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[ox] Re: Verallgemeinerungen



Hi Stefan und alle,

Stefan Merten schrieb am 11.6.:
Auf deine Mail möchte ich doch nochmal eingehen. Ich finde das eine
wirklich wichtige Frage.

Danke, ich auch :-)

Aber du stimmst zu, daß wir an einer Aufweichung arbeiten? Na, sonst
wärst du vermutlich nicht mehr hier ;-) .

Leben ist Hoffnung ;-)


Deine/unsere Frage also wäre: Wie läßt sich das
Selbstentfaltungspotential, daß wir in vielen Tätigkeiten am Computer
beobachten können, auf andere gesellschaftlich notwendige Tätigkeiten
(Altsprech) übertragen. Unsere bisher gefundenen Antworten gingen in
mehrere Richtungen:

* Die schiere Masse der gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten wird
  insgesamt weniger.

Das hängt auch von der Definition von "gesellschaftlich notwendig" ab
(Du erwähnst das auch weiter unten), aber mir scheint, die Masse der
gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten (g.n.T.) nimmt immer mehr _zu_
-- gerade in den Bereichen Umwelt und Soziales (Oekosystem-"Reparaturen",
zunehmende Ueberalterung und Krankheiten).  Das Problem im Kapitalismus
ist, dass für viele dieser g.n.T. kein/zuwenig Geld vorhanden ist, sodass
diese zu kurz kommen (wenige Leute interessieren sich für unbezahlte
Arbeiten, und den Interessierten raubt die Tretmühle die Zeit dafür).
-- Gerade dieses Problem soll doch mit der GPL-Gesellschaft behoben
werden, oder?


  Diesen Effekt führt uns der Kapitalismus in der negativen Form schon
  vor: Die (mittlerweile auch in den Metropolen) steigende
  Arbeitslosigkeit.

Arbeitslosigkeit im Kapitalismus entsteht nicht ansich durch Mangel an
Arbeit (wer glaubt, es gebe zuwenig Arbeit, der soll mal allen Müll am
Meeresboden einsammeln), sondern durch Mangel an _bezahlter_ Arbeit,
also eigentlich durch zweckbezogenen Mangel an Geld (und z.T. an
Wissen auf "Arbeitnehmerseite", Stichwort Greencard) -- auch hier
soll die GPL-Gesellschaft Abhilfe schaffen...


* Was gesellschaftlich notwendig ist wird anders definiert.

  Wenn der Zwang zur Verwertung wegfällt, dann fallen auch einige
  Dinge weg, die im Kapitalismus noch als gesellschaftlich notwendig
  gelten können - Stichwort Werbung. Andere werden dafür eine größere
  Rolle spielen, die heute ausgeblendet sind.

  Ein Effekt dieser Umdefinition dürfte auch sein, daß nicht
  irgendwelche blinden Ziele wie Konkurrenzfähigkeit die
  Notwendigkeiten bestimmen, sondern von Menschen gesetzte wie z.B.
  den Schutz der Natur. Dies dürfte auf die Motivation der Menschen
  sich nützlich zu machen erhebliche Wirkung haben.

  Auch dies ist m.E. heute schon in NGOs - z.B. im Umweltbereich - zu
  beobachten. Dort setzen sich die Leute ihre eigenen Ziele und
  investieren erhebliche Energie dafür.

Gut, aber nun gibt's ja auch die Leute von der gegenüberliegenden Seite --
die mit ihrer Freizeit nichts besseres anzufangen wissen als Autofahren
oder sonstiges Verplempern von Ressourcen.  Wenn ich mir so die Motorrad-
Karawanen am Sonntag anschaue [und anrieche und anhöre :-(], bin ich
eigentlich ganz froh, dass diese Idioten am Montag wieder am Fliessband
stehen müssen ;-9  -- dann tun sie wenigstens nichts dümmeres...

(Klaro, der Mobilitätswahn ist zum grossen Teil eine Kompensation für
 die Unfreiheit in der Tretmühle -- aber es soll ja auch Leute geben,
 die einfach "Freude am Fahren" haben (ja, v.a. die mit dieser Marke)
 -- wie hindern wir _die_ am Umweltverpesten, wenn's das Benzin im
 kassenlosen Supermarkt gratis gibt, und sie nicht mehr am Montag
 um 8 Uhr antreten müssen?)

(Die Antwort heisst vermutlich: "Lenke ihren Mobilitätswahn in
 konstruktive Bahnen und spanne sie ein für die Belieferung der
 Supermärkte etc." -- Tja, aber da gehören immernoch "zwei" dazu...)


* Die Art der Tätigkeiten muß in Richtung Selbstentfaltungspotential
  verändert werden.

  Klar ist Fließband wohl für die allerwenigsten Menschen *die* Chance
  zur Selbstentfaltung. Aber auch macht uns der Kapitalismus schon
  vor, in welche Richtung es gehen müßte - auch wenn Modelle wie
  Gruppenarbeit o.ä. eingesperrt in die kapitalistischen Hülle mit
  ihren fremdbestimmten Zielen natürlich nur bedingt funktionieren
  (können).

  Im Ergebnis muß das heißen, daß Tätigkeiten menschenfreundlicher
  werden - wenn sie nicht ganz wegautomatisiert werden.

Das ist das was mir gerade so einfällt. Meinst du, daß diese Antworten
wenigstens in die Richtung einer Antwort zielen?

Eindeutig, aber konkrete Beispiele und Erweiterungen sind noch gefragt...


Ich halte es auch durchaus nicht für klar, ob jemals, vor allem aber
wann eine GPL-Gesellschaft, in der alles auf freiwilliger Tätigkeit
beruht, sein wird. Prognosen in dieser Richtung dürften nahezu
unmöglich sein.

Eine _vollständige_ GPL-Gesellschaft wäre aber Voraussetzung für die
"kassenlosen Supermärkte"..?


Das berührt auch die Frage, wie die gesellschaftliche Organisation
einer GPL-Gesellschaft überhaupt aussehen könnte. Wurde hier noch
wenig dazu gedacht.

Dennoch halte ich all diese (erheblichen) Schwierigkeiten nicht für
ein Kill-Argument, mit dem die ganze Richtung ausgehebelt werden
könnte - oder?

Positiv suche ich eigentlich eher "Live-Argumente", d.h. wie die GPL-
Gesellschaft konkret funktionieren kann.  Ein möglichst vollständiges
Modell wäre schon wichtig, um Akzeptanz für diese Idee bei breiteren
Kreisen zu erreichen.  Die beste Idee nützt wenig, wenn die Leute nicht
sehen, wie es überhaupt funktionieren soll/kann [gerade auch _ausser_halb
der Software-Branche; und selbst innerhalb der SW und sogar FS gibt's ja
noch andere Tendenzen].    -- Ein Beispiel: In der Schweiz hatten wir
letzthin eine Volksabstimmung zur Halbierung des motorisierten
Privatverkehrs [über 10 Jahre hinweg];  diese ansich gute Idee wurde
leider v.a. deshalb abgelehnt, weil die Initianten keine glaubwürdig
_funktionierenden_ [nicht-diktatorischen] Massnahmen zur Implementation
dieser Idee vorlegen konnten -- sie wollten, dass die Leute "die Katze
im Sack kaufen", und daran scheiterten sie.  (Und auch am individuellen
Egoismus der Leute, die ihre eigenen "Vorteile" davonschwimmen sahen,
anstatt die Vorteile für die Allgemeinheit zu schätzen.)
Aehnlich ist das wohl bei der Idee "GPL-Gesellschaft"...


Zur konkreten GPL-Ges.-Umsetzung:  Diese wird naheliegenderweise in
der Software-Branche beginnen (hat sie ja schon).  Aber schon hier
ist fraglich, ob die gesamte SW-Branche vom GPL-Prinzip erfassbar ist:
Solange es den Kapitalismus noch gibt, verdienen ja die FS-Programmierer
ihre Brötchen im kommerziellen Bereich der SW-Industrie (oder im
Bildungssektor, aber dort werden vermutlich nicht alle unterkommen).
Selbst wenn sämtliche Programmierer (und Kunden) bereit wären, auf FS
umzusatteln, bräuchte es also weiterhin kommerzielle Software, denn
sonst müssten die Programmierer ihr Geld ja in anderen Berufen verdienen,
und das will wohl niemand (wäre auch nicht sinnvoll, beim aktuellen
Mangel an Programmierern).

Dieses Problem stellt sich natürlich auch in anderen Berufen, zusätzlich
zu den dortigen Ressourcen-Problemen durch die nur materielle Kopierbarkeit.

Bis zur völligen Abschaffung des Kapitalismus wird also jede Branche noch
einen kommerziellen Bereich brauchen.  Solange das Geldsystem noch
existiert, können aber die kassenlosen Supermärkte noch nicht
implementiert werden, womit wohl auch die Tretmühle nicht abgeschafft
werden kann.  Die Katze beisst sich also in den Schwanz, oder wo
ist hier der Denkfehler ?

Anders formuliert:  Ist ein "kontinuierlicher" Uebergang vom Kapitalismus
zur GPL-Gesellschaft möglich -- nicht nur ein Stückchen weit, wie bis jetzt,
sondern von 0 bis 100% _durchgehend_ ?  (Aehm, zumindest die Kassen müssten
wohl weltweit auf 1 Schlag abgeschafft werden, um einen "Gratis-Tourismus"
zu vermeiden..)   Wenn ja, wie (konkret) ?


Ich weiß eins: Wenn die GPL-Gesellschaft erstmal in trockenen Tüchern
ist, gehe ich zur Bahn. Diesen Riesenapparat mit seiner irrsinnigen
Komplexität und seiner Dynamik: Das ist doch eine tolle
Herausforderung! Und warum sollte ich neben den schwierigen
planerischen Aufgaben nicht auch mal zur Entspannung und zum Sammeln
von konkreter Erfahrungen nicht ein bißchen den Computer im Führerhaus
einer Lokomotive überwachen? Sehe ich neue Landschaften und so, ist
doch nett - oder?

Du bist noch nie Lokomotive gefahren ;-)
Und als Passagier würde ich lieber nicht in einen Zug steigen, der
heute gerade mal so hobbymässig von einem Informatiker gelenkt wird...


Und wenn ich an das Großziehen von Kindern denke, habe ich auch so
manchmal meine Zweifel, ob das immerzu so eine beliebte Tätigkeit ist
- - viele Mütter äußern sich da jedenfalls anders und machen's trotzdem
- - und ohne Zwang. Verantwortung scheint mir hier das Stichwort zu
sein.

Dieses Beispiel ist gar nicht repräsentativ für unbeliebte Tätigkeiten,
denn bei der Mutterrolle ist die Zuständigkeit und Motivation klar --
die Mutter ist für ihre eigenen Kinder zuständig/verantwortlich, und
sonst niemensch; und die Motivation, für die eigenen Kinder zu sorgen,
ist genetisch "vorprogrammiert".  Und auch eine recht schöne Belohnung
gibt's obendrein...  [Und trotzdem nehmen viele Mütter diese Verantwortung
zuwenig wahr -- man sieht's ja schon am Resultat (ungezogene Lümmel)..]

Bei anderen unbeliebten Tätigkeiten ist hingegen weder die Zuständigkeit
noch die Motivation so klar gegeben:  Wer genau ist denn zuständig für
das Steuern des Zuges Nr. 14325 oder für den Anfängerkurs "Wie bastle ich
meinen GPL-Staubsauger" in Kaiserslautern ?  Was tun wir, wenn sich dafür
kein Freiwilliger findet, oder derjenige nicht zuverlässig/brauchbar ist?
Und gibt es "blaue Briefe" in der GPL-Gesellschaft ?

Wie behandeln wir die sehr unterschiedlichen Verhältnisse zwischen Angebot
und Nachfrage bei den einzelnen Tätigkeiten im Arbeitsmarkt und bei den
Produkten/Qualitätsstufen in den kassenlosen Supermärkten ?  Alle wollen
die beste Brille, den feinsten Kaffee, etc. etc. -- wer soll entscheiden,
wer was und wieviel bekommt ?  (Jeder selber?--Faustrecht gefällig?
Jeder soviel wie er will?--Herr Ober, noch 3 Planeten Erde, bitte.
Eben, das ist der Unterschied zur Software..)

Alle diese Fragen werden im Kapitalismus letztlich via Geld geregelt --
zwar oft ungerecht -- wie sehen diese Regelungen in der GPL-Ges. aus?
Kann in der Praxis über jeden Kaffee-"Kauf" per Konsens entschieden werden?
Von wem/wievielen ?  Oder braucht es ein alternatives Geldsystem ?  (Wie
wär's mit Abschaffung der Zinsen und/oder der Erbschaften, for starters?)

Fragen über Fragen...


[als "alter Oekologe" denke ich
da natürlich lieber an Transportradfahrer ;-) , aber das vergrössert
eher noch den Personalaufwand..])

Ja, wenn ich mir so überlege, wieviele Transportradfahrer du
bräuchtest um einen 40-Tonnen-Kessel zu ziehen ;-) . Vielleicht wären
Pferde eine Alternative ;-) ;-) .

Naja.. Pferde sind so mittelalterlich... die GPL-Gesellschaft soll doch
eine hochmoderne sein.. ich sehe da eher HPVs (mit allf. Hilfsmotörchen)...

Grüsse,
Christoph



----------------------
http://www.oekonux.de/



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