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Re: [ox] Re: ProsumentInnengenossenschaften



Hi Stefan, Liste!

3 weeks (21 days) ago Stefan Meretz wrote:
ich will mal Franz' Gedankenexperiment und Deine Einwände vor
folgenden Hintergrund durchdenken:

Mit dem Zerfall der realen Sozialismen (alias: Staatskapitalismus)
hat sich die Wertverwertung (aus Geld mehr Geld machen) totalisiert,
d.h. es gibt nahezu keine Ecke der Gesellschaft, die nicht davon
erfasst wäre -

Das ist wahr.

Allerdings würde ich das unabhängig vom Zusammenbruch der sog.
realsozialistischen Staaten sehen. M.E. erleben wir einfach die
Durchsetzungsgeschichte des Kapitalismus - der o.g. Zusammenbruch ist
da nur eine (große) historische Fußnote.

mit einer(?) kleinen, aber bedeutenden Ausnahme: die
freie Software, teilweise.

Na, wir haben aber ja mittlerweile hinreichend analysiert, daß Freie
Software zumindest in ihrer vollen Form etwas fundamental Neues ist.

Doch auch diese Indseln der Wertfreiheit
werden langsam eingeschnürt - das müssen wir realistisch sehen.

Momang! Wo siehst du eine Einschnürung? Wo denkst, du das wir Dinge
unrealistisch sehen?

Anyway, es sind geldlose Inseln im Meer des Geldes (alias:
Geldfetisch). Diese Inseln haben nun "nach innen" wertfreie
Beziehungen, da wird verschenkt, was der Speicherplatz hergibt, und
das bei viel Spaß.

Eben nicht nur nach innen. Ich habe der Freien Software bisher noch
*nichts* gegeben - jedenfalls keine Software. Mehr aus Zeitmangel
zwar, aber dennoch. Ich bin also draußen. Trotzdem entsteht diese Mail
hier vollständig auf der Grundlage Freier Software.

Darauf würde ich schon bestehen, daß das ein *entscheidender*
Unterschied ist, den wir nicht aufgeben können, ohne das Kind mit dem
Bade auszuschütten.

"Nach draußen" gibt's aber Geldbeziehungen über
Sponsoring, Bezahlung von Firmen für Entwicklung wertloser Software,
Jobs im Meer des Geldes etc.

Das ist zwar teilweise richtig, aber wirklich von außen/innen in
deinem Sinne würde ich nur bei den Firmen sprechen. Dazu unten mehr.

Können Genossenschaften so etwas nicht auch darstellen - so ist doch
Franz' (und meine) Frage? Nach außen dem Geldfetisch huldigen, ihn
nach innen aber sein lassen und stattdessen soziale Kooperation
praktizieren?

Wie gesagt habe ich eine andere Analyse als du sie hier aufzeigst.

Nach draußen Tausch (gegen Geld), nach innen genau das
nicht, sondern individuelle Selbstentfaltung auf der Basis "jede/r
nimmt, was gebraucht wird"?

Dafür gibt es zahllose kleinere historische Beispiele dafür - nimm'
nur die Kibbuzim als eines der größeren. Es bleibt festzuhalten: Die
haben alle nicht die Umwälzung gebracht.

Stefan Merten schrieb:
Ich denke, daß der Ansatz der Freien Software ein grundlegend anderer
ist, als der den du mit ProsumentInnengenossenschaften bezeichnest.

Die Begriffe "ProsumentIn" (ein Kunstwort aus Produzent und
Konsument) und "Genossenschaft" sollten wir erstmal trennen. Das
eine - die Tendenz, dass KonsumentInnen (auch unter Bedingungen der
Wertverwertung teilweise) Funktionen von Produktion übernehmen - hat
mit dem anderen - Genossenschaften als ökonomisches Konstrukt -
erstmal nichts tun.

Ok. Der Begriff kam von Franz und war so schön aus einem m.E. falschen
Sprachspiel, daß ich das gerne aufgegriffen habe ;-) .

Aber ich sehe, was ihr meint: Menschen waren früher klarer in
KonsumentInnen und ProduzentInnen geschieden als heute. Wenn ich z.B.
mal die Ausbreitung von Geld-/Bankautomaten nehme, wo Kunden -
technikunterstützt - heute Arbeiten selbst übernehmen, die früher der
Dienstleister Geldinstitut übernommen hat.

So gesehen ist der Begriff der ProsumentIn meinetwegen gebont.

An der Stelle möchte ich auch einen Gedanken einbringen, der mir
kürzlich kam, und der hier einigermaßen herpaßt: Müßten wir nicht
mittlerweile zwischen Produktion und Konsumtion die Konfiguration
ansiedeln? Bei Software sehe ich dieses Phänomen ziemlich deutlich. Es
existieren oft Hunderte von Einstellmöglichkeiten, die früher hart in
ein Produkt eingebrannt worden sind, heute aber der BenutzerIn zur
individuellen Anpassung unterhalb der Ebene der Programmierung zur
Verfügung stehen.

Ähnliches könnte vielleicht z.B. bei einer Autoneubestellung
analysiert werden, bei der etliche Optionen gewählt werden
können/müssen. Wegen der Hardware-Natur des Autos ist die initiale
Konfiguration dann zwar fest eingebrannt, aber auch hier ließe sich
mehr Modularität zumindest denken, so daß ein Fahrzeug auch
nachträglich "umkonfiguriert" werden könnte.

Dein Modell scheint mir sehr der Tauschgesellschaft verhaftet zu sein
während Freie Software völlig ohne Tausch auskommt.

Das "völlig ohne Tausch" ist ein logisches Argument, kein
empirisches. Georg Greve hat Dir ja in
http://www.linux-magazin.de/ausgabe/2000/09/GnuWorld/bgnuworld19.html
vorgehalten, dass Du mit "kommerzieller Freier Software" einen
"wesentlichen Aspekt" vernachlässigst.

Das Phänomen war Anfang des Jahres, als das Paper entworfen worden
ist, einfach noch nicht so stark und auch nicht so sichtbar wie es
heute ist. Daneben gehörte das auch nicht so sehr zum Thema des
Papers.

Auf der Liste ist das Thema aber schon mehrfach thematisiert worden
und es wäre sicher mal irgendwo aufzuarbeiten. Vielleicht komme ich ja
dazu.

Er hat insofern Recht, als
dass sich die Wertverwerter eben bemühen, diesen Widerspruch-in-sich
"kommerzielle Freie Software" in Richtung "Kommerz" aufzulösen.

Das würde ich so nicht durchgängig teilen. Wenn du dir die
Gnu/Linux-Distributoren anschaust oder auch das Engagement von IBM -
mal vorausgesetzt, daß das nicht alles gelogen ist -, dann zeichnet
sich da für mich ein anderes Bild.

Ich bestreite nicht, daß die alle Geld verdienen wollen - völlig klar.
Aber trotzdem scheint mir ihre Haltung zu Freier Software eine
(entscheidend?) andere zu sein, als die tumbe Profitmaximierung.

Bei den Distributoren ist das m.E. noch relativ einfach
nachzuvollziehen. Wenn die nicht auf die Unterstützung der
Gnu/Linux-Community setzen könnten, wären sie aufgeschmissen - siehe
Corel mit ihrer ursprünglichen Planung bzgl. Lizenz.

Und warum soll es nicht möglich sein, daß sich ein paar Leute aus
Begeisterung für Freie Software zusammengefunden haben und daraus ein
Distributor geworden ist? Wenn ich an die Anfänge von SuSE z.B. denke,
dann hat da nicht von Anfang an das persönliche Profitinteresse der
EigentümerInnen im Vordergrund gestanden. Klar wollten die davon leben
- aber sie haben m.E. Wege gefunden das zu schaffen, nicht nur ohne
die Prinzipien Freier Software aufzugeben, sondern sie sogar
voranzutreiben.

Und bei einem Global Player wie IBM z.B. sehe ich das auch
unproblematisch. Sie haben als Firma einen konkreten Nutzen von Freier
Software - warum sollen sie sich dann nicht den Spielregeln der Freien
Software unterwerfen? Kaputt gehen tut IBM sicher nicht daran, wenn
sie ein paar Hundert EntwicklerInnen für Dinge bezahlen, die sich
nicht direkt in verwertbaren Produkten niederschlagen - Sekretariate
und Werbung wird ja auch bezahlt.

Und auch hier würde ich nicht die Personen *in* den Firmen
vernachlässigen. Die Ausstrahlung Freier Software ist in Fachkreisen
enorm - weil sie gut ist zunächst aber *auch* weil die Leute sich für
die Idee begeistern. Warum sollten solche Menschen nicht auch bei IBM
sitzen können und dort ihren Einfluß diesbezüglich geltend machen
können?

Klar ist das Engangement von kapitalistischen Unternehmen in Freier
Software in letzter Konsequenz ein Widerspruch zur Wertverwertung an
sich und also zur Existenzgrundlage aller dieser Firmen. Aber das ist
eben nur die letzte Konsequenz - und die ist nicht heute.

1.
Die politischen Rahmenbedingungen vorausgesetzt, werden
lokale Eigen-arbeitsgemeinschaften (wie die SSM) gefördert.
Sie kriegen via Baurechtsaktionen sogar
geförderten Zugang zu Grund und Boden.

Genau "Eigenarbeit" für "Eigenversorgung". Die machen nämlich nur für
sich. Subsistenz ist wohl die richtige Bezeichnung. Das ist
fundamental anders als Freie Software, bei der die eigene Versorgung
in einigen Fällen nur ein Motiv ist.

...aber auch nur wg. der digitalen Kopierbarkeit. Wäre das mit den
materiellen Gütern ("universelle Materialisatoren") machbar, dann
würde aus "Eigenversorgung" schnell "Versorgung für alle". Hier
spielt uns die abnehmende Bedeutung des materiellen gegen über dem
algorithmisch-informationellen Aspekt in der Produktion in die
Hände.

Da stellst du es selbst wieder vom Kopf auf die Füße: Die
Eigenversorgung spielt dann eben eine untergeordnete Rolle und nicht
die zentrale - das war es worauf ich hinweisen wollte.

3.
Sie müssen einen Subsistenzplan vorlegen, das heißt die
Investitionen in ihre Infrastruktur führt tatsächlich zur
Senkung der Lebenshaltungskosten - ohne Einbusse an
Lebensqualität.

Ich habe genauso was gegen sinnlosen Konsum wie gegen die Predigt der
Bedürfnislosigkeit.

Noch dazu ist das vollständig in Geldkategorien gedacht: Es geht
darum, weniger offizielle Zahlungsmittel zu benötigen. Das wirkt auf
mich eher wie der Versuch, die real-existierenden Existenzprobleme zu
kitten.

Es ist der Versuch, die Abhängigkeit von der Geldsphäre zu
verringern, oder Systemtheoretisch: die Schnittstelle zum Weltmeer
des Geldes zu verkleinern. Hier sollten wir uns nicht jeden neuen
Gedanken dadurch selbst zensieren, dass das Gedachte als Reales
politisch neoliberal vereinnahmbar ist. Das versuchen die Neolibs
nämlich mit der Freien Software auch, siehe Eric S. Raymond. Wir
müssen schlauer sein und langfristiger denken.

Bei der Selbstzensur stimme ich dir ja zu - aber ich denke wir müssen
doch darauf bestehen, daß nicht die alten, noch nie wirklich
funktionierenden Konzepte jetzt in neuen Schläuchen daherkommen.

Nimm' mal große Teile Afrikas. Deren "Schnittstelle zum Weltmeer des
Geldes" ist schon (nahe bei) Null. Geht es denen deswegen besser? Ganz
im Gegenteil! Und das liegt daran, daß sie eben auf die
vorkapitalistischen Formen bzw. auf die sekundäre Barbarei (d.h.
verallgemeinertes "Jeder gegen Jeden", Bürgerkrieg, Mafiastrukturen,
Bandenwesen) zurückfallen.

Die Schnittstelle verkleinern alleine kann's also nicht sein. Es kommt
schon darauf an, daß wirklich *neue* Formen Kernbestandteile sind -
z.B. die Selbstentfaltung, z.B. die Nicht-Abgrenzung, z.B. die Freie
Weitergabe.

Ich will es mal so ausdrücken: Wir müssen ein neues Meer gründen -
meinetwegen auf einem neuen Planeten - und zwar nicht mehr mit Wasser
sondern mit Nektar.

Freie Software zeigt da m.E. ganz andere, viel spannendere Potentiale.

Kann man diese Potentiale genossenschaftlich reformulieren und damit
vielleicht übertragbar machen? Das ist meine Frage, die Antwort kann
schlicht "nein" lauten, aber das weiss ich nicht.

Mein Eindruck ist, daß sie "Nein" lautet. Das soll nicht heißen, daß
wir uns diese Alternative mal genauer anschauen sollten - aus vielen
Ecken können ja wertvolle Beiträge kommen. Im Kern halte ich aber das
genossenschaftliche Modell nicht für besonders spannend für unser
Thema.


						Mit li(e)bertären Grüßen

						Stefan


----------------------
http://www.oekonux.de/



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