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Re: [ox] Gedanken zu Linus & Co



Hi Steffen,

es ist wahrscheinlich für einen Neueinsteiger in die Diskussion
schwierig, hier reinzukommen. Es hat sich einfach viel entwickelt im
letzten Jahr. Viele Deiner Fragen und Anmerkungen sind darin
aufgehoben. Es wäre jetzt easy, zu sagen: schau ins Mail-Archiv. Ein
Blick da rein lohnt auf jeden Fall, dennoch hier von mir ein paar
Antworten (die immer nur meine Meinung sind).

Genau habe ich übrigens nicht rausgelesen, auf welchen Text du dich
beziehst...

Steffen Blume schrieb:
In dem Text Linux & Co wird die Postmoderne als Informationsgesellschaft
benannt, da das Wichtigste die Informationen werden. Der Begriff
GPL-Gesellschaft soll mehr Umfassen (?) ! Er soll aussagen, das sich die
Einzelintressen der Individuen überschneiden oder sogar identisch sind , so
dass sie sich in Kooperation Selbstentfalten. So soll der die Gesellschafft
bestimmende Wert nicht mehr Geld sein, sondern die Selbstentfaltung. Falls
ihre Tätigkeiten zur kollektiven Selbstverwirklichung und Selbstentfaltung
führen, wodurch die Überschneidung der Interessen gegeben ist, kann Wohlstand
und damit Geld zweitrangig oder nahe zu egal werden, da es nicht mehr als Maß
der Zufriedenheit angesehen wird, was es nun wirklich nicht ist.

Hab ich das in etwa so richtig geschildert?

In etwa (Wohlstand ist nicht egal, sondern wichtig und noch ein paar
Einschränkungen, die ich aber hier lasse).

Wenn entfremdeten Produktionsprozesse in der GPL-Gesellschaft nicht existent
sind, werden verschiedene Produkte nicht mehr in der Anzahl vorhanden sein,
wie jetzt. (Dies trifft meiner Ansicht nach für gar nicht so wenige Produkte
zu) Das wiederum führt zu einem absinken des Lebensstandard. Da dieser aber
nicht weiter als Maß der Zufriedenheit angenommen wird, ist dies angesichts
der verherenden Folgen für unsere Umwelt zur Zeit gar nicht schlecht.

Es wird sich alles mögliche ändern: Es wird von einigen Dinge
wesentlich _mehr_ geben, ganz einfach, weil sie gebraucht werden
(nützlich Software und Hardware z.B., gutes Essen, gute Luft schätze
ich), einige Güter werden weniger oder gar nicht mehr produziert -
weil sie keine/r mehr braucht, weil sie die Umwelt zerstören oder
aus sonst welchen Gründen, die kommunikativ erwogen werden (eben
nicht mehr über das Geld reguliert). Eins ist aber sicher: Der
"Lebensstandard" wird m.E. nicht sinken, sondern die Lebensqualität
wird zunehmen (weniger oder keine Arbeit mehr - welch Befreiung wäre
das!).

Ein anderes Problem ist für mich, dass das Produzieren von nutzbaren
Produkten nicht bei allen Produkten eine Selbstentfaltung darstellt. Nur für
solche, dessen Herstellungsprozess Kreativität erfordert, kann die Erstellung
für einen Bestimmten Menschen eine Selbstentfaltung sein.
Ein Besipiel: Der Entwurf eines Hauses erfordert neben anderen Fertigkeiten
Kreativität im Gegensatz zum Bauen des Hauses, obwohl beides ein nutzbares
Produkt erzeugt. Das Haus ist dabei noch "nutzbarer" als der bloße Plan des
Hauses.

Das teile ich nicht. Selbstentfaltung ist so verschieden, wie die
Menschen eben verschieden sind. Denk an die Hobbybastler: Die
stellen liebend gerne bastelnd was her. Wenn ich unter (manchen)
Kolleg/inn/en vom "Pläne machen" spreche, ernte ich nicht selten ein
freundliches "Hirnwichser". Ich habe keine Bedenken, dass es für
_alle_ gesellschaftliche notwendigen Funktionen Menschen geben wird,
die sich derer mit Freude annehmen - und sei es auch nur
vorübergehend. Die Kloputzfrage haben wir übrigens hier schon
weitgehend geklärt ;-)

Klar ist aber auch: Scheiss-Arbeiten müssen per maximaler
Rationalisierung und Technikeinsatz (oder auch Vermeidung) aus der
Welt geschaffen werden. - Doch genau dafür werden sich sicher wieder
viele begeistern können!

Man muß also zwischen Planung und Ausführung eines Produkts unterscheiden,
wobei die Planung immer Kreativität erfodert aber die Ausführung nicht immer.
Da es ist nicht möglich, dass jeder die unkreative Ausführung eines nötigen
oder gewünschten Produkts selbstübernimmt und die zentrale Planung abgelehnt
werden muss, bleibt nur ein sich selbst regulierender Tauschmarkt als
Alternative.

Da ich Deinen Voraussetzungen nicht zustimme, sehe ich die
Notwendigkeit eines "Tauschmarktes" nicht. Das haben wir jetzt
schon, das Elend kennen wir.

DAdurch bleibt das Prinzip erhalten, dass jeder nur seinen
Ausschnitt aus der Gesellschaft plant und sich alles zu einem großen
funktioniereden Ganzen zusammen setzt.
Damit sich dieser Markt vom jetzigen unterscheidet, ist es wichtig, dass
Wohlstand nicht mehr als Maß aller Dinge und der Zufriedenheit angesehen wird.

Doch genau das! Wohlstand, oder mal für mich übersetzt "Ein gutes
Leben für je mich!" muss das Mass aller Dinge werden! Klingt das
verwirrend? Es ist voll logisch: Die maximale, unbeschränkte
Selbstentfaltung eines jeden Einzelnen ist das, was wir brauchen.
Darin ist _logisch_ enthalten, dass ich meine Selbstentfaltung nur
maximal umsetzen kann, wenn sich _alle_ Menschen auch entfalten
können. Dies im wesentlichen aus zwei Gründen: Diese Menschen sind
um mich herum, sie bilden sozusagen meine Lebens- und
Entfaltungsbedingungen. Wenn die alle so mies und unentfaltet drauf
sind, dann stoße ich schnell an Grenzen. Zweitens: Heute
funktioniert (eingeschränkte) "Entfaltung" immer nur auf Kosten
anderer. Und der "allgemeine Andere" bin eben auch ich. Ich scheide
mir also ins eigene Fleisch, wenn ich meine "Entfaltung" auf Kosten
anderer betreibe, denn die tun das dann auch. So läufts heute, da
müssen wir raus.

Eine wie im Text Linux & Co beschriebene Situation mit Supermärkten ohne
Kassen (frei wie in Freibier ;-) funktioniert meiner Ansicht nach nicht, da
viele Menschen mehr nehmen würden als sie wirklich brauchen. Ich schließe
mich selbst auch ein.

Und wo lässt Du den Krempel? Und meinst Du, du machst das jedesmal?
Kann es sein, dass die Leute das tun würden, gerade weil sie jetzt
von freier Verfügung ausgeschlossen sind? Auch deswegen ist
"Wohlstand" wichtig: Es muss garantiert klar sein, dass ich alles,
was ich brauche, auch morgen noch bekomme. Wie bei Freier Software:
Die muss ich nicht horten, denn ich weiss sicher, dass ich sie auch
morgen noch frei bekomme.

Ein solcher Tauschmarkt wie oben beschrieben auch mit einem universellen
Tasuchmaterial (Geld) führt meiner Ansicht nach nicht zu solchen sozialen
Ungerechtigkeiten wie sie heute vorkommen, da nicht mehr die vom System
festgelegte Qualität eine Rolle beim Preis spielt, sonder nur noch die
investierte Quantität der Arbeit. Nur noch die Ausführung von Produkten muss
beim Tausch aufgewogen werden.

Jedes geldbasierte Tauschsystem verselbstständigt sich gegen seine
Nutzer/innen. Tauschutopien sind irreal. Wir müssen realistisch
sein, und das bedeutet: eine reiche Ökonomie ohne Geld und Tausch.
Mit nehmen und entfalten nach Bedürfnis. Darunter ist alles andere
völlig unrealistisch.

Natürlich darf es keinen Zwichentausch (-handel) geben, der nur Profit aus
dem Tauschen zieht. Der Produkt geht durch die Ausführung (eventuell bis auf
die Rohmaterialkosten) in den Besitz (nicht Eigentum?) des Ausführenden über.
Dadurch fällt der von Marx beschriebene Mehrwert weg.

Sowas kriegst du nur diktatorisch, und dieser Realversuch hat nicht
funktioniert. Entweder du hast das Wert-als-Selbstzweck
produzierende System, dem die Menschen als Handlanger dienen (bei
Marx: Fetischismus), dann hast du all den funktionalen Kram, der da
eben dran hängt (Zwischenhandel, Profit, Mehrwert etc.), mit dabei.
Oder du lässt es ganz sein.

Das ist für den Anfang erstmal genug Text.

Und genug Meinung von mir...

Ciao,
Stefan

-- 
  Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen
  HA II, Abteilung Datenverarbeitung
  Kanzlerstr. 8, 40472 Duesseldorf
--
  stefan.meretz hbv.org
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