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[ox] Editorial Krisis 12 - Teil 2



UlrichLeicht t-online.de

Im folgenden der 2. Teil des Editorials Krisis 12 (1992)
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Editorial 

Die Problemstellungen haben sich verschoben, der treibende Impuls aber ist noch 
lange nicht verbraucht. 1986, vielleicht auch noch drei Jahre später; war der 
gute alte "Materialismus" noch kein Thema. Die Scheinplausibilität des 
marxistischen Materialismus-Postulats mochte implizit schon angeknackst sein, 
explizite Auseinandersetzung dazu fehlt his heute. Nach einer intensiven 
Auseinandersetzung mit "Realabstraktion" und phantasmagorischer 
Fetisch-Gegenständlichkeit ändert sich die Perspektive, und vom erbitterten 
alten Gegensatz zwischen "Materialismus" und "Idealismus" bleibt mit der 
absehbaren Kritik des "Ismus"-Denkens überhaupt nicht mehr sonderlich viel 
übrig. Das "Bewusstsein" erscheint nicht mehr als Widerpart zum "Sein", sondern 
immer mehr als dessen notwendiges Moment; die alte Frontstellung zerfällt. Hier 
stünde die kritische Auseinandersetzung mit unaufgearbeiteten Reflexionssstufen 
des alten Marxismus (Lukács, Korsch u.a.) an, die dennoch zeitbedingt nicht über 
den "Materialismus"  hinaus bis zur adäquaten Kritik der Fetisch-Konstitution 
gelangt waren. Ein  kurzer Seitenblick auf die Entwicklung der nach-newtonschen 
Physik führt einem sensibilisierten Bewußtsein die Tiefendimension dieses 
Problems vor Augen. Genötigt, ein Bekenntnis zum ,,Materialismus" abzulegen oder 
sich als "Idealist" zu entlarven, wird die KRISIS sich inzwischen wohl mit einer 
alten Philosophenweisheit behelfen: Es gibt Fragen, die lassen sich nur dadurch 
beantworten, daß man die Fragestellung verwirft.

Ähnlich wie mit dem "Materialismus" geht es uns inzwischen mit dem 
Rationalitäts-Begriff. Im Spannungsfeld von moderner Rationalität und 
"Irrationalismus" seit Aufklärung und Romantik können wir unsere Position nicht 
mehr verorten, sondern nur in der Kritik auch dieser bürger1ichen Dichotomie. 
Auch in dieser Hinsicht ist die Auseinandersetzung mit früheren 
Reflexionsstufen, vor allem der Kritischen Theorie, noch weitgehend zu leisten 
und explizit zu machen. Die Gewalt der warenförmigen Realabstraktion, die jeden 
Inhalt als gleichgültiges Material handhabt, findet ihren Widerhall im 
abstrakt-universalistischen Denken, das die Besonderheit und Eigenheit des 
Inhalts vornehmlich als empirische Verunreinigung kennt.

Damit sind wir bei jenem Thema angelangt, das die vorliegende Ausgabe der KRISIS 
 hauptsächlich füllt: dem Geschlechterverhältnis der Warengesellschaft. Denn vor 
allem die modernen bürgerlichen Zuschreibungen auf das ,,Weibliche" sind es, in 
denen das Verhältnis von Rationalität und Irrationalität der Warengesellschaft 
verräterisch wird. Nicht umsonst hat gerade der feministische Diskurs der 
letzten Jahre, weitgehend unbeachtet vorn männlich dominierten 
Wissenschaftsbetrieb, auf 

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seine Weise die Ansätze einer "Vernunftkritik" in der Kritischen Theorie und in 
der "postmodernen" Debatte aufgegriffen, wenn auch nicht unbeeinflußt vom neuen 
affirmativen "Realismus". Dabei blieb aber das Verhältnis von Patriarchats- und 
Kapitalismuskritik bis heute ungeklärt, und die Problemstellung droht zusammen 
mit der alten Kapitalismuskritik affirmativ verbunkert zu werden.

Wenn wir uns dieses auch in der feministischen Debatte unaufgearbeiteten 
Problems annehmen, so keineswegs aus einer besserwisserischen Position heraus 
und erst recht nicht in glatter Verlängerung unseres bisherigen 
Theoriebildungsprozesses. Es war uns durchaus nicht klar; daß dieses Thema eben 
keineswegs bloß ein "Thema" wie alle anderen ist und nur dem bereits entworfenen 
Raster der allgemeinen "Wertkritik" unterlegt werden müsse. Dies hängt nicht nur 
mit den auch in der feministischen Debatte wirksamen Defiziten akademischer und 
marxistischer Theoriebildung zusammen, sondern sicherlich auch damit, daß es 
sich bei der KRISIS-Redaktion, wen wunderts, his jetzt um eine geschlossene 
Männer-Anstalt handelt (ein transvestitisches Pseudonym beweist leider nicht das 
Gegenteil). So mußte nach längerem untergründigen Knuffen und Knurren der 
Entwurf einer theoretischen Vermittlung in Gestalt des "Abspaltungstheorems" 
(siehe unten) von weiblicher Seite kritisch an die KRISIS herangetragen werden. 
Und wie sich herausstellt, wird dadurch der ganze Ansatz grundsätzlich verändert 
und in ein neues Licht getaucht. Das kann nicht ohne Spannungen abgehen, und dem 
Gegenstand entsprechend können sich diese Spannungen auch nicht mehr bloß auf 
die "abgespaltene" theoretische Sphäre beziehen, während die persönlichen 
Verhältnisse außen vor bleiben. Wieder einmal Neuland also, und von der 
heikelsten Art. Dabei kann es weder darum gehen, mit "männlichen" 
Abwehrhaltungen und Ignoranzstrategien zu reagieren. Noch soll umgekehrt der 
berüchtigte heuchlerische Kotau vor einem "weiblichen" Entwurf bloß deswegen 
gemacht werden, weil er weiblich ist - der sicherste Weg in die erneute 
Verdrängung und Ignoranz. Nötig wäre also eine kritische Auseinandersetzung, die 
sich der Logik des theoretischen Ansatzes selbst stellt und versucht, die 
Abwehr-Potentiale der eigenen (,,männlichen") Identität mitzureflektieren.

Wenn der an uns herangetragene Entwurf des "Abspaltungstheorems" erst einmal 
(wenn auch nicht ohne ein gewisses Widerstreben) grundsätzliche Zustimmung 
gefunden hat, obwohl die Terminologie nach wie vor strittig ist, so nicht 
zuletzt deswegen, weil damit eine entscheidende Lücke in der "Wertkritik" 
geschlossen werden könnte. Schon seit langem mußten wir uns mit der immer wieder 
geäußerten Kritik herumschlagen, wir wollten "alles" aus dem "Wert" (der 
Warenform) einseitig "ableiten" und ließen ganze Dimensionen von 
Gesellschaftlichkeit ausgeblendet. Obwohl diese Vorwürfe eigentlich die 
kritische, negative Analyse der Warenform zu einem positiven "Ableitungstheorem" 
verkehrten und mißverstanden, legten sie 

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doch unbewusst den Finger auf eine theoretische Wunde. Die Abbügelung fiel 
deswegen leicht, weil die Intention dieser Anwürfe fast immer der leicht 
durchschaubare (meistens marxistisch inspirierte) Versuch war; die Zumutungen 
der "fundamentalen Wertkritik" abzuwehren und auf den alten Gleisen 
weiterzufahren. Mit dem "Abspaltungstheorem" liegt nun erstmals ein Versuch vor; 
das Nicht-Waren-förmige in der Warengesellschaft historisch, theoretisch und 
analytisch zu erfassen, ohne die Kritik der Warenform wieder halbwegs 
zurückzunehmen und zu verwässern. Diese Kritik wird dadurch vielmehr sogar 
zugespitzt.

Das "Abspaltungstheorem" setzt einen aus der Psychoanalyse stammenden Begriff 
quasi "politökonomisch" ein, um die geschlechtliche Besetzung warenförmiger 
Gesellschaftsverhältnisse zu erklären. Die Welt des scheinbar selbstgenügsamen 
abstrakten Universalismus der Ware entpuppt sich bei näherem Zusehen als Produkt 
einer gigantischen Abspaltungsmaschinerie. Hinter der abstrakten
Warensubjektivität mit ihrer absurden Tauschrationalität stehen "abgespaltene" 
Momente von Sinnlichkeit, die in diesem Kosmos keinen Platz haben, ohne die er 
aber überhaupt nicht existieren kann. Das abstrakte Individuum führt nicht nur 
eine Doppelexistenz als "citoyen" und als abstrakter Privatmann. Auch diese 
letztere Existenz fällt noch einmal auseinander in privates Geldinteresse 
einerseits und in die davon abgetrennte Sphäre der Privatheit im Sinne von 
"Intimität" ("Liebe" Haushalt, Familie etc.) andererseits. Damit sind wir aber 
schon beim "Abspaltungsmechanismus" angelangt, bei den Zuschreibungen auf das 
"Weibliche".

Konnte der Begriff der ,,abstrakten Individualität" wie er in den bisherigen 
KRISIS-Beiträgen verwendet wurde, als geschlechtsneutrale Kategorie verstanden 
werden, so erweist sich das jetzt als unhaltbar. Sobald die geschlechtliche 
Polarität innerhalb der abstrakten Privatheit ins Blickfeld gerät, wird auch die 
geschlechtsspezifische Besetzung des warenförmigen Individuums unübersehbar. Wo 
das abgespaltene Sinnliche aber zum "weiblichen" zwangsdefiniert wird, da 
enthüllt sich auch die abstrakte ratio, ihrem universalistischen Anspruch zum 
Trotz, als spezifisch "männlich".

In diesen für die KRISIS neuen Problemhorizont stößt also erstmals das 
"Abspaltungstheorem" von Roswitha Scholz vor, in diesem Heft mit dem Aufsatz 
"Der Wert ist der Mann"; ein gewiß einigermaßen provokatorischer Titel. Die 
Autorin stellt dabei zunächst noch sehr knapp den Grundgedanken vor, der hier 
sozusagen in seiner ersten, noch nicht weiter ausgearbeiteten Rohfassung 
erscheint. Im folgenden wird versucht, diesen Grundgedanken im historischen 
Durchgang von antiken Anfängen der Warengesellschaft bis zur Gegenwart 
darzustellen und dabei die Entwicklung "zugerechneter Weiblichkeit" parallel zu 
den Durchsetzungsschüben der Warengesellschaft zu skizzieren.

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Nicht unbedingt identisch mit dieser Position, aber auch nicht unbeeinflußt von 
der darüber bereits geführten Debatte, bemühen sich Ernst Lohoff und Norbert 
Trenkle in den beiden folgenden Beiträgen darum, die im Rahmen der KRISIS 
bereits formulierte Kritik an den Grundkategorien bürgerlicher 
Vergesellschaftung für die Analyse des Geschlechterverhältnisses fruchtbar zu 
machen. Norbert Trenkle schlägt in seinem Beitrag "Differenz und Gleichheit" 
eine Brücke von der grundsätzlichen Kritik an der Kategorie "Gleichheit" zu den 
Aporien, in denen sich diese Kategorie in der feministischen Binnendebatte 
verhakt hat. Ernst Lohoff  kritisiert in seinem Beitrag "Sexus und Arbeit" die 
weitverbreitete Vorstellung, das bürgerliche Geschlechterverhältnis ließe sich 
vom Begriff der "geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung" her aufrollen, und 
versucht stattdessen umgekehrt über die "Kritik der Arbeit" einen Zugang für das 
Verständnis zu eröffnen. In seinem Rückgriff auf die ,,Kritik der Arbeit" 
unterfüttert er gleichzeitig mit historischem Material diese heftig umstrittene 
These der KRISIS.

Diese drei Beiträge dienten in ihren ursprünglichen Fassungen als Grundlage zu 
einem Seminar, das im Januar 1992 von der KRISIS-Redaktion zum Thema 
"Geschlechterverhältnis" veranstaltet wurde und bereits etliche Folgedebatten 
ausgelöst hat. Die Texte liegen hier in überarbeiteter Form vor; ein 
"abgekoppelter" Tell des Seminarbeitrags von Ernst Lohoff, der sich mit der 
Dichotomie von "Produktion" und "Reproduktion" beschäftigt, soll in einer der 
nächsten KRISIS-Ausgaben ebenfalls überarbeitet erscheinen.

Im vierten umfangreichen Aufsatz dieses Heftes setzt sich Robert Kurz unter dem 
Titel "Geschlechtsfetischismus" mit der bisherigen Diskussion kritisch und 
streckenweise polemisch auseinander. Soweit dabei auf das "Abspaltungstheorem" 
von Roswitha Scholz Bezug genommen wird, ist die Argumentation mit der Autorin 
abgesprochen (damit nicht diese positiv den Ansatz aufgreifende "männliche" 
Interpretation womöglich als Verballhornung verstanden wird). Darüberhinaus geht 
der Beitrag von Robert Kurz ausführlich auf wesentlich "politökonomische" 
Implikationen des Abspaltungstheorems ein, vor allem im Hinblick auf den Begriff 
des Gebrauchswerts und das Problem einer "Gebrauchswertorientierung". Die 
phänomenologischen Exkurse über geschlechtlichen Narzißmus und bürgerliche 
Paarbeziehungen im letzten Tell des Aufsatzes werden in ihrem polemischen Gehalt 
sicher keine ungeteilte Zustimmung finden.

Etwas abseits dieses Themenschwerpunkts, aber keineswegs jenseits des 
Problemfelds von Sinnlichkeit, Abspaltung und Sphärentrennung (und vielleicht 
auch nicht

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in Übereinstimmung mit allen vorherigen Thesen zum Geschlechterverhältnis), 
widmet sich Johanna W. Stahlmann dem "Ende des Schönen". In diesem Beitrag wird 
an der Entwicklung der Kunst seit der klassischen Moderne thesenhaft 
herausgearbeitet, wie die Kunst als eine abgespaltene, über den Niederungen des 
Alltags schwebende Sondersphäre ihre eigene Krise reflektiert.

All diese Texte sind zweifellos wieder einmal nicht ganz leicht verdaulich und 
sicher dazu angetan, Widerstand hervorzurufen. Einmal abgesehen von unseren 
eigenen Binnen-Widersprüchen, die von außen oft nicht auf den ersten Blick 
erkennbar sein mögen, speist sich dieser Widerstand dem ganzen "wertkritischen" 
Ansatz gegenüber aus verschiedenen Quellen. Eine der ärgerlicheren ist das 
Beharrungsvermögen des alten Marxismus in seinen diversen Endmoränen oder 
Auslaufmodellen, deren Repräsentanten nach jahrelanger Ignoranz nun bestenfalls 
schäumen über die ,,Indiskutablen" aus dem Fränkischen (3). Andere, leider auch 
nicht unbedingt fruchtbare Widerstände scheinen aus dem akademischen Erbe zu 
stammen und wirken sich für ihre Vertreter faktisch als Denkverbot aus. Statt 
daß unsere Aussagen der Unstimmigkeit überführt und ernsthafte theoretische bzw. 
analytische Gegenanstrengungen unternommen würden, führen manche Kritiker 
regelmäßig ins Feld, unsere Argumentation wäre unvollständig, weil sie diesen 
oder jenen Autor nicht berücksichtigt. Die "Autoren" und ihre mehr oder weniger 
klassischen Kontroversen eröffnen in dieser Haltung nicht einen Zugang zur 
Analyse der Wirklichkeit bzw. werden selber als ein Moment der 
gesellschaftlichen Realität begriffen, sie ersetzten stattdessen die 
Wirklichkeit und deren Analyse. Wer sich in diese Art von Diskurs nicht einfügen 
mag, fällt durch den Raster der unselbständigen Zitierkunst.

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(3) 	Es gereicht uns zu einer gewissen Ehre, daß sämtliche Koryphäen des 
Auslaufmarxismus in der BRD, von Georg Fülberth über Trampert/Ebermann, Kurt 
Hübner (Prokla), Joachim Bischoff (VSA/SOST) und Rudolf Hickel (Memorandum) his 
hin zum scheintheoretischen Zombie- Produkt der untergegangenen "Marxistischen 
Gruppe" namens "Gegenstandpunkt" geradezu verbissen einhellig die beiden Bücher 
von Robert Kurz (Honeckers Rache, Der Kollaps der Modernisierung) verrissen 
haben, ohne sich auf die grundsätzlichen Inhalte überhaupt einzulassen. 
Inzwischen scheint auch die KRISIS selber his hin zu Berliner Autonomiekreisen 
vom Geheimtipp zum Lieblings-Haßobjekt zu avancieren. Die Toten werden trotzdem 
nicht wiederauferstehen. Vielleicht bringen wir in einer der nächsten 
KRISIS-Ausgaben eine kleine Blütenlese. Den Schuh der "Arroganz" wollen wir uns 
freilich nicht anziehen, denn zu einer Diskussion, die sich auf das Problem der 
Warenform- und Fetischkritik ernsthaft einläßt, ohne in die geifernde Abwehr 
gelernter bzw. Theoretisch abgehalfterter Arbeiterbewegler zu verfallen, glauben 
wir allerdings bereit zu sein.

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Dieser notorische Bezug auf eine geistesgeschichtlich beschränkte oder 
innertheoretische Scheinrealität hat durchaus Methode und Tradition. Das 
herkömmliche theoretische Denken, das noch im Rahmen der traditionellen 
Ontologie bzw. der Philosophie angesiedelt ist, neigt zu einer 
Argumentationsstruktur, die entlang einer "dekontextualisierten" (Stephen 
Toulmin) Fragestellung von "richtig" oder "falsch" ausgerichtet ist. Das heißt, 
man streitet darüber; ob der Hegelsche Einfluß auf Marx wichtig oder zu 
vernachlässigen ist, ob ein bestimmtes gesellschaftliches Phänomen eher für 
Nietzsche oder für Marx spricht, ob Kant oder ob Hegel bedeutsamer ist, 
inwiefern Adorno Marx "weiterentwickelt" hat oder nicht, inwiefern er 
berechtigte oder unberechtigte Anleihen bei der "Lebensphilosophie" gemacht hat, 
wie Lukács einzustufen ist usw. usf.

Mit einem Wort, dieses Denken verfährt genau so, wie es sich für das ,,Zeitalter 
der Partei" (wie man die vergangenen zweihundert Jahre "politischer" 
bürgerlicher Entwicklung zu nennen versucht sein könnte) gehört: nach dem 
Kriterium der Anhängerschaft. Es sucht immer nach einer "Wahrheit", die es 
verdient, daß man ihr anhängt, daß man sie verbreitet, durchsetzt und 
"verwirklicht". Unausgesprochen werden all die theoretischen Gurus wie 
Parteiführer in spe betrachtet. Tatsächlich aber geht es darum, etwas ganz 
anderes zu betrachten: wie sich eine bestimmte gesellschaftliche Form im Verlauf 
der vergangenen zweitausend Jahre durchgesetzt hat, und wie die verschiedenen 
Etappen dieser "Wertvergesellschaftung" sich in den diversen ideologischen 
Reflexen niedergeschlagen haben. Dementsprechend wenden wir uns - zumindest der 
Absicht nach - dem real abgelaufenen Geschichtsprozeß zu und betrachten die in 
seinem Verlauf aufgetretenen Theoretiker immer schon als Bestandteile dieses 
Prozesses. Und siehe da, plötzlich haben sie alle "recht": weil ein jeder von 
ihnen irgendein Moment, irgendeine Seite des Gesamtprozesses am Wickel hat bzw. 
repräsentiert. Und sie haben gleichzeitig alle nicht recht, weil aus der Natur 
der Sache heraus keiner von ihnen den Prozeß der Wertvergesellschaftung als 
ganzen überblicken konnte, so mit von heute aus gesehen immer dem Verdikt der 
"Einseitigkeit" verfällt.

Natürlich relativieren wir damit auch unsere eigene Position, weil sie, bezogen 
"bloß" auf die real ablaufende Geschichte, nicht mehr den Anspruch erheben kann, 
die endlich erreichte ewige Wahrheit zu sein. Gleichwohl gelangen wir damit 
nicht etwa zu einem Beliebigkeits-Relativismus des bekannten und berechtigten 
"postmodernen" Zuschnitts, sondern können innerhalb des real ablaufenden 
Prozesses, als dessen Moment wir uns wissen, sogar ziemlich sichere Aussagen 
machen. Einschließlich des Versuchs übrigens, aus dem Begreifen dessen, was 
"unter unseren Augen abläuft", Perspektiven für die weitere, über die Warenform 
hinausführende Entwicklung zu gewinnen. Einer "Falsifizierung" durch die dann 
tatsächlich eintretenden Ereignisse sehen wir mit Fassung entgegen. Denn einen 
Baustein zu dem,

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was sich späterhin einmal als der Begriff des Gesamtprozesses ergibt, werden wir 
doch immerhin beigetragen haben.

Ernst Lohoff, Peter Klein und Robert Kurz für die Redaktion




PS: Wie oben bereits erwähnt, erscheint die KRISIS seit diesem Jahr im Horlemann 
Verlag. Dies stellt unser Projekt endlich auf eine professionelle verlegerische 
Grundlage. Eine konzeptionelle Änderung ist damit allerdings nicht verbunden, 
mal abgesehen davon, dass die KRISIS nun als Buchreihe figuriert und 
dementsprechend auch jede Ausgabe unter einer ISBN-Nummer in den einschlägigen 
Bibliographien zu finden sein wird. Die redaktionelle Verantwortung für die 
KRISIS wie auch für die anderen der edition krisis erseheinenden Publikationen 
bleibt bei der Nürnberger Redaktion, die verlegerische Betreuung, einschließlich 
der Abwicklung von Bestellungen und Abonnements, erfolgt dagegen über den 
Horlemann Verlag.

Wir sind sehr froh über diese Entwicklung, denn der wachsenden Aufmerksamkeit 
für unsere Zeitschrift entspricht natürlich auch ein wachsender Arbeitsaufwand 
auf der technischen (insbesondere der vertriebstechnischen) Seite. Es war also 
an der Zeit, unseren eigenen, KR!SIS-Verlag genannten, Bauchladen aufzugeben und 
endlich unter die Fittiche eines "richtigen" Verlages zu kommen. Damit verbunden 
ist natürlich auch, daß wir in Zukunft den Preis anders (nämlich 
"kostengerecht") kalkulieren müssen. Was bisher von uns sozusagen subsidiär im 
Hinterzimmer an "Leistungen" erbracht wurde (Satz, Versand, Zahlungsabwicklung 
etc.) wird nun aus der Grauzone der "Schattenwirtschaft" herausgezerrt und 
findet sich daher auch in der Kalkulation wieder. Leider können wir also unser 
in der letzten Nummer leichtfertig abgegebenes Versprechen, vorerst den Preis 
stabil zu halten, nicht einlösen. Zum damaligen Zeitpunkt war die gegenwärtige 
Verlagslösung noch nicht abzusehen. Dennoch glauben wir, daß - gemessen am 
Umfang der vorliegenden Nummer und den auf dem Büchermarkt inzwischen gängigen 
Preisen - ein Preis von 18,- DM keinesfalls überhöht ist. Wir kehren übrigens 
auch wieder zu der Regelung zurück, daß bei Abonnements keine Vorauszahlung für 
mehrere Nummern erfolgt, sondern nur die jeweils aktuell zugeschickte Ausgabe in 
Rechnung gestellt wird (eventuelle Guthaben werden selbstverständlich 
verrechnet). Immerhin können wir das Versprechen einhalten, bei Abonnements 
keine Versandkosten zu berechnen.

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http://www.oekonux.de/



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