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[ox] Robert Kurz - Letzte Gefechte 1. Teil et.al.



UlrichLeicht t-online.de

Hallo diverse Listige

Aus unserer Zusammenstellung von Texten zu einem "Gewerkschaftsreader" möchten 
wir auf zwei Artikel aufmerksam machen, die sich anhand des Projekts 
"Bündnis für Arbeit" grundsätzlich mit dem Dilemma und den Sackgassen realer 
Gewerkschaftspolitik in diesem Lande auseinandersetzen. Für die Diskussion 
um die Perspektive einer Gewerkschaftslinken, die diesen Namen auch verdient, 
können sie notwendige und unverzichtbare Orientierungen geben.
Ich poste sie in mehreren Teilen zu. Sie sind in Kürze auch beide auf der 
Webseite von Laburnet zu finden:  h t t p // w w w . l a b o u r n e t . d e
 

1. Robert Kurz, "Die deutsche Version der sozialen Paralyse: ein 'Bündnis für 
Arbeit'" (Das dritte Kapitel des Textes "Letzte Gefechte", der vollständig 
unter http://www.giga.or.at/others/krisis/r-kurz_die-letzten-gefechte_krisis18_
1996.html zu finden ist)

2. Mag Wompel (maintainerin www.labournet de.) "Fetisch Arbeit und die 
Gewerkschaftslinke" (http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/bfa-ak.html)



******************** 1. Robert Kurz, Die letzten Gefechte *******************

(...)
Die deutsche Version der sozialen Paralyse: ein "Bündnis für Arbeit"

Im Unterschied zu Frankreich können in Deutschland die Gewerkschaften gar nicht 
mehr im Sinne einer sozialen Bewegung kritisiert werden, weil sie den Charakter 
einer solchen längst verloren haben. Der sozialpatriotische Sündenfall der 
alten westlichen Arbeiterbewegung im Ersten Weltkrieg war zwar bereits ein 
gemeinsamer gewesen. Und natürlich ist diese Bezeichnung heute nur noch 
ironisch zu nehmen, weil die Kapitulation vor dem Krieg nicht subjektivem 
"Verrat" entsprang, sondern erstmals den bürgerlich immanenten, warenförmigen 
Charakter des "Klassenkampfs" ans Tageslicht der Geschichte brachte. Aber 
innerhalb dieser reduzierten, bereits nicht mehr ernsthaft systemkritisch 
interpretierbaren Konstellation behielten die Gewerkschaften in den 
westeuropäischen Ländern auch später noch ein soziales Bewegungsmoment, das die 
altsozialistische, zunehmend verblassende Systemkritik immer wieder (und zum 
letzten Mal im Pariser Mai) wie eine lästige Erinnerung aufblitzen ließ. In 
Deutschland dagegen waren die Gewerkschaften mit der nicht nur kampflosen, 
sondern auch peinlich anbiedernden Kapitulation vor dem Nationalsozialismus 
selbst im reduzierten Sinne als soziale Bewegung bereits historisch erledigt.

Daran änderte sich auch nach 1945 nichts mehr grundsätzlich. Zwar versuchten 
einige Gewerkschafter, die aus dem KZ und aus dem Exil zurückkamen, an den 
alten Bewegungs-Charakter der Gewerkschaften, an die Tradition sozialer Kämpfe 
und an die Zielsetzung einer gesellschaftlichen Transformation anzuknüpfen. 
Aber die Mehrheit der kleinen Kader, die durch die NS-Arbeitsfront 
hindurchgegangen waren, wusste mit dieser Tradition bereits nichts mehr 
anzufangen. Die sozialen Konflikte der BRD kamen nie über ein harmloses 
Schattenboxen hinaus. Insofern war die BRD von Anfang an "moderner" als 
Westeuropa; eine fortgeschrittene Modernität warenförmiger und 
sozial-etatistischer Integration, die sie durchaus vom Nationalsozialismus 
geerbt hatte (und die damit ihren destruktiven, im Kern barbarischen Charakter 
verriet). Während in Frankreich, Italien, Spanien und auch England die alten 
sozialen Milieus der kapitalistischen Klassen noch länger fortbestanden und die 
Nachhutgefechte des alten Klassenkampfs sich hinzogen, erreichte der Grad 
abstrakter Individualisierung in der BRD bereits das Maß der USA (wenn auch mit 
anderer Akzentsetzung), und zwar gerade durch die Vorbereitung der kurzen, aber 
tief einschneidenden nationalsozialistischen Ära. Zwar zerfielen die 
Gewerkschaften in der BRD nicht augenblicklich zusammen mit dem sozialen Milieu 
der alten Arbeiterbewegung, aber sie blieben nur als formale Hülle stehen, die 
im Massenbewusstsein keinen höheren Rang mehr als den einer Autoversicherung 
oder einer Sterbekasse einnahm.

Dass dieser Zustand als gelungene "Sozialpartnerschaft" und sogar als "Modell 
Deutschland" verkauft werden konnte, hatte seinen Grund einzig und allein im 
Aufstieg der BRD (neben Japan) zum großen Weltmarktgewinner und 
Exportweltmeister. Nur durch die riesigen Gewinne auf den Weltmärkten seit dem 
"Wirtschaftswunder" war es möglich, dass die als soziale Bewegung bereits in 
die Leichenstarre übergegangenen westdeutschen Gewerkschaften fast reibungslos 
als Tarifmaschine und sozialpolitische Instanz erfolgreich funktionieren 
konnten. Selbst ein Blinder hätte sehen müssen, dass diese Erfolge nicht auf
sozialer Kampfkraft, sondern lediglich auf den nationalen Privilegien einer  
Gewinnerökonomie beruhten, also nicht verallgemeinerbar und somit auch kein 
"Modell" sein konnten. Umso größer musste die Hilflosigkeit der deutschen 
Gewerkschaften werden, als seit den 80er Jahren die strukturelle 
Massenarbeitslosigkeit von Zyklus zu Zyklus immer größere Ausmaße annahm und 
die sozialen Gratifikationen Stein für Stein abgetragen wurden. Heute sind für 
die Ruinen des einst so stolzen deutschen Sozialstaats die Abrissbirnen 
aufgefahren, und die Gewerkschaft als gesellschaftliche Instanz zerfließt wie 
ein Schneemann an der Sonne.

In der strukturellen Dauerkrise des kapitalistischen Systems ist es nur 
folgerichtig, dass die in Westdeutschland längst vollzogene sozialökonomische 
Individualisierung auch an die institutionelle Oberfläche durchschlägt. 
Deswegen sind die deutschen Gewerkschaften nicht einmal mehr zu jenem schwachen 
Nachspiel des letzten Verlierergefechts fähig, das wir in Frankreich gesehen 
haben (und vielleicht in ganz Westeuropa in einigen Varianten noch öfter sehen 
werden). Obwohl die soziale Konstellation im eingemeindeten Ostdeutschland eine 
andere ist und dort unter der staatsbürokratischen Kruste auf paradoxe Weise 
das Milieu einer sozialen Kohärenz als eine Art Subkultur weiterexistierte, 
schlägt sich dieser  Unterschied bis jetzt nicht sozial und institutionell 
nieder; stattdessen scheinen es die Ostdeutschen eilig zu haben, die 
westdeutsche abstrakte Individualisierung im Eiltempo nachzuholen und sich 
selbstkasteiend an den westdeutschen Kapitalismus anzupassen (dass der 
verlorenen sozialen Nestwärme einige sentimentale Tränen nachgeweint werden, 
hat den Prozeß der Anpassung in einem halben Jahrzehnt nicht im geringsten 
gestört).

Es wäre verfehlt, nach alten linksradikalen Mustern vor allem die 
Gewerkschaftsführung dafür verantwortlich zu machen, dass nicht einmal dem 
Schein nach eine Gegenwehr zu erkennen ist. Der Apparat würde zwar mit 
Sicherheit eine militante Bewegung der gewerkschaftlichen Basis nicht 
unterstützen, sondern sie abwürgen; in Deutschland noch eindeutiger und 
brutaler als einst im französischen Mai. Aber umgekehrt kann der Apparat 
natürlich erst recht nicht kämpferischer und aktivistischer sein als seine
eigene Mitgliederbasis. Wer jahrzehntelang nichts als Schattenboxen gelernt 
hat, kann nicht plötzlich ernsthaft in den Ring steigen. Die Prügel kämen 
zuerst gar nicht vom institutionellen Gegner, sondern von der Mehrheit der 
Gewerkschaftsmitglieder selber, die sich in Deutschland nie auf einen 
verzweifelten Kraftakt wie im Pariser Dezember einlassen würden. Hierzulande 
heißt es in der Krise eindeutiger als sonst in der Welt (außer vielleicht in 
den USA): "Jeder für sich und Gott gegen alle". 

Dennoch ist die institutionelle Restmasse der deutschen Gewerkschaften 
gezwungen, im Interesse der eigenen raison d'être so etwas wie eine 
"Krisenpolitik" zu versuchen. Naturgemäß sieht diese noch viel schäbiger als 
in Frankreich aus. Führende Gewerkschaftsvertreter wie der IG Metall-Vize 
Walter Riester haben schon längst einen ideologischen Stellungswechsel 
vollzogen, wie er in Frankreich bis jetzt noch undenkbar wäre: "Ich bin 
zunehmend gezwungen, unternehmerisch mitzudenken - auch und vor allem im 
Interesse der Beschäftigten, sagt der Tarifexperte ... über die in Zeiten des 
Stellenabbaus wachsende Herausforderung an seine Organisation, oft auch für 
die Belegschaften unangenehme Entscheidungen mitzutragen" (Nürnberger 
Nachrichten, 27.12.95). Die auf den ersten Blick ziemlich krause Logik, "im 
Interesse" der Beschäftigten für dieselben "unangenehme Entscheidungen 
mitzutragen", kann (abgesehen von dem penetrant-pateranalistischen 
Beigeschmack) nur den Zweck haben, die marktwirtschaftliche "Anpassungspolitik" 
innerhalb der Gewerkschaften zu radikalisieren. Auf die Krise soll nicht mit 
einer Reformulierung der Gesellschaftskritik, sondern im Gegenteil mit einer 
Verschärfung des Akzeptanz-Masochismus reagiert werden. Genau das ist es, was 
Riester u. Co. letzten Endes unter "Modernisierung" verstehen, ganz ähnlich wie 
die sogenannten SPD-Modernisierer um den niedersächsischen Ministerpräsidenten 
Schröder oder den nordrhein-westfälischen Wirtschaftsminister Clement.

Diese Linie ist sicherlich in den Gewerkschaften nicht unumstritten; aber sie 
konnte einen Durchbruch erzielen, als der IG Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel 
im Herbst 1995 auf dem Gewerkschaftstag der größten Einzelgewerkschaft der Welt 
die Delegierten mit einem undiskutierten und unabgesprochenen Konzept 
überrumpelte, das seither als "Bündnis für Arbeit" firmiert. Damit wurde nicht 
nur den "Modernisierern" und den institutionellen Eliten bis hin zur 
konservativ-neoliberalen Bundesregierung eine griffige Floskel oder Formel für 
die Ruhigstellungs-Propaganda geliefert, sondern auch eine dramatische 
Kehrtwende in der Gewerkschaftspolitik überhaupt vollzogen, die schon länger 
im Krisenkontext herangereift war. 

Der entscheidende Punkt dabei ist, dass die Politik der Arbeitszeitverkürzung 
klammheimlich aufgegeben und begraben wird. So schnell wird man das nicht 
offiziell zugeben, aber faktisch ist es so. Daran ändert auch die jüngste 
Vereinbarung in der Stahlindustrie mit der Möglichkeit, die wöchentliche 
Arbeitszeit situationsbedingt auf 30 Stunden (ohne Lohnausgleich) 
herunterzufahren, nichts mehr; ebenso wenig die sogenannte Altersteilzeit, die 
nur das Auslaufen der "unbezahlbar" gewordenen Frühverrentungs-Modelle 
flankieren soll und nicht mehr Teil einer allgemeinen Strategie der 
Arbeitszeitverkürzung ist. Das Ende dieser Strategie war schon länger 
abzusehen. Als die IG Metall und die IG Druck und Papier (heute: IG Medien) 
Ende der 70er Jahre die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich als 
Forderung gegen die beginnende Massenarbeitslosigkeit aufstellten, taten sie 
das noch als Tarifmaschinen, deren Sprit von den Weltmarktgewinnen der BRD 
geliefert wurde. Soweit der Einstieg in die 35-Stunden-Woche bei vollem 
Lohnausgleich in den 80er Jahren gelang, geschah dies keineswegs als bloße 
Umverteilung zwischen Kapital und Arbeit innerhalb der BRD, sondern teils auf 
Kosten der Weltmarktverlierer, teils mit Hilfe des defizitgenährten Exportbooms 
in die USA während der Hochzeit der "Reaganomics". Die Massenarbeitslosigkeit 
wurde dadurch nicht gestoppt, sie stieg vielmehr auch in dieser Zeit von Zyklus 
zu Zyklus an.

Als die Weltmarktposition der BRD zu bröckeln begann und der von der 
gewaltigen Sockelarbeitslosigkeit ausgehende soziale Druck den institutionellen 
Spielraum der Gewerkschaften immer mehr beschränkte, begann in den 90er Jahren 
eine allerdings ziemlich vage Diskussion über Arbeitszeitverkürzung auch ohne 
(bzw. ohne vollen) Lohnausgleich. Es gab sogar einige Modellversuche, z.B. bei 
Volkswagen (oder eben jetzt wieder marginal in der Stahlbranche). Aber diese 
Strategie hätte nur eine Perspektive, wenn sie mit dem Übergang zu autonomen 
Reproduktionsformen jenseits von Markt und Staat verbunden wäre, d.h. wenn die 
zusätzliche "disponible Zeit" nicht als leere "Freizeit", sondern als Zeit für 
selbstbestimmte Tätigkeiten außerhalb der Ware-Geld-Beziehung genutzt werden 
könnte. Für eine solche Doppelstrategie fehlt aber nicht nur ein Konzept,
es mangelt auch an der Bereitschaft, darüber nachzudenken. Innerhalb einer 
flächendeckenden marktwirtschaftlichen Reproduktion aber macht das Modell 
Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich weder ökonomisch noch sozial einen 
Sinn.

Was die Krise angeht, so ist dieses Modell durch die Verminderung der 
Binnenkaufkraft von probzyklischer Wirkung. Während ein systemkritisches 
Programm der gesellschaftlichen Transformation dadurch dynamisiert werden 
könnte, muss das in der totalen Lohnarbeit verharrende Bewusstsein denselben 
probzyklischen Effekt rein negativ als Krisenverschärfung erleben. Für die 
Massen, die auf Geldeinkommen durch Lohnarbeit sowie auf den warenförmigen 
Konsum fixiert sind und am Tropf von Eigenheim- und Konsumkrediten hängen, ist 
dieses Modell nicht oder nur schwer akzeptierbar. Lediglich für Doppelverdiener 
könnte es eine gewisse Attraktivität gewinnen, in der Regel zu Lasten der 
Frauen, die durch Teilzeitarbeit in einem rein marktwirtschaftlich bestimmten 
Kontext wieder mehr auf "Kinder, Küche, Kirche" beschränkt werden. Die 
VW-Arbeiter wiederum nutzten ihre gewonnene disponible Zeit reichlich für 
handwerkliche Schwarzarbeit, was zu Klagen der Handwerkskammern im Raum 
Wolfsburg führte. Das Fehlen jeder Systemalternative und die totale Fixierung 
auf Markt und Lohnarbeit führen zwangsläufig dazu, dass für den Gedanken einer 
Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich kaum mehr als ein stilles Begräbnis 
übrigbleibt. Was dann noch so genannt wird, ist kein gesellschaftspolitisches 
Konzept mehr, sondern nur noch ganz gewöhnliche Kurzarbeit bei schlechten 
Auftragslagen.

Es ist bezeichnend, was das "Bündnis für Arbeit" an die Stelle der 
Arbeitszeitverkürzung als gesellschaftspolitische Perspektive gesetzt hat, 
nämlich außer dem Versprechen einer Zurückhaltung bei den kommenden Tarifrunden 
vor allem die Akzeptanz von "Einstiegslöhnen" unter Tarif für 
Langzeitarbeitslose und die Hinnahme von Kürzungen bei den Sozialleistungen. 
Das ist ein Dammbruch in mehrfacher Hinsicht. Für die Arbeitslosen ist es eine 
freche Zumutung: Teilzeitlohn bei Vollzeitarbeit. Statt zusätzlicher 
disponibler Zeit, die zumindest der Potenz nach für soziale, ökonomische und 
kulturelle Alternativen zur Lohnarbeit und für eine Kritik der Marktwirtschaft 
genutzt werden könnte, der "Einstieg" in die soziale Apartheid und in die 
marktwirtschaftliche Sklaverei bei Billiglohn, um für schwachsinnige oder 
gemeingefährliche Zwecke "voll" schuften zu "dürfen". Kein Wunder, dass die 
neoliberale Wirtschaftspresse diesen "Schritt nach vorn" zu würdigen wusste, 
als das "Bündnis für Arbeit" unter der Schirmherrschaft von Kanzler Kohl 
abgesegnet wurde: "Man kann von den Gewerkschaften nicht erwarten, beim Abbau 
von Sozialleistungen oder Überstundenzulagen und bei niedrigen Einstiegslöhnen 
an der Spitze der Bewegung zu stehen. Mit ihrem Ja zu dem Bündnis-Papier 
erklären sie sich bereit, solche Eingriffe ohne Streiks, Massenproteste oder das 
bisher übliche Gekeife hinzunehmen. Allein damit hat die Kanzlerrunde einen 
wichtigen Beitrag zum sozialen Frieden in diesem Land geleistet" (Handelsblatt, 
25.1.96).

Die Kritik aus den eigenen Reihen und von Seiten kleinerer Gewerkschaften soll 
offenbar in bewährter administrativer Manier abgewürgt werden; in ihrer starren 
bürokratischen Struktur mit de facto von oben eingesetzten hauptamtlichen 
Spitzenfunktionären kennen die Gewerkschaften ohnehin keinen wirklich offenen 
Prozess der Meinungsbildung. Die IG Metall-Spitze um Zwickel und Riester 
erhält dabei kräftige Schützenhilfe seitens der schon traditionell "rechten" 
IG Chemie, die sich am frühesten zu einem weltmarkt-orientierten Sozialkartell 
von Kernbelegschaften gemausert hatte: "Der Vorsitzende der IG Chemie, Hubertus 
Schmoldt, hat davor gewarnt, den Vorschlag der IG Metall für ein Bündnis für 
Arbeit im eigenen Lager zu zerreden. In einem Gespräch mit dem Handelsblatt 
übte er scharfe Kritik an den skeptischen Äußerungen aus Gewerkschaftskreisen 
in den vergangenen Tagen... Dies sei nicht die Stunde der Bedenkenträger, die 
nicht bereit seien, traditionelle Gewerkschaftsstandpunkte wie den, dass 
Lohnsenkungen keine Arbeitsplätze bringen (!), zum Gegenstand von Gesprächen 
zu machen... Jeder, der im Vorfeld der Gespräche Hürden aufbaut, die später 
ohne Gesichtsverlust nicht mehr beseitigt werden können, riskiert französische 
Zustände in Deutschland (!)... Völlig unverständlich findet Schmoldt die 
Ablehnung von niedrigeren Einstelltarifen (!) durch die Gewerkschaft HBV. 
Auch wenn eine entsprechende Vereinbarung in der Chemie nicht zu massenhaften 
Neueinstellungen geführt habe (!), sei das Instrument doch genutzt worden. Ich 
bin froh über jeden Langzeitarbeitslosen, der so (!) in den Arbeitsmarkt 
integriert werden kann." (Handelsblatt, 22.12.95).

Was in Zwickels "Bündnis für Arbeit" wirklich steckt, wird hier deutlich 
ausgesprochen: nämlich nicht weniger als eine geradezu absurde 
gewerkschaftliche Wende zum marktradikalen Neoliberalismus. 
Wirtschaftspolitisch ist es die Wende vom Keynesianismus zum Monetarismus, von 
der Nachfragepolitik (Deficit spending, Stärkung der Massenkaufkraft) zur 
Angebotspolitik (Kostensenkung, Abbau der Binnenkaufkraft, Exportorientierung). 
Das ist das Endstadium beim radikalen Abbau jeder systemkritischen Position: 
War die alte Arbeiterbewegung noch mit staatssozialistischen Vorstellungen 
einerseits und utopischen Überschussmomenten andererseits angetreten, so wurde 
diese Position in den westlichen Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg schon zum 
Keynesianismus abgebaut, der sozusagen eine "schwache", mit dem westlichen 
Kapitalismus kompatible Version des sozialen Staatsinterventionismus vertrat. 
Damit einher ging die  "wissenschaftspolitische" Wende von der Marxschen 
Theorie zum platten Popper-Positivismus in Sozialdemokratie und Gewerkschaften 
(in der BRD eindeutiger und weitergehend als im übrigen Westeuropa). Jetzt ist 
die Zwickel-Seilschaft dabei, zusammen mit den SPD-"Modernisierern" auch noch 
den Keynesianismus über Bord zu werfen und damit den letzten Schritt hin zur 
Totalakzeptanz der puren Marktwirtschaft zu tun.


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