[no subject]
- From: Bernd <B.Binder DKFZ-Heidelberg.de>
- Date: Wed, 2 Aug 2000 18:08:11 +0200 (MET DST)
On Tue, 4 Jul 2000, Stefan Merten wrote:
Liebe Listige!
Der LinuxTag in Stuttgart ist gelaufen und fuer unser Projekt sicher
erfolgreich gewesen. Stefan Mz. (ca. 170 BesucherInnen) und ich (ca.
90 BesucherInnen) haben unsere Vortraege gehalten und auch die beiden
Diskussionsrunden waren recht interessant. Auch einen netten
Mailing-Listen-Abend haben wir zustande gekriegt, auf dem u.a. in
Richtung einer Konferenz nachgedacht wurde.
[...]
Es kamen einige neue Fragestellungen auf, die am besten die Leute
einbringen, die die Fragen hatten. Ich werde gelegentlich nochmal das
zusammenfassen, was aus meiner Sicht inhaltlich von Interesse war und
bis dahin noch nicht schon gebracht worden ist.
Mit li(e)bertren Gren
Stefan
Hallo Stefan!
Mit den "Leuten, die die Fragen" auf dem LinuxTag hatten, koenntest
du u.a. mich gemeint haben, oder?
Meine Ueberlegungen greifen nochmal das Thema Produktionsmittel in der
Uebergangsphase vom Kaptalismus zur GPL-Gesellschaft auf.
Jemand von der Liste hat auch schon die immer billiger werdenden
PM ins Gespraech gebracht, und genau darauf moechte ich nochmal eingehen.
1. Vielleicht ganz nuetzliche Vorbemerkung fuer neue Listige
Die Geschichts- und Wirtschaftsanalyse (materialistische) zeigt,
dass es in der vielleicht achttausendjaehrigen Vergangenheit
mehrere Epochenwechsel mit zugehoerigen
Neuentdeckungen im technisch-wissentschalftlichen Bereich
(Produktivkraft-Spruenge) gab, bei denen sich immer auch die Klassen
neu formatiert haben: Der Feudaladel hat die antiken Sklavenhalter und
analog die Klasse der Lehnsbauern den Sklaven ersetzt usw ...
Andere Klassen sind weder zur Ausbeuterklasse auf - noch zur
ausgebeuteten Klasse abgestiegen. Sie haben sich "aufgeloest", was
einem Uebergang zu einer anderen Klasse entsprach: Kleine verarmte
Handwerker (gegen Ende der Antike) bildeten wahrscheinlich die
ersten Lehnsbauern nachdem sie wegen immer hoeheren
Steuern von der Stadt aufs Land zu Grossgrundbesitzern
geflohen waren ...
Im Moment sollte es zwei Klassen geben, die sich - wie
frueher in der Geschichte andere Klassen auch - anhand ihrer
Stellung zu den Produktionsmittel unterscheiden:
Unternehmer/Kapitalisten besitzen PM (geronnenes Kapital)
und koennen Arbeitskraefte einkaufen, und demgegenueber gibt es die
Arbeitskraft-Besitzer die ohne PM "gezwungen" sind ihre Arbeitskraft zu
verkaufen.
Die Bauernklasse ist im mittelstaendischen Unternehmertum aufgegangen,
der Hochadel meist im Grossbuergertum und der nierdrige Adel im
Bildungsbuergertum ...
Natuerlich gibt es darueberhinaus verschiedene Schichten
innerhalb der beiden Klassen, mit unterschiedlichen Auswirkungen auf
das Bewusstsein der Menschen.
Aber grob kann man sagen, dass wer die Produktionsmittel besitzt,
die Macht hat und bestimmt wie Wirtschaft und Politik gemacht wird ...
Die Konsequenz ist, dass nicht gebrauchswertorientiert (nach Nutzen der
Gueter) produziert wird, sondern tauschwertorientiert (nach Profit).
Dem Zufall wird ueberlassen wenn beides zusammenfaellt. An Panzern,
Waffen und nichthergestellten Medikamenten kann man sehen
welche verheerenden Auswirkungen das haben kann.
Marx und Lenin meinten deshalb sollten wir Arbeitnehmer die
PM erstreiten und den Kapitalisten wegnehmen. Dann sollte nach
Nutzen produziert werden und Planung den Markt/Zufall ersetzen.
1917ff wurden sie in einem grossen Versuch den Kapitalisten
weggenommen und der Gebrauchswert der in den sozialistischen
Laendern produzierten Gueter war nur maessig.
2. Konsequenzen
Die herrschende Klasse einer Epoche hat es sich noch nie
nehmen lassen aus Eigennutz die "Geister" selbst zu rufen, die sich dann
zu einer Abloesung genau dieser herrschenden Klasse anschicken:
Der Adel hat durch Kolonialismus (Streben nach Luxusgutern, Gold ...)
und den darauf folgendenen Handel
das Buergertum hervorgebracht, welches ihn letztendlich abloeste.
Die Kapitalisten streben nach Profit und versuchen ihre Waren
billiger (mit weniger Zeitaufwand) als die anderen Kapitalisten
herzustellen. Bei diesem Wettlauf um eine immer zeit- bzw
personalsparendere Produktion und Verwaltung werden auch
die Produktionsmittel/Maschinen immer billiger. Sie sind
naemlich selbst auch Waren. Produktionsmittel-herstellende
Unternehmer (heute meistens in der Maschinenbaubranche)
konkurrieren sich gegenseitig ihre Maschinen
immer billiger bis der Effekt eintritt, dass sie so billig
werden, dass sie nicht nur von Kapitalbesitzern (aus der
Gerbrauchsmittelbranche) gekauft werden
koennen sondern in die Bevoelkerung "diffundieren".
A. Das Produktionsmittel Computer (PM fuer die Herstellung der
SoftWARE) zeigte diesen Preisverfall deutlich und heute
kann sich fast die gesammte Bevoelkerung in den Industrienationen
dieses PM kaufen.
Auch wenn die meisten den Computer nicht als PM nutzen (Programmieren)
sondern ihn nur "konsumieren", zeigt sich tatsaechlich ein
gerbrauchswertorientiert hergestelltes Produkt (GNU/Linux)
als qualitativ hochwertige Alternative zu tauschwertorientiert
hergestellten Produkten.
B. Das Produktionsmittel Solarzelle/Windgenerator (fuer die Ware
"Strom") koennte bei technischer Weiterentwicklung und
niedrigerem Preis (bzw Wert) aehnliche Effekte zeigen.
Angenommen man koennte sich durch geringen Bastellaufwand
und geringem Preis eine Solarzelle/Windgenerator-Anlage aufs Dach
bringen und diese Anlage auch noch mehr Strom erzeugt,
als selbst benoetigt (z.B 110%), dann wird dieser Strom
ins oeffentliche Netz gespeist. Wenn es immer mehr Haushalte
werden, die sich sowas leisten koennen (was sich
tatsaechlich abzeichnet) dann wird sich auch hier eine
_hochdezentralisierte_ und _selbstplanende_ Produktion
einstellen.
Die Auswirkung auf das Denken/Bewusstsein der Bevoelkerung:
Man ist kein ohmaechtiger Empfaenger mehr sondern jemand
der sich selbst mit dem noetigen Strom versorgt und darueber hinaus
sogar noch was vom Ueberfluss abgibt.
C. Eine Textilmaschine, die (mit freier Software konfiguriert) einen
Stoff-Rohling gefuettert bekommt und je nach Programmierung ein
bestimmtes Kleidungsstueck automatisiert schneidet und naeht.
Geruechte sagen, dass bei Mustang das schon moeglich ist.
Aber die dortigen SchneideNaehMaschinen sind sicher noch
sehr teuer und sehr wenig platzsparend, so dass sie schon auf dem
"Sprung in die Bevoelkerung waeren".
P.S.: Auch das haette Auswirkungen auf die Qualitat der Produkte
und auf das Selbstbewusstsein der Bevoelkerung.
Sorry fuer die ausufernde Laenge des Kommentars,
Bernd
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