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Zentrale Produktion, Interessenkonflikte und mehr (was: Re: [ox] Artikel Sowjetmacht...)



Hi Stefan und andere!

2 weeks (19 days) ago Stefan Meretz wrote:
Stefan Merten schrieb:
29 days ago Stefan Meretz wrote:
wie versprochen, der Artikel "Kommunismus = Sowjetmacht + Internet"
von Helmut Dunkhase, erschienen in "Marxistische Blätter", Ausgabe
3/00.

BTW: Der Artikel ist jetzt übrigens im Web:

	http://www.informatik.uni-leipzig.de/~graebe/projekte/moderne/dunkhase.html

Trotzdem denke ich aber seit längerem, daß Zentralisierung und die
damit einhergehende Möglichkeit zur Spezialisierung durchaus Gründe
sein können, auch weiterhin zentralisierte, auch sehr große Einheiten
zu haben.

So gibt es heute beispielsweise im Maschinenbau in einigen Bereichen
nur eine einzige Firma, die ein bestimmtes Teil herstellen kann.
Teilweise liegt das sicher am Know-How, das als Betriebsgeheimnis in
der GPL-Gesellschaft natürlich mittels GPL veröffentlicht wäre,

Das ist ein zentraler Punkt (siehe meine Mail zum "Eigentum" vom
7.8.)!!

teilweise liegt das aber sicher auch an spezialisierten Maschinen.

In der GPL-Gesellschaft wäre auch noch denkbar, daß es eine regionale
Konzentration von Menschen gäbe, deren Selbstentfaltung in der
Herstellung bestimmter, hochspezialisierter Güter läge.

Bei der Freien Software ist das ja sogar auch jetzt schon so, nur daß
das nicht geographisch festgelegt ist sondern durch
EntwicklerInnen-Teams.

Anyway, mein Punkt sollte sein: Auch in der GPL-Gesellschaft könnte es
gute Gründe geben, bestimmte Produktion zu zentralisieren. Was denkt
ihr?

Hm. Für dezentrale Produktion spricht die Dezentralität der
gesellschaftlichen Organisation.

Weiß ich gar nicht ob wir das so sehen müssen. Selbst bei einer
zentralisierten Produktion bestimmter Güter wäre ja deren bestimmende
gesellschaftliche Organisation dezentral zu halten.

Für Zenralität die Effizienz -
unter Umständen, wäre genau zu prüfen. Das spielt aber eh nur für
den materiellen Anteil des Produktionsprozesses eine Rolle. Die
"Spezialisierung" im Sinne der Qualifikation erfordert doch nicht
umbedingt ein vor-Ort hocken, oder? Im Sinne von Spezialmaschinen
natürlich schon. Aber wieso sollte man die nicht x-mal duplizieren,
um sie zu verteilen? Also ich meine eher: zentralisierte Produktion
ist die absolute Ausnahme.

Vielleicht so rum: Irgendwo auf diesem Planeten steht eine
Produktionsstätte für ein ganz bestimmtes Gut (z.B. ein
hochspezialisiertes Werkzeug für eine ganz bestimmte Maschine (mir
fallen immer die Stricknadeln für die Strickmaschinen auf Kuba ein,
die weltweit von genau einer (deutschen) Firma gefertigt werden)).

Zwar ist die gesamte Information über den Herstellungsprozeß
GPL-isiert, aber dennoch ist der Bedarf für dieses hochspezialisierte
Werkzeug so relativ gering, die Kosten der Bereitstellung der
Produktionsmaschinen dafür aber sehr hoch - weil selbst
hochspezialisiert -, so daß es einfach keinen Sinn macht, diese
Produktionsstätte zu duplizieren.

Ein anderes Beispiel mag z.B. der Schiffbau sein, wo wir es mit der
Herstellung *sehr* großer Produkte und deswegen wieder mit hohem
Aufwand für die Bereitstellung einer Werft haben. Auch hier macht es
schlicht keinen Sinn, wenn auch nur jede Großstadt an der Küste ihre
eigene Werft betreibt - geschweige denn jedeR am Ufer des
Vorgartenteichs ;-) .

Ein weiteres Beispiel wäre die Chip-Industrie, die ebenfalls
erhebliche lokale Konzentrationsprozesse aufweist - z.B. in Silicon
Valley und auf Taiwan. Kann es nicht sinnvoll sein, daß sich an
solchen Stätten eine Community herausbildet, die einfach für solche
hochspezialisierten Aufgaben besser geeignet ist als irgendeine andere
Einrichtung.

Entsprechend verläuft auf der
materiellen Fertigungsebene die Entwicklung von der Taylorschen
größtmöglichen Zergliederung der Trend zu integrativen Konzepten,
für die zunächst der Name CIM (Computer Integrated Manufacturing)
steht, aber auch darüber hinaus weist.

Das ist nämlich auch überhaupt nicht "entsprechend".

Davon abgesehen erleben wir heute wohl die (stille) Durchsetzung der
CIM-Idee, die vor 15, 20 Jahren noch für gescheitert erklärt wurde.

CIM _ist_ gescheitert, immer noch. Siehe Schieflage.

Oh je, die alte Gewerkschaftsdebatte... ...die ich eigentlich nicht
kenne, aber dennoch das Gefühl habe, daß hier sehr mit heißem Herzen
argumentiert wird...

Ok. Was meinst du mit CIM? Menschenleere Fabrik

Was mich dazu bringt, von einer stillen Durchsetzung zu sprechen, ist
die Tatsache, daß mit dem B2B-e-Commerce m.E. eine neue Qualität
erreicht ist. Nicht nur die konkrete materielle Produktion wird
zunehmend computerisiert, auch die Beziehungen zwischen den Firmen
wird immer stärker computerisiert. Ich finde schon, daß das mit dem
Begriff "Computer Integrated Manufacturing" nicht schlecht beschrieben
ist.

Vielmehr müssen
wir zu einer selbstorganisierenden Planwirtschaft kommen:
selbstorganisatorisch, weil komplexe Vorgänge dann nur von ganz
allgemeinen Vorschriften und wenigen Parametern abhängt, über die
nur planvoll entschieden werden kann.

Das klingt spannend.

Die Frage ist nicht, ob geplant wird, sondern wie. Das alte war die
Zentralplanung, das Neue ist die Selbstplanung der dezentralen
Einheiten.

Na ja, da hat es ja schon einige kritische Nachfragen gegeben, ob das
denn auf allen gesellschaftlichen Ebenen so klappen kann. Ich habe da
auch eher das Gefühl, daß wir hier noch nicht sehr viel wissen
(können?).

Für eine GPL-Gesellschaft würde das dann bedeuten, daß über die
Zuteilung knapper Güter - auch die dürfte es noch geben - an
verschiedene Produktionsmodule gesellschaftlich entschieden wird (im
Konsens oder notfalls per Demokratie). Und innerhalb der
Produktionsmodule könnte dann über die Verwendung der knappen
Ressourcen entschieden werden.

Hm, Zuteilung? Per Demokratie? Das kanns nicht sein. Wie sollen
Leute, die keine Ahnung von der Sache haben, entscheiden können?

Dann müssen sie eben Ahnung kriegen - zumindest alle, die sich für die
Entscheidung interessieren. Das wäre z.B. ein Prinzip, daß ich gerne
aus der Demokratie in die GPL-Gesellschaft hinüberretten würde.

In
Gesellschaften entgegengesetzter Partialinteressen muß Demokratie
sein, es ist die Vermittlungsform. Wenn es das nicht mehr gibt,

Nee, nee, nee. Die entgegengesetzten, mindestens aber nicht kohärenten
Partialinteressen macht uns auch die GPL-Gesellschaft nicht weg.

können Entscheidungen doch einzig inhaltlich denn formal bestimmt
sein. Und über die Richtigkeit von Inhalten kann man nicht
abstimmen.

Auch wenn vielleicht der fundamentale Konflikt zwischen Arbeit und
Kapital weggefallen ist, so gibt es immer noch reichlich inhaltlich
bestimmte Konflikte, die eben nicht "objektiv" mit richtig oder falsch
zu bewerten sind.

Um nur ein großgesellschaftliches Beispiel zu nennen: Wieviel
Schädigung wir der Umwelt zumuten ist eben durchaus eine Frage, die
ganz unterschiedlich beantwortet werden kann - je nach Stellenwert,
der Umwelt gerade ganz persönlich eingeräumt wird. Und da gibt es
jenseits der Nachhaltigkeit m.E. noch einen ganz erheblichen
Spielraum, in dem Konflikte *sehr* naheliegend sind.

Ich würde einfach sagen: Das das knappe Gut innehabende,
am besten Bescheid wissende Modul entscheidet - warum sollte es
nicht im Interesse aller, die auch ihre Interessen sind,
entscheiden?

Na, wenn das mal nicht zu einfach ist ;-) .

Die, die ein knappes Gut inne haben, d.h., die, die es be*sitzen*,
haben ja erstmal nichts mit denen zu tun, die dieses Gut brauchen. Und
an die universelle Interesseneinheit glaube ich nicht - so eine Art
volunte general, der sich gleich in der gesamten Menschheit
niederschlägt?

Z.B. haben die Leute, die ein Freies Auto produzieren ja vor allem ein
Interesse an der Produktion - weil ihnen das Spaß macht halt. Für die
Nutzung der produzierten Autos müssen sie sich mitnichten
interessieren. Das ist wie bei den Wissenschaftlern, die sich nicht
für die gesellschaftlichen Auswirkungen ihrer Wissenschaft
interessieren. Und das finde ich auch in unserem Kontext
nachvollziehbar: Ihre Selbstentfaltung besteht in der
Autoproduktion/Wissenschaft, nicht in deren gesellschaftlichen
Auswirkungen.

Daß die Nutzung von Autos aber gesellschaftlicher Kontrolle
unterliegen muß, dürfte klar sein - oder?

Und wenn es doof entscheidet, wird es ein neues Modul
geben, was gleiche gut herstellt und eben anders verteilt. Wie bei
der Freien Software ;-)

BTW: In einem anderen Mailotop habe ich eine interessante Debatte über
"Demokratie vs. GPL-Gesellschaft". Wenn ich das aufbereitet habe, dann
poste ich es auch hierher. Ich denke, auf dem Sektor fehlt uns noch
viel.


						Mit li(e)bertären Grüßen

						Stefan


----------------------
http://www.oekonux.de/



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