Lohnarbeit an Einkommen[27] im Kapitalismus als Katastrophe erweist, wäre in der GPL-Gesellschaft ein Segen. Dort könnte sich das beFreiende Potential dieser Produktivitätssteigerung voll zugunsten der Menschen auswirken, die so von Notwendigkeiten beFreit würden. 3.2.2. Fabber als Universalmaterialisator ----------------------------------------- Doch neben Industrierobotern und anderen Produktionsautomaten werden immer mehr Maschinen entwickelt, die noch universeller sind. Sogenannte Fabber [http://www.ennex.com/fabbers/fabbers.sht] sind Maschinen, die aus einer amorphen Masse datengesteuert und ohne äußere Eingriffe dreidimensionale Werkstücke produzieren. Mit unterschiedlichen Methoden[28] wie z.B. einem Laserstrahl werden bestimmte Pulver oder Flüssigkeiten zu festen Materialien aufgebaut, die direkt verwendet oder mit Hilfe geeigneter technischer Verfahren in für den je konkreten Einsatzzweck angemessene Materialien transformiert werden können. Hier ist der Weg aus dem CAD-Programm in ein dreidimensionales Werkstück so kurz, daß von Universalmaterialisatoren gesprochen werden kann. Solche Maschinen, die den Schwerpunkt des materiellen Produktionsprozesses noch ein erhebliches Stück weiter in die Welt der Information verlegen, sind bereits im Kapitalismus offensichtlich eine nützliche Sache[29]. In einer GPL-Gesellschaft könnten sie die Grundlage der gesamten materiellen Produktion[30] bieten. Wenige verschiedene, dafür aber sehr universelle, hochflexible und datengesteuerte Maschinen spiegeln in vielerlei Hinsicht die Eigenschaften von Computern. Besonders spannend ist, daß sogar eine Firma [http://www.ennex.com/], die solche Fabber herstellt, dieses revolutionäre Potential [http://www.ennex.com/fabbers/index.sht#Vision] sieht. Die Parallelen zu Freier Software sind nun mal auch frappierend. Folgerichtig bildet sich eine Community [http://ltk.hut.fi/rp-ml/] von NutzerInnen, die die produktive Information für solche Fabber ähnlich wie Freie Software entwickeln. Dieser Prozeß wird durch ein überschaubares Schnittstellenformat erheblich unterstützt. Solch eine Community bildet einen Vorschein von ähnlichen Communities in einer GPL-Gesellschaft, die in einem Prozeß ähnlich der Entwicklung Freier Software Information erzeugen, die die materielle Produktion steuert. Die konkrete materielle Produktion selbst könnte dann ähnlich dem Einsatz Freier Software bei den je konkreten NutzerInnen vor Ort erfolgen. Wenige, universelle und datengesteuerte Maschinen könnten in lokalen oder regionalen Maschinenparks zusammengefaßt werden, an denen sich die NutzerInnen mit Hilfe von Produktions-Software aus dem Internet ihren je konkreten Bedarf an materiellen Gütern decken könnten. 3.2.3. Uniformierte Individualität vs. individualisierte Massenproduktion ------------------------------------------------------------------------- Die stark durch tayloristische Konzepte geprägten Produktivkräfte, die im Kapitalismus[31] bisher wirksam waren, haben immerhin eine Massenproduktion ermöglicht, mit der mindestens in den hochindustrialisierten Zentren breite Bevölkerungsmassen mit Waren versorgt werden konnten, die das Leben verbesserten. Allerdings war mit den bisherigen Produktivkräften lediglich eine uniformierte Individualität möglich: Jedes Individuum konnte zwar über eine individuelle Warenmenge verfügen, die Waren selbst waren aber weitgehend uniform und nicht an das konkrete Individuum angepaßt. Der klassisch gewordene Ausspruch des frühen tayloristischen Unternehmers Henry Ford, daß jedeR jede Autofarbe haben könne solange es Schwarz sei, illustriert diesen Umstand recht gut. Dieses Prinzip der uniformierten Individualität schlägt sich nicht nur in der materiellen Warenwelt nieder, sondern auch viele Dienstleistungen oder Medienangebote sind stark uniformiert - es wäre z.B. an den uniformierten Massentourismus oder große Massenmedien wie Fernsehen zu denken. Diese Produktionsweise wird bereits im Kapitalismus zunehmend durch eine individualisierte Massenproduktion abgelöst. Waren die Ergebnisse klassischer industrieller Produktivkräfte durch eine starke Standardisierung gekennzeichnet, so entwickelt sich heute bei vielen Produkten eine immer stärkere Individualisierung. Wer heute z.B. ein Auto oder eine Einbauküche kaufen möchte, hat zahllose Möglichkeiten, sich das gewünschte Produkt vielfältig zu konfigurieren. Auch hier spiegelt sich die Entwicklung der Maschinen wider. Während tayloristische Maschinen nur standardisierte Produkte zuließen, sind die heute verfügbaren, hochflexible Maschinen in der Lage, jedes Produkt individuell zu gestalten. Die Flexibilität wird durch eine Software-Steuerung erreicht, so daß wir auch auf dieser Ebene sehen können, wie der Schwerpunkt der materiellen Produktion zunehmend in die Informationsproduktion wandert. Die zunehmende Informatisierung der materiellen Produktion bis hin zu den NutzerInnen läßt sich auch als Vorschein einer direkt von den NutzerInnen gesteuerten Produktion an sich erkennen. Es gehört nur noch wenig Phantasie zu der Vorstellung, daß die Entwürfe, die mit Hilfe einer Web-Site gemacht werden, direkt die Produktionsmaschinen steuern, die das gewählte Design dann tatsächlich herstellen. Technisch wäre so etwas vermutlich sogar schon heute möglich. Zusätzlich begünstigen die so möglichen individualisierten Produkte die individuelle Selbstentfaltung, so daß auch hier ein Trend Richtung GPL-Gesellschaft sichtbar wird. 3.2.4. Business-to-Business rationalisiert Logistik --------------------------------------------------- Auch im Bereich der Logistik machen uns die Unternehmen immer mehr vor, wie eine Internet-gestützte Organisation eines Waren- bzw. Güterflusses aussehen kann. Zwar pressen die heutigen Versuche von B2B-Commerce den stofflichen Güterfluß noch durch die Geldform, es wird jedoch sichtbar, wie eine globale Kooperation verschiedener GüterproduzentInnen auch jenseits der Geldform mit Hilfe modernster Technik effizient organisiert werden kann. 3.2.5. Globale Kooperation häuft sich ------------------------------------- Auch auf dem Feld der globalen Kooperation entwickeln sich in den letzten Jahren interessante Phänomene. Kooperationen zwischen Firmen, die eigentlich konkurrieren häufen sich immer mehr. Auch die Übernahmen können als globale Kooperationen interpretiert werden. Die im Kapitalismus notwendige Konkurrenz wird durch solche Übernahmen und Kooperationen zunehmend ausgehebelt. Was im Kapitalismus allerdings als eine negative Entwicklung gesehen werden muß, kann in einer GPL-Gesellschaft eigentlich nur als positiver Faktor gesehen werden. Wie bei Freier Software werden nicht mehr unnötig Ressourcen durch Parallelentwicklungen und Betriebsgeheimnisse verschwendet. Vielmehr kooperieren alle Interessierten beim Erreichen des bestmöglichen Ziels. Fazit: Technische Entwicklung begünstigt GPL-Gesellschaft --------------------------------------------------------- Zusammenfassend begünstigt die technische Entwicklung, die bereits im Kapitalismus stattfindet genau das, was wir in einer GPL-Gesellschaft brauchen. Notwendigkeiten werden zunehmend auf kreatives Schaffen verlagert. Während der Einsatz von Muskelkraft schon lange out ist, wird das Dasein als stupider Maschinenfortsatz immer mehr obsolet. Die standardisierte Massenproduktion der tayloristischen Phase wird ein historisches Übergangsphänomen sein und durch die individualisierte Massenproduktion abgelöst werden. Die so entstehenden Produkte begünstigen die Selbstentfaltung nicht nur in der Produktion sondern auch bei der Nutzung der Güter. Die globale Kooperation, die uns multi-nationale Konzerne ebenso vormachen wie die Freie-Software-Entwicklung, bilden einen Vorschein einer globalen Kooperation im Rahmen einer GPL-Gesellschaft. 3.3. Freie Software und mehr ---------------------------- 3.3.1. Freie Software macht vor wie's geht ------------------------------------------ Im Mittelpunkt des Oekonux-Diskurses steht aber die Freie Software, die von einigen auf vielfältige Weise als prototypische Produktionsweise einer GPL-Gesellschaft betrachtet wird. Es wird postuliert, daß es sich um eine Keimform einer neuen Gesellschaft handelt, die sich in der alten und über sie hinaus entwickelt. Die für diesen Diskurs wichtigsten Aspekte[32] Freier Software seien hier aufgezählt. Individuelle und kollektive Selbstentfaltung -------------------------------------------- Der Aspekt der individuellen Selbstentfaltung, der in diesem Beitrag schon mehrfach im Mittelpunkt stand, ist bei der Entwicklung[33] Freier Software eines der wichtigsten. Daß Programmieren einfach Spaß macht, ist dabei einer der wichtigsten Motive für die Entwicklung Freier Software. Daneben bildet die konkrete Nützlichkeit der Software für ganz konkrete Personen eine wichtige Motivation. Auch diese Beseitigung von Notwendigkeit kann als ein Aspekt von Selbstentfaltung gesehen werden. Die genauen Gründe, die zur Produktion Freier Software führen, sind aber so vielfältig wie die EntwicklerInnen. Programmieren ist aber nicht die einzige Form, sich für Freie Software zu engagieren. In einem Software-Projekt fallen vielfältige Aufgaben an. So ist z.B. die Maintenance eines Projekts eine wichtige Aufgabe. Dies umfaßt nicht nur technische Aspekte wie z.B. die Entscheidung über die Aufnahme bestimmter Features, sondern auch soziale Fähigkeiten, mit deren Hilfe einer EntwicklerInnengruppe bei ihrer Tätigkeit geholfen werden kann. Auch die Gestaltung einer Web-Site für ein Projekt oder das Schreiben brauchbarer Dokumentation ist eine wichtige Aufgabe. Hier wird vorgemacht, wie sich die individuelle Selbstentfaltung Einzelner zu nützlichem Tun für die gesamte Menschheit verbindet und so aus der individuellen Selbstentfaltung eine kollektive Selbstentfaltung wird. Selbstorganisation ------------------ Die EntwicklerInnen Freier Software organisieren sich vollständig selbst. KeineR sagt ihnen wie sie vorzugehen, was sie zu tun oder zu lassen haben. Dabei entwickeln sich vielfältige Modelle, die vom "wohlmeinenden Diktator" bis hin zu demokratischen Modellen mit rotierender MaintainerInnenschaft führt. Den meisten Projekte dürfte aber gemein sein, daß sie auf einer Basis von "rough consensus and running code" funktionieren. Es ist spannend zu beobachten, wie sich ohne ideologische Modelle[34] vielfältige funktionierende Steuerungsmodelle entwickeln. Globale Kooperation ------------------- Freie Software wird in der Regel von Menschen entwickelt, die über den ganzen Globus verstreut sind. Nicht selten kriegen sich diese Menschen niemals zu Gesicht, sondern kennen sich ausschließlich aus eMail, Newsgroups oder Chats. Über kulturelle Schranken hinweg klappt die gemeinsame Tätigkeit verblüffend gut. Hier wird vorgemacht, wie sich global verstreut lebende Menschen, die sich für ein gemeinsames Thema interessieren, mittels der Kommunikation über das Internet gemeinsam nützliche Dinge tun können. Diese Möglichkeit der einfachen Bildung von Gruppen Gleichgesinnter ist historisch neu und ihre Effekte lassen sich auch auf anderen Feldern[35] leicht feststellen. Unterläuft Tauschsystem ----------------------- Viele, die Freie Software benutzen, haben nichts zu ihrer Entstehung beigetragen und auch nichts für die eigentliche Software bezahlt - dennoch können sie alles nutzen, was sie möchten. Das Produkt Freie Software wird auch nicht getauscht; vielmehr kann Freie Software von allen genommen[36] und benutzt werden, die sie brauchen[37]. Freie Software unterläuft das im Kapitalismus überall anzutreffende Prinzip des Tausches einfach dadurch, daß sie nicht getauscht zu werden braucht. Hier wird vorgemacht, wie eine Güterproduktion jenseits von Tauschprinzipien aussehen kann. Nicht der Tausch gegen Geld, nicht die Knappheit sind Motive für nützliche Tätigkeit. Im Gegenteil kann die Entfremdung, die mit Geld immer einher geht, die Entwicklung sogar negativ beeinflussen, da nicht mehr die Qualität der Software sondern äußere Aspekte wie Markterfolg im Vordergrund stehen. 3.3.2. Findet Nachahmung auf anderen Gebieten --------------------------------------------- Freie Software und deren aus kapitalistischer Perspektive völlig unverständlichen Produktionsweise findet auf anderen Gebieten Nachahmung. Immer mehr Menschen überlegen, ob sie die Prinzipien der Entwicklung Freier Software nicht auf ihr Fachgebiet übertragen können. Besonders einfach ist dies im Bereich der digitalisierbaren Informationsgüter, da diese wegen der digitalen Kopierbarkeit ganz ähnlichen einfachen Reproduktionsmöglichkeiten unterliegen wie Software. Da die kollektive Entwicklung von Informationsgüter ganz allgemein günstiger zu sein scheint, als die konkurrierende Entwicklung isolierter Einzelner, können diese Informationsgüter von den gleichen methodischen Vorteilen profitieren wie Freie Software. Es gibt bereits einige Projekte[38], die solcherlei versuchen. Und sogar für materielle Güter gibt es bereits ein paar Projekte[39], die die Prinzipien der Entwicklung Freier Software übertragen wollen. Dabei werden im allgemeinen die Baupläne und andere Entwürfe Frei entwickelt. Die Freien Güter selbst werden zwar noch kommerziell hergestellt, aber immerhin haben diese Güter einen Freien Anteil. Mit Blick auf eine GPL-Gesellschaft könnte es eine Strategie sein, diesen Freien Anteil nach und nach immer größer zu machen, um letztlich den kommerziellen Anteil ganz verschwinden zu lassen. Der Geist, der sich in Freier Software in besonders fortgeschrittener und erfolgreicher Form niederschlägt, breitet sich also aus. Vielleicht ist diese Begeisterungsfaktor Freier Software überhaupt das Wichtigste am Ganzen. 3.3.3. NGOs haben ebenfalls keimförmige Anteile ----------------------------------------------- Doch auch auf einem ganz anderen Gebiet gibt es ein Phänomen, das keimförmige Anteile ähnlich Freier Software hat: Die NGOs (Non-governmental organizations, Nichtregierungsorganisationen). Greenpeace, amnesty international aber auch zahllose kleinere NGOs basieren zumindest an der Basis auf der Selbstentfaltung ihrer Mitglieder, die es aus rein persönlichen Motiven für notwendig halten, auf diese Weise in Politik einzugreifen. Selbstentfaltung in der Kooperation mit einer Gemeinschaft spielt hier eine ebenso große Rolle wie die persönlich empfundene Notwendigkeit sich an den jeweils bearbeiten Themen nützlich zu machen. Auch die Selbstorganisation und die globale Kooperation, die wir bei Freier Software sehen können, ist bei NGOs an der Tagesordnung[40]. Allerdings finden NGOs nicht in der Produktionssphäre statt, sondern ihr Feld sind klassisch rein politische Themen. Jedoch ist es schon bemerkenswert, daß sich Freie Software und NGOs historisch nahezu zeitgleich entwickelt haben und zumindest teilweise ähnlichen Prinzipien folgen. Fazit: Freie Software ist die entwickelte Keimform der GPL-Gesellschaft ----------------------------------------------------------------------- Freie Software scheint somit die entwickelte Keimform der GPL-Gesellschaft zu sein. Sie hat nicht nur auf ihrem Feld Erfolg, sondern die Ideen strahlen zunehmend auf andere Bereiche aus. Die Keimform ist auf der Höhe der technischen Entwicklung und hat gute Chancen zur dominanten Form zu werden. 3.4. Self-Empowerment schon heute --------------------------------- Neben der Produktionsseite einer Gesellschaft gibt es natürlich auch noch den Bereich der Konsumtion. Auch in diesem Bereich können wir bereits einige interessante Veränderungen beobachten, die einerseits den KonsumentInnen mehr Möglichkeiten, mehr Freiheit geben und andererseits notwendige Tätigkeiten von den ProduzentInnen weg auf die KonsumentInnen bzw. NutzerInnen verlagern. Es zeichnet sich in vielen Bereichen ein immer stärkeres Zusammenwachsen von Produktion und Konsumtion ab.[41] Einige Beispiele dieser Form von Self-Empowerment mögen illustrieren, was gemeint ist. 3.4.1. Fahrplanauskunft der Bahn im Internet -------------------------------------------- Die Fahrplanauskunft der Bahn im Internet ermöglicht Reisenden eine nie gekannte Individualität. War es vorher am Schalter oder über Telefon schon mühselig, die konkrete, je eigene Bedürfnislage den teilweise durchaus hilfsbereiten Bahnbediensteten klar zu machen, so kam angesichts der Warteschlange im Rücken gar nicht der Gedanke auf, evt. nach einer Alternativverbindung zu fragen - oder nach zwei oder fünf... Im Internet sind heute solche Anfragen[42] mit wenigen Maus-Klicks auch von LaiInnen zu erledigen. Ja mittlerweile können sogar die Fahrkarten paßgenau für die gewählte Verbindung über's Internet bestellt werden, so daß der Gang zum Schalter heute vollends überflüssig wird. Natürlich werden hier tendenziell Arbeitsplätze wegrationalisiert. Im Kapitalismus ist das natürlich weniger gut, in einer GPL-Gesellschaft wäre das aber hocherwünscht. 3.4.2. Wichtige Produktionsmittel sind schon breit verteilt ----------------------------------------------------------- Um selbst nützlich zu werden, ist es nötig, geeignete Mittel zur Verfügung zu haben. Diese Mittel umfassen einerseits geeignete Werkzeuge und andererseits das Know-How um mit diesen Werkzeugen geeignet umzugehen. Mit Computern und dem Wissen über den Umgang mit ihnen ist heute ein sehr mächtiges, flexibles und universelles Mittel breit verfügbar. Computer als digitale Universalkopierer --------------------------------------- Die Eigenschaft von Computern als Universalkopierer für digitale Daten dienen zu können, macht sie zur universellen Reproduktionsmaschine für solche Daten. Dabei ist das nahe und ferne Kopieren digitaler Daten mittlerweile durch einen Mausklick[43] zu erledigen und somit für weite Bevölkerungskreise verfügbar. Textverarbeitung, Bildbearbeitung, Programmiersprachen, ... ----------------------------------------------------------- Mit der Verbreitung von Computern verbreiten sich vielfältige Applikationen, die die Herstellung von Texten, Bildern, Musik, Filmen, Programmen, Datenbanken, Web-Seiten - kurz: aller möglichen Formen digitalisierter Daten erlauben. Auch diese Programme sind mittlerweile vielfach so einfach zu bedienen, daß viele Menschen mit ihnen produktiv arbeiten können[44]. Freie Software begünstigt Self-Empowerment ------------------------------------------ Freie Software spielt auch auf diesem Gebiet noch eine ganz besondere Rolle, da Freie Software in viel höherem Maße das Self-Empowerment der NutzerInnen fördert. Während bei proprietärer Software die Herstellerfirma ein Interesse daran hat, daß die KundInnen so wenig wie möglich selbst machen kann - schließlich kann die Herstellerfirma an jedem Problem verdienen[45] -, ist bei Freier Software genau das Umgekehrte der Fall: EinE FreieR Software-EntwicklerIn hat überhaupt kein Interesse daran, daß ihr Programm schwierig zu bedienen oder voller Fehler ist - das führt nämlich nur dazu, daß sie sich tendenziell mit den Problemen der NutzerInnen rumschlagen muß anstatt spannendere Dinge wie die Programmierung neuer Features anzugehen. Die NutzerIn Freier Software hat also gute Chancen ein Mittel zu bekommen, das ihr ein Maximum an Möglichkeiten mit einem Minimum an Aufwand gibt. Freie Software animiert aber auch zur Selbsttätigkeit und ermöglicht sie gleichzeitig durch eine oft reichhaltige und einfach zugängliche Dokumentation. Bei Freier Software und insbesondere bei GNU/Linux[46] ist es bei sehr vielen Programmen möglich, sie mittels Konfiguration an die je konkreten Bedürfnisse anzupassen. Die NutzerIn Freier Software ist also nicht gezwungen, jede Entscheidung der EntwicklerIn einfach zu übernehmen, sondern kann sich eine Arbeitsumgebung schaffen, die maximal an ihre Bedürfnisse angepaßt ist. Das Optimum besteht darin, wenn ein Stück Software mit einer brauchbaren Basis-Konfiguration ausgeliefert wird, die aber von der NutzerIn bei Bedarf gezielt verändert[47] werden kann. Fazit: Self-Empowerment wird durch technische Entwicklung begünstigt -------------------------------------------------------------------- Wir können also heute schon sehen, wie die technische Entwicklung das Self-Empowerment der Menschen begünstigt. Einerseits werden komplizierte Zusammenhänge durch geeignete Software auf verstehbare Einheiten heruntergebrochen. Andererseits wird die Selbsttätigkeit der Individuen insbesondere durch Freie Software gefördert. Beide Aspekte vergrößern die Handlungsmöglichkeiten eines Menschen und damit seine Freiheit. 3.5. Oekonux ------------ Ein gegenwärtiges Phänomen, das auch als Beispiel für andere, ähnlich gelagerte Phänomene steht, ist das Projekt Oekonux [http://www.oekonux.de/] selbst. In diesem Projekt finden sich einige Ähnlichkeiten zu den Prozessen bei der Entwicklung Freier Software. 3.5.1. Mailing-Listen als zentrale Medien ----------------------------------------- Das Projekt Oekonux ist von vorneherein ein vollständig virtuelles[48] Projekt gewesen. Wie die EntwicklerInnen Freier Software kannten und kennen sich die meisten Beteiligten nur über eMail. Erst in jüngerer Zeit gibt es erste Rückbindungen an die weniger virtuelle Welt. Insbesondere auf der 1. Oekonux-Konferenz [http://erste.oekonux-konferenz.de] (Ende April 2001) trafen sich viele Oekonux-Fans und -Interessierte zum ersten Mal, um an einem spannenden Konferenzprogramm teilzunehmen. 3.5.2. Wir finden für uns angemessene Organisationsformen --------------------------------------------------------- Die Organisation des Projekts ist so selbstorganisiert, wie sich das auch in Freier Software findet. Es gibt kein Modell, dem alle nacheifern, sondern die Dinge finden sich. Wie überall tragen wenige viel, einige weniger und viele nichts aktiv bei. Aber wo ist das Problem? Die Aktiven sind aktiv, weil das für je sie richtig ist während es für die Passiveren je richtig ist, sich nur lesend - und denkend - zu beteiligen. Seit einiger Zeit wurde die inhaltliche Diskussion [http://www.oekonux.de/liste/] durch eine eigene Mailing-Liste [http://www.oekonux.de/projekt/liste/] von der Organisation des Projekts getrennt. Im Vorfeld der Konferenz wurden kurzfristig zwei zusätzliche Mailing-Listen eingerichtet, auf der die Beitragenden [http://erste.oekonux-konferenz.de/team/referenten/] und die Vor-Ort-HelferInnen [http://erste.oekonux-konferenz.de/team/helfer/] sich organisiert haben. Natürlich läuft die Organisation des Projekt nicht konfliktfrei - das wäre auch eher verdächtig. Es gibt aber ein ständiges Bemühen, auch in schwierigen Situationen einen Konsens zu finden. 3.5.3. Transparenz ------------------ Alle Mailing-Listen des Projekts werden auf den Web-Sites archiviert und sind somit jederzeit für alle zugänglich. Damit wird auch für Neulinge eine maximale Transparenz erreicht. 3.5.4. Produktive Atmosphäre ---------------------------- Die inhaltliche Diskussion zeichnet sich durch ein gemeinsames Erkenntnisinteresse aus. Im Gegensatz zu vielen, vielen anderen Mailing-Listen ist der Umgangston auf der Liste i.d.R. angenehm und respektvoll. Oft ist das Ringen um ein gemeinsames Verständnis gepaart mit der Entwicklung neuer Ideen und auch Denkweisen. Die so entstehende produktive Atmosphäre liegt im Interesse aller, da nur in einer solchen Atmosphäre der Erkenntnisfortschritt, die Entwicklung neuer, weiterführender Gedanken bestmöglich gedeihen kann. Nur wenn die Kultur eines sozialen Raums einladend ist, sind Menschen frei, sich auch auf vielleicht dünnes Eis vorzuwagen, um gemeinsam mit anderen seine Tragfähigkeit[49] zu prüfen. 3.5.5. Breite Vielfalt der Meinungen ------------------------------------ Die Liste zeichnet sich durch eine breite Vielfalt von Meinungen aus. Menschen mit allen möglichen Hintergründen - von technisch bis politisch - werden durch ein gemeinsames Interesse an einer für je sie spannenden Diskussion zum Thema des Projekts zusammengebracht. Die Unterschiede in Weltbildern und Zugängen sind dabei nicht Hindernis, sondern gerade kontroverse Auseinander- und auch wieder Zusammensetzungen sind oft am produktivsten. Der narrative Prozeß der Liste lebt geradezu von Meinungsverschiedenheiten und dem gemeinsamen Ringen um ein neues Verständnis von Welt. 3.5.6. Individuelle Menschen begegnen sich ------------------------------------------ So unterschiedlich wie die Meinungen sind die Menschen, die diese Meinungen haben. Es sind waschechte Individuen mit je eigenen Stärken und Schwächen, die sich im Projekt begegnen, von denen keiner einfach so ersetzbar ist. 3.5.7. Individuelle Entfaltung ist Voraussetzung für die Entfaltung aller ------------------------------------------------------------------------- Wie in der Freien Software ist im Projekt Oekonux die individuelle Entfaltung jeder Einzelnen die Voraussetzung für die Entfaltung aller. Die verblüffenden und hochqualitativen Ergebnisse, die das Projekt in den rund zwei Jahren seiner bisherigen Existenz bereits erreicht hat, sind eben nur in einem Prozeß zu erreichen, der die Charakteristiken der Entwicklung Freier Software hat. Und es muß den Beteiligten etwas bringen, sonst würden sie sich den nicht nur hohen, sondern auch ausgesprochen gehaltvollen Traffic[50], der in der Liste an der Tagesordnung ist, nicht zumuten. Fazit: Oekonux ist vielleicht selbst schon ein Stückchen GPL-Gesellschaft ------------------------------------------------------------------------- Vielleicht ist es wirklich nicht vermessen zu sagen, daß das Projekt Oekonux selbst schon ein kleines Stückchen GPL-Gesellschaft ist, daß es ähnlich der Freien Software keimförmige Anteile hat. Einem Projekt, daß über eine neue Gesellschaft diskutiert, steht es allerdings auch gut an, diese Gesellschaft wo immer möglich bereits vorwegzunehmen. 4. Zukunft ========== Nach diesen Betrachtungen zu in Vergangenheit und Gegenwart vorfindlichen Phänomenen, die Hinweise auf eine GPL-Gesellschaft geben, nun zum eher visionären Teil dieses Beitrags. Es handelt sich bei dem Folgenden allerdings nicht um eine geschlossene Vision oder gar Utopie, sondern um mehr oder weniger ausgearbeitete Elemente. Aktuelle Entwicklungen werden weitergedacht und mit einigen, wenigen Beispielen illustriert. Hier und da sind die Ideen vielleicht etwas gewagt und Vieles ist noch nicht im Diskurs ausgegoren, aber wenn diese Gedanken Denkanstöße geben können, dann haben sie einen wichtigen Zweck erfüllt. 4.1. Politische Bewegung ------------------------ Bislang ist eine politische Bewegung[51] im engeren Sinne, die Freie Software auf ihre Fahnen geschrieben hätte noch nicht voll entwickelt. Eine GPL-Gesellschaft anzustreben, eine Gesellschaft also, die auf den Prinzipien der Entwicklung Freier Software beruht, wird aber ohne eine Bewegung zum Scheitern verurteilt sein. Ein Vorläufer und/oder Bestandteil einer solchen Bewegung könnte eine politisch ausentwickelte[52] Freie-Software-Bewegung sein. 4.1.1. Freie-Software-Bewegung erkämpft gesetzliche Rechte ---------------------------------------------------------- Allerdings agiert die Freie-Software-Bewegung mittlerweile durchaus im politischen Raum, um ihre ganz konkreten Interessen zu vertreten. Organisatorisch getragen werden entsprechende Aktionen von den verschiedenen und verschiedenartigen Organisationen[53], die im GNU/Linux-Umfeld entstanden sind. Für Verbreitung Freier Software ------------------------------- Insbesondere der breite Einsatz Freier Software wird immer wieder eingefordert. Während GNU/Linux-EnthusiastInnen im Projekt PingoS [http://www.pingos.schulnetz.org/] die Verbreitung von GNU/Linux an Schulen vorantreiben, hat sich der LinuxTag e.V. [http://www.linuxtag.org/] vor einiger Zeit nachhaltig für den Einsatz Freier Software in der Bundesverwaltung [http://linux.kbst.bund.de/] stark gemacht[54]. Gegen Behinderung ----------------- Software-Patente sind ein aktuell heiß diskutiertes Thema, das eine Bedrohung für Freie Software darstellen könnte. Viele Freie-Software-AnhängerInnen[55] sind in der Abwehr dieser Bedrohung [http://petition.eurolinux.org/signatures.html] engagiert. BeFreiung staatlich geförderter Ergebnisse ------------------------------------------ Die BeFreiung von Ergebnissen staatlicher Förderung könnte ein nächster Schritt sein. In den USA hat es ähnliche Regelungen gegeben[56]. Es könnte argumentiert werden, daß steuerfinanzierte Informationsprodukte ohnehin durch die Gesamtgesellschaft finanziert und also dieser Gesamtgesellschaft auch zugänglich gemacht werden müssen. 4.1.2. GrundversorgungsbezieherInnen müssen ihre Produkte beFreien ------------------------------------------------------------------ In einem weiteren Schritt könnte gefordert werden, daß alle staatlich alimentierten Produkte Frei zur Verfügung gestellt werden müssen. So wäre eine Forderung möglich, die eine finanzielle Grundversorgung jenseits des Armutsniveaus[57] damit verbindet, daß die EmpfängerInnen ihre überschüssigen informationellen und materiellen Produkte Frei der Allgemeinheit zur Verfügung stellen müssen. Während die staatliche Alimentation das Überleben im Kapitalismus garantiert, könnten sich die EmpfängerInnen einer solchen Grundversorgung dann individuell oder kollektiv selbstentfalten. Was auf den ersten Blick absurd klingt, würde auf auf Freie Software bezogen lediglich bedeuten, daß Freie-Software-EntwicklerInnen eine Grundversorgung bekommen. Jede solche Forderung, die sich innerhalb des Geldrahmens bewegt, kann dabei natürlich nur eine Übergangslösung sein, die so lange nötig ist, so lange eine Freie Reproduktion[58] noch nicht möglich ist. Allerdings könnte die Erfüllung einer solche Forderung eine solche Freie Reproduktion befördern. Fazit: Bewegung setzt ihre Interessen durch ------------------------------------------- Die Freie-Software-Bewegung setzt sich bereits stellenweise für ihre Interessen ein[59]. Wenn die Freie Software tatsächlich eine Keimform einer GPL-Gesellschaft ist, dann setzt sie damit sogar allgemeine Interessen durch. Eine originäre politische Bewegung für eine GPL-Gesellschaft müßte allerdings noch entwickelt werden und steht mittlerweile auf der politischen Tagesordnung[60]. 4.2. Freie Produktion --------------------- Auf dem Weg in eine GPL-Gesellschaft müßte vor allem auf dem Sektor der Güterproduktion die Entwicklung fortgeführt werden, die mit Freier Software begonnen wird. 4.2.1. Vielfältig im Bereich der Informationsgüter -------------------------------------------------- Im Bereich Informationsgüter[61] sind die technischen Grundlagen bereits gelegt, die der Freien Software zum Erfolg verholfen haben. Ist die These verallgemeinerbar, daß das Entwicklungsmodell Freier Software bessere Ergebnisse bei der Informationsproduktion zur Folge hat, so gibt es keine prinzipiellen Gründe, warum sich dieses Modell nicht auch für andere Informationsgüter durchsetzen sollte. Es fehlt eigentlich nur noch jeweils ein Personenkreis, der sich die Entwicklung eines entsprechenden Informationsguts zum Ziel setzt. Mit den heute verfügbaren Internet-Angeboten wäre es z.B. leicht, eine eigene Zeitung zu gestalten, die aus den verfügbaren News[62] zusammengesetzt ist und denen Freie ZeitungsmacherInnen nur noch regelmäßig eine Struktur hinzufügen. Würden Links zu den Originalanbietern gelegt, so wäre sogar denkbar, daß die Originalanbieter mit dieser Art der Verwertung höchst einverstanden wären. Ähnlich Freier Software wird es sich bei solchen Freien MacherInnen um ExpertInnen auf ihrem jeweiligen Gebiet handeln müssen - hohe Qualität ist schließlich in jedem Entwicklungsmodell oft nur mit einer gehörigen Portion Sachverstand zu haben. 4.2.2. Freie Hardware wird real ------------------------------- Im Bereich der materiellen Güter gibt es besonders weitgehende Freie Projekte im Bereich der Elektronik[63]. Der Utopia WebRing [http://opencollector.org/cgi-bin/utopia/index] zählt einige Projekte auf, die Freie Designs für den Bereich von der elektronischen Schaltung bis hin zum Mikroprozessor entwickeln. Da es im Elektronikbereich bereits so fortgeschrittene Projekte gibt[64], dürfte dies der erste Bereich sein, in dem breitflächig Freie materielle Güter, Freie Hardware verfügbar wird.[65] Analog zu Industrierobotern und Fabbern gibt es auch im Bereich der Digitalelektronik bereits heute interessante Entwicklungen, die Freie Hardware begünstigen. FPGAs (Field Programmable Gate Arrays) sind Chips, deren konkrete Verschaltung erst durch eine Programmierung festgelegt wird. Sie bilden damit eine universelle Hardware-Basis, deren funktionaler Anteil wesentlich durch die Programmierung, also durch Information bestimmt wird. Zwar sind solche Chips etwas langsamer als ihre festverdrahteten Kollegen, aber in vielen Situationen überwiegen die Vorteile der freien Programmierbarkeit diesen Nachteil bei weitem. Natürlich werden auch solche Chips heute noch kommerziell hergestellt, aber die Massenproduktion, die bei massenhafter Nachfrage auftritt, und die Konkurrenz unter mehreren Herstellern des gleichen Produkts macht solche Chips immer billiger und damit erschwinglich.[66] FPGAs könnten also im Hardware-Bereich einen wichtigen Schritt hin zu Freier Hardware bilden. 4.2.3. Fabber breit verfügbar und billig ---------------------------------------- In einem weiteren Schritt könnten ähnlich PCs die heute schon verfügbaren Fabber zu einem Massenphänomen werden. Als Universal-Materialisatoren könnten sie von Personengruppen angeschafft werden, die mit ihrer Hilfe Freie Entwürfe materialisieren. Es wäre naheliegend, solche Freien Fabber-Gruppen regional zu organisieren. Voraussetzung für eine solche Entwicklung ist, daß Menschen auf diese Weise zu Gütern kommen, die Vorteile gegenüber Waren haben, die sie auf dem Markt kaufen können. Einer der zu erwartenden Vorteile wäre die hohe Qualität, die aus dem Freien Entwicklungsprozeß resultiert. Ein weiterer Vorteil wäre, daß Nischenprodukte hergestellt werden könnten, für die es gar keinen entwickelten Warenmarkt und also gar keine Waren gibt. Damit könnten Bedürfnisse erfüllt werden, die der Warenmarkt mangels ausreichender zahlungskräftiger Nachfrage[67] überhaupt nicht befriedigen kann[68]. Prototypenproduktion im Bereich der Wissenschaft könnte ein solcher Anwendungsbereich sein. 4.2.4. Freie Produktivgruppen arbeiten industriell -------------------------------------------------- In einem weiteren Schritt wäre vorstellbar, daß die Freien Fabber-Gruppen dazu übergehen, sich weitere universelle Produktionsmittel zu besorgen und damit einen immer leistungsfähigeren, aber universell benutzbaren Maschinenpark zuzulegen. Es könnten Industrieroboter und andere Produktionsautomaten eingesetzt werden, die von kommerziellen Firmen ausrangiert und preiswert abgegeben werden. Ein solcher Maschinenpark könnte kollektiv von einer Freien Produktivgruppe besessen, gepflegt und genutzt werden. Die individuellen Produkte würden von den einzelnen Gruppenmitgliedern auf der Grundlage Freier Entwürfe aus dem Internet hergestellt. In der Übergangsphase zu einer GPL-Gesellschaft müßten solche Freien Produktivgruppen vermutlich genau regeln, wie ihr Verhältnis zur Außenwelt[69] gestaltet werden soll. Insbesondere: Soll es Gruppenmitgliedern erlaubt sein, erzeugte Produkte nach außen zu verkaufen und somit die gemeinschaftlichen Maschinen für eine private Aneignung durch Warenproduktion zu verwenden? Unter welchen Bedingungen wäre so etwas erlaubt und könnte dies vielleicht durch entsprechende Abgaben zur Refinanzierung des Maschinenparks genutzt werden? Wie sieht es aus, wenn die Gruppe als Ganzes Produkte nach außen verkauft? An dieser Stelle werden die Unterschiede zwischen materiellen und Informationsgütern deutlich, bei denen die Reproduktion durch die digitale Kopie heute nahezu kostenlos geworden ist. Die Produktion materieller Güter benötigt aber auch bei noch so universellen Maschinen Rohstoffe[70] und auch der anteilige Maschinenverbrauch kann einen erheblichen Teil der Produktionskosten eines materiellen Gutes ausmachen. Solange noch nicht alle, oder zumindest wesentliche Güter so zu Verfügung stehen, wie Freie Software sind diese Fragen wichtig und müssen geklärt werden. Fazit: Idee der Freien Produkte gewinnt Breite ---------------------------------------------- Es ist also durchaus vorstellbar, daß die Idee Freier Produktion weiteren Zulauf erhält. Wie an der Freien Software zu studieren ist, macht das Prinzip einfach Spaß. Die Entstehung von Communities, die sich mit dem Entwurf bestimmter Güter befassen, ist heute schon an einigen interessanten Beispielen zu sehen. Wie der Übergang genau ablaufen kann, ist zwar momentan noch nicht vollständig sichtbar, Ansätze sind aber bereits erkennbar. Eine solche Entwicklung liegt im unmittelbaren Interesse der Menschen und zwar nicht nur in einer fernen Perspektive auf eine bessere Welt, sondern es ist ein ganz konkreter Nutzen durch Freie Produkte erfahrbar. Eine solche Entwicklung müßte also nicht gegen die Menschen durchgesetzt werden, sondern würde sich aus ihren Bedürfnissen heraus von selbst entwickeln. 4.3. Organisationsformen ------------------------ An vielen Stellen können Freie Formen bereits bestehende Organisationen nutzen. Auch hier gibt es also Potentiale, die es bei der Tätigkeit für eine GPL-Gesellschaft zu untersuchen und ggf. zu nutzen gilt. 4.3.1. Firmen sind an Freier Entwicklung interessiert ----------------------------------------------------- Die globale Kooperation, die Freie Software so nützlich macht, die hohe Qualität, die mit den Prinzipien der Entwicklung Freier Software erzielt wird, von diesen Vorzüge können auch Firmen profitieren. Genauso ist es denkbar, daß Firmen auf anderem Sektor von analoger Freier Entwicklung profitieren. Ganz konkret kann dies dort vorteilhaft sein, wo die Markteintrittskosten für ein Produkt immens hoch sind - z.B. weil jedes neu entwickelte Produkt mit großem Marketingaufwand in einen bereits gut besetzten Markt gedrückt werden muß. Freie Entwicklungen haben dagegen den Vorteil bei Fachleuten allgemein bekannt zu sein. Eine Firma, die eine solche Freie Entwicklung konkret herstellt, könnte auf Produktmarketing weitgehend verzichten[71]. 4.3.2. Entwicklungsökonomien kooperieren Frei --------------------------------------------- Gerade für Entwicklungsökonomien in den armen Ländern dieses Planeten könnten Freie Entwicklungen eine Riesenrolle spielen. Wenn auch die Lage in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich ist, so gibt es immer wieder Probleme, die in mehreren Ländern auftreten und die in Freier Kooperation[72] besser bewältigt werden könnten.[73] 4.3.3. Freie-Bahn-Gruppe arbeitet mit betriebsinternem Wissen ------------------------------------------------------------- Eine Freie-Bahn-Gruppe könnte sich um eine Optimierung der Bahn nach den Interessen der BahnfahrerInnen kümmern - EnthusiastInnen, die so etwas gerne tun würden, gibt es wohl genug. Die Aufgabe einer solchen Gruppe würde erleichtert, wenn sie von der Bahn betriebstinterne Information bekäme. Auch BahnmitarbeiterInnen wären als Teil einer solchen Gruppe denkbar und sicher hocherwünscht. BahnfahrerInnen könnten in oder gegenüber einer solchen Gruppe viel direkter ihre Bedürfnisse formulieren und einbringen, als das bei den momentanen Strukturen der Fall wäre. 4.3.4. Freie BeraterInnengruppen koordinieren sich über Netzterminkalender -------------------------------------------------------------------------- Bei vielen Beratungstätigkeiten gibt es einen Widerspruch zwischen den Selbstentfaltungsbedürfnissen der BeraterInnen und der der Beratenen durch die simple Tatsache, daß eine Face-To-Face-Beratung zeitlich koordiniert werden muß. Die heutige Lösung geht bei (zunächst) anonymer Beratung von einer permanenten Verfügbarkeit der BeraterInnen während der Arbeitszeit aus. Dieser Widerspruch wäre durch eine Koordination über einen Netzterminkalender heute einfach zu lösen. Die BeraterIn würde einfach im Internet Termine zur Verfügung stellen, die InteressentInnen dann belegen und wahrnehmen könnten. 4.3.5. Kommerzielle Datensammlung positiv gewendet -------------------------------------------------- Heute werden an allen Ecken und Enden Daten erfaßt und gesammelt. Insbesondere im Internet ist die Datensammelwut besonders groß und wer heutzutage noch nicht regelmäßig Spam in der eMail hat, kann sich glücklich schätzen. Gezielte kommerzielle Datensammelei dient dazu, potentielle KundInnen möglichst zielgenau erfassen zu können. Was heute lediglich dem Profitinteresse der VerkäuferInnen entspricht und deswegen nervtötend ist, könnte positiv gewendet werden, wenn es den Menschen als Hilfestellung beim "Nehmen" dienen würde. 4.3.6. NGOs entwickeln sich zu Maintainern weiter ------------------------------------------------- Was NGOs heute schon tun - z.B. im Umweltbereich - könnte weiter ausgebaut werden. Versehen mit entsprechenden Einflußmöglichkeiten könnten die, denen heute das Wohl der Umwelt am Herzen liegt, zu Maintainern der hinterlassenen Umweltprobleme werden: Greenpeace als Ozonloch-Maintainer. Fazit: Wenig Phantasie genügt um vieles vorstellbar zu machen ------------------------------------------------------------- Relativ wenig Phantasie genügt, um sich vieles vorstellen zu können. Oft sind die Hürden für eine Umsetzung erstaunlich niedrig und mit ein wenig gutem Willen könnten weitere Projekte bereits heute begonnen werden. 4.4. BeFreiung aus der Lohnarbeit --------------------------------- Eine anderer Gedankengang ist die Frage, ob kapitalistische Institutionen sich selbst auf die eine oder andere Weise in eine beFreite Form transformieren können bzw. was von außen einen solchen Prozeß befördern könnte.[74] 4.4.1. IBM beFreit sich ----------------------- Firmen wie IBM engagieren sich in letzter Zeit verstärkt für Freie Software. Natürlich rechnen sich diese Firmen einen Gewinn aus, wenn sie in Freie Software investieren. Einen Gewinn, der sich letztlich nur durch unFreie Produkte und/oder Dienstleistungen erzielen läßt. Dennoch stärken sie mit ihren Aktivitäten die Freie-Software-Bewegung und in der Konsequenz faktisch eine Bewegung für eine GPL-Gesellschaft. Als einer der großen Global Player hat IBM das Zeug dazu, einen Mikrokosmos zu bilden. Wenn sich die Idee weiter verbreitet, könnten immer weitere Teile der Firma beFreit werden. Im Mikrokosmos einer großen Firma könnten viele Freie Formen ausprobiert werden, die für die Organisation einer GPL-Gesellschaft von Bedeutung wären. In vielen Firmen wäre es schon ein gewaltiger Schritt, wenn die Firmen im Innern in Freien Formen arbeiten würden anstatt mit hierarchischen Mauern Kooperationen und Freie Entfaltung zu verhindern. Zwar stößt eine solche Entfaltung immer an die strukturellen Grenzen kapitalistischer Verwertung, aber die positiven Effekte Freier Entwicklung könnten auch für die Firmen zu positiven Effekten führen, die sie in Gewinne am Markt umsetzen könnten. 4.4.2. ArbeitnehmerInnen rationalisieren sich selbst weg -------------------------------------------------------- Eine Grundlage solcher BeFreiungsprozesse könnte sein, daß MitarbeiterInnen ihre eigenen Arbeitsplätze überflüssig machen. Da MitarbeiterInnen über ein großes Know-How über ihren je konkreten Arbeitsplatz verfügen, haben sie oft auch gute Ideen, was an diesem Arbeitsplatz verbessert werden könnte. Was im kapitalistischen Alltag als KVP (Kontinuierlicher Verbesserungsprozeß) bekannt ist, richtet sich allerdings strukturell gegen die MitarbeiterInnen, da jede Rationalisierung, jede Verminderung von Arbeitseinsatz MitarbeiterInnen strukturell bedroht.[75] Würde dieser Prozeß im Rahmen einer BeFreiung jedoch für alle Beteiligten positiv gewendet, so könnten einerseits im Extremfall die MitarbeiterInnen also bei vollem Lohn einfach zu Hause bleiben, andererseits wären noch erhebliche Produktivitätsschübe denkbar, die den Firmen auch auf dem Markt Vorteile bringen könnten. Um eine größtmögliche Arbeitsverminderung zu erzielen, müßten alle MitarbeiterInnen[76] Frei kooperieren können. Auf diese Weise würden wie bei Freier Software die guten Ideen von Einzelnen, die Selbstentfaltung durch Beseitigung von Notwendigkeit zur Wohltat für alle werden. In jedem Fall müßten solche Verhältnisse gesetzlich oder zwischen den Tarifvertragsparteien für beide Seiten abgesichert werden. Fazit: Vieles denkbar, aber das meiste ist heute noch nicht gedacht ------------------------------------------------------------------- Nun, diese Gedanken klingen sehr utopisch - vielleicht sind sie auch einfach abwegig. Aber wie die Freie Software[77] zeigt, ist Vieles denkbar. Und noch mehr ist heute nicht einmal denkbar, weil wir alle in den vorgedachten Bahnen hängenbleiben. Die Entwicklung wird eigene Idee finden und ausführen. Es wird Fehlentwicklungen geben und richtungweisende Projekte. Eine Entwicklung zu einer neuen gesellschaftlichen Formation ist schließlich nie eindeutig oder gar widerspruchsfrei. Wichtig ist allein, daß die Entwicklung auch tatsächlich stattfindet. 4.5. Politik jenseits der Geldinteressen ---------------------------------------- Auch in einer GPL-Gesellschaft gäbe es die Sektoren menschlicher Gesellschaft, die heute von Politik reguliert werden. Auch für diese Sektoren ist also zu überlegen, wie eine Freie Organisation aussehen könnte. 4.5.1. Freies Regierungswissen ------------------------------ Ein wichtiger Schritt könnte sein, daß die Informationen, die einer Regierung[78] bzw. Verwaltung zur Verfügung stehen, allen Frei zugänglich gemacht werden. Auf diese Weise könnten alle dieses Wissen einerseits für sich nutzen und andererseits sich eine informierte Meinung[79] über Sachfragen bilden, die die gesamte Gesellschaft oder nennenswerte Teile davon betreffen. Würde eine Verwaltung aus Freien Gruppen bestehen, die nach den Prinzipien der Entwicklung Freier Software tätig werden, so wäre diese Freie Information natürlich ohnehin selbstverständlich. 4.5.2. Freie Information verteilt Macht --------------------------------------- In der Geschichte hat die Verfügung über Information immer auch Herrschaft konstituiert. Nur wer über wichtige Information verfügt, war dazu in der Lage andere zu beherrschen. Heute ist dieser Aspekt noch viel wichtiger geworden und gleichzeitig viel subtiler. Die gezielte Manipulation der KonsumentInnen ist nur durch umfangreiche Informationserhebung möglich. Gleichzeitig ist ein Vorenthalten, eine Verknappung von Information immer auch eine Methode gewesen, um anderen Macht zu nehmen bzw. ihnen gar nicht erst zukommen zu lassen. Wenn Information wie bei Freier Software allen zur Verfügung steht, wenn quasi der Source-Code auf dessen Grundlage die Gesellschaft funktioniert allen Frei verfügbar ist - sowohl zur eigenen Information als auch zum handelnden Eingreifen in gesellschaftliche Vorgänge -, dann werden Machtkonzentrationen aufgelöst, die durch Informationsverknappung entstehen. Wenn der Satz gilt "Wissen ist Macht", dann ist eine BeFreiung von Information gleichzeitig eine Entmachtung der Herrschenden und somit eine BeFreiung der Menschen. 4.5.3. Mitbestimmung jenseits der Demokratie -------------------------------------------- Freie Prinzipien sind keineswegs ein Widerspruch zu demokratischen Prinzipien. Da bei Freien Projekten grundsätzlich jedeR Zugang zum Projekt hat und sich jedeR eine Meinung bilden kann, gehen sie mindestens in dieser Beziehung über die etablierten Methoden[80] staatlicher Demokratie sogar weit hinaus. Allerdings ist bei Freier Software die Mitbestimmung über Mehrheiten eher unüblich. Wie die Internet-Standards basieren die Entscheidungen bei der Entwicklung Freier Software eher auf "rough consensus and running code" ("einigermaßen Konsens und laufender Code")[81]. Weiterhin ist es in Freien-Software-Projekten oft so, daß in schwierigen Fällen, in denen sich auf nach langer Diskussion kein Konsens herausbildet, die MaintainerIn des Projekts eine verbindliche Entscheidung fällt. Die MaintainerIn hat dabei aber keine herrschende sondern eine helfende Funktion. Die getroffene Entscheidung hilft dem Projekt ja insgesamt weiter und für die Beteiligten ist es nach einer langen Diskussion ja i.a. auch klar, daß eine Entscheidung notwendig ist. Eine MaintainerIn kann ihre Funktion daher nur solange ausführen, solange sie im Interesse des Gesamtprojekts handelt. Da sie keine formale Stellung im Projekt hat, kann sie jederzeit durch eine andere MaintainerIn abgelöst werden. Im Falle eines tiefgehenden Konflikts[82] kann sich darüberhinaus das Projekt jederzeit aufspalten[83]. Eine Vertretung wie sie im Parlamentarismus üblich ist, wo wenige einzelne ParlamentarierInnen riesige, bunt gemischte Bevölkerungsteile vertreten, hat sich in einer GPL-Gesellschaft überlebt. Vielmehr können aber auch müssen[84] sich die Menschen um ihre Belange im Extremfall selbst kümmern. Gleichzeitig können aber auch müssen sie dann die Verantwortung für ihr eigenes Leben auch selbst übernehmen, die ihnen heute durch das Vertretungsprinzip genommen wird. Fazit: GPL-Gesellschaft ist Weiterentwicklung der Demokratie ------------------------------------------------------------ Die GPL-Gesellschaft liegt auf der gleichen Linie wie Demokratie, entwickelt demokratische Grundsätze aber deutlich weiter. In den Kindertagen der westlichen Demokratie - und aus dieser Zeit stammt auch unser heutiges Demokratieverständnis - gab es deutliche Einschränkungen, die eine breite Mitbestimmung auf einer inhaltlichen Basis weitgehend unmöglich machten. Damals war das Vertretungsprinzip das einzig überhaupt praktikable Prinzip. Diese Einschränkungen werden durch die technischen Entwicklungen aber zumindest im Grundsatz immer weiter aufgehoben. Freie Software macht vor, wie eine zeitgemäße demokratische Mitbestimmung[85] jenseits des Vertretungsprinzips heute aussehen kann. 4.6. Nutzen der Güter --------------------- Nicht nur die Produktionsweise wird sich in einer GPL-Gesellschaft verändern, auch die hergestellten Güter selbst werden anders sein als die, die wir heute kennen. 4.6.1. Nutzen zählt ------------------- Die heute hergestellten Waren sind fast ausschließlich Waren - d.h. Güter, die in erster Linie für den Verkauf auf dem Markt hergestellt werden. Der konkrete Nutzen einer Ware, der Gebrauchswert ist für die ProduzentIn nur insofern von Interesse, wie er die Verkaufbarkeit beeinflußt. Eine der logischen Folgen ist, daß es keine Waren[86] gibt, für die es zwar ein konkretes gesellschaftliches Bedürfnis, aber keine zahlungskräftige Nachfrage gibt. Anders ist dies bei Freien Gütern. Freie Güter werden unmittelbar und ausschließlich wegen ihres konkreten Nutzens hergestellt. Der Nutzen kann dabei sehr unterschiedlicher Natur sein: Von rein ästhetischen Gesichtspunkten bis hin zu dringend benötigten Werkzeugen liefert die Selbstentfaltung der Einzelnen unendlich viele konkrete Gründe[87]. Ob ein Freies Gut hergestellt wird oder nicht, ist also keine Frage von Kaufkraft, sondern liegt allein im Ermessen der ProduzentIn[88]. Die ProduzentIn entscheidet, für welchen konkreten Nutzen sie sich anstrengen möchte. Verliert der abstrakte Wert eines Produkts - den zu messen kapitalistisches Wirtschaften allein in der Lage ist -, verliert dieser abstrakte Wert zugunsten konkreten Nutzens an Bedeutung, rückt die ganze Bandbreite konkreten Nutzens wieder ins Blickfeld. So steht z.B. der ökologische Nutzen eines Produkts - z.B. Langlebigkeit oder Materialverbrauch[89] - gleichberechtigt neben beispielsweise einer bestimmten Funktionalität[90]. 4.6.2. NutzerInnen können Produkte konfigurieren und variieren -------------------------------------------------------------- Teilaspekte konkreten Nutzens sind Konfigurierbarkeit, Variierbarkeit und universelle Einsetzbarkeit von Produkten. Während diese Faktoren bei der Warenproduktion i.d.R. eine untergeordnete Rolle spielen - mit mehr verkauften spezialisierten Produkten kann schließlich mehr Profit erwirtschaftet werden -, bekommen diese Nutzenarten bei Freien Produkten große Bedeutung. Durch diese Anpaßbarkeit der Güter wird einerseits die Freiheit der NutzerInnen gesteigert, die sich die konkreten Güter an ihre konkreten Bedürfnisse so optimal wie möglich anpassen können. Andererseits steigert sich aber auch die Freiheit der ProduzentInnen, da mit solchen universell verwendbaren Gütern der Bedarf nach Spezialprodukten[91] abnimmt und somit die gesellschaftliche Notwendigkeit reduziert wird. 4.6.3. Weitere Modularisierung für größere Flexibilität ------------------------------------------------------- Insbesondere die weitere Modularisierung[92] von Gütern erhöht deren Flexibilität enorm. Schon in der Warenproduktion wird bei stark individualisierten Waren wie z.B. Möbeln oder auch Autos bereits heute gerne ein Baukasten angeboten, dessen Teile sich mehr oder weniger frei kombinieren lassen[93]. Diese Warengruppen bieten schon heute erhebliche Freiheitsgrade an. Ein Freies Auto könnte mit Hilfe geeigneter Module beispielsweise individuell, aber auch nach regionalen Bedürfnissen konfiguriert werden. Fazit: Freie Güter selbst fördern individuelle Selbstentfaltung --------------------------------------------------------------- Freie Güter fördern also selbst die individuelle Selbstentfaltung vor allem der NutzerInnen. Die heutige Orientierung auf einen abstrakten Verwertungszwang wird abgelöst durch eine Maximierung des breitbandigen Nutzens eines Produkts. Die Handlungsmöglichkeiten und damit auch die Verantwortung liegen dabei deutlich stärker als heute bei den NutzerInnen. 4.7. Neue Einrichtungen ----------------------- So wie heute Banken eine wichtige Rolle für das Geldsystem spielen, wird es Einrichtungen geben, die die veränderten Bedürfnisse eine GPL-Gesellschaft befriedigen. Solche Einrichtungen werden teilweise aus Bekanntem erwachsen, teilweise aber auch völlig neu sein. 4.7.1. Produktinformation anstatt Werbung ----------------------------------------- Die heute übliche Warenwerbung wächst aus einem Verwertungsinteresse und hat daher die Tendenz zu nerven. Daß Werbung kein Bedürfnis der KonsumentInnen darstellt, läßt sich schon daran ablesen, daß die WarenanbieterInnen zum Teil erhebliche Summen ausgeben um die vor allem für sie nützliche Message[94] an potentielle KundInnen zu bringen. Ein sinnvoller Anteil an Werbung - heute oft nur noch in Spurenelementen vorhanden - ist aber die Information über ein bestimmtes Produkt. Dieser Informationsanteil wäre auch in einer GPL-Gesellschaft von Interesse, dient er doch potentiellen NutzerInnen eines Guts. Schon heute lassen sich die interessantesten Produktinformationen übrigens zuweilen im Internet finden. Ein ausgesprochen sinnvoller Ansatz, da das Internet allen KundInnen / NutzerInnen mit minimalem Aufwand alle Information zur Verfügung stellen kann, die diese über ein Produkt ihres Interesses haben möchten. 4.7.2. MaintainerInnen-Schulen ------------------------------ Bei der Freien Software erleben wir häufig das MaintainerInnen-Prinzip. Ausgezeichnete Projektmitglieder[95] dienen dem Projekt und den anderen Mitgliedern, indem sie sich gesamtverantwortlich[96] um das Projekt kümmern. Getragen werden sie von den anderen Projektmitgliedern, die ein Vertrauen in die persönliche Kompetenz der MaintainerIn haben. Ist diese Vertrauensbasis nicht gegeben, dann kann es durchaus geschehen, daß eine MaintainerIn ein Projekt zerstört. Diese spezielle MaintainerInnen-Tätigkeit hat natürlich viel mit sozialen Fähigkeiten, Erfahrung und Fingerspitzengefühl zu tun - also etwas, was mit Ausbildung zumindest gefördert werden kann. Da solche vertrauensbasierte MaintainerInnen-Tätigkeit in einer GPL-Gesellschaft[97] eine wichtige Rolle spielt, werden Schulungseinrichtungen für MaintainerInnen ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Neben sozialen Kompetenzen werden fachliche Kompetenzen natürlich auch weiterhin[98] gebraucht. Ein wichtiger Aspekt von Selbstentfaltung ist ja die Entfaltung eigener Kompetenzen und auch deren Steigerung. Immerhin steigern sich mit steigender Kompetenz auch die Handlungsmöglichkeiten und damit die Freiheit der Einzelnen. 4.7.3. Freie Gruppe berechnet Öko-Rucksäcke von Gütern ------------------------------------------------------ Um potentiellen NutzerInnen eine Information zu geben, wie sehr ein bestimmtes Produkt die Umwelt bei Herstellung oder Benutzung belastet, wäre es günstig, für alle Produkte Öko-Rucksäcke zu berechnen. Solche produktbezogenen Öko-Rucksäcke könnten Grundlage für ein konkretes Äquivalent zur Begrenzungsfunktion bilden, die das Geld in der kapitalistischen Wirtschaft in Bezug auf die eingesetzte Arbeitskraft bildet. Allerdings verschiebt sich der Fokus weg von abstrakten Arbeitsquanta hin zu konkretem Umweltverbrauch, was gegenüber heute schon ein gewaltiger Gewinn wäre. 4.7.4. Rohrpost als Transportmedium ----------------------------------- Viele, viele technische Neuerungen sind natürlich in einer GPL-Gesellschaft sinnvoll. Eine unterirdische Rohrpost, die sogar mit heutigen technischen Mitteln[99] bereits kostengünstig realisierbar wäre, könnte den veränderten Bedürfnissen einer GPL-Gesellschaft stark entgegenkommen. Ein gut ausgebautes Rohrpostsystem könnte noch wesentlich flexibler sein, als die Verkehrsträger Straße oder Schiene und es könnte zudem noch viel stärker automatisiert werden, so daß große Arbeitsmengen, die heute in den Warentransport gesteckt werden, schlicht entfallen würden. Fazit: Viele neuartige Einrichtungen werden sinnvoll sein --------------------------------------------------------- In einer GPL-Gesellschaft wird es viele neue Einrichtungen geben, die die herkömmlichen Einrichtungen ergänzen oder ersetzen werden. An vielen Stellen werden bekannte Einrichtungen mehr oder weniger verändert werden müssen, um den veränderten Rahmenbedingungen gerecht zu werden. 4.8. Individuelle Aspekte ------------------------- Nach den vielen gesellschaftlichen Aspekten folgen hier ein paar Überlegungen, welche konkreten Veränderungen eine GPL-Gesellschaft für die Individuen bringen könnte. 4.8.1. Würdigung für Leistung, Anstrengung, Fähigkeiten ------------------------------------------------------- Bestimmte individuelle Leistungen, besonders große Anstrengungen oder besonders ausgebildete Fähigkeiten werden auch in einer GPL-Gesellschaft besonders gewürdigt werden, da sie einem menschlichen Bedürfnis nach Anerkennung entsprechen. Dabei dürfte eine Würdigung um so größer ausfallen, je mehr der gewürdigte Beitrag der Gesamtgesellschaft zu Gute kommt. Solche Würdigung kann natürlich umgekehrt einen Beitrag[100] zur individuellen Selbstentfaltung der gewürdigten Person leisten. Wird heute zuweilen eine besondere Leistung mit einer abstrakten Geldzahlung gewürdigt[101], so sind auch die Würdigungen in einer GPL-Gesellschaft sehr viel konkreterer Natur: Eine konkrete Anerkennung wird von einer bestimmten Person an eine bestimmte andere Person ausgesprochen. Diese Form der Würdigung ist viel befriedigender, als etwas größere Zahlen auf einem Konto[102]. 4.8.2. Individuen brauchen Möglichkeiten zur... ----------------------------------------------- ...Selbstentfaltung ------------------- Wie klar geworden sein dürfte, ist die Möglichkeit der individuellen Selbstentfaltung für eine GPL-Gesellschaft zentral. Das produktive Tun der Individuen muß also in irgendeiner Form Spaß machen, so daß es keines äußeren Antriebs mehr bedarf. Die Teile der gesellschaftlichen Notwendigkeiten, für die sich partout niemensch findet, die sie als Selbstentfaltung begreifen kann, müssen reduziert und in Richtung Selbstentfaltung verändert und damit tendenziell abgeschafft werden. Neben weiterer technischer Unterstützung für viele gesellschaftlich notwendige Vorgänge - also neben mehr Automatisierung - würden durch den Wegfall des Fetischsystems Geld auch zahlreiche, heute noch unabdingbare Funktionsbereiche komplett entfallen (z.B. Banken, Versicherungen, Steuerverwaltung, Werbung wo sie nicht Produktinformation ist, Abrechnung, etc.). ...Verantwortung ---------------- In der Freien Software können wir sehen, wie EntwicklerInnen Verantwortung für ihr Handeln übernehmen. Am deutlichsten zeigt sich das vielleicht in dem Support bzw. der Pflege, den Freie-Software-EntwicklerInnen in der Regel ihrem Produkt angedeihen lassen. Diese Möglichkeit zu dieser Art der Verantwortung für das eigene Handeln wird in einer GPL-Gesellschaft wichtig sein. Dabei hängen Freiheit und Verantwortung eng zusammen. Einerseits kann nur wer frei in seinen Handlungen ist, überhaupt Verantwortung übernehmen. In unserem Rechtssystem spiegelt sich dies z.B. in der eingeschränkten Schuldfähigkeit von Menschen wieder, die zum Zeitpunkt einer Straftat nur eingeschränkt frei waren. Andererseits kann Freiheit nur in Verbindung mit Verantwortung als sinnhaft begriffen werden. Eine völlig entbettete Freiheit bar jeder Verantwortung, eine völlige Grenzenlosigkeit ist lediglich die Antithese zu einer empfundenen Unfreiheit. Sie kann von Menschen als gesellschaftliche Wesen aber niemals als langfristige Befriedigung empfunden werden. 4.8.3. Was will ich heute tun? Was ist notwendig? ------------------------------------------------- Selbst bis in die individuelle Tagesplanung hinein wird eine GPL-Gesellschaft Auswirkungen haben. Während heute die Frage steht, wie ich mich heute den äußeren Zwängen wie z.B. Lohnarbeit stelle - oder mich ihnen ggf. am trickreichsten entziehe -, wäre in einer GPL-Gesellschaft die Frage, wonach mir heute der Sinn steht. Eingebettet in die erwähnte Verantwortung für das eigene Handeln und in Abwägung der Notwendigkeiten könnte jedeR frei entscheiden, was für den heutigen Tag ansteht. Fazit: Selbstentfaltung bringt individuelle Lebensqualität ---------------------------------------------------------- Wahrscheinlich ist das gar nicht nötig zu erwähnen, aber die Selbstentfaltung einer GPL-Gesellschaft bringt auch ein erhebliches Mehr an individueller Lebensqualität. Darunter darf die Meßlatte für eine neue Gesellschaft nicht liegen. 4.9. Neue Interessenlagen ------------------------- Jede gesellschaftliche Formation ist durch die dominanten Interessenlagen sowohl der Individuen als auch der Gesamtgesellschaft entscheidend geprägt, wobei gesellschaftliche und individuelle Interessenlagen natürlich eng aneinander gekoppelt sind. Eine GPL-Gesellschaft kann also nur dann als eine neue gesellschaftliche Formation existieren, wenn die dominanten Interessenlagen sich von den heutigen unterscheiden. Auch wenn in den vorherigen Abschnitten dieses Beitrags schon hier und da die dominanten Interessenlagen einer GPL-Gesellschaft aufgeschienen sein dürften, hier noch einmal einige Anmerkungen zu diesem Komplex. 4.9.1. ProduzentInnen sind nicht mehr am Absatz interessiert ------------------------------------------------------------ Im Kapitalismus ist es individuell - hier in der betriebswirtschaftlichen Sicht - sinnvoll, möglichst viele Produkte[103] zu verkaufen. Unter normalen Umständen erhöht sich mit jedem verkauften Stück der Profit um dessen Willen die Produktion ja überhaupt erst stattgefunden hat. Bei Freien Produkten kann es der ProduzentIn hingegen völlig egal sein, wieviele Menschen ihr Produkt nutzen. Ihren individuellen Gewinn zieht sie ja nicht aus dem Absatz des Produkts, sondern er besteht in der Selbstentfaltung, die sie bei der Produktion des Produkts selbst empfindet. Eine Freie ProduzentIn hat also kein individuelles Interesse[104] an einem maximalen Absatz[105]. Da neben den ProduzentInnen der Güter auch sonst niemensch mehr ein Interesse an einem maximalen Güterge- bzw. -verbrauch hat, gibt es in einer GPL-Gesellschaft kein Interesse mehr daran, jemenschem etwas aufzudrücken. Der ganze Marketing- und PR-Bereich wird damit überflüssig und statt zu kaufen, was irgendwelche Werbung vorgibt[106], nehmen die Gesellschaftsmitglieder nach individuellen Bedürfnissen. 4.9.2. Konkurrenz als Verbesserungsanreiz überflüssig ----------------------------------------------------- Da im Kapitalismus die Produktion aus äußeren, abstrakten Gründen stattfindet - der Profitmaximierung - bedarf es auch eines äußeren, letztlich genauso abstrakten Anreizes zur Verbesserung von Produkten: die Konkurrenz. Die Qualität eines Produkts ist bei marktförmigen Beziehungen nur relativ zu Konkurrenzprodukten von Interesse. Gibt es keine Konkurrenzprodukte[107] oder ist der Konkurrenzdruck erträglich, so ist auch keine Weiterentwicklung von Produkten notwendig[108]. Bei Freier Entwicklung gibt es hingegen ein direktes, unmittelbares Verbesserungsinteresse der EntwicklerInnen, daß sich aus mehreren Quellen[109] speist. Durch den Peer-Review[110], wie wir ihn in der Freien Software beobachten können, wird dieser kontinuierliche Verbesserungsprozeß vergesellschaftet und am Laufen gehalten. Es ist also keine Konkurrenz mehr nötig[111], um die ProduzentInnen zu Verbesserungen anzuregen. Vielmehr fließen neue Ideen und Wünsche der NutzerInnen ganz automatisch in die Weiterentwicklung von Produkten ein. 4.9.3. Niemensch hat mehr Interesse an Knappheit ------------------------------------------------ Ähnlich wie im Kapitalismus ein Interesse an Massenabsatz besteht, gibt es ein fundamentales Interesse an Knappheit. Ohne Knappheit ist eine Verwertung überhaupt nicht vorstellbar, da nur knappe Güter überhaupt verkauft werden können. Bildet Knappheit die Grundlage von Verwertung und somit einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung, so ist sie aber bei näherem Hinsehen ein Übel, da es die unbeschränkte Selbstentfaltung behindert. Fällt in einer GPL-Gesellschaft der Zwang zur Verwertung weg, so fällt damit auch automatisch das Interesse der ProduzentInnen an Knappheit weg. Künstlich produzierte Knappheit, solche also, die sich nicht knappen Ressourcen[112] verdankt, sondern z.B. mit Gesetzen erzwungen wird[113], an solcher künstlich produzierten Knappheit hat in einer GPL-Gesellschaft niemensch mehr ein Interesse. 4.9.4. Gearbeitet wird um Arbeit zu sparen ------------------------------------------ Während im Kapitalismus auch dann noch die Parole "Arbeit, Arbeit, Arbeit!" ausgegeben wird, wenn ein Mehr an Arbeit nur noch die destruktiven Potenzen dieser Vergesellschaftungsform steigen würde, während im Kapitalismus die Menschen und die Gesamtgesellschaft ein völlig fetischiertes Verhältnis zur Arbeit haben, wäre die obige Parole in einer GPL-Gesellschaft ein Fluch, den jemensch ausstößt, der sich einer übermäßigen, jedenfalls unerwünschten Belastung gegenüber sieht. In einer GPL-Gesellschaft gäbe es kein Interesse mehr an einer Maximierung von Arbeit, sondern vielmehr gäbe es ein individuelles und gesamtgesellschaftliches Interesse an einer Minimierung notwendiger Tätigkeiten, denn durch ein geringeres Maß an Notwendigkeiten wird das Maß möglicher Selbstentfaltung auf frei gewählten Gebieten erhöht. Wie uns die Freie Software eindrucksvoll zeigt, kommt die Selbstentfaltung auf frei gewählten Gebieten aber nicht nur der Einzelnen zu Gute, sondern liegt im Interesse der Gesamtgesellschaft. 4.9.5. Kein struktureller Zwang mehr zur Tätigkeit -------------------------------------------------- Heutige Arbeit ist höchstens bedingt Selbstentfaltung und daher braucht es einen strukturellen, abstrakten Zwang, damit sich die Menschen dieser Arbeit unterwerfen. Dieser Zwang ist im Kapitalismus im wesentlichen der Zwang zum Geldverdienen, zur Verwertung der eigenen Arbeitskraft[114]. Ist die nützliche Tätigkeit jedoch Selbstentfaltung, dann braucht es keinen äußeren Zwang, der die Menschen zu dieser nützlichen Tätigkeit bringt. Vielmehr werden die Menschen freiwillig[115] aus je individuellen Gründen tätig. Fazit: Veränderte Interessenlagen machen Tauschwirtschaft absurd ---------------------------------------------------------------- Die veränderten Interessenlagen einer GPL-Gesellschaft machen eine Tauschwirtschaft mit Knappheit und Massenabsatz letztlich absurd. Diese veränderten Interessenlagen, die wir in der Freien Software keimförmig beobachten können, bilden letztlich dem Motor für eine Entwicklung in Richtung einer GPL-Gesellschaft. Politisches Handeln, das der Erreichung einer GPL-Gesellschaft dienen soll, muß sich also vorrangig für diese Interessenlagen einer GPL-Gesellschaft einsetzen, die in der bestehenden Gesellschaft zwar angelegt sind gegenüber alten Interessenlagen aber noch nicht dominant geworden sind. Das Projekt Oekonux [http://www.oekonux.de] und die 1. Oekonux-Konferenz [http://erste.oekonux-konferenz.de], auf der dieser Beitrag erstmals vorgetragen wurde, stellen für mich[116] solches Handeln dar. A. Copyright ============ Copyright (c) 2001 Stefan Merten. Permission is granted to copy, distribute and/or modify this document under the terms of the GNU Free Documentation License, Version 1.1 or any later version published by the Free Software Foundation; with the Invariant Sections being Copyright, with no Front-Cover Texts, and with no Back-Cover Texts. A copy of the license can be found under http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html. B. Text im Internet =================== Dieser Text ist im Web unter http://www.oekonux.de/texte/zukunft/ in verschiedenen Formaten abgelegt. Dieser Text wird ggf. aktualisiert. Als Konferenzbeitrag ist er unter http://erste.oekonux-konferenz.de/dokumentation/texte/merten.html dokumentiert. [1] Die Mailing-Liste wird im Web unter http://www.oekonux.de archiviert. Dort findet sich auch weiteres ein- und weiterführendes Text-Material. [2] Der Begriff GPL-Gesellschaft ist im Oekonux-Diskurs geprägt worden. Eine frühe Erwähnung findet sich in GNU/Linux - Meilenstein auf dem Weg in die GPL-Gesellschaft [http://www.oekonux.de/texte/meilenstein/]. Der Begriff bezeichnet eine gesellschaftliche Formation, die auf den Prinzipien der Entwicklung Freier Software beruht. GPL bezeichnet dabei die GNU General Public License [http://www.gnu.org/licenses/gpl.html], die die formal-rechtliche Grundlage für einen großen Teil Freier Software bildet. [3] Eine nähere Betrachtung der Bezeichnung GPL-Gesellschaft zeigt, daß in einer solchen Gesellschaft eine Lizenz wie die GPL nicht mehr nötig sein dürfte. Auch aus anderen Gründen wurde die Bezeichnung mehrfach kontrovers in der Oekonux-Liste debattiert. Aufgrund der mittlerweile nennenswerten Verbreitung der Bezeichnung, halte ich eine Beibehaltung dieser Bezeichnung aber für angezeigt. [4] Das große "F", das in diesem Beitrag das Wort "Frei" oft schmückt, soll andeuten, daß es sich um ein "Frei" im Sinne Freier Software handelt. [5] Wir grenzen bewußt vom Begriff der Selbstverwirklichung ab, da Selbstverwirklichung einen letztlich beschränkten Prozeß bezeichnet - wer irgendwann wirklich ist, hat's hinter sich. Selbstentfaltung ist jedoch als unbeschränkter Prozeß zu verstehen, der während des gesamten Menschenlebens stattfinden kann. Weiterhin ist Selbstentfaltung immer als ein in die Gesellschaft eingebetteter Prozeß gedacht, der sich von dem oft als ausschließlich individualistisch verstandenen Begriff Selbstverwirklichung abhebt. [6] Eine unvollständige Aufzählung verschiedener Aspekte von Selbstentfaltung, die im Oekonux-Diskurs bisher aufgetaucht sind: Spaß an bestimmten Tätigkeiten, Beseitigung von Notwendigkeit, Übernahme von Verantwortung, Kooperation mit anderen, Interesse an hoher Qualität. [7] Der Begriff der Berufung bezeichnet einen Zustand, der sehr stark von Selbstentfaltung geprägt ist. Wer sich wirklich zu etwas berufen fühlt und dieser Berufung nachgehen kann, die kann sich maximal entfalten. [8] Auch für Software-Entwicklung wird immer wieder festgestellt, daß sie mit künstlerischen Aspekten verbunden ist. Aus eigener Erfahrung würde ich bestätigen, daß gute Software eine Menge mit Ästhetik zu tun hat, ja, daß eine ästhetisch aufgebaute Software auch eine gute Software ist. Software-EntwicklerInnen haben allerdings gegenüber anderen KünstlerInnen den großen Vorteil, daß die Produkte ihrer Kunstfertigkeit ausgesprochen gefragt sind. [9] In diesem Zusammenhang ist auch an verbreitete Verhaltensweisen z.B. bei Hobby-GärtnerInnen zu erinnern, in der (vorübergehende) Überschüsse in der Erntezeit Frei an Nachbarn und Bekannte verteilt wurden und immer noch werden. [10] Vgl. Free Hardware Design - Past, Present, Future [http://erste.oekonux-konferenz.de/dokumentation/texte/seaman.html] [11] Auch die Motivation zum Entwickeln Freier Software ist oft nicht durch einen einzigen Aspekt geprägt, sondern konkrete Notwendigkeit, Freude am Schaffen, eine Verantwortung gegenüber den NutzerInnen und weitere Aspekte amalgamieren sich zu einer komplexen Motivation. [12] Dieser Wertewandel wurde vor allem durch Änderungen in der Ideologie erzielt. Das vorherrschende ideologische Bild der Frau als Mutter wurde über die Jahre immer mehr durch ein Bild einer Frau ergänzt, die nicht ausschließlich auf die Mutterrolle festgelegt ist. Entsprechende Entwicklungen für Männer sind hier erst in Spurenelementen zu erkennen. [13] Ein Computer-Programm wird in einer Programmiersprache geschrieben. Diese Form wird Quelle genannt und ist von Menschen lesbar. Zur Ausführung durch den Computer wird diese Quelle in vielen Fällen in das sogenannte Binary übersetzt, das dann im wesentlichen nur noch von der Maschine "verstanden" werden kann. Proprietäre Software wird in aller Regel nur in dieser binären Form ausgeliefert, so daß der KäuferIn der Zugang zu dem im Programm steckenden Wissen verborgen bleibt. [14] Ich möchte als Arbeitsbegriff unter Wissen diejenige Information verstehen, die ein Mensch in seinem Kopf hat. Der allgemeinere Begriff der Information ist dagegen vom Menschen abgelöst und kann z.B. bei der Maschinensteuerung, aber auch zur Steuerung der Eiweißproduktion in der Zelle herangezogen werden. [15] Mir liegt daran, hier nicht von einem "Austausch" zu sprechen, da es sich einerseits eben nicht um einen Austausch handelt - nicht jedeR, die etwas bekommt, gibt auch etwas - und andererseits der Begriff des Austauschs das eigentlich Spannende eher vernebelt als erhellt. [16] Der in der Wissenschaft explizite Peer-Review, bei der fachkompetente KollegInnen ihre Ergebnisse untereinander begutachten, ist auch in der Freien Software an der Tagesordnung - durch die offen liegenden Quellen ist dies ja auch einfach möglich. Es gab allerdings schon bei den Handwerksgilden solche Peer-Review-Techniken, über die u.a. die Einhaltung gewisser Qualitätsstandards durch alle Gildemitglieder überprüft wurde. [17] Bekannt ist der Newton zugeschriebene, vermutlich aber viel ältere Ausspruch, daß er nur deswegen weiter sehen konnte als andere, weil er auf den Schultern von Riesen stehe. [18] Vgl. z.B. http://www.chefkoch.de/ [19] Ziel dieser künstlichen Verknappung soll angeblich sein, daß die MusikerInnen von ihrer Musik leben können. Mindestens die heutige, konkrete Ausgestaltung der Verteilung der Einnahmen sichert aber vor allem riesige Gewinnmargen der Musikindustrie. [20] Auch hier schlägt sich übrigens das Verwertungsinteresse vor allem der Musikindustrie negativ nieder. Anstatt uns mit einer reichhaltigen musikalischen Kultur zu bereichern, ist es für die Musikindustrie viel lukrativer, einen Einheitsbrei über den gesamten Planeten zu kippen. Eine BeFreiung der Musik (auch) für die breite Masse wäre eine auch kulturell interessante Forderung. [21] Genau diesen Punkt knackt die durch Computer gegebene breite Verfügbarkeit der digitalen Kopie. Die digitale Kopie verunmöglicht eine Verknappung durch eine Verknappung von Informationsmedien. Der sich ergebende Konflikt zu den herkömmlichen Vermarktungswegen wird seit einiger Zeit im Bereich der Musik ausgetragen (Stichwort: Napster [http://www.napster.com] vs. RIAA), wird sich aber in Kürze auf andere Bereiche ausdehnen. [22] Waren sind Güter, die für den Verkauf hergestellt worden sind. Güter im allgemeinen werden jedoch für alle möglichen Zwecke hergestellt. Im Oekonux-Diskurs steht vor allem der konkrete Nutzen eines Gutes im Mittelpunkt. [23] Diese Möglichkeit zu leugnen, würde der kapitalistischen Form eine Totalität zugestehen, die letztlich auch die hier getroffenen Überlegungen verunmöglichen würde. [24] Leider bilden gerade die Pflegeberufe einen Bereich, in dem der Ausbeutungsgrad enorm ist. Es wäre interessant zu klären, ob hier Zusammenhänge mit dem Selbstentfaltungsaspekt bestehen. [25] Zum Vergleich: Noch vor nicht allzu langer Zeit mußte die gesamte Produktion - z.B. in den Werksferien - stillgelegt werden, um den Maschinenpark auf eine veränderte Produktion - z.B. eines neuen Fahrzeugmodells - umzurüsten. [26] So ist z.B. in der Automobilproduktion die individuelle Anpaßbarkeit so stark gestiegen, daß kaum zwei gleiche Autos die Bänder verlassen. [27] Eigentlich ist nicht die Kopplung von Einkommen und Lohnarbeit das Problem. Dies ist nur das Oberflächenphänomen. Das tiefliegende Problem im Rahmen des Kapitalismus ist, daß nur menschliche Arbeitskraft Mehrwert schafft und diese menschliche Arbeitskraft u.a. wegen der hohen Produktivität immer weniger eingesetzt werden kann. [28] Die schon seit vielen Jahren eingesetzten CNC-Maschinen werden als ein bestimmter Typ von Fabber betrachtet. CNC-Maschinen arbeiten im Gegensatz zu den hier erwähnten Maschinen mit einem material-abhebenden Verfahren. Neben den aufbauenden und abhebenden werden noch verformende Verfahren unterschieden. Allen gemeinsam ist aber, daß sie datengetrieben und ohne Eingriffe von außen ablaufen. [29] Insbesondere im Modellbau können Fabber schon breit eingesetzt werden. Darüberhinaus werden sie für die Produktion von Kunststoffteilen für Prototypen eingesetzt. [30] Vgl. Überlegungen, Fabber unmittelbar in der Produktion [http://www.ennex.com/fabbers/index.sht#Vision] einzusetzen. [31] Analoges gilt übrigens für den sogenannten Realsozialismus, in dem die tayloristische Organisation der Produktion teilweise noch durchgreifender vorgenommen wurde als im Kapitalismus. [32] Selbst nach längerer Beschäftigung mit dem Phänomen Freie Software verblüfft es, immer wieder neue Aspekte zu entdecken. [33] Dies muß eingeschränkt werden auf nicht-kommerziell produzierte Freie Software, deren EntwicklerInnen also nicht bezahlt werden. Freie Software, die in Lohnarbeit entwickelt wird, unterliegt wegen der prinzipiellen Entfremdung der Lohnarbeit nur bedingt dem Selbstentfaltungsaspekt. [34] Es sei hier abgesehen von den ideologischen Modellen, die alle Menschen qua ihrer Sozialisation in ihren Köpfen haben. Es wäre allerdings interessant zu untersuchen, ob EntwicklerInnen verschiedener Kulturkreise signifikant zu verschiedenen Modellen neigen. [35] Politisch Interessierte aller Art sind z.B. eine Gruppe von Menschen, die im Internet ungleich viel leichter auf Gleichgesinnte treffen, als ihnen das in der weniger virtuellen Welt gelingen kann. Auch internationale Kontakte sind an der Tagesordnung. Doch auch HobbyistInnen jeglicher Couleur suchen und finden sich im Internet. [36] Daß dies so einfach ist, ist auch eine Folge der breit verfügbaren digitalen Kopierbarkeit, die durch Computer und Internet gegeben ist. [37] Die einzige Einschränkung, die die GPL potentiellen NutzerInnen auferlegt, ist, daß wenn sie veränderte oder originale Versionen der Software weitergeben, daß sie dann ebenfalls die Quellen mitliefern müssen. [38] Eine von Zeit zu Zeit aktualisierte Liste findet sich unter http://www.oekonux.de/projekt/links.html. [39] Auch diese Projekte finden sich unter http://www.oekonux.de/projekt/links.html. [40] Entwicklungen hin zu einer straffen, hierarchischen Führung der Organisation, wie sie insbesondere bei Greenpeace zu beobachten sind, sollen hier nicht verschwiegen werden. Allerdings würde ich dies für Fehlentwicklungen halten. Ähnliches gilt für die immer stärkere Einbindung der NGOs in die Planung der Herrschenden. [41] Möglicherweise ist die Rede von den getrennten Sphären Produktion und Konsumtion ohnehin vor allem der kapitalistischen gesellschaftlichen Form geschuldet und vielleicht verliert diese Trennung in einer GPL-Gesellschaft ihren Sinn. [42] Interessanterweise wurde ein ähnlicher Service über eMail zunächst von dem privaten Enthusiasten Frederik Ramm unter Mithilfe der Uni Karlsruhe realisiert. Es wurde damals die offizielle Bahn-CD für die Anfrage benutzt. Mit einigen Software-Tricks wurden die Ergebnisse der Anfrage dann in eine Mail gesteckt und der Anfragenden zugesandt. Die Bahn hat dann über die Herstellerfirma der Fahrplan-CD diesen Service irgendwann ins Web übernommen. [43] Mensch muß sich vor Augen halten, daß das Anklicken eines Links in einem Web-Browser unter Umständen erhebliche Kopieraktionen vom entfernten über zahlreiche Zwischenstationen bis auf den lokalen Rechner zur Folge hat. [44] Es sei allerdings angemerkt, daß auch die virtuoseste Beherrschung einer Textverarbeitung noch keine guten Texte garantiert. Aber immerhin ist das Ergebnis dann hübsch formatiert ;-) . [45] So sind Fälle bekannt geworden, in denen die Herstellerfirma einer bestimmten Software ihren KundInnen handelsübliche Disketten nach einer normalen Formatierung für teures Geld als notwendige Zusatzprodukte verkauft hat. [46] Die Konfigurierbarkeit ist in der Tat zum Teil auch eine Erbschaft von Unix: Es gibt kaum eine größere Spielwiese als ein gut ausgestattetes Unix-System ;-) . [47] Daß solche Eingriffe ein Minimum an Know-How erfordern, ist nicht ein übles Problem, daß aus der Welt geschafft werden könnte, sondern es handelt sich um eine Eigenschaft von Freiheit schlechthin: Nur wer über ein gewisses Wissen verfügt, hat viele Möglichkeiten, die sie dann nach freier Entscheidung nutzen kann. [48] Ganz am Anfang stand ein BOF-Treffen am Rande der 1. Wizards-of-OS-Konferenz [http://www.mikro.org/Events/OS/frameset_d.html?Submit=deutsch] im Sommer 1999. Die eMail-Adressen der knapp 20 dort Versammelten bildeten den Grundstock der Mailing-Liste. [49] Kein Vergleich mit so vielen politischen Mailing-Listen, in denen ungewöhnliche Gedanken von den Platzhirschbullen und -kühen sofort abgekanzelt werden. In solcher Atmosphäre kann kein weiterführender Gedanke entstehen, sondern nur das Altbekannte immer nur wiedergekäut werden. Aus den Schützengräben der SchlammschlachtenschlägerInnen steigt keine Freiheit, sondern nur das ewig Gleiche. [50] Erfahrungen mit anderen Mailing-Listen zeigen, daß Leute sich von einer Mailing-Liste abmelden, wenn der Traffic und/oder der Rauschanteil zu hoch wird. Wie die Statistiken [http://www.oekonux.de/projekt/statistik/liste/index.html] zeigen ist bei Oekonux jedoch eine mehr oder weniger lineare Steigerung der Anzahl der SubskribentInnen zu verzeichnen. [51] Richard M. Stallman betont allerdings immer wieder, daß es sich bei Freier Software um etwas Politisches handelt. Dieser politische Aspekt wird durch die Bezeichnung "Open Source" nachhaltig vernebelt und sollte daher nicht verwendet werden. [52] Vielleicht ist auch der hier stillschweigend vorausgesetzte Begriff von "politisch ausentwickelt" für eine Freie-Software-Bewegung unangemessen. [53] Eine unvollständige Auswahl: Linux-Verband (LIVE) [http://www.linux-verband.de/], Free Software Foundation (FSF) [http://www.fsf.org/], Free Software Foundation Europe (FSFE) [http://www.fsfeurope.org/], Association Pour la Promotion et la Recherche en Informatique Libre (April, Frankreich) [http://www.april.org/], Verein zur Förderung Freier Software (Österreich) [http://www.fsf.or.at/] [54] Eine Studie in der Bundesverwaltung, die den breiten Einsatz Freier Software befürwortet hatte, war nach kurzer Zeit wieder aus dem Web entfernt worden. Daraufhin startete der LinuxTag e.V. eine virtuelle Unterschriftensammlung, die die Verantwortlichen dazu brachte, innerhalb weniger Tage das verschwundene Dokument wieder verfügbar zu machen. [55] Vgl. insbesondere http://www.ffii.org/ [56] Tatsächlich bestehen sie möglicherweise noch fort. Für weitere Informationen zu diesem Punkt wäre ich dankbar. [57] Eine solche müßte also deutlich höher liegen als die heutige Sozialhilfe. [58] Gemeint ist eine Reproduktion der Lebensbedingungen ausschließlich durch Freie Güter. Heute ist eine Freie Reproduktion nur im Bereich der Software und einiger anderer Informationsgüter möglich. [59] Dabei kann sie auf eine breite Basis heimlicher Verbündeter stützen: Die MitarbeiterInnen in Verwaltung und Kapital, die Freie Software wegen ihrer Qualität schätzen oder einfach nur - auch wegen ihrer Prinzipien - sympathisch finden und sich daher z.B. für die Einführung Freier Software in ihren Einrichtungen stark machen. [60] Wenn die Anstrengungen des Projekts Oekonux einer solchen Bewegung hilfreich sein können, dann wäre das vermutlich das Schönste, was aus Oekonux werden kann. [61] Genaugenommen gilt dies für den Bereich digitalisierbarer Informationsgüter. Mit der heute verfügbaren Computer-Technik sind aber sehr viele Informationsformen auf Computern reproduzierbar, so daß diese Einschränkung eher gering ist. [62] Viele Zeitungen präsentieren ihre Inhalte heute bereits als kostenlosen Service online (siehe z.B. die Sammlungen http://paperball.fireball.de/ oder http://www.paperazzi.de/). [63] Diese Projekte beziehen sich in ihren Ideen oft ganz explizit auf Freie Software. Hier ist also sehr deutlich die Ausstrahlung zu registrieren, die Freie Software in andere Bereiche hat. Begünstigt wird das für den Hardware-Bereich durch die engen Bezüge zwischen Hard- und Software. [64] Ein besonders ambitioniertes und höchst spannendes Projekt außerhalb des Elektronikbereichs ist das OSCar-Projekt [http://www.theoscarproject.org/], bei dem ein Freies Auto entwickelt wird. Spannend insbesondere, wie hier ökologische Bedürfnisse zur Geltung kommen. [65] Wird Freie Hardware als solche verstanden, bei der die Entwürfe in einem Freien Prozeß erstellt werden, so gibt es bereits heute Freie Hardware. [66] Dies ist übrigens ganz analog zu der Entwicklung im PC-Bereich, bei der die Massenproduktion vereinheitlichter Bauteile zu einem permanenten Preisverfall geführt hat, der lediglich durch die permanente Leistungssteigerung einigermaßen kompensiert wurde. [67] Zum heutigen Zeitpunkt ist wohl noch nicht zu klären, inwieweit eine solche Produktion auf der Grundlage Freier Information billiger oder teurer wäre als proprietäre Massenproduktion. Insbesondere ist also heute nicht zu klären, ob und ggf. wann eine solche Materialisation auch für Arme eine Alternative zum Warenmarkt darstellen könnte. [68] Es ist ja pure Ideologie, wenn behauptet wird, daß Warenproduktion alles produziert, was Menschen zu ihrer Bedürfnisbefriedigung brauchen können. Da Waren für den Verkauf hergestellt werden, werden konsequenterweise keine Waren hergestellt, die nicht verkauft werden können - unabhängig von einem evt. vorhandenen gesellschaftlichen Bedürfnis. Es kann also tatsächlich nur solche Waren geben, bei denen sich das Bedürfnis nach ihnen mit einer gewissen Zahlungsfähigkeit kombiniert. Umgekehrt werden Luxuswaren hergestellt, nach denen das gesellschaftliche Bedürfnis verschwindend gering ist, dessen TrägerInnen sich aber einer hohen Zahlungsfähigkeit erfreuen können. [69] In einer entwickelten GPL-Gesellschaft gäbe es ein Außenverhältnis nicht mehr, da dann alle "innen" sind und folglich kein Außen mehr existiert. [70] Natürlich sind auch Rohstoffe kein prinzipielles Problem für die Erreichung einer GPL-Gesellschaft, da auch diese automatisiert abgebaut werden können. Die Entwicklung der Automatisierung im Bergbau, die - neben anderen Faktoren - in den letzten Jahrzehnten zu einem epochalen Arbeitsplatzabbau in den Kohlerevieren geführt hat, mag hierfür als bereits heute existierendes Beispiel dienen. [71] Ähnlich wie Freie Software auf jegliches Produktmarketing völlig verzichtet - oder wann hat es die letzte Marketingkampagne für eine neue Option bei grep gegeben? [72] Interessante Entwicklungen gibt es bereits u.a. in Indien. Gedanken dazu finden sich in The Bangalore Declaration on Information Technology for Developing Countries [http://www.csa.iisc.ernet.in/bangit/bangdec/bangdec.html]. Ein konkretes Hardware-Projekt ist der Simputer [http://www.simputer.org]. [73] Zahlreiche Vorteile, die Freie Software für Entwicklungsökonomien hat, sind in der Sammlung Freie Software - Chancen für Entwicklungsökonomien [http://www.merten-home.de/fsw_IIIwelt.html] zusammengetragen. [74] Vielleicht ist dieser Abschnitt besonders utopisch und auch besonders unfertig. Ich habe beschlossen, ihn dennoch zur gedanklichen Anregung mit in diesen Text hineinzunehmen. [75] Es ist interessant, wie der sonst so hochdynamische Kapitalismus an dieser Stelle durch den antagonistischen Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit massiv die Entwicklung der Produktivkräfte ausbremst. [76] Würde ein solches Prinzip auf die MitarbeiterInnen verschiedener Firmen ausgedehnt, so würde auch die Konkurrenz zwischen den Firmen gemindert. Eine weitere Entwicklung könnte sein, daß die produzierenden Organisationen, die aufgrund des heutigen Konkurrenzdiktats gegeneinander arbeiten müssen, sich zusammenschließen und mit vereinten Kräften für eine maximale Produktivität sorgen anstatt sich in Konkurrenzkämpfen aufzureiben. [77] Unerwartete Entwicklungen gibt es aber nicht nur hier. Wer hätte noch in der Mitte der 80er Jahre geglaubt, daß nur ein paar Jahre später die Sowjetunion nicht mehr existieren würde? [78] Ich benutze den Terminus "Regierung" hier mangels besserer Alternativen. Ob in einer GPL-Gesellschaft von einer Regierung in irgendeinem herkömmlichen Sinn gesprochen werden kann, ist eine offene Frage. [79] Die AtomkraftgegnerInnen haben hier vorgemacht, wie so etwas aussehen kann. Sie haben sich eingehend über die von ihnen kritisierte Technik informiert und konnten sich so eine auch auf fachlicher Ebene treffende Meinung bilden. [80] In den westlichen Demokratien stellt die Presse einen wichtigen Mittler zwischen politischem Geschehen einerseits und dem Wahlvolk andererseits dar. Als Mittler filtert die Presse die (ihr) verfügbare Information. Zwar ist diese Funktion einerseits nützlich um die Informationsflut vorzustrukturieren, andererseits dominieren die von der Presse verwendeten, äußerst schmalbandigen Filter die öffentliche Meinung heute oft in so hohem Maße, daß eher von Volksverdummung als von Information gesprochen werden muß. [81] Ein Diskurs, an dessen Ende eine Konsensentscheidung stehen soll, läuft über weite Strecken anders ab, als ein solcher, der in einer Mehrheitsentscheidung enden wird. Während bei einer Mehrheitsentscheidung die Mehrheitsfraktion aufhören kann zu diskutieren, sobald sie sich ihrer Mehrheit sicher ist, soll beim Treffen einer Konsensentscheidung keiner mehr widersprechen müssen - und nicht etwa alle zustimmen. Dadurch müssen sämtliche Bedenken im Zuge des Diskurses zumindest so ausgeräumt werden, daß die BedenkenträgerInnen mit der gefundenen Entscheidung leben können. Allein dieser simple Unterschied zwischen Mehrheits- und Konsensverfahren hat eine völlig andere Diskurskultur zur Folge. Die größere Tiefe des Diskurses und die vollständigere Einbindung aller Beteiligten verbessert einerseits die Qualität der Entscheidungen, andererseits vereinfacht sie die Umsetzung, da von den Beteiligten keine Widerstände zu erwarten sind, die die Umsetzung von Mehrheitsentscheidungen oft erheblich erschweren. [82] So geschehen im schon klassischen Konflikt zwischen dem früheren Team von gcc-EntwicklerInnen und der GNU/Linux-Gemeinde. Während die ursprünglichen EntwicklerInnen einen eher langsamen und geschlossenen Entwicklungsprozeß für richtig hielten, gab es bei den GNU/Linux-Leuten das Bedürfnis nach einer wesentlich schnelleren Entwicklung. Dieser lange schwelende Konflikt endete dann in dem neuen egcs-Projekt, das die GNU/Linux-Leute auf der Grundlage des alten Projekts aufsetzten. Allerdings haben sich die beiden Stränge mittlerweile wieder vereinigt. [83] Eine solche Aufspaltung, ein Fork wird allerdings nicht so gerne gesehen, denn das Nebeneinander der Projekte bindet Ressourcen, die in einem gemeinsamen Projekt sinnvoller verwendet werden könnten. [84] Dieser Dualismus zwischen Können einerseits aber auch Müssen andererseits ist ein Kennzeichen von Freiheit. Wenn ich einerseits die Freiheit habe, etwas so oder anders machen zu können, dann muß ich andererseits auch eine (verantwortliche) Entscheidung treffen, wie ich es denn nun machen will. [85] Die Versuche Wahlen ins Internet zu verlegen, bringen dagegen nur alten Wein in neue Schläuche. Letztlich wird ja lediglich das Verfahren geringfügig modifiziert während das Vertretungsprinzip nicht einmal angetastet wird. Es gibt allerdings einige wenige Initiativen von staatlicher Seite - oft einzelnen Abgeordneten - auch die inhaltliche Debatte ins Internet zu bringen. Solche Initiativen weisen schon eher in Richtung einer GPL-Gesellschaft. [86] Die gilt nur für rein kapitalistisch produzierte Waren. Insbesondere der Staat kann mit Subventionen die Produktion solcher Waren begünstigen. [87] Die Bewertung dessen, was der konkrete Nutzen eines Gutes ist, unterliegt dabei ebenfalls individuellen Maßstäben. Der konkrete Nutzen von Freien-Software-Projekten ist öfter einfach gewesen, programmierend zu erforschen, wie sich bestimmte Probleme lösen lassen. [88] Um Mißverständnissen vorzubeugen: Das Ermessen der ProduzentIn kann dabei durchaus gesellschaftlich beeinflußt sein. So ist es z.B. ohne weiteres denkbar, daß eine ProduzentIn eine gesellschaftliche Notwendigkeit als ihre Pflicht begreift und sich deswegen verantwortlich darum kümmert. Dies ist kein Widerspruch zur Selbstentfaltung der ProduzentIn sondern eine bestimmte Form der Selbstentfaltung. Freie Software zeigt, wie diese Momente harmonisch zusammenspielen können. [89] Spannend übrigens, das im OSCar-Projekt [http://www.theoscarproject.org/] genau solche Fragen eine ganz wichtige Rolle spielen. Während die etablierten Autohersteller sich um ökologische Optimierung nicht weiter scheren als aus Image-Gründen unbedingt notwendig, werden in diesem Freien Auto-Projekt solche Fragen eingehend diskutiert. [90] Welcher konkrete Nutzen wie gewichtet werden soll, ist dabei eine gesellschaftliche Frage, über die es einen gesellschaftlichen Diskurs geben muß. Dieser Diskurs wird Rückwirkungen auf die ProduzentInnen, aber auch die NutzerInnen der Produkte haben. [91] Aus ähnlichen Gründen sind die ProduzentInnen selbst auch an pflegeleichten, verstehbaren und langlebigen Produkten interessiert. Insbesondere hat eine Freie ProduzentIn kein Interesse mehr an einer vorzeitigen Alterung eines Produkts - sei es durch vermeidbaren Verschleiß oder durch gezielte Inkompatibilitäten. Beides ist bei proprietärer Software vom Schlage Microsoft übrigens fester Bestandteil der Profitmaximierung. [92] Freie Software führt dies bereits sehr schön vor. Dort spielt einerseits die Modularisierung funktionaler Einheiten eine noch größere Rolle als in der kommerziellen Software-Entwicklung. Andererseits ist Freie Software oft viel weitgehender konfigurierbar als kommerzielle Software. [93] Zu unterscheiden ist dies übrigens von der Maßanfertigung, bei der ein Produkt von Grund für eine ganz konkrete Situation hergestellt wird. Baukastensysteme bilden so gesehen ein Zwischending zwischen Maßanfertigung und einer standardisierten Massenproduktion. Mit steigender Flexibilität der Produktion ist zu erwarten, daß die Baukästen immer universeller werden. [94] Werbung ist vergleichbar mit Dünger, der für Pflanzen quasi eine Zwangsernährung darstellt. Die Werbetreibenden wollen genau wie die Düngenden einen Profit aus ihren Anstrengungen schlagen. Dies liegt aber weder im Interesse der Pflanzen noch der KundInnen. [95] Wie diese Projektmitglieder in diese Position kommen ist bei Freier Software sehr unterschiedlich. In einigen Fällen werden auch Rotationssysteme eingesetzt. [96] Verantwortlich handelt im Grunde jedes Projektmitglied - schon aus dem eigenen Interesse an einem gelingenden Projekt. Gesamtverantwortung meint hier, das Projekt als Ganzes und dessen Entwicklung im Auge zu behalten. Es handelt sich also um ein Feld von vielen, auf dem Verantwortung zu übernehmen ist. [97] MaintainerInnen-Tätigkeit ist in manchen Aspekten vergleichbar mit Führungsaufgaben. Allerdings sind in der kapitalistischen Kommandowirtschaft auch heute noch Befehl und Gehorsam an der Tagesordnung. Vertrauen und Kompetenz spielen oft nur eine untergeordnete Rolle gegenüber Macht- und Herrschaftsansprüchen einerseits und Abwehr von Zumutungen und stiller Verweigerung andererseits. Darunter leidet die kapitalistische Produktionsweise desto stärker, desto mehr der Arbeitsgegenstand kreativer Natur ist. [98] Lediglich allen geldbezogenen Kompetenzen werden in einer GPL-Gesellschaft auf dem Müllhaufen der Geschichte landen. [99] Vgl. http://www.cargocap.de/, das in der hitec [http://www.3sat.de/hitec.html]-Sendung Die Metropolen von morgen - Die Zukunft der Stadt [http://www.3sat.de/hitec/19094/index.html] vorgestellt wurde. [100] Allerdings darf solche Würdigung oder die mit einer öffentlichen Würdigung evt. einhergehende erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit nicht als eine Art Währung mißverstanden werden. Weder Würdigung noch Aufmerksamkeit erfüllen fundamentale Anforderungen an eine Währung. Insbesondere ist weder die Transitivität gegeben, noch ist auch nur annähernd klar, wie eine solche "Aufmerksamkeitswährung" gequantelt werden sollte. Andersherum läßt sich Aufmerksamkeit oder eine öffentliche Würdigung natürlich dort kapitalisieren, wo Aufmerksamkeit den Marktwert einer Person steigert. Aufmerksamkeit oder Würdigung mag sich also in manchen Fällen in eine Währung transformieren lassen, dadurch wird es aber noch nicht selbst zur Währung. [101] Dieses Prinzip der erhöhten Geldzahlungen aufgrund einer erhöhten Leistung kann überhaupt nur dann funktionieren, wenn in irgendeiner Form auf Leistungsbasis bezahlt wird. Wenn es für keine Leistung mehr eine Bezahlung gibt, dann kann auch eine besondere Leistung nicht mehr besonders bezahlt werden. [102] Die Studie Studies Find Reward Often No Motivator -- Creativity and intrinsic interest diminish if task is done for gain [http://www.gnu.org/philosophy/motivation.html] stellt fest, daß eine gesteigerte Bezahlung oft nicht als besonderer Anreiz für Kreativität und Interesse dienen. Damit widerspricht die Studie einer der fundamentalen Denkfiguren kapitalistischen Wirtschaftens. [103] Wie an vielen anderen Stellen im Kapitalismus zeigt sich hier ein Widerspruch zwischen gesamtgesellschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Interessen. Für die KapitalistIn ist nur entscheidend, daß ihr Produkt verkauft wird - ob das Produkt gesellschaftlich sinnvoll ist, ist ihr egal. So ist es betriebswirtschaftlich genauso sinnvoll medizinische Geräte herzustellen wie Tellerminen - solange der Absatz stimmt. Auch dies ist eine Folge der Abstraktion vom Gebrauchswert eines Produkts und der Konzentration auf seinen Tauschwert. [104] Wenn die massenhafte Anerkennung durch andere ein bedeutender Teil der Selbstentfaltung der ProduzentIn ist, dann hat sie natürlich durchaus ein Interesse an einer massenhaften Verwendung. Dies ist allerdings ein Spezialfall, der bei weitem nicht die Bedeutung hat, wie die Profitorientierung im Kapitalismus. [105] Das Bemühen der Freien ProduzentIn an einer möglichst hohen Qualität ihres Produkts kann einen Grund für ein Interesse an einem massenhaften Absatz liefern, denn viele (aktive) NutzerInnen können der ProduzentIn beim Aufspüren von Fehlern und Unzulänglichkeiten des Produkts helfen. [106] Da niemensch mehr ein Interesse an neuen (kaufkräftigen) Bedürfnissen hat, die sie dann mit den entsprechenden Waren zu decken gedenkt, erledigt sich damit auch die gesamte Frage der künstlichen Bedürfnisproduktion. [107] Dies wissen natürlich auch die KapitalistInnen und versuchen daher für ihre Produkte eine Nische zu finden, in der sie keinerlei Konkurrenzdruck zu bestehen haben. Die ggf. durch Patente abgesicherten sogenannten Alleinstellungsmerkmale erzeugen einen Überfluß an mehr oder weniger kleinen Unterschieden, der aber lediglich dem Wunsch der KapitalistInnen entspricht, sich nicht der Konkurrenz stellen müssen. Für eine möglichst hohe Produktqualität wäre es dagegen viel sinnvoller, alle nützlichen Features in einem Produkt zusammenzufassen. [108] Es gibt in der Geschichte des Kapitalismus einige Beispiele dafür, wie nützliche Erfindungen meist einzelner ErfinderInnen von Kapitalgruppen des entsprechenden Sektors aufgekauft wurden - um für immer in der Schublade zu verschwinden. Auch dies ist ein Beispiel für den Mißbrauch guter Ideen im Kapitalismus. [109] Bereits mehrfach angesprochen wurde, daß der Wunsch nach hoher Qualität an sich schon ein Teil von Selbstentfaltung sein kann. Ebenfalls schon angesprochen wurde, daß zufriedene NutzerInnen auch für die ProduzentIn eine Entlastung sind. [110] Auch in der Wissenschaft gibt es gelegentlich Peer-Review-Techniken. Da allerdings praktisch alle WissenschaftlerInnen Verwertungszwängen unterliegen, haben alle WissenschaftlerInnen ein Interesse an einer möglichst positiven Bewertung ihrer eigenen Arbeit. Es bildet sich auf diese Weise schnell ein System gegenseitiger Gefälligkeiten aus, das der Qualität der Arbeit alles andere als dienlich ist. [111] Dies bedeutet freilich nicht, daß es Konkurrenz völlig verschwinden würde. Einerseits spricht nicht viel gegen mehrere Alternativen in einer bestimmten Güterklasse, die aus dem einen oder anderen Grund entstanden sind. Andererseits ist es aber auch denkbar, daß es zwischen Alternativprodukten konkurrenzartige, also wettstreitende Verhältnisse geben wird. Entscheidend ist aber, daß diese Konkurrenzen einen völlig anderen Charakter haben werden als die im Kapitalismus bekannten. Insbesondere hängt in einer GPL-Gesellschaft niemenschens Überleben von einem Sieg in einem Konkurrenzkampf ab. [112] Gewisse Ressourcen werden natürlich auch in einer GPL-Gesellschaft knapp bleiben - es gibt eben weder unbeschränkt viele Rohstoffe noch eine unbeschränkte Regenerationsfähigkeit von Natur. In einer GPL-Gesellschaft wäre es aber ein gesamtgesellschaftliches Interesse, Knappheit zu minimieren und mit den vorhandenen Mitteln möglichst viele Bedürfnisse zu befriedigen. [113] Besonders augenfällig ist dies im Bereich der Software, wo es jenseits der Verwertungsinteressen der ProduzentInnen überhaupt keinen Grund für eine Verknappung gibt. Es ist vermutlich kein Zufall, daß sich die Keimform einer GPL-Gesellschaft gerade auf diesem Gebiet entwickelt hat, wo die Widersprüche zwischen Machbarem und Erlaubtem so eklatant sind. [114] Hier kommen auch alle Sozialhilfebemühungen in Schwierigkeiten, da diese den Zwang zum Geldverdienen tendenziell mildern und somit eigentlich systemfremd sind. Nicht umsonst gibt es ein Lohnabstandsgebot, das selbst miserabelst bezahlte Lohnarbeit attraktiver machen soll als Sozialhilfe. Wird wie heute aufgrund der gesellschaftlichen Gesamtkonstellation diese Armutspeitsche immer weniger als Arbeitszwang verstanden, so werden SozialhilfeempfängerInnen immer öfter direkt zu Arbeit herangezogen, die praktisch gar nicht mehr entlohnt wird und reguläre Arbeitsplätze tendenziell verdrängt. Ein Paradebeispiel für den Fetischcharakter der Arbeit, dem umso mehr gehuldigt wird, je stärker das gesamte Arbeitssystem in die Krise gerät. [115] Notwendigkeiten, die im menschlichen Leben immer vorkommen werden, haben zwar auch einen Zwangscharakter, jedoch ist er hier ganz konkreter, einsehbarer Natur und wird nicht durch äußere abstrakte Einrichtungen erst hergestellt. [116] An dieser Stelle nochmals der Hinweis, daß alles Gesagte zunächst ausschließlich meine Meinung darstellt und nicht eine irgendwie geartete Projektmeinung vertritt.