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Re: [ox] Re: Verallgemeinerungen



Hi Christoph und alle!

46 days ago Christoph Reuss wrote:
Stefan Merten schrieb am 11.6.:
Deine/unsere Frage also wäre: Wie läßt sich das
Selbstentfaltungspotential, daß wir in vielen Tätigkeiten am Computer
beobachten können, auf andere gesellschaftlich notwendige Tätigkeiten
(Altsprech) übertragen. Unsere bisher gefundenen Antworten gingen in
mehrere Richtungen:

* Die schiere Masse der gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten wird
insgesamt weniger.

Das hängt auch von der Definition von "gesellschaftlich notwendig" ab
(Du erwähnst das auch weiter unten),

Richtig. Als Minimum wäre vielleicht das zu verstehen, was die
Gesellschaft in ihrem aktuellen Zustand aufrecht erhält - mal so als
Arbeitshypothese.

BTW: Wenn Nachhaltigkeit gegeben wäre, dann wäre das ja sogar ein
Zustand, der erstrebenswert wäre und in dem die Menschheit
Jahrhunderte hindurch verlebt hat.

aber mir scheint, die Masse der
gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten (g.n.T.) nimmt immer mehr _zu_
-- gerade in den Bereichen Umwelt und Soziales (Oekosystem-"Reparaturen",
zunehmende Ueberalterung und Krankheiten).

Hmm... Für eine genaue Analyse dieser Frage haben wir hier nicht die
Mittel. Aber, wie du selbst sagst:

Das Problem im Kapitalismus
ist, dass für viele dieser g.n.T. kein/zuwenig Geld vorhanden ist, sodass
diese zu kurz kommen

Hier würde ich eine perspektivische Schwierigkeit sehen.

Die g.n.T.s die du nennst sind halt nicht profitabel zu machen und
müssen daher vom Staat oder über andere Systeme subventioniert werden.
In Zeiten, in denen die Wertmasse insgesamt aber schrumpft - so ja die
These -, ist es klar, daß für solche Umverteilung immer weniger Raum
bleibt - Sozialabbau.

Vielleicht springt uns das heute also nur so sehr ins Auge. Eine
umfassende Analyse könnte da durchaus anderes ergeben - auch wenn ich
mir momentan nicht vorstellen kann, wie so etwas methodisch angelegt
werden könnte.

Dennoch halte ich all diese (erheblichen) Schwierigkeiten nicht für
ein Kill-Argument, mit dem die ganze Richtung ausgehebelt werden
könnte - oder?

Positiv suche ich eigentlich eher "Live-Argumente", d.h. wie die GPL-
Gesellschaft konkret funktionieren kann.  Ein möglichst vollständiges
Modell wäre schon wichtig, um Akzeptanz für diese Idee bei breiteren
Kreisen zu erreichen.

Da stimme ich dir zu.

Ich versuche auf unserer Link-Seite zu sammeln was mir in die Finger
kommt. Das F-CPU-Projekt scheint mir momentan am nächsten an dem zu
sein, was du suchst.

Die beste Idee nützt wenig, wenn die Leute nicht
sehen, wie es überhaupt funktionieren soll/kann [gerade auch _ausser_halb
der Software-Branche; und selbst innerhalb der SW und sogar FS gibt's ja
noch andere Tendenzen].

Na ja, meine These ist ja, daß sich das Prinzip erstmal im Bereich
digitalisierbarer Information ausbreiten wird - siehe MP3-Debatte.
Dafür gibt es m.E. spezifische Gründe, die in der Kopierbarkeit
liegen, die ich leider aber noch nicht theoretisch untermauern kann.

Zur Übertragung auf die materielle Produktion ist m.E. ein recht
weitreichender Gedanke, für den ich momentan noch wenig konkrete
Hinweise entdecken kann. Aber je länger ich drüber nachdenke, desto
mehr habe ich das Gefühl, daß der Bereich der Information doch auch
schon ein ganz erheblich großer ist.

-- Ein Beispiel: In der Schweiz hatten wir
letzthin eine Volksabstimmung zur Halbierung des motorisierten
Privatverkehrs [über 10 Jahre hinweg];  diese ansich gute Idee wurde
leider v.a. deshalb abgelehnt, weil die Initianten keine glaubwürdig
_funktionierenden_ [nicht-diktatorischen] Massnahmen zur Implementation
dieser Idee vorlegen konnten -- sie wollten, dass die Leute "die Katze
im Sack kaufen", und daran scheiterten sie.

Und das finde ich auch richtig so. Die Leute *müssen* etwas davon
haben. Wieso sollten sie gegen ihre eigenen Interessen sein?

(Und auch am individuellen
Egoismus der Leute, die ihre eigenen "Vorteile" davonschwimmen sahen,
anstatt die Vorteile für die Allgemeinheit zu schätzen.)
Aehnlich ist das wohl bei der Idee "GPL-Gesellschaft"...

Eben nicht. Der Witz ist ja gerade, daß einerseits die Benutzung von
Gnu/Linux im Interesse der AnwenderIn liegt und andererseits auch die
Herstellung Freier Software Teil der Selbstentfaltung der ProduzentIn
ist. Es ist also überhaupt nicht nötig, "das Gute" mit Gewalt
durchzusetzen - weil es im Interesse der Menschen liegt.

Zur konkreten GPL-Ges.-Umsetzung:  Diese wird naheliegenderweise in
der Software-Branche beginnen (hat sie ja schon).  Aber schon hier
ist fraglich, ob die gesamte SW-Branche vom GPL-Prinzip erfassbar ist:
Solange es den Kapitalismus noch gibt, verdienen ja die FS-Programmierer
ihre Brötchen im kommerziellen Bereich der SW-Industrie (oder im
Bildungssektor, aber dort werden vermutlich nicht alle unterkommen).
Selbst wenn sämtliche Programmierer (und Kunden) bereit wären, auf FS
umzusatteln, bräuchte es also weiterhin kommerzielle Software, denn
sonst müssten die Programmierer ihr Geld ja in anderen Berufen verdienen,
und das will wohl niemand (wäre auch nicht sinnvoll, beim aktuellen
Mangel an Programmierern).

Dieses Problem stellt sich natürlich auch in anderen Berufen, zusätzlich
zu den dortigen Ressourcen-Problemen durch die nur materielle Kopierbarkeit.

Bis zur völligen Abschaffung des Kapitalismus wird also jede Branche noch
einen kommerziellen Bereich brauchen.  Solange das Geldsystem noch
existiert, können aber die kassenlosen Supermärkte noch nicht
implementiert werden, womit wohl auch die Tretmühle nicht abgeschafft
werden kann.  Die Katze beisst sich also in den Schwanz, oder wo
ist hier der Denkfehler ?

Anders formuliert:  Ist ein "kontinuierlicher" Uebergang vom Kapitalismus
zur GPL-Gesellschaft möglich -- nicht nur ein Stückchen weit, wie bis jetzt,
sondern von 0 bis 100% _durchgehend_ ?

Auch hier zeigt uns das Beispiel Gnu/Linux wie ein einzelnes Produkt
sich *innerhalb* der alten Hülle durchsetzen kann. Hier gibt es also
schon ein echtes Nebeneinander von Altem und Neuem - auch wenn es in
den Überlappungszonen natürlich zu Widersprüchen kommt.

Ich sehe nicht, warum dieses Nebeneinander nicht auf andere Bereiche
übertragbar sein soll.

D.h.: Vielleicht nicht die kassenlosen Supermärkte - aber immer mehr
kassenlose Spezialmärkte.

Und wenn ich an das Großziehen von Kindern denke, habe ich auch so
manchmal meine Zweifel, ob das immerzu so eine beliebte Tätigkeit ist
- - viele Mütter äußern sich da jedenfalls anders und machen's trotzdem
- - und ohne Zwang. Verantwortung scheint mir hier das Stichwort zu
sein.

Dieses Beispiel ist gar nicht repräsentativ für unbeliebte Tätigkeiten,
denn bei der Mutterrolle ist die Zuständigkeit und Motivation klar --
die Mutter ist für ihre eigenen Kinder zuständig/verantwortlich, und
sonst niemensch;

Das ist eine gesellschaftliche Setzung. Die kann geändert werden (und
wird ja auch schon: Das Väter auch eine gewisse Verantwortung für ihre
Kinder haben, ist zumindest nicht mehr ganz neu ;-) ).

und die Motivation, für die eigenen Kinder zu sorgen,
ist genetisch "vorprogrammiert".

Da habe ich so meine Zweifel. Bei allen diesbezüglichen "Theorien"
hatte ich immer das Gefühl, daß die vornehmlich dazu dienen, den
momentanen Zustand zu biologisieren und damit zu verewigen.

Und auch eine recht schöne Belohnung
gibt's obendrein...

Was wiederum nichts spezifisch für das Großziehen von Kindern ist. Die
"Belohnung" - besser: das befriedigende Ergebnis - gibt's auch bei
anderen Tätigkeiten.

Bei anderen unbeliebten Tätigkeiten ist hingegen weder die Zuständigkeit
noch die Motivation so klar gegeben:

Das stimmt natürlich.

Grundsätzlich würde ich natürlich einwenden, daß das
Verantwortungsgefühl bei Leuten in einer GPL-Gesellschaft anders
entwickelt wäre als heute. Wenn ich auf die Beispiele blicke, die in
Richtung GPL-Gesellschaft zeigen, dann meine ich da auch so etwas
ausmachen zu können - sowohl in der Freien Software als auch bei den
NGOs.

Im Kapitalismus ist es so, daß die Zuständigkeit (von Motivation würde
ich eher nicht sprechen ;-) ) über die Bezahlung vermittelt wird. Es
tritt also ein äußeres Drittes neben die - in diesen Fällen nicht
gegebene - Selbstentfaltung in der Tätigkeiten und die Freude am
Ergebnis.

Vielleicht ist es auch in der GPL-Gesellschaft so, daß bestimmte
Verantwortlichkeiten durch gesellschaftliche Übereinkunft / Normierung
geregelt werden. Vielleicht gibt es gesellschaftlich definierte
Pflichten. Gab es in der Geschichte der Menschheit immer und ich halte
die auch nicht für grundsätzlich falsch. Aber sie wären immerhin nicht
mehr durch den Verwertungszwang determiniert sondern wieder in
menschlichen Kategorien gedacht. Und außerdem wollte ich ja
optimistisch sein ;-) .

Wer genau ist denn zuständig für
das Steuern des Zuges Nr. 14325 oder für den Anfängerkurs "Wie bastle ich
meinen GPL-Staubsauger" in Kaiserslautern ?  Was tun wir, wenn sich dafür
kein Freiwilliger findet, oder derjenige nicht zuverlässig/brauchbar ist?
Und gibt es "blaue Briefe" in der GPL-Gesellschaft ?

Auch hier wieder liefert uns die Freie Software wieder
Anschauungsunterricht. Wenn ein Projekt schlecht gepflegt wird, findet
es weder MitarbeiterInnen noch NutzerInnen. Zuweilen kommt dann ein
paralleles Projekt auf, das besser ist und dann geht es da weiter.

Wenn sich für etwas überhaupt keine Freiwilligen finden, dann liegt
das Projekt zumindest nicht im Interesse der "Fähigen" und niemensch
der "Unfähigen" mag in die andere Gruppe wechseln. Ist es dann
wirklich notwendig?

Wie behandeln wir die sehr unterschiedlichen Verhältnisse zwischen Angebot
und Nachfrage bei den einzelnen Tätigkeiten im Arbeitsmarkt und bei den
Produkten/Qualitätsstufen in den kassenlosen Supermärkten ?  Alle wollen
die beste Brille, den feinsten Kaffee, etc. etc. -- wer soll entscheiden,
wer was und wieviel bekommt ?  (Jeder selber?--Faustrecht gefällig?
Jeder soviel wie er will?--Herr Ober, noch 3 Planeten Erde, bitte.
Eben, das ist der Unterschied zur Software..)

Alle diese Fragen werden im Kapitalismus letztlich via Geld geregelt --
zwar oft ungerecht -- wie sehen diese Regelungen in der GPL-Ges. aus?
Kann in der Praxis über jeden Kaffee-"Kauf" per Konsens entschieden werden?
Von wem/wievielen ?  Oder braucht es ein alternatives Geldsystem ?  (Wie
wär's mit Abschaffung der Zinsen und/oder der Erbschaften, for starters?)

Ich kann mir vorstellen, daß es gesellschaftliche Regulative geben
wird. Wie die genau aussehen und wofür sie tatsächlich gebraucht
werden, weiß heute wohl noch keiner.


						Mit li(e)bertären Grüßen

						Stefan


----------------------
http://www.oekonux.de/



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