[ox] Mag Wompel - Fetisch Arbeit 1. Teil
- From: UlrichLeicht t-online.de (Ulrich Leicht)
- Date: Wed, 18 Oct 2000 18:19:03 +0200
******************************** Teil 1 Fetisch Arbeit ************************
Mag Wompel
Fetisch Arbeit und die Gewerkschaftslinke
"Das Bündnis ist tot", sagte DGB-Schulte am 23.4.1996 - das mit Kohl. Zurecht.
Die selbst auferlegte Zurückhaltung bei den Lohnverhandlungen und die
Bereitschaft Schultes zur Kürzung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe gegen die
Halbierung der Arbeitslosenquote brachten uns jenes 50-Punkte-Programm ein, von
dem selbst kritische Gewerkschafter meist nur die symbolische Kürzung der
Lohnfortzahlung nennen.
Was hinsichtlich der weiteren Verschlechterung der Arbeitsbedingungen auf
Bundesebene nicht klappte, haben betriebliche und regionale Bündnisse erledigt:
Lohnverzicht und Lohnsenkungen
Absenkung der unteren Lohngruppen durch Lohndifferenzierung
Pausenkürzungen, Arbeitsverdichtung
Einstiegslöhne für Langzeitarbeitslose bis zu 20 % unter Tarif
Streichung bzw. Kürzung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld
Streichung bzw. Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Einführung
von Karenztagen oder Anrechnung von
Krankheitstagen auf den Jahresurlaub
Senkung der Ausbildungsbezüge um bis zu 30 Prozent
Streichung der Zuschläge für Samstagsarbeit und unbezahlte Überstunden
durch Arbeitszeitflexibilisierung mit Arbeitszeitkonten
Samstagsarbeit als Regelarbeitszeit
Umwandlung von Normalarbeitszeit- in Teilzeitarbeitsverhältnisse
Fortschreibung befristeter Arbeitsverträge ("Kettenverträge") sowie
weitere Verschlechterung des Kündigungsschutzes.
Und ganz findige Arbeitgeber versuchen schließlich, die verbliebenen
Belegschaften dennoch mit Zielvereinbarungen und
Gewinnbeteiligungen zu motivieren, denn ohne ein "noch-Mehr" an Engagement
der Beschäftigten sei die Schaffung von
Arbeitsplätzen nicht möglich, so Arbeitgeberpräsident Hundt.(1)
Eine gerade veröffentlichte WSI-Befragung von Betriebs- und Personalräten hat
ergeben, daß in 24% (Betriebsräte) bzw. 12% (Personalräte) der Unternehmen
'Bündnisse für Arbeit' vereinbart wurden (FR vom 05.01.1999). Gegen
Beschäftigungsgarantien oder den Ausschluß betriebsbedingter Kündigungen gab es
Mehrarbeit ohne Zuschläge (15%), Samstagsarbeit und Abstriche bei
Sonderzahlungen (10%) sowie Abschläge bei übertariflichen
Einkommensbestandteilen (7%). Je nach Branche dürften diese Zahlen noch höher,
die Folgen noch härter ausfallen.
All diese 'Errungenschaften' haben dazu beigetragen, im Rahmen der
'Prekarisierungspyramide' auch die Lebensbedingungen von Arbeitslosen und
Sozialhilfeempfängern zu verschlechtern. Nicht zuletzt die Akzeptanz des auch
in Gewerkschaften und Belegschaften breit akzeptierten Lohnabstandsgebots hat
hieran ihren Anteil. Und aus all diesen Gründen meint Hundt daher in
einem FAZ-Interview: "Bündnisse für Arbeit gehören in den Betrieb" (vom
02.12.1998). Nur Betriebsräte - laut FR vom Silvester '98 die Mehrheit der vom
WSI befragten Betriebs- und Personalräte - scheinen daher noch zu glauben,
beispielsweise die massive Arbeitszeitflexibilisierung hätte den Beschäftigten
mehr Zeitsouveränität gebracht - und nicht den Unternehmen flexiblere
Verfügemasse. Von den versprochenen Arbeitsplatzeffekten dieser
Arbeitszeitgestaltung wird wenigstens nicht mehr gesprochen. Kann es auch
nicht, denn die Möglichkeiten flexibler Arbeitszeitdisposition begünstigen die
unternehmerische Politik der 'dünnen Personaldecke': "Damit ist das klassische
Instrument der IG Metall, über die Verteuerung der Mehrarbeit Druck auf
Einstellungen auszuüben, wirkungslos geworden. Durch die lohnpolitische
Neutralisierung der Überstunden werden diese jetzt erst recht zur
hauptsächlichen Kapazitätsreserve, werden Einstellungen weitgehend
überflüssig.(2) Dennoch streben nach dem ersten Gespräch zur zweiten runde des
Bündnisses für Arbeit alle beteiligten Seiten an, ausgerechnet durch flexible
Arbeitszeiten Überstunden, die 1998 um rund 20 Millionen gegenüber 1997
angestiegen waren (FR vom 05.01.1999), abzubauen.3 Gemeint sein kann nur deren
Vergütung.
Neueinstellungen unter Tarif und sonstige Tarifbrüche sind also längst
Bestandteil der gewerkschaftlich geduldeten Tagesordnung - entgegen
gewerkschaftlichen Beschlüssen, die z.B. lauten: "Die IG Metall ... lehnt alle
Vorschläge zur Einführung untertariflicher Einstiegslöhne für Arbeitslose ab"
(Gewerkschaftstag der IG Metall 1995), und entgegen anderslautenden
Versprechen: "Wir werden an den Eckpfeilern unserer Grundsicherung, den Tarifen
und dem Sozialsystem, nicht rütteln.", so Zwickel (im Interview mit Spiegel
50/1994). Der Abbau von Arbeitsplätzen wie die Verschlechterung der
Arbeitsbedingungen geht - so oder so - munter weiter.
Kritische GewerkschafterInnen wußten es längst: "Bündnis für Arbeit? Das hat
sich erledigt, Kollege Zwickel!"4 "Bündnis für Armut und Profit? Nein
Danke!"(5) bzw. "gegen ein Bündnis für Armut und Profit!"6 "Bündnis für
Arbeit?: Schluß mit den 'Spitzengesprächen' - Raus auf die Straße!"7 "Pakt zum
Sozialabbau und zur Arbeitsplatzvernichtung"8 "Sozialabbau im Konsens mit dem
DGB: Großbündnis für Standort, Einbindung und Augenwischerei"9 "Wer einen Pakt
halbherzig schmiedet, kommt darin um!"10
Damit schien alles gesagt, das Thema abgehandelt. Und doch: Zwickel sagt zum
erneuten Bündnis "Wir sind bereit" (metall 11/1998), die Gewerkschaftslinke
setzt dem ein kategorisches "Kein Bündnis für Arbeit!" entgegen, während die
Mehrheit der Deutschen angeblich (immer noch) der Meinung ist, "daß ein
Bündnis für Arbeit die Beschäftigungskrise mildern kann."11 Diese Umfrage
erscheint glaubwürdig, denn "bei aller chronischen Unzufriedenheit mit den
konkreten Formen und Ergebnissen der 'Sozialpartnerschaft' hat die Masse der
Lohnabhängigen immer noch ihre grundlegende Prämisse geteilt, die Rentabilität
und Konkurrenzfähigkeit des (hiesigen) Kapitals zu erhalten. Nicht bloß die
Gewerkschaftsbürokratie, sondern auch die Basis sah und sieht sich daher
gezwungen, dem Druck des Kapitals und der herrschenden Meinung nachzugeben,
von der unorganisierten Mehrheit der Lohnabhängigen (die die
Gewerkschaftslinke gern zu vergessen geneigt ist) gar nicht zu reden."(12)
Die Gewerkschaftslinke scheint nicht überzeugen zu können - weil sie nicht die
richtigen Argumente hat?
Eine falsche Orientierung der Gewerkschaften - ist das so neu?
Es macht zwar schwindelig, wie ein Klaus Zwickel mühelos zwischen zumindest
potentiell gegensätzlichen Forderungen ("Bündnis für Arbeit und
Standortsicherung" von 1995 - 32-Stunden-Woche - "Bündnis für Arbeit,
Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit" von 1998) tänzelt, doch kann dies
unmöglich als ein neues Zeichen für die Anpassungsfähigkeit der bundesdeutschen
Gewerkschaften interpretiert werden. Sich immer wieder aufs Neue über die
Problematik, wer mit wem und gegen wen ein Bündnis eingeht, aufzuregen fällt
ebenso schwer, denn die diesen Allianzen zugrundeliegende
sozialpartnerschaftliche Orientierung reicht von der 'Konzertierten Aktion' -
dem 'Bündnis zwischen Arbeit und Kapital' der sechziger Jahre -, über die
innerbetrieblichen Bündnisse der frühen siebziger Jahre und das
Flexibilitätsbündnis, in dem die Kampagne für die 35-Stunden-Woche 1984
mündete, bis zu jenem Bündnis für Arbeit I von 1995.
Es stimmt: "Zum Verzichten braucht man keine Gewerkschaft".(13) Aber diese
Erkenntnis ist genauso alt wie die entsprechende Gewerkschaftspolitik, deren
Kontinuitäten bis spätestens Anfang der 50er Jahre, wenn nicht auf Lassalle,
1906 oder 1914-18 bzw. 1933 zurückverfolgt werden können.(14) Wer erschüttert
ist, wenn ein neues Bündnis für Arbeit für notwendig erklärt wird,
"weil die zügige Verminderung der Massenarbeitslosigkeit und die gezielte
Verwirklichung von mehr sozialer Gerechtigkeit am ehesten im Zusammenwirken
von Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften möglich ist",(15) der oder die hat
lange geschlafen.
Eine solche Politik ist auf einen doppelten Gedächtnisschwund angewiesen: nicht
nur bei denen, die sie betrifft, sondern auch bei denen, die sie verfolgen.
Arbeitsminister Riester, noch vor wenigen Monaten Stellvertreter Zwickels,
will neue Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich, auch mit Niedrigtarifen
(vgl. FAZ vom 2.12.1998). Ist dies der versprochene Neuanfang nach derAblösung
der Regierung Kohl? Zur Kürzung der Lohnfortzahlung mutmaßt Zwickel: "So etwas
passiert bei sozialdemokratischen Regierungen nicht" (FR vom 9.11.1998). In
einem Flugblatt des IG Metall-Bezirks Baden-Württemberg schrieb er über die
damalige sozialdemokratische Regierung 1981 noch: "Unter dem Vorwand,
Mißbräuche zu beseitigen und sparen zu wollen, fährt die Bundesregierung mit
einem Mähdrescher über die sozialen Leistungen hinweg!" Ähnliche
Erfahrungen hat übrigens einer seiner Vorgänger, Eugen Loderer, 1974 mit der
sozialdemokratischen Regierung unter Willi Brandt machen müssen, damals im
Rahmen der Konzertierten Aktion. Ähnliche Erfahrungen werden nun auch in
Frankreich und Italien gemacht. Wer mit am Tisch sitzen will, muß vergessen
können.
Allerdings: ob Bündnis für Standortsicherung oder Wettbewerbsfähigkeit - mit
diesen Zielen stehen die Gewerkschaftsspitzen mittlerweile offen zur Politik
der Standortkriege durch Standortsicherung und machen die wiederholte
Entlarvung durch ihre oppositionellen Strömungen überflüssig.(16) "Damit
Deutschland wieder stimmt", so die IG Metall-Broschüre zur Tarifrunde '99,
will man die "Schlacht für die Arbeit" (L. Jospin) gewinnen. Der (noch)
proklamierte Verzicht auf den Lohnverzicht trotz Bündnis für Arbeit wird von
der IG Metall und der ÖTV mit der Rolle der Binnennachfrage für die Konjunktur
begründet unddie soll ja bekanntlich gut für Arbeitsplätze sein. Auch hier ist
die IG Metall traditionsbewußt: "Deutschland ist ein starker Standort. Tun wir
was, daß es so bleibt", so lautete eine Anzeige der IG Metall im Oktober 1993.
Die Arbeitgeberseite hat also wahrlich keinen Grund, "Eingriffe in die
Tarifautonomie" oder "eine Entmündigung der Tarifvertragsparteien"(17) zu
befürchten. Entsprechend sagt sie jetzt schon zu, nichts zuzusagen: "Aber
niemand kann von uns quantifizierte Zusagen über Ausbildungs- und Arbeitsplätze
verlangen. Das wäre idiotisch!"(18) Und der nordrhein-westfälische
IG-Metall-Chef Schartau deutet bereits an, die Gewerkschaft könne nicht in Bonn
auf Partnerschaft setzen und in den Tarifverhandlungen "gleichzeitig den Krieg
erklären" (zitiert im Spiegel 51/1998). So sieht das Ende vom "Ende der
Bescheidenheit" aus, wenn diese Formel nurmehr zur Beruhigung der Mitglieder
dient, weil sie sonst den Standort gefährdet.
In der Tat: "Die IGM reagiert nur defensiv, läßt sich von den
Arbeitgeberverbänden die Problemdefinitionen vorgeben, und daher bleibt ihre
Argumentation in allen wesentlichen Momenten der neoliberalen Hegemonie
verhaftet" (so in der Studie von Bergmann, Bürckmann und Dabrowski (19), und
nach einer Befragung von Betriebsräten konstatieren die Autoren: "Soviel hat
auch noch das letzte IGM-Mitglied vom marktwirtschaftlichen Einmaleins
begriffen, daß in kapitalistischen Ökonomien Beschäftigung keine autonome
Zielgröße ist und daß die Gewerkschaften, auch wenn ihre Vertreter in den
mitbestimmten Aufsichtsräten sitzen, keinen wirksamen Einfluß auf die
entscheidenden Größen, Gewinne und Investitionen, haben." (20) Wohl
deshalb werden Betriebsräte selbst von VW-Vorstandsmitlgied Hartz gelobt: Die
Mitbestimmung habe sich "von der Gegenmacht zur Gestaltungsmacht emanzipiert"
(FR vom 18.11.1998). Es ist eine offensive und bewußte Orientierung.
Deren Folgen sind bereits 1995 beschrieben worden: "Gestaltungsmacht reduziert
sich nur auf Mitgestalten von Erhalt und Verbesserung der Wettbewerbssituation
der Unternehmer, auf Profitsicherung. Angesichts der Weltmarktzwänge kann das
nur als Mitgestaltung des eigenen Funktionsverlustes als Gewerkschaft und zu
Lasten der Lohnabhängigen funktionieren." (21) Wir als Gewerkschaftslinke
konnten damit nicht verhindern, daß die Mehrheit der Lohnabhängigen dieser
Politik zustimmt, mangels realistischer und attraktiver Alternativen zur Leiden
verursachenden, aber realen Lohnabhängigkeit. Denn in einem Vierteljahrhundert
der Gewerkschaftsopposition mußten wir zweierlei lernen:
1."Die Linke hat nicht die Gewerkschaften rebellisch gemacht und auf
'antikapitalistischen' Kurs gebracht, sondern die Gewerkschaften haben
umgekehrt die Linke vergewerkschaftet und 'verbetrieblicht'" und
2."Der 'Interessensgegensatz' allein bzw. das bloße 'Bewußtsein vom
Interessengegensatz' war noch nie geeignet, ein 'antikapitalistisches', also
sozialistisches Bewußtsein zu begründen, das die Arbeiterbewegung auch in
ihren gewerkschaftlichen und politischen Tageskämpfen motivieren und
orientieren konnte." (22)
-------------------------------------------------------------------------------
+++++++ labournet.de - der virtuelle Treffpunkt der Gewerkschaftslinken +++++++
-------------------------------------------------------------------------------
Was ist LabourNet Germany? Fördert das LabourNet Germany!
Artikel und Vorträge von uns - über uns
LabourNet Germany: Wer wir sind, was wir wollen
Dave Hollis, Mag Wompel
mehr auf der Webseite: w w w . l a b o u r n e t . d e
Kontaktadresse von LabourNet Germany und labournet.de e.V.:
redaktion labournet.de
Mag Wompel, Saladin-Schmitt-Str. 23, 44789 Bochum, Tel: [PHONE NUMBER REMOVED]
Fax: [PHONE NUMBER REMOVED] 69751
Fördert das LabourNet Germany!
Das LabourNet Germany wird immer bekannter, womit unsere Öffentlichkeitswirkung
und Kampagnenfähigkeit steigen. Unsere Mailingliste hat über 310 direkte
LeserInnen, täglich werden es mehr und immer mehr Menschen besuchen unsere
Homepage. Das freut uns und das verstehen wir als Anerkennung unserer Arbeit.
Wir müssen aber gerade an die zufriedenen LeserInnen/NutzerInnen des LabourNet
Germany appellieren, unsere Arbeit zu unterstützen:
tatkräftig, warenförmig (wir brauchen dringend ein Faxgerät für unsere
Kampagnenarbeit!) und finanziell, am besten als Fördermitglied, denn eine gute
Tageszeitung gibt es auch nicht gratis! Nur so können wir unsere Arbeit
aufrechterhalten und aus der nächtlichen Selbstausbeutung herausholen und damit
aus Arbeitbedingungen entfliehen, die wir bei anderen täglich anprangern...
Dafür hat sich am 3. Dezember 1999 in Stuttgart, übrigens am Rande der Konferenz
der Gewerkschaftslinken, der "labournet.de e.V. Netzwerk für Bildungs und
Kommunikation in Betrieb & Gesellschaft" gegründet.
Wir danken ihnen genauso, wie denjenigen, die lieber im Hintergrund wirken...
Darüber hinaus danken wir der Stiftung Menschenwürde uns Arbeitswelt, Berlin,
für die Unterstützung. All dies kann jedoch nicht die betriebs- und
redaktionellen Kosten des täglich aktualisierten, Vernetzung und Kampagnen
organisierenden LabourNet Germany decken und unsere Selbstausbeutung aufheben.
Helft also bitte mit, e-mail an uns genügt!
Konto des LabourNet.de e.V.: labournet.de e.V., Postbank Dortmund, BLZ:
44010046, Kto.-Nr.: 263526-467
Hilfe kann auch in der Werbung neuer Fördermitglieder bestehen!
----------------------
http://www.oekonux.de/