[ox] das Wesen des Menschen
- From: sabine.nuss freenet.de
- Date: Fri, 13 Oct 2000 22:02:49 +0200
PILCH Hartmut wrote:
Ich finde das nicht nur vom Ansatz her eine recht neue
Diskussion -
wahrscheinlich hat's das zu Zeiten Oktoberrevolution schon
mal gegeben
- -, sondern auch eine *verallgemeinerungsfähige* Perspektive.
Das ist
eine Perspektive, mit der ich zu Herr und Frau NachbarIn
gehen kann
und sagen: "Hey, wir wollen eine neue Gesellschaft bauen. An
deinem
materiellen Wohlstand wird dir nichts genommen werden - nur
Arbeiten
mußt du dafür nicht mehr wenn du nicht willst." Wer könnte
dazu Nein
sagen?
Viele Leute wuerden aus Gewohnheit oder Instinkt heraus Nein
sagen.
Andere wuerden sich wiederum langweilen, gammeln und
Aggressionen
entwickeln.
Die Universitaet ist oft deshalb ein Ort des endlosen Intrigierens,
weil
Leute dort nicht unter staendigem Verwertungsdruck stehen.
Leute wie Daniel Riek sind in der Linux-Gemeinde deshalb hoch
angesehen,
weil sie solchen Druck meistern und trotzdem etwas beitragen.
Die Linux-Gemeinde sollte und wird sich vorsehen, sich von einer
bestimmten moeglicherweise falschen Anthropologie
vereinnahmen zu lassen.
Das Thema Anthropologie oder "Wesen des Menschen" wird nun
seit einigen Mails hin- und hergewälzt, versehen mit Argumenten,
die allesamt ein wenig schief sind, daher dazu ein Einspruch.
Urteile darüber, wie der Mensch an sich so ist und/oder wie er
reagieren würde, wären wir in einer anderen Welt, entstehen hier
durch Anschauung der real existierenden Welt, in der wir leben. Es
wird also beobachtet, aha, so und so sind die Leute um mich rum,
und dann wird auf eine seltsame Weise geschlossen, dass die
Leut' eben so sind und in anderen sozialen Systemen dann ebent
auch so wären. Es wird also von einem Ergebnis eines Prozesses
auf eine Art Natur des Menschen geschlossen. Um es noch
komplizierter zu sagen: Es wird ein Ergebnis als Gegeben
vorausgesetzt und als Basis weiterer Gedanken genommen.
Dabei haben wir doch alle eine Ahnung davon, dass die Leute in
unterschiedlichen historischen Epochen unterschiedlich drauf sind
und waren. Ich wills mal einfach festhalten: "Den Menschen an
sich" gibt es nicht. So. Und noch was: "Die Natur des Menschen"
auch nicht. Was übrigens das gleiche ist. Das sind alles
Konstrukte, die dadurch entstehen, dass man die Welt nimmt wie
sie einem so daher kommt oder wie sie erscheint und diesen
Schein, der wird dann als in Stein gemeißelt wahrgenommen, oder
sagen wir als "Natur" interpretiert. Ich will das gar nicht so arg
kritisieren, weil er sich auch stark aufdrängt im Alltag, der Schein -
eben als Voraussetzung, statt als Ergebnis bestimmter Prozesse.
Das ist eine Unterscheidung, auf der ich nochmal rumreiten will:
Das Objekt meiner Beobachtung, in diesem Falle
Verhaltensmuster von Menschen, ist erst Produkt einer
bestimmten historischen, ökonomischen, gesellschaftlichen, usw.
Sozialisation. Nicht Voraussetzung. Wenn es als Voraussetzung
genommen wird, oder als gegeben, landet es zwangsläufig im
Naturhaften. Weil, woher solls sonst kommen?
Ich will halt nochmal doch das alte Ding mit dem "Das Sein
bestimmt das Bewußtsein" bemühen, wobei ich überzeugt bin,
dass auch das "Bewußtsein bestimmt das Sein" mit dazu gehört
(nicht ausschließend, sondern wechselwirkend). Dies zu denken
dürfte nicht schwerfallen, schließt aber Sätze wie "die Leute
würden dann mehr mitnehmen, als sie wollen", oder "die wären
dann faul oder aggressiv" völlig aus. Es geht wirklich nicht, dass
hier zu beobachtende Verhaltensauffällgkeiten von Leuten
ahistorisch ins zeitlose, naturhafte Wesen des Menschen hinein
gedacht werden. Da landen wir im Nichts oder in Ideologie. Es läßt
sich schlicht nichts (!!!) sagen, darüber, wie der Mensch wäre wenn.
Ich hoffe, ich habe damit nun die Grundlage für Spekulationen, wie
der Mensch so ist oder wäre, entzogen.
Nun zu Stefan Meretz: Natürlich impliziert der Gedanke von
Selbstentfaltungskräften, die irgendwie dem Menschen innewohnen
und hierzulande gebremst werden oder auch nicht mehr gebremst
werden - wie auch immer - auch eine Art Naturhaftigkeit. (Erinnert
mich ein wenig an das Gattungswesen in den Frühschriften von
Marx, in denen er auch immer mit irgendwelchen Wesensanlagen
oder -kräften des Menschen rumfuhrwerkte). Aber ich glaube, da
wurdest Du missverstanden. Oder? Du denkst sicher daran, dass
bestimmte Verhältnisse bestimmte Entfaltungsmöglichkeiten
besser generieren können, als andere. Wobei ich da auch wieder
einschränkend sagen würde, dass diese Verhältnisse, wie auch
immer wir sie definieren, immer nur eine notwendige, nie aber eine
hinreichende Bedingung wären. Es gehört halt auch das
Bewußtsein dazu, nicht nur das Sein. Das Bewußtsein aber wäre
ein Wille zur Entfaltung, ein Wille zu einer anderen Welt, um mal
große Worte zu bemühen, es gibt halt leider keinen noch so gut
durchdachten Mechanismus, der die schöne Welt quasi von alleine
hervorzaubert. Man kommt halt nicht drum rum: Ein politisches
Wollen brauchts schon.
Sabine
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