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[ox] Re: Unfähigkeit zur Selbstentfaltung



Hi Steffen,

nö, keine Schläge, auch keinen virtuellen. Bei mir gab es eher so eine
Reaktion: Endlich regt sich mal einer auf, und zwar mit einer Meinung,
die nur allzuweit verbreitet ist, warum also nicht auch in dieser Liste.
Ich kann nur ganz kurz dazu was schreiben und will sonst verweisen
(unten).

Steffen Schwigon schrieb:
Selbstentfaltung: Die unbeschränkte Entfaltung der eigenen
Individualität, genau das zu tun, was ich wirklich tun will, ist nur
außerhalb der Verwertungs-Maschine möglich.

Der Großteil der Menschen ist *überhaupt nicht* wirklich fähig, ohne
äußeren Zwang etwas nützliches zustande zu bringen, oder etwas
sinnvolles aus seinem Leben zu machen, sich "frei zu entfalten".

Hier hast Du mehrere Annahmen drin:
(1) Entfaltung muss nützlich sein. Doch was ist "nützlich"? Im gegebenen
Rahmen von Nutzen zu sprechen, bedeutet immer verwertungskompatibel zu
sein. Das finde ich ganz und gar nicht "nützlich", sondern nur noch
schädlich.
(2) Menschen brauchen Zwang: Das ist eine Naturalisierung
gesellschaftlicher Zwangsverhältnisse - der Mensch ist eben so. In der
Tat muss man hierzulande die Menschen zu allem möglichen Scheiss treten
- doch was erwartest Du? Das alle sich an Mist freudestrahlend
beteiligen? Die gibt's auch, die jungdynamischen Menschen, doch deren
"Freude" ist Teil des Spiels. Ich sage: Menschen brauchen keinen Zwang,
zu gar nix.
(3) Man muss etwas sinnvolles aus seinem Leben machen: Wer beurteilt das
nun wieder? Oder meinst Du wieder den sinnlosen "Sinn" in der
kybernetischen Wertmaschine Rädchen zu spielen? Sinn ist subjektiv, es
gibt keinen objektiven Masstab. Ist das sinnvoll, was wir hier tun?

Die Elitethesen lasse ich aus.

"elitären Schicht". Ich kann nicht jeden beliebigen Arbeitnehmer
einstellen, ihm alle Freiheiten geben und trotzdem einem Ziel
entgegenstreben. 

Nein das geht wirklich nicht. Verwertung, und darum geht es in der
Firma, und Selbstentfaltung bilden einen unaufhebbaren Widerspruch.
Selbstentfaltung geht _nur_ ausserhalb von Verwertungszusammenhängen.

Nur jemand aus jener "elitären Menge" wird diese
Freiheiten verstehen und trotzdem "von selbst" etwas zustande bringen,
indem er sich z.B. bewußt selbst irgendeinem Druck aussetzt, um ein
(sein?) Ziel zu erreichen.

Das finde ich, ist die Hölle: Sich auch noch selbst zur Scheisse zwingen
müssen. Irgendwie ahnst Du das, Deine zaghafte Frage in der Klammer
deutet es an.

Ich denke, der Artikel paßt in diese Gruppe rein, da ihr inzwischen
bei allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen seid und (wie jemand
anderes auch schon feststellte) zum Teil ziemlich utopische/abgehobene
Anschauungen entfaltet, die ich hiermit in Frage stelle.

Man gönnt sich ja sonst nix. Ich finde die Diskussionen darum übrigens
überhaupt nicht abgehoben, sondern ziemlich konkret.

Jetzt der Verweis für Interessierte:
"Subjektivität, Selbstentfaltung und Selbstorganisation" - Ein Text aus
Anlass der Expo, ganz allgemein aber zum Zusammenhang von
Produktivkraftentwicklung und der 3. Feuerbachthese von Marx ("Ändern
der Umstände und Selbstveränderung der Menschen"), von Annette Schlemm 
und mir: http://www.opentheory.org/proj/selbst/

Ciao,
Stefan

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  Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen
  HA II, Abteilung Datenverarbeitung
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