Message 00215 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT00215 Message: 1/1 L0 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

[ox] Interview mit Richard Stallman



Hi Liste!

Anbei ein Interview mit Richard Stallman, das in der c't 16/99
erschienen ist.

Es darf wegen der Copyright-Lage nicht im Web erscheinen, weswegen ich
auch verhindern werde, daß es in unser Archiv gelangt. Bitte tut
solches auch nicht.

Replies, die einzelne Teile einschließen, sollten aber unkritisch
sein.


						Mit li(e)bertären Grüßen

						Stefan

--- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< ---

Freiheitskämpfer

Entwickler freier Software gegen Patentierung

Heinrich T.Feuerbach, Peter Schmitz

Während die einen dafür kämpfen, dass sich Software-Ideen in gleicher
Weise wie Hardware-Erfindungen patentrechtlich schützen lassen, laufen
Vertreter der Free-Software-Bewegung dagegen Sturm: Sie halten diese
Gleichstellung für unangebracht, erachten Patentschutz generell als
fortschrittshemmend. Einer der profiliertesten und vielleicht auch
extremsten Sprecher dieser Gruppe ist Richard M. Stallmann, der als
Gründer des GNU-Projekts die General Public Licence als Magna Carta
für die Freiheit von Software-Know-how hochhält.

Hacker-Legende, Querdenker, witziger und mitreißender Redner, zugleich
Identifikationsfigur für zahlreiche Linux-Freunde: Es ist schwer, sich
der Faszination des Richard M. Stallman zu entziehen. Der Vorsitzende
der Free Software Foundation [1] versucht in aller Welt, auch in
Deutschland, Überzeugungsarbeit gegen die Patentierung von
Software-Know-how zu leisten. Für ihn ist es Ausdruck eines
Menschenrechts, Software frei nutzen, verändern und verarbeiten zu
können und dies auch im gemeinschaftlichen Miteinander einer
weltweiten Entwicklergemeinde zu praktizieren. Der Amerikaner Stallman
hat die Auswirkungen des amerikanischen Patentwesens [2] selbst zu
spüren bekommen: Zu Beginn der Achtzigerjahre wurde er daran
gehindert, ein von ihm selbst geschriebenes Programm weiter zu
entwickeln, da sein damaliger Arbeitgeber Rechte darauf angemeldet
hatte.

Seit den Siebzigerjahren ist die Software-Szene in den USA aus den
Händen begeisterter Chaoten zunehmend in die Hände knallhart
kalkulierender Manager übergegangen -- so sehen es zumindest viele
Bitbeißer der ersten Stunde. Irgendwann war es nicht mehr möglich,
einen Computer überhaupt zu betreiben, ohne die geschützte Software
des jeweiligen Herstellers zu benutzen, deren Quellcode natürlich
geheim ist. Programmierer wie Richard Stallman fühlten sich davon
eingeengt. So entstand die Idee, alle zum Betrieb eines PC notwendige
Software von Grund auf selbst zu entwickeln. Unix diente als Vorbild.
1984 fiel der Startschuss, und im Lauf der Jahre entstand ein zu Unix
kompatibles freies Betriebssystem. Stallman und seine Mitstreiter
nannten es "GNU". Dieses Akronym, das sich selbst enthält, stellt
einen Fachwitz dar, den heute kaum noch jemand versteht: "GNU is Not
Unix". Der Finne Linus Torvalds entwickelte den Kernel. Das ganze
System wurde schließlich als Linux bekannt, wobei es ein offener
Streitpunkt geblieben ist, ob es sich dabei vorwiegend um eine
Anspielung auf Torvalds' Vornamen oder -- in Anlehnung an GNU -- um
die wiederum sich selbst enthaltende Abkürzung für "Linux Is Not UniX"
handelt.

Die Bewegung um das GNU-Projekt herum gewann schnell weltweit
Anhänger. Entwickler wie Stallman nennen ihre Programme "Free
Software" (FS). In allerjüngster Zeit hat sich besonders in Europa
unter Linux-Freunden die Zielvorstellung der "Open Sources" oder "Open
Software"(OS) gebildet. Dabei geht es um Programme, deren Quelltext
jedem Nutzer offen steht -- also durchaus ein Anliegen, das dem der
GNU-Pioniere verwandt ist. Letztere jedoch wollen weit mehr als nur
den Aspekt,die Quelltexte von Programmen einsehen zu können.

Stallman selbst gilt als extrem und radikal, aber auch als Ikone einer
Bewegung, die schon viel erreicht hat: Selbst große Firmen wie IBM
geben heute, wenn sie etwa Linux für ihre Systeme anpassen und
abändern, das Ergebnis frei.

c't: Mr. Stallman, Sie sind als Vater des GNU-Projekts bekannt. Wenn
man Sie mit der Open-Source-Bewegung in Verbindung bringt**...

Stallman: Nein, damit habe ich nichts zu tun. Ich habe die Bewegung
für freie Software gegründet. Wir wollen nicht nur technische Fragen
ansprechen, sondern ebenso die gesellschaftlichen Hintergründe und die
Beziehungen untereinander. Wir müssen bei allem auch berücksichtigen,
dass wir in einer Gemeinschaft leben. Das hängt für uns stark mit der
Frage der Freiheit zusammen. Während die OS-Bewegung diese Frage
vermeiden will, halte ich sie für entscheidend.

c't: Sie werden oft mit dem Ausspruch zitiert, dass der Unterschied
ähnlich dem von "Freibier" und "freier Rede" ist. Können Sie das näher
erklären?

Stallman: Manche Sprachen wie Englisch und Deutsch haben keine so
klaren Worte für "frei" im Sinne von "Freiheit".

c't: Viele verstehen unter "freier Software" einfach kostenlose
Programme.

Stallman: Leider gibt es kein besseres Wort dafür. Und die Bezeichnung
"Open Source" ist auch problematisch. Sie impliziert, dass es nur um
den Einblick in den Quelltext der Programme geht. Den Quelltext zu
sehen, ist aber nur ein Teil des Ganzen. Wir wollen das auch, aber
eben nicht nur. Wir wollen, dass man die Programme auch noch
weiterverteilen darf, und zwar auch mit eigenen Änderungen. Bei OS
sagt man, der wichtigste Punkt sei, leistungsstarke Software zu
produzieren. Aber wir halten die Freiheit dabei für den wichtigsten
Punkt.

c't: In Paris trafen sich kürzlich Vertreter der Patentämter aus den
verschiedenen europäischen Staaten, um über eine Änderung des
traditionellen Patentrechts zu sprechen. Nach diesem sind
Computerprogramme "an sich" nicht patentierbar. Viele rechnen damit,
dass das geändert wird. Wie stehen Sie dazu?

Stallman: Das ist eine Katastrophe -- und zwar für alle, die Software
entwickeln. Besonders große Softwareprojekte mit sehr vielen
Funktionen werden betroffen sein. Man wird es überall dort spüren, wo
viele Algorithmen verwendet werden. Es ist wie mit einem Minenfeld:
Tritt man darauf, gibt es eine Explosion. Wir erklären dieses Problem
auf unserer Website (http://www.freepatents.org) näher. Aber längst
nicht nur die Entwickler freier Software müssen diese Änderung
fürchten, sondern sie wird auch allen anderen schaden. So werden
Programme ja auch für das höhere Management der Firmen genutzt. Und
Patentierung würde hier bedeuten, dass Management-Methoden
patentierbar werden.

c't: Warum interessieren Sie sich eigentlich dafür, ob Entwickler ihre
Ideen schützen lassen dürfen?

Stallman: Ich finde es geradezu pervers, wenn jemand versucht, eine
Idee mit Patenten vor der Allgemeinheit zu verschließen. Ich halte die
Idee für sicherer, wenn gerade die Allgemeinheit Zugriff darauf hat.

c't: Die Copyleft-Idee von GNU beruht doch auch darauf, dass ein
Schutzrecht erst geltend gemacht und dann ausdrücklich aufgehoben
wird, sofern diese Freiheit dann auch bei jeder Weitergabe erhalten
bleibt?

Stallman: Copyright ist ein System, das eben schon besteht, und
Copyleft baut darauf auf. Mein Ziel ist nur, allen Nutzern der
Programme die Freiheit zu geben, diese zu studieren und in jeder Form
damit zu arbeiten. Ich möchte Freiheit weiterverbreiten.

c't: Wie man der GPL entnehmen kann, besteht Ihre einzige Möglichkeit,
das Copyleft-Prinzip durchzusetzen, darin, die Verbreitung der
Programme ganz zu untersagen, falls die GPL-Bestimmungen nicht
eingehalten werden.

Stallman: Ja, ich will nicht, dass die Programme, die ich schreibe,
letztlich doch irgendjemandes verschlossenes Eigentum werden -- wie
etwa durch ein Patent, das Dritte dann aus meiner Software machen.
Patente auf Software zu geben ist eine schlechte Politik.

c't: In den USA werden seit über zehn Jahren Patente auf
Software-Entwicklungen erteilt. Was können Sie als Amerikaner dadurch
erreichen, dass Sie verhindern, dass in Europa Software ebenfalls
patentierbar wird?

Stallman: Das GNU-Projekt ist ein weltweites Projekt. Wenn die USA
Fehler machen, sollte Europa diese nicht auch machen.

c't: Dabei ist es ja durchaus so, dass in Europa schon Software
patentiert wird. Beispiele sind etwa das bekannte Unisys-Patent auf
den LZW-Algorithmus, das auch in Deutschland besteht, oder der
digitale Schlüssel, den die Firma Brokat angemeldet hat. Es sind nur
fast ausschließlich große Firmen, die solche Patente angemeldet
haben**...

Stallman: Ich finde das ebenso sehr schlecht und bedauerlich. Ich will
nur, dass bei Software eine Ausnahme gemacht wird, anderswo mag ein
Patent ja seine Berechtigung haben. Aber Software ist nur Information,
kein Gegenstand. Das Interesse des Entwicklers kann nicht über das
Interesse der Allgemeinheit gestellt werden.

c't: Aber wird nicht durch eine Öffnung des Patentrechts das Ganze nur
transparenter und auch für den kleinen und mittelständischen
Entwickler zugänglich, sodass er einen Wettbewerbsnachteil verliert?

Stallman: Das ist immer das, was der rechte Flügel in der Politik
meint: dass jede neue Form von Eigentum automatisch ein Segen für die
ganze Gesellschaft ist. Software-Patente mit ihren Laufzeiten von 20
Jahren werden die Entwicklung zum Erliegen bringen. Bedenken Sie, dass
es vor 20 Jahren noch gar keine PCs gab. Um diese Zeit würden wir
freien Entwickler den patentierten Programmen hinterherhinken.

c't: Bedeutet es nicht einen Wettbewerbsnachteil europäischer
Entwickler zugunsten ihrer amerikanischen Kollegen,wenn die
Patentierung von Software hier nur mit Deklarationstricks möglich ist?

Stallman: Nein, im Gegenteil: Wenn sich Software-Patente auch hier in
Europa durchsetzen, dann fassen hier nur die großen amerikanischen
Firmen besser Fuß. Aber die Interessen dieser Firmen sind zweitrangig
im Vergleich zum Interesse von uns allen. Es ist ein schlechtes
Geschäft, ähnlich denen, durch die Flüsse verschmutzt werden -- es
verschmutzt unsere Gesellschaftsbasis.

c't: Ist Ihr Standpunkt nicht sehr stark auf die Interessen der freien
Entwickler auf der GNU-Linux-Plattform zugeschnitten? Auf anderen
Betriebssystemplattformen sieht der Markt ganz anders aus. Wer etwa
eine schnellere Treibertechnologie entwickeln kann, als sie Microsoft
selbst für sein NT anbietet, müsste sich diese doch auch schützen
lassen können, bevor etwa Microsoft sie einfach nachmacht und als
eigene Errungenschaft vermarktet?

Stallman: Ich halte aber die Entwicklung von Treibern für NT für eine
Zeitverschwendung, denn Windows ist keine freie Software.


[1] Free Software Foundation: http://www.gnu.org/fsf/fsf.html

[2] Ein gutes Beispiel für die Auswirkungen des amerikanischen
Patentwesens auf die Software-Entwicklung zeigt die Website des
FreeType-Projekts (http://www.freetype.org/patents.html). Hier findet
sich unter anderem eine knappe, aber gute Darstellung der
US-Patentrechtsgrundlagen. Am Beispiel der TrueType-Technik kommt auch
das Problem "Verborgenes Patent" zur Sprache.

[3] Deutsche Übersetzung der GPL:
http://agnes.dida.physik.uni-essen.de/~gnu-pascal/gpl-ger.html

[4] Originaltext der LGPL: http://www.gnu.org/copyleft/lesser.html


--------------------------------------------
http://www.homepages.de/home/smerten/Oekonux/



[English translation]
Thread: oxdeT00215 Message: 1/1 L0 [In index]
Message 00215 [Homepage] [Navigation]