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[ox] Tausch & Utopie



Hallo Stefans, Sabine & Sonstlistige

Um auf ein paar zusammenhängende Punkte einzugehen, die immer wieder
verstreut auftauchen,  mach ich mal einen neuen Thread auf:

1. Ökonomie der Aufmerksamkeit, Reputation, etc.:

Ich stimme Stefan Mertens letzten Ausführungen nachdrücklich zu. Letztes
Jahr gab es in der IMD-Liste eine ausführliche Diskussion zu Thema
»Ökonomie der Aufmerksamkeit«, in der ich darauf aufmerksam machte, daß
Aufmerksamkeit

* kein Eigentum sondern etwas vorübergehend geliehenes ist,

* von den Anlässen und Gegenständen, denen sie gilt, kaum ablösbar ist,

* deshalb normalerweise weder hortbar noch handelbar ist,

* in den meisten Situationen eher asymmetrisch verteilt ist

* und last not least keinesfalls immer als Bonum sondern oft auch als Malum
erfahren wird.

Letzteres geht nicht nur den Objekten der Herzblatt-Reporter so. Auch die
Banker,  die der Züricher Volksmund nicht zufälligerweise Gnomen nennt,
ziehen es vor, ihre Geschäfte diskret im Dunkeln abzuwickeln.

Das alles gilt analog auch für die Reputation. Im Hintergrund solcher
Versuche scheint mir der Imperialismus des neoliberalen Weltbildes zu
stehen. Alles muß irgendwie als Äquivalententausch verstehbar sein. Es darf
keine Ausnahmen geben. Die Beiträge von ESR und RAG bedienen vor allem
dieses ideologische Bedürfnis. Sie betreiben Weltbild-Stabilisation (mhr zu
ESRs Thesen wird in meinem Beitrag zur FIfF Kommunikation 3/99 stehen).
Letztlich geht es bei der Verabsolutierung des Äquivalententauschs zum
durchgängigen Prinzip von Gesellschaft darum, die universale Gerechtigkeit
der neuen Welt(markt)ordnung darzutun. Jede(r) erhält, was sie (er)
verdient. »Jedem das Seine« war so ein Spruch, der auch auf KZ-Toren stand.

Wert ist eine Abstraktion, die die Güter der Ökonomie kommensurabel machen
soll. Die entwickelten Tauschgesellschaften haben eine gesellschaftliche
Institution entwickelt, die dem Wert eine konkrete Form gibt: das Geld.
Marx und vor ihm schon die älteren bürgerlichen Ökonomen glaubten, die
gesellschaftliche Substanz des Wertes in der Arbeit fassen zu können. Der
so gefaßte Wert ist jedoch unmittelbar weder durch den monetären Preis
einer Ware noch durch das konkret in ihr steckende Arbeitsquantum (den Wert
bestimmt die durchschnittlich, beim Stand der Produktivkräfte notwendige
Arbeitszeit) zu messen. Was bleibt ist nur die Hypothese, daß der Markt
letztlich die Proportionalität von Preis und Wert herstellt (in dieser
Hinsicht hatte Marx ein ähnliches theologisches Vertrauen in den Markt wie
die Neoliberalen ;-).  Daß das in einer von Monopolen beherrschten
Wirtschaft stattfindet, halte ich für extrem unwahrscheinlich. Das beste
Gegenbeispiel ist M$. Die Annahme, daß die Wertabstraktion sich auf alle
menschlichen Lebensäußerungen ausdehnen ließe, oder genauer: ihnen
eigentlich zugrunde liege, ist jedenfalls recht abenteuerlich. Das wird
zwar immer wieder versucht, scheitert jedoch regelmäßig.

Um etwas Verallgemeinerbares über die Motivation derer zu sagen, die zu
freier Software oder irgendwelchen Foren beitragen, wissen wir einfach
nicht genug. Es sind ja auch so wenige (sicher deutlichweniger als 1% der
Internet-Teilnehmer), daß wir es sicher mit einem Verhalten zu tun haben,
das in keiner Weise repräsentativ für die Gesamtheit ist. Deshalb läßt sich
daraus auch nicht die Logik der ganzen Sache destilieren. Daß diese wenigen
Beiträge solche Wirkung haben, liegt doch an daran, daß das Internet als
Verstärker wirkt (sofern genügend Leute zuhören). Die überwiegende Mehrheit
davon sind reine Konsumenten, die kein Bedürfnis verspüren, keine Zeit
haben oder sich vielleicht auch nicht für fähig halten, etwas in den Topf
zu werfen.

In der Regel findet also keinesfalls ein Äquivalententausch statt und was
die angeht, die doch etwas beitragen, darf man getrost annehmen, daß wir es
hier mit einer Pluralität von Motiven zu tun haben. Daß sie das als Tausch
verstehen, ist eher unwahrscheinlich, da die/der Einzelne ja auch etwas
bekommt, wenn sie/er nichts in den Topf tut. Und wenn sie/er etwas
hineintut, dann vergrößert sich der Topfinhalt um genau diesen Beitrag den
sie/er ohnehin schon hat. Mehr kommt dabei nicht rum.  Vom Standpunkt der
Tauschlogik ist das schlicht irrational, was solche Leute machen. Die
Tauschrationalität, die RAG konstruiert, ist Schein. Er begeht hier einen
naturalistischen Fehlschluß, indem er stillschweigend ein ethisches Motiv
(die Suche nach einem moralischen Gleichgewicht) als ökonomisches
unterschiebt.

Es gibt einfach eine Vielzahl von nicht tauschrationalen Motiven: Hier
kämen von dem Verlangen nach Berühmtheit oder Reichtum (auf Umwegen, die in
einer Gesellschaft, die immer mehr nach dem Prinzip »the winner takes all«
funktioniert, mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zum Erfolg führen und
deshalb so wenig wie das Lottospielen als tauschrational gelten können)
über die Begeisterung am Programmieren oder guter Software, dem Bedürfnis
nach sozialem Kontakt und Meinungsaustausch, bis zu der moralischen
Überzeugung, daß man der Allgemeinheit auch etwas geben muß oder zu Zielen
wie dem, Bill Gates oder gar den Kapitalismus zu stürzen, alles Mögliche
(auch in Mischung) in Frage.


2. Transaktionskosten

Es stellt ein grobes Mißverständnis dar, die Transaktionskosten mit den
Kosten der elektronischen Verteilung gleichzusetzen. Gerade der Einsatz
»kostenloser« Produkte aus dem Internet kann mit horrenden
Transaktionskosten verbunden sein. Die Informationsbeschaffung,  die
Produktauswahl, der Einkauf von Support etc. können hier sehr aufwendig
sein.  Auch mit  kommerziellen Produkten liegen diese bei
Systemeinführungen in großen Unternehmen hoch genug -  oft höher als die
Lizenzkosten für die Software oder die Hardwarekosten. Solange die Leute
aus der Freien Softwareszene den IT-Typen aus der Industrie auf geneue
Fragen nur antworten »das gibts doch alles irgendwo, irgendwie umsonst im
Internet« werden die sie nicht ernst nehmen.


3. Qualität & unfehlbare Methoden

Vielleicht sollte man zur Kenntnis nehmen, daß die Qualität
freier/quellenopffener höchst unterschiedlich und das meiste halt nicht
besonders innovativ ist. Stefan Merten hat völlig recht, wenn er darauf
hinweist, daß vieles von dem GNU/Linux-Zeug keinesfalls »the leading edge
of software technology« repräsentiert. Und ganz besonders:  Ein
monolithischer Unix-Kernel, ein HTTP-Deamon und dergleichen sind wirklich
Schnee vom vorletzten Jahr. Einer meiner Ex-Studenten, der tatsächlich mit
(universitären) Leading edge developments im OS-Bereich zu tun hat,
erzählte mir kürzlich, ihm würde immer ganz schlecht werden, wenn er (zu
Vergleichszwecken) mal wieder in die Kernel sources von Linux schauen
müßte.  Der (nicht einem Bazar im Stil von ESR entsprungene sondern auf
einen zentralistischen, strukturierten Ansatz zurückgehende) BSD-Code sei
von ungleich höherer Qualität. Ganz zu schweigen etwa vom TeX-Code, der
schließlich aus der Hand eines einsamen Meisters stammt. . .

Ich hab auch meine Zweifel, ob man ESRs Bazar so utopisch aufladen sollte,
wie das Stefan Meretz tut. Was ESR anbietet, sind doch nur ein paar
Anekdoten. Von Methode keine Spur.  Auch nicht von Beweisen für seine
großspurige Behauptung, Brooks Law falsifiziert zu haben (wo bitte sind die
softwaremetrischen Daten?). Ich glaub auch nicht, daß dies ein Paradigma
für anspruchsvolle, wirklich innovative und gesellschaftlichen Bedürfnissen
gerecht werdende freie Projekte ist. Vielleicht scheint in der bei
GNU/Linux sichtbar werdenden spontanen Bereitschaft einiger Menschen,
etwas beizutragen zu einer gemeinsamen Sache, die zumindest unmittelbar
zwar keine monetär Kompensation, dafür jedoch die Möglichkeit bietet, in
Maßen selbstbestimmt und gebrauchswertorientiert zu arbeiten,  ein
utopisches Potential durch, doch bis zu einem konkreten Modell, das dieses
Potential demonstriert, sind doch noch ein paar methodische,
organisatorische und ich glaube auch politische Probleme zu lösen.

Nischen nicht der Kapitalverwertung unterliegender Arbeit gab es - von der
Nachbarschaftshilfe über die mildtätigen Vereine bis zum Hobby - schon
immer. Auch diese Formen haben oder hatten unter bestimmten Bedingungen ein
politischs Potential. Auch die Arbeiterbewegung (vor allem in ihren
anarchistischen Spielarten) knüpfte an Traditionen und die darin gewonnenen
Erfahrungen der gegenseitigen Hilfe an und versuchte sie auch
weiterzuentwickeln. Aus der Tatsache, daß die Autoren  freier Software sich
in einer anderen Konstellation zum Inhalt ihrer Arbeit und zu deren
Adressaten befinden als es bei jenen herkömmlichen Formen der Fall ist,
folgt allein noch nicht, daß  es sich hier um eine systemsprengende Kraft
handelt.  Es könnte sich auch nur um eine neue Nischenform für
weiß-der-Geier welche devianten Motivationslagen handeln. Solange es solche
Motivationslagen gibt, besteht wenigstens Grund zu der Annahme, daß der
Markt noch nicht alles aufgefressen hat.

Politisch fruchtbar wäre meiner Meinung nach das Insistieren auf den
öffentlichen Charakter freier Software, die deshalb auch eine Sache der
Öffentlichkeit und nicht bloß von Subkulturen oder gar des Marktes ist. Es
ist z. B. eine politische Aufgabe, Rahmenbedingungen zu  schaffen, die der
freien Software das Überleben oder gar Prosperieren ermöglichen. Die
Ausgestaltung des Patentrechts, des Haftungsrechts,
Zertifizierungsverfahren etc. gehören hierzu.


4. Fordismus, Taylorismus & Toyotismus

Stefan Meretz verwendet die Begriffe Fordismus und Toyotismus als
Bezeichnungen für konkrete Formen der Arbeitsorganisation. Die Schöpfer
dieser Begriffe (die Theoretiker der französischen Regulationsschule wie
Lipietz, Aglietta, u. a.) verstehen darunter jedoch ganze Ensembles von
(rechtlichen, politischen, sozialen) Reglements sowohl auf betrieblicher
als auch auf gesamtgesellschaftlicher Ebene, die jeweils nicht nur einer
Stufe der Produktivkraftentfaltung entsprechen sondern auch einen (die
Machtverhältnisse reflektierenden) Klassenkompromiß darstellen. Daß der
Toyotismus keine für die Arbeit besonders günstigen Machverhältnisse
reflektiert, dürfte sich schon herumgesprochen haben.

Reduziert man Fordismus auf die Arbeitsorganisation und hierin speziell auf
die Fertigung am Fließband, dann trifft der Begriff die Realität im Europa
der Nachkriegszeit sehr schlecht.  Für Massenproduktion nordamerikanischen
Stils waren hier meist die Märkte zu klein. In den wichtigsten deutschen
Industriezweigen, dem Maschinen- und dem Anlagenbau spielte und spielt das
Fließband praktisch keine Rolle. Auch in der Bauindustrie, der in praktisch
jedem Land eine große Bedeutung zukommt, gibt es keine Fließbänder. Wie
kann ein Modell, das nur für einen kleinen Bruchteil der Arbeitspätze
maßgeblich ist, zum Signum einer Epoche werden? Das ist so einfach nicht
plausibel.

 Selbst wenn man dabei bleibt, den Fordismus nur von der
Arbeitsorganisation her verstehen zu wollen, berührt man mit dem Hinweis
auf das Fließband höchstens die Oberfläche. Das Entscheidende an der
Fordschen Innovation war jedoch garnicht das Fließband sondern die Montage
aus standardisierten, vorfabrizierten Teilen. Die ist zwar eine notwendige
Bedingung für das Fließband, bietet jedoch auch unabhängig davon viele
Vorteile. Allerdings setzt das die horizontale Integration des gesamten
Fertigungsprozesses voraus (die Teile sollen ohne Nachbearbeitung
zusammenpassen) und genau das macht die Schwierikeit des Übergangs zur
fordistischen  (in diesem Sinne) Industrieorganisation aus. Das Scheitern
der Sowjetunion und von (um auch einmal ein kapitalistisches Beispiel zu
nennen) Großbritannien als moderne Industrienationen hatte genau damit zu
tun, denn dieser Schritt hat eben gesellschaftliche Voraussetzungen, die
weit über die unmittelbare Arbeitsorganisation hinausreichen.

Es ist deshalb auch unzulässig, Fordismus (auch industrieorganisatorisch
verstanden) und Taylorismus gleichzusetzen. Taylorismus hat mit der
vertikalen Integration der Arbeitsprozesse ausgehend von deren
Top-down-Zergliederung zu tun. Die beiden finden sich zwar oft zusammen,
können jedoch auch unabhängig von einander auftreten. Vor allem jedoch:
Wenn man auf das Entscheidende: die horizontale Integration schaut, dann
ist auch der Toyotismus fordistisch. Er ist sogar dessen konsequente
Weiterentwicklung, weil er dessen Prinzip über die Fabrik hinaus auf ganze
Netze von Fertigungsstätten (auch unterschiedlicher Unternehmen) und
gleichzeitig auch noch auf eine Vielzahl von Produktvarianten ausdehnt. Er
erweitert den Integrationsbereich flexibel sowohl hinsichtlich der
einbeziehbaren Fertigungsstätten als auch hinsichtlich des herstellbaren
Produktspektrums.  Hierzu sind sowohl die vernetzten IT-Systeme (die nicht
die Produktivität sondern die Flexibilität steigern) als auch (unter
bestimmten Bedingungen) die »neuen« Arbeitsformen instrumentell. So neu
sind sie nicht: In Deutschland gab es auch in der Automobilindustrie bis in
die 60er Jahre noch in manchen Bereichen Gruppenarbeit. Die Souveränität,
die die gewährt, ist unter den heutigen Bedingungen jedoch vor allem die
zur gegenseitigen Disziplinierung, sprich: zur gruppeninduzierten
Intensivierung der Ausbeutung.

Ohne Zweifel hat sich in den letzten Jahrzehnten in der unmittelbaren
Arbeitsorganisation an manchen Orten manches geändert, doch ich halte es
für problematisch, darin das Wirken sekularer Tendenzen von
geschichtsphilosophischem Gewicht sehen zu wollen.  Empirische
Untersuchungen zeigen auch, daß die organisatorischen Innovationen bezogen
auf die ganzen Volkswirtschaften viel geringeren Umfangs sind als z. B. in
der Managementliteratur behauptet. Es gibt nach (so glaubte man damals)
vielversprechenden Ansätzen zu mehr Produzentensouveränität in den 80er
Jahren auch eine nicht zu unterschätzende Bewegung zurück zu den alten
Formen. Das Wort von der Retaylorisierung macht die Runde. Vielen
Unternehmen ist der Aufwand mit den neuen Formen viel zu groß und der
Erfolg zu ungewiß. Man sollte sich einfach nicht durch die paar
Glitzerbeispiele blenden lassen, die kurzfristig irgendwelche Schreiber der
Managementpresse enthusiasmieren.

Vielleicht hat Stefan schon recht damit, daß das Kapital den Faktor der
Subjektivität mobilisieren müßte, um die Stagnation zu überwinden; doch
anscheinend hängen da die Trauben einfach zu hoch oder es geht wohl, auch
da gebe ich Stefan recht, grundsätzlich nicht. Ganz trivial war die Lehre
aus der Krise der 70er doch, daß Mehrwertproduktion eben doch die
Ausbeutung von Arbeit erfordert und daß Überakkumulation die Realisierung
des Mehrwerts gefährdet und generell die Profitrate schmälert. Bestimmt hat
das Kapital mehr von Marx gelernt als die Arbeiterbewegung, deren
degenerierte Reste sich gerade endgültig ins geschichtliche Aus befördern
(»Blair + Schröder = Blöder« dichtete kürzlich ein WOZ-Redakteur).  Mit
oder ohne Gruppenarbeit und Entfesselung der Subjektivität wird unter
Toyotismus die vom großen Kapital zu Lasten der Arbeit und des kleinen
Kapitals gewonnene Flexibiliät auf der Ebene der Arbeitsbeziehungen und der
industriellen Beziehungen, doch auch gegenüber dem Staat (durch
Outsourcing, »flexible« Arbeitsregelungen, »flexible« Vernetzung,
»flexible« Lieferverträge inklusive Just-in-time-Lieferung, präkäre
Arbeitsverhältnisse, Deregulation, Steuersenkungen, etc.) zu verstehen
sein.

Daß ESRs Bazar einfach nur der nächste logische Schritt in der Entwicklung
der Produktivkräfte und der Arbeitsbeziehungen sei, kann ich beim besten
Willen nicht erkennen. Man könnte das in der Form, in der ESR es verkauft
höchstens als Nulltarif-Outsourcing (wenn man von den Transaktionskosten
absieht, von denen ESR keinen rechten Begriff zu haben scheint) in das
bestehende Arsenal integrieren. Die Koordinationsprobleme, die eine
gebrauchswertorientierte Produktion (die sich doch irgendwie an den
gesellschaftlichen Bedürfnissen orientieren müßte; die spontane Akklamation
von Subkulturfragmenten reicht da doch nicht aus) aufwirft, sind dort
nirgendwo angesprochen, geschweige denn gelöst.

Btw: die Produktivitätskurve in Stefan Meretz GNU/Linux-Aufsatz liegt weit
neben der Realität:  Dort wird sie nicht immer steiler sondern flacht seit
Jahrzehnten ab (trotz aller großartigen Computerei, die doch angeblich so
produktivitätstreibend sei).


5. Algorithmischer Technikbegriff

Richtig unglücklich bin ich über Formeln wie die von der »Algorithmisierung
der Produktion«., die der Fordismus angeblich durchführe. Wenn die
Beschreibung eines stofflich-energetischen Prozesses (oder ein solcher gar
selbst) ein Algorithmus ist, dann sind das Handwerk oder sonstige, ganz
lebenspraktische Tätigkeiten so algorithmisch wie die Fertigung am
Fließband. Es gibt dann kein mehr oder weniger von Algorithmizität sondern
höchstens mehr oder weniger komplizierte Algorithmen.

Doch dieser ganze Ansatz wird weder der stofflichen Produktion noch der den
Algorithmen gerecht. Ein Algorithmus ist weder ein stofflicher Prozeß noch
kann er einen solchen beschreiben. Hinter diesem Glauben steckt schlicht
ein magischer Fehlschluß, der darauf beruht, einem höchst abstrakten
mathematischen Gebilde zuzutrauen, daß es durch die Kraft willkürlicher und
für die Zwecke der Algorithmik völlig bedeutungsloser Namen Macht über
stoffliche Dinge und Prozesse gewinnen oder solche zumindest denotieren
könnte. Ein Algorithmus ist ein mathematisches Objekt (eine
Äquivalenzklasse formaler Gebilde, denn z. B. auf die verwndeten Namen
kommt es nicht an)  mit einer mathematischen Semantik. Nichts, aber auch
garnichts an einem Algorithmus kann sich auf irgendwelche stofflichen Dinge
oder Prozesse beziehen.

Stoffliche Dinge und Prozesse sind halt stoffliche Dinge und Prozesse und
ihr Beschreibungen kann man nur mit Algorithmen verwechseln, wenn man
keinen präzisen Begriff von einem Algorithmus hat. Und die universelle
Maschine der Algorithmik ist keine stoffliche Maschine, die etwa sowohl
Brötchen backen als auch Kaffee kochen und Gewinde drehen könnte, sondern
ein mathematisches Gebilde, das weder von Brötchen, noch von Kaffee oder
Gewinden etwas weiß.

Die Ausführung eines Programms (eines Repräsentanten eines Algorithmus) auf
einem Rechner ist dagegen ein stofflich-energetischer Prozeß, über dessen
genaue Beschaffenheit der Algorithmus nichts aussagt. Unter einer
entsprechenden Interpretation kann man natürlich jeden
stofflich-energetischen Prozeß als Ausführung eines Programms (sogar von
beliebig vielen) ansehen und überhaupt jedes Ding und jede Maschine als
Computer. Deshalb ist es auch nicht falsch, industrielle Maschinen
»festverdrahtete analoge Spezialcomputer« zu nennen (unter einer anderen
Interpretation kann man sie auch als Digitalcomputer auffassen), aber das
ist völlig beliebig und sagt überhaupt nichts über ihre
stofflich-energetische Funktion, um deren willen sie da sind.

Ich finde dieses »algorithmische« Technikverständnis in der gegenwärtigen
Situation auch deshalb so fatal, weil es den Leuten in die Hände arbeitet,
die das Patentrecht auf Algorithmen ausdehnen wollen. Die Unterscheidung
zwischen stofflicher, den Einsatz beherrschter Naturkräfte involvierender
Technik und Software besteht jedoch aus gutem Grund und man sollt alles
unterlassen, was geeignet wäre, ihn zu verwischen.

Dieses »algorithmische« Technikverständnis versteht weder die Technik noch
die Algorithmik. Es ist die Ausgeburt einer Schule der Techniksoziologie
(Bammé, Rammert, Heintz), die sich mit keinem der beiden Gegenstände tief
genug eingelassen hat. Zu den verqueren Ableitungen der Frau Heintz hab ich
schon vor Jahren das Nötige bemerkt: nachzulesen unter
<http://www.rainer-fischbach.com/texte/technik-begriff.ps.gz>

So, jetzt kann ich mich fragen, weshalb ich das schreibe und abschicke ;-)

Liebe Grüße

Rainer







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  Rainer Fischbach    \_\_\_\_\_\_\_\_\_\_\_    Fon [PHONE NUMBER REMOVED]
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