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[ox] GPL-Gesellschaft kapitalismuskompatibel? (was: Re: Wortwahl)



Hi Thomas und alle!

Daraus könnten übrigens glatt Glossar-Einträge werden :-) .

17 days ago Thomas Uwe Gruettmueller wrote:
1. Antikapitalismus

1.1. Ist Wissenshorterei wirklich noch "Kapitalismus"?

Dieser Begriff bezieht sich afaik auf materielle Produktion von
Massenartikeln.

Falsch. Kapitalismus ist gekennzeichnet durch die Verwertung von
Arbeitskraft - d.h. die Umsetzung von Arbeitskraft in Tauschwert. Die
materielle Produktion und damit materielle Waren sind nur das Vehikel,
über den diese Umsetzung verläuft. Es könnte auch etwas ganz anderes
sein. Z.B. die Produktion immaterieller Waren. Bei immateriellen Waren
wird die Eigentumsordnung zwar etwas künstlicher - eben wegen der
Kopierbarkeit - aber nichtsdestotrotz ist sie möglich - Copyright ist
ein Versuch dazu.

Apropos Eigentumsordnung: Nur weil es uns heute ach so normal
erscheint, daß ein Eigentumstitel auf materielle Dinge der
EigentümerIn irgendwelche besonderen Rechte einräumt - und vor allem
sie anderen verwehrt -, heißt nicht, daß diese Eigentumstitel nicht
gelegentlich gewaltsam durchgesetzt würden und also genauso wenig
Naturgesetz sind, wie die auf immaterielle Waren.

Die materielle Produktion gerät aber mit zunehmender
Rationalisierung immer weiter in die Bedeutungslosigkeit.

Na ja, als Substrat bleiben sie natürlich wichtig.

Bedeutung
hingegen gewinnen die Produktionsabläufe. Und die sind in jeder Firma
geheim. Dies behindert die Konkurrenz unter den Firmen.

Falsch. Das (Betriebs)geheimnis *ermöglicht* gerade erst die
Konkurrenz zwischen den Firmen. Nur wenn eine Firma eben einen Tick
weiter ist auf der Schiene der Produktionsabläufe, wenn sie eben einen
Tick billiger produzieren kann als die anderen Firmen, dann kann sie
sich auf dem Markt einen Vorteil verschaffen - solange bis die anderen
Firmen nachgezogen haben. Das ist der Motor für die
Produktivkraftentwicklung im Kapitalismus.

Würdest du Betriebsgeheimnisse abschaffen, so hätten Firmen einen
erheblichen Teil ihrer Konkurrenzfähigkeit eingebüßt. Bisher traten
i.d.R. Staaten für solche öffentlichen Güter (Sabine? Richtig
verwendet?) in die Verantwortung - in der Wissenschaft z.B. Auch hier
ist Gnu/Linux in gewisser Weise neu, da es ein öffentliches Gut ist,
daß eben nicht von einem Staat oder Staaten getragen wird.

Konkurrenz
ist aber eine wesentliche Eigenschaft des Kapitalismus.

Und daher das Betriebsgeheimnis.

Hinzu kommt,
daß inzwischen ein neuer Industriezweig (Informationssektor)
entstanden ist, der gar kein enstzunehmendes materielles Produkt mehr
herstellt, sondern davon lebt, Informationen zu verleihen(!).

Falsch. M$ verleiht seine Software nicht, sondern verkauft sie. Na ja,
inzwischen gehen sie ja schon mehr zum Vermieten über... Aber
prinzipiell kannst du heute durchaus Software kaufen und erstehst
damit ein Nutzungsrecht, das ganz bestimmten, rechtlichen Grenzen
unterliegt.

Dieser
neue Sektor dominiert heute so wie im Kapitalismus der verarbeitende
und davor der rohstoffgewinnende.

Er wird wichtiger. Daß er dominiert würde ich heute noch nicht sagen.

1.2. Ist die GPL nicht geradezu "prokapitalistisch"?

Freie Software steht jeder Firma gleichermassen zur Verfügung. Sie
müssen keine Lizenzgebühren abdrücken. Sogar dem restlichen
Mittelstand stehen plötzlich die besten Algorithmen zur Verfügung.

Ja im Sinne eines öffentlichen Gutes wie Straßen oder Eisenbahn. Daß
bestimmte Infrastruktur, die aus vielerleit Gründen oft eben nicht in
privatkapitalistischer Hand gehalten werden kann, die
Verwertungsbedingungen und damit auch die Möglichkeit zur Konkurrenz
verbessert, ist allerdings nicht gerade neu - auch wenn die
Neoliberalen gerne hinter diese Erkenntnis zurückfallen.

So
kann echte Konkurrenz erfolgen, die eine hemmungslose
Rationalisierung erforderlich macht.

Eben.

Der größte Kostenfaktor
"Mensch" (in einer sozialen Marktwirtschaft hat er das gefällist zu
sein)

Wieso hat er das zu sein?

fliegt dabei, falls irgendwie möglich, aus dem
Produktionsprozess.

Das was wir beobachten, ja. Im speziellen Fall von Gnu/Linux dürfte es
mittelfristig vor allem die ProgrammiererInnen bei M$ treffen.

Dadurch wird er frei, nicht länger sklavisch die
Arbeit einer Maschine tun zu müssen

Richtig. In diesem Punkt wird er freier.

Was du mal dezent verschweigst, ist, daß die Ex-Sklavin eben auch kein
Geld mehr kriegt - im Kapitalismus immer noch die Grundlage für die
eigene Reproduktion. Zumindest wird es weniger und jedeR sollte
wissen, daß Arbeitslosigkeit heute oft das Absinken in Armut zur Folge
hat.

und erhält Zeit für kulturelle
Betätigung

Was ohne Geld oder mit wenig Geld schwierig ist. Leider sind die
Menschen aber ohnehin größtenteils so stark ideologisch in die
Arbeitsgesellschaft verwoben, daß sie diese Chancen nicht nutzen
können. Stattdessen steigt deren Sterberisiko signifikant (wie ich
gerade in die Krisis-Liste gepostet habe)...

und die Produktion Freier Software.

Auch das steht den wenigsten zur Verfügung. *ABER* das wäre ein
wichtiges Etappenziel, daß Arbeitslose sich für solche Freien
Tätigkeiten einsetzen.

Was ist daran
"antikapitalistisch"?

Erst mal gar nichts. Bisher geht es ja auch nur um die Bewegungen
innerhalb des Kapitalismus. Lediglich die eben aufgezeigte
Überwindungsperspektive wäre antikapitalistisch.

2. "Sozialismus"

Sozialismus ist afaik (verbessere mich bitte, du hast sicher mehr
Marx gelesen als ich) eine Vorstufe des Kommunismus.

Viel Marx habe ich gar nicht gelesen ;-) .

Ob der Sozialismus eine Vorstufe für irgendwas ist, ist mir irgendwie
herzlich egal. M.W. stammt diese Definition aus dem sog.
Realsozialismus, der damit seine schmale Legitimationsbasis zu
vergrößern suchte.

In dieser ist
der Privatbesitz an Produktionsmitteln und Boden bereits abgeschafft,
noch nicht aber der am (Produktions-)Wissen (seltsame Reihenfolge!).

Kann sein, daß das irgendwer so definiert. Meine Definition wäre vor
allem der letzte Teil nicht.

Außerdem würde ich nicht von Besitz sondern von Eigentum sprechen.
Besitzen tue ich meine Wohnung, Eigentümer ist aber mein Vermieter.

Lohnarbeit und Kapital gibt es weiterhin, solange bis die ganze Welt
diesen Stand erreicht hat. Dann kann der Übergang zum Kommunismus
vollzogen werden.

Das hört sich alles sehr nach realsozialistischer Mottenkiste an.

Vollautomatisierung ist kein Thema, es gibt
schließlich wichtigere Aufgaben

Na welche denn? Im sog. Realsozialismus gerade in der Sowjetunion war
die Automatisierung in Form von Industrialisierung ein ganz wichtiges
Thema. Stalin hat doch vor allem Basisindustrialisierung erzwungen.

(nicht verkehrt, aber wie soll man
denen nachkommen, wenn man seine Zeit damit vertut, die Arbeit einer
Maschine zu tun?).

Eben. Leben wäre schließlich das Ziel.

Ich persönlich halte den Weg, das von Natur aus freie Gut Wissen

Es gibt kein "von Natur aus" - na fast nicht. Wissen kannst du
leichter duplizieren als materielle Produkte - aber das ist auch erst
seit historisch kurzer Zeit so. Was nutzt dir ein Computer oder auch
nur ein Buch, wenn du nicht mal Lesen kannst?

Insofern ist Wissen nicht rasend viel freier als materielle Güter,
sondern eine Frage der zur Verfügung stehenden Technik und Kultur /
Ausbildung.

so
weit es geht und vor allem auf legalem Wege der Allgemeinheit
verfügbar zu machen,

Das würde ich eben auch auf materielle Güter ausdehnen wollen! Das ist
ja genau der Witz an der GPL-Gesellschaft. Wie gesagt: Die Übertragung
der Kopierbarkeit, zumindest aber der Einfachheit (d.h. wenig
menschliche Arbeitskraft notwendig) des Kopiervorgangs in die
materielle Produktion, das wär's.

um so durch Konkurrenz (im zu rekonstruierenden
Kapitalismus in Form einer sich stets vergrössernden sozialen
Marktwirtschaft) die Automatisierung voranzutreiben.

Der Kapitalismus kann sich nur rekonstruieren, wenn er es schafft
seine Grundlage zu rekonstruieren. D.h. er müßte sich wieder in die
Lage versetzen, den Prozeß der Verwertung von Arbeitskraft wieder
flüssig in die Gänge zu kriegen. Nach Lage der Dinge ist das momentan
nur durch einen großen Krieg zwischen den Metropolen Nordamerika,
Europa und Japan zu haben - was alle verfügbaren höchsten Wesen
verhindern mögen...

Ich gehe davon
aus, daß man, genauso wie es derzeit möglich ist, daß das Volk durch
Fernsehen und Zeitung verblödet wird, es nach dem bevorstehenden
Wegfall der Unterhaltungsindustrie, die ja genau diesen Zweck
verfolgt,

Falsch. Die Unterhaltungsindustrie verfolgt - wie jedes andere
kapitalistische Unternehmen auch - die Profitmaximierung.
Gelegentliche politische Wunschvorstellungen können nur dann eine
Rolle spielen, wenn sie der Profitmaximierung nicht nennenswert im
Wege stehen.

Als praktisches Gegenbeispiel würde ich die öffentlich-rechtlichen
Medienanstalten nehmen, die eben nicht in dieser Schärfe der
Profitmaximierung unterliegen und also auch (politisch gewollte)
Programme bieten können, aus denen auch Schlaue noch schlauer werden
können.

Daß also die Verblödung der ZuschauerInnen / LeserInnen / HörerInnen
offenbar der Profitmaximierung dienlich ist, muß also äußeren
Gegebenheiten geschuldet sein.

möglich sein wird, das Volk durch diese Medien für eine
Aktive Mitgestaltung von Wissenschaft und Technik, Kunst und Kultur zu
begeistern,

So wie du das sagst, wären die Medien dann als Teil der Gramsci'schen
Zivilgesellschaft zu sehen. Die Zivilgesellschaft steht bei ihm
zwischen den Menschen und dem Staat (und wohl auch der Wirtschaft?)
und hat z.B. die Aufgabe die Staatsideologie in die Köpfe der Leute zu
transportieren.

Ja, das wäre schon der Hit, wenn RTL Freie Software öffentlich
anpreisen würde. Der Container mit Hackern, denen du dann beim
Programmieren zuschauen kannst, bräuchten sie ja nicht mal zu bauen -
Hackerbunker gibt es schließlich genug ;-) .

woraufhin die Probleme der Welt von der Abenteuerlust der
Menschen erschlagen werden.

Genau.

Worin genau besteht eigentlich deiner Meinung nach der Unterschied
zwischen dem Endergebnis der "GPL- Gesellschaft" und dem Kommunismus?
Außer natürlich in der Beizeichnung.

Keine Ahnung - ist mir auch wurscht ;-) .


						Mit li(e)bertären Grüßen

						Stefan


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