[ox] Robert Kurz - Letzte Gefechte 1. Teil et.al.
- From: UlrichLeicht t-online.de (Ulrich Leicht)
- Date: Wed, 18 Oct 2000 18:18:47 +0200
UlrichLeicht t-online.de
Hallo diverse Listige
Aus unserer Zusammenstellung von Texten zu einem "Gewerkschaftsreader" möchten
wir auf zwei Artikel aufmerksam machen, die sich anhand des Projekts
"Bündnis für Arbeit" grundsätzlich mit dem Dilemma und den Sackgassen realer
Gewerkschaftspolitik in diesem Lande auseinandersetzen. Für die Diskussion
um die Perspektive einer Gewerkschaftslinken, die diesen Namen auch verdient,
können sie notwendige und unverzichtbare Orientierungen geben.
Ich poste sie in mehreren Teilen zu. Sie sind in Kürze auch beide auf der
Webseite von Laburnet zu finden: h t t p // w w w . l a b o u r n e t . d e
1. Robert Kurz, "Die deutsche Version der sozialen Paralyse: ein 'Bündnis für
Arbeit'" (Das dritte Kapitel des Textes "Letzte Gefechte", der vollständig
unter http://www.giga.or.at/others/krisis/r-kurz_die-letzten-gefechte_krisis18_
1996.html zu finden ist)
2. Mag Wompel (maintainerin www.labournet de.) "Fetisch Arbeit und die
Gewerkschaftslinke" (http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/bfa-ak.html)
******************** 1. Robert Kurz, Die letzten Gefechte *******************
(...)
Die deutsche Version der sozialen Paralyse: ein "Bündnis für Arbeit"
Im Unterschied zu Frankreich können in Deutschland die Gewerkschaften gar nicht
mehr im Sinne einer sozialen Bewegung kritisiert werden, weil sie den Charakter
einer solchen längst verloren haben. Der sozialpatriotische Sündenfall der
alten westlichen Arbeiterbewegung im Ersten Weltkrieg war zwar bereits ein
gemeinsamer gewesen. Und natürlich ist diese Bezeichnung heute nur noch
ironisch zu nehmen, weil die Kapitulation vor dem Krieg nicht subjektivem
"Verrat" entsprang, sondern erstmals den bürgerlich immanenten, warenförmigen
Charakter des "Klassenkampfs" ans Tageslicht der Geschichte brachte. Aber
innerhalb dieser reduzierten, bereits nicht mehr ernsthaft systemkritisch
interpretierbaren Konstellation behielten die Gewerkschaften in den
westeuropäischen Ländern auch später noch ein soziales Bewegungsmoment, das die
altsozialistische, zunehmend verblassende Systemkritik immer wieder (und zum
letzten Mal im Pariser Mai) wie eine lästige Erinnerung aufblitzen ließ. In
Deutschland dagegen waren die Gewerkschaften mit der nicht nur kampflosen,
sondern auch peinlich anbiedernden Kapitulation vor dem Nationalsozialismus
selbst im reduzierten Sinne als soziale Bewegung bereits historisch erledigt.
Daran änderte sich auch nach 1945 nichts mehr grundsätzlich. Zwar versuchten
einige Gewerkschafter, die aus dem KZ und aus dem Exil zurückkamen, an den
alten Bewegungs-Charakter der Gewerkschaften, an die Tradition sozialer Kämpfe
und an die Zielsetzung einer gesellschaftlichen Transformation anzuknüpfen.
Aber die Mehrheit der kleinen Kader, die durch die NS-Arbeitsfront
hindurchgegangen waren, wusste mit dieser Tradition bereits nichts mehr
anzufangen. Die sozialen Konflikte der BRD kamen nie über ein harmloses
Schattenboxen hinaus. Insofern war die BRD von Anfang an "moderner" als
Westeuropa; eine fortgeschrittene Modernität warenförmiger und
sozial-etatistischer Integration, die sie durchaus vom Nationalsozialismus
geerbt hatte (und die damit ihren destruktiven, im Kern barbarischen Charakter
verriet). Während in Frankreich, Italien, Spanien und auch England die alten
sozialen Milieus der kapitalistischen Klassen noch länger fortbestanden und die
Nachhutgefechte des alten Klassenkampfs sich hinzogen, erreichte der Grad
abstrakter Individualisierung in der BRD bereits das Maß der USA (wenn auch mit
anderer Akzentsetzung), und zwar gerade durch die Vorbereitung der kurzen, aber
tief einschneidenden nationalsozialistischen Ära. Zwar zerfielen die
Gewerkschaften in der BRD nicht augenblicklich zusammen mit dem sozialen Milieu
der alten Arbeiterbewegung, aber sie blieben nur als formale Hülle stehen, die
im Massenbewusstsein keinen höheren Rang mehr als den einer Autoversicherung
oder einer Sterbekasse einnahm.
Dass dieser Zustand als gelungene "Sozialpartnerschaft" und sogar als "Modell
Deutschland" verkauft werden konnte, hatte seinen Grund einzig und allein im
Aufstieg der BRD (neben Japan) zum großen Weltmarktgewinner und
Exportweltmeister. Nur durch die riesigen Gewinne auf den Weltmärkten seit dem
"Wirtschaftswunder" war es möglich, dass die als soziale Bewegung bereits in
die Leichenstarre übergegangenen westdeutschen Gewerkschaften fast reibungslos
als Tarifmaschine und sozialpolitische Instanz erfolgreich funktionieren
konnten. Selbst ein Blinder hätte sehen müssen, dass diese Erfolge nicht auf
sozialer Kampfkraft, sondern lediglich auf den nationalen Privilegien einer
Gewinnerökonomie beruhten, also nicht verallgemeinerbar und somit auch kein
"Modell" sein konnten. Umso größer musste die Hilflosigkeit der deutschen
Gewerkschaften werden, als seit den 80er Jahren die strukturelle
Massenarbeitslosigkeit von Zyklus zu Zyklus immer größere Ausmaße annahm und
die sozialen Gratifikationen Stein für Stein abgetragen wurden. Heute sind für
die Ruinen des einst so stolzen deutschen Sozialstaats die Abrissbirnen
aufgefahren, und die Gewerkschaft als gesellschaftliche Instanz zerfließt wie
ein Schneemann an der Sonne.
In der strukturellen Dauerkrise des kapitalistischen Systems ist es nur
folgerichtig, dass die in Westdeutschland längst vollzogene sozialökonomische
Individualisierung auch an die institutionelle Oberfläche durchschlägt.
Deswegen sind die deutschen Gewerkschaften nicht einmal mehr zu jenem schwachen
Nachspiel des letzten Verlierergefechts fähig, das wir in Frankreich gesehen
haben (und vielleicht in ganz Westeuropa in einigen Varianten noch öfter sehen
werden). Obwohl die soziale Konstellation im eingemeindeten Ostdeutschland eine
andere ist und dort unter der staatsbürokratischen Kruste auf paradoxe Weise
das Milieu einer sozialen Kohärenz als eine Art Subkultur weiterexistierte,
schlägt sich dieser Unterschied bis jetzt nicht sozial und institutionell
nieder; stattdessen scheinen es die Ostdeutschen eilig zu haben, die
westdeutsche abstrakte Individualisierung im Eiltempo nachzuholen und sich
selbstkasteiend an den westdeutschen Kapitalismus anzupassen (dass der
verlorenen sozialen Nestwärme einige sentimentale Tränen nachgeweint werden,
hat den Prozeß der Anpassung in einem halben Jahrzehnt nicht im geringsten
gestört).
Es wäre verfehlt, nach alten linksradikalen Mustern vor allem die
Gewerkschaftsführung dafür verantwortlich zu machen, dass nicht einmal dem
Schein nach eine Gegenwehr zu erkennen ist. Der Apparat würde zwar mit
Sicherheit eine militante Bewegung der gewerkschaftlichen Basis nicht
unterstützen, sondern sie abwürgen; in Deutschland noch eindeutiger und
brutaler als einst im französischen Mai. Aber umgekehrt kann der Apparat
natürlich erst recht nicht kämpferischer und aktivistischer sein als seine
eigene Mitgliederbasis. Wer jahrzehntelang nichts als Schattenboxen gelernt
hat, kann nicht plötzlich ernsthaft in den Ring steigen. Die Prügel kämen
zuerst gar nicht vom institutionellen Gegner, sondern von der Mehrheit der
Gewerkschaftsmitglieder selber, die sich in Deutschland nie auf einen
verzweifelten Kraftakt wie im Pariser Dezember einlassen würden. Hierzulande
heißt es in der Krise eindeutiger als sonst in der Welt (außer vielleicht in
den USA): "Jeder für sich und Gott gegen alle".
Dennoch ist die institutionelle Restmasse der deutschen Gewerkschaften
gezwungen, im Interesse der eigenen raison d'être so etwas wie eine
"Krisenpolitik" zu versuchen. Naturgemäß sieht diese noch viel schäbiger als
in Frankreich aus. Führende Gewerkschaftsvertreter wie der IG Metall-Vize
Walter Riester haben schon längst einen ideologischen Stellungswechsel
vollzogen, wie er in Frankreich bis jetzt noch undenkbar wäre: "Ich bin
zunehmend gezwungen, unternehmerisch mitzudenken - auch und vor allem im
Interesse der Beschäftigten, sagt der Tarifexperte ... über die in Zeiten des
Stellenabbaus wachsende Herausforderung an seine Organisation, oft auch für
die Belegschaften unangenehme Entscheidungen mitzutragen" (Nürnberger
Nachrichten, 27.12.95). Die auf den ersten Blick ziemlich krause Logik, "im
Interesse" der Beschäftigten für dieselben "unangenehme Entscheidungen
mitzutragen", kann (abgesehen von dem penetrant-pateranalistischen
Beigeschmack) nur den Zweck haben, die marktwirtschaftliche "Anpassungspolitik"
innerhalb der Gewerkschaften zu radikalisieren. Auf die Krise soll nicht mit
einer Reformulierung der Gesellschaftskritik, sondern im Gegenteil mit einer
Verschärfung des Akzeptanz-Masochismus reagiert werden. Genau das ist es, was
Riester u. Co. letzten Endes unter "Modernisierung" verstehen, ganz ähnlich wie
die sogenannten SPD-Modernisierer um den niedersächsischen Ministerpräsidenten
Schröder oder den nordrhein-westfälischen Wirtschaftsminister Clement.
Diese Linie ist sicherlich in den Gewerkschaften nicht unumstritten; aber sie
konnte einen Durchbruch erzielen, als der IG Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel
im Herbst 1995 auf dem Gewerkschaftstag der größten Einzelgewerkschaft der Welt
die Delegierten mit einem undiskutierten und unabgesprochenen Konzept
überrumpelte, das seither als "Bündnis für Arbeit" firmiert. Damit wurde nicht
nur den "Modernisierern" und den institutionellen Eliten bis hin zur
konservativ-neoliberalen Bundesregierung eine griffige Floskel oder Formel für
die Ruhigstellungs-Propaganda geliefert, sondern auch eine dramatische
Kehrtwende in der Gewerkschaftspolitik überhaupt vollzogen, die schon länger
im Krisenkontext herangereift war.
Der entscheidende Punkt dabei ist, dass die Politik der Arbeitszeitverkürzung
klammheimlich aufgegeben und begraben wird. So schnell wird man das nicht
offiziell zugeben, aber faktisch ist es so. Daran ändert auch die jüngste
Vereinbarung in der Stahlindustrie mit der Möglichkeit, die wöchentliche
Arbeitszeit situationsbedingt auf 30 Stunden (ohne Lohnausgleich)
herunterzufahren, nichts mehr; ebenso wenig die sogenannte Altersteilzeit, die
nur das Auslaufen der "unbezahlbar" gewordenen Frühverrentungs-Modelle
flankieren soll und nicht mehr Teil einer allgemeinen Strategie der
Arbeitszeitverkürzung ist. Das Ende dieser Strategie war schon länger
abzusehen. Als die IG Metall und die IG Druck und Papier (heute: IG Medien)
Ende der 70er Jahre die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich als
Forderung gegen die beginnende Massenarbeitslosigkeit aufstellten, taten sie
das noch als Tarifmaschinen, deren Sprit von den Weltmarktgewinnen der BRD
geliefert wurde. Soweit der Einstieg in die 35-Stunden-Woche bei vollem
Lohnausgleich in den 80er Jahren gelang, geschah dies keineswegs als bloße
Umverteilung zwischen Kapital und Arbeit innerhalb der BRD, sondern teils auf
Kosten der Weltmarktverlierer, teils mit Hilfe des defizitgenährten Exportbooms
in die USA während der Hochzeit der "Reaganomics". Die Massenarbeitslosigkeit
wurde dadurch nicht gestoppt, sie stieg vielmehr auch in dieser Zeit von Zyklus
zu Zyklus an.
Als die Weltmarktposition der BRD zu bröckeln begann und der von der
gewaltigen Sockelarbeitslosigkeit ausgehende soziale Druck den institutionellen
Spielraum der Gewerkschaften immer mehr beschränkte, begann in den 90er Jahren
eine allerdings ziemlich vage Diskussion über Arbeitszeitverkürzung auch ohne
(bzw. ohne vollen) Lohnausgleich. Es gab sogar einige Modellversuche, z.B. bei
Volkswagen (oder eben jetzt wieder marginal in der Stahlbranche). Aber diese
Strategie hätte nur eine Perspektive, wenn sie mit dem Übergang zu autonomen
Reproduktionsformen jenseits von Markt und Staat verbunden wäre, d.h. wenn die
zusätzliche "disponible Zeit" nicht als leere "Freizeit", sondern als Zeit für
selbstbestimmte Tätigkeiten außerhalb der Ware-Geld-Beziehung genutzt werden
könnte. Für eine solche Doppelstrategie fehlt aber nicht nur ein Konzept,
es mangelt auch an der Bereitschaft, darüber nachzudenken. Innerhalb einer
flächendeckenden marktwirtschaftlichen Reproduktion aber macht das Modell
Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich weder ökonomisch noch sozial einen
Sinn.
Was die Krise angeht, so ist dieses Modell durch die Verminderung der
Binnenkaufkraft von probzyklischer Wirkung. Während ein systemkritisches
Programm der gesellschaftlichen Transformation dadurch dynamisiert werden
könnte, muss das in der totalen Lohnarbeit verharrende Bewusstsein denselben
probzyklischen Effekt rein negativ als Krisenverschärfung erleben. Für die
Massen, die auf Geldeinkommen durch Lohnarbeit sowie auf den warenförmigen
Konsum fixiert sind und am Tropf von Eigenheim- und Konsumkrediten hängen, ist
dieses Modell nicht oder nur schwer akzeptierbar. Lediglich für Doppelverdiener
könnte es eine gewisse Attraktivität gewinnen, in der Regel zu Lasten der
Frauen, die durch Teilzeitarbeit in einem rein marktwirtschaftlich bestimmten
Kontext wieder mehr auf "Kinder, Küche, Kirche" beschränkt werden. Die
VW-Arbeiter wiederum nutzten ihre gewonnene disponible Zeit reichlich für
handwerkliche Schwarzarbeit, was zu Klagen der Handwerkskammern im Raum
Wolfsburg führte. Das Fehlen jeder Systemalternative und die totale Fixierung
auf Markt und Lohnarbeit führen zwangsläufig dazu, dass für den Gedanken einer
Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich kaum mehr als ein stilles Begräbnis
übrigbleibt. Was dann noch so genannt wird, ist kein gesellschaftspolitisches
Konzept mehr, sondern nur noch ganz gewöhnliche Kurzarbeit bei schlechten
Auftragslagen.
Es ist bezeichnend, was das "Bündnis für Arbeit" an die Stelle der
Arbeitszeitverkürzung als gesellschaftspolitische Perspektive gesetzt hat,
nämlich außer dem Versprechen einer Zurückhaltung bei den kommenden Tarifrunden
vor allem die Akzeptanz von "Einstiegslöhnen" unter Tarif für
Langzeitarbeitslose und die Hinnahme von Kürzungen bei den Sozialleistungen.
Das ist ein Dammbruch in mehrfacher Hinsicht. Für die Arbeitslosen ist es eine
freche Zumutung: Teilzeitlohn bei Vollzeitarbeit. Statt zusätzlicher
disponibler Zeit, die zumindest der Potenz nach für soziale, ökonomische und
kulturelle Alternativen zur Lohnarbeit und für eine Kritik der Marktwirtschaft
genutzt werden könnte, der "Einstieg" in die soziale Apartheid und in die
marktwirtschaftliche Sklaverei bei Billiglohn, um für schwachsinnige oder
gemeingefährliche Zwecke "voll" schuften zu "dürfen". Kein Wunder, dass die
neoliberale Wirtschaftspresse diesen "Schritt nach vorn" zu würdigen wusste,
als das "Bündnis für Arbeit" unter der Schirmherrschaft von Kanzler Kohl
abgesegnet wurde: "Man kann von den Gewerkschaften nicht erwarten, beim Abbau
von Sozialleistungen oder Überstundenzulagen und bei niedrigen Einstiegslöhnen
an der Spitze der Bewegung zu stehen. Mit ihrem Ja zu dem Bündnis-Papier
erklären sie sich bereit, solche Eingriffe ohne Streiks, Massenproteste oder das
bisher übliche Gekeife hinzunehmen. Allein damit hat die Kanzlerrunde einen
wichtigen Beitrag zum sozialen Frieden in diesem Land geleistet" (Handelsblatt,
25.1.96).
Die Kritik aus den eigenen Reihen und von Seiten kleinerer Gewerkschaften soll
offenbar in bewährter administrativer Manier abgewürgt werden; in ihrer starren
bürokratischen Struktur mit de facto von oben eingesetzten hauptamtlichen
Spitzenfunktionären kennen die Gewerkschaften ohnehin keinen wirklich offenen
Prozess der Meinungsbildung. Die IG Metall-Spitze um Zwickel und Riester
erhält dabei kräftige Schützenhilfe seitens der schon traditionell "rechten"
IG Chemie, die sich am frühesten zu einem weltmarkt-orientierten Sozialkartell
von Kernbelegschaften gemausert hatte: "Der Vorsitzende der IG Chemie, Hubertus
Schmoldt, hat davor gewarnt, den Vorschlag der IG Metall für ein Bündnis für
Arbeit im eigenen Lager zu zerreden. In einem Gespräch mit dem Handelsblatt
übte er scharfe Kritik an den skeptischen Äußerungen aus Gewerkschaftskreisen
in den vergangenen Tagen... Dies sei nicht die Stunde der Bedenkenträger, die
nicht bereit seien, traditionelle Gewerkschaftsstandpunkte wie den, dass
Lohnsenkungen keine Arbeitsplätze bringen (!), zum Gegenstand von Gesprächen
zu machen... Jeder, der im Vorfeld der Gespräche Hürden aufbaut, die später
ohne Gesichtsverlust nicht mehr beseitigt werden können, riskiert französische
Zustände in Deutschland (!)... Völlig unverständlich findet Schmoldt die
Ablehnung von niedrigeren Einstelltarifen (!) durch die Gewerkschaft HBV.
Auch wenn eine entsprechende Vereinbarung in der Chemie nicht zu massenhaften
Neueinstellungen geführt habe (!), sei das Instrument doch genutzt worden. Ich
bin froh über jeden Langzeitarbeitslosen, der so (!) in den Arbeitsmarkt
integriert werden kann." (Handelsblatt, 22.12.95).
Was in Zwickels "Bündnis für Arbeit" wirklich steckt, wird hier deutlich
ausgesprochen: nämlich nicht weniger als eine geradezu absurde
gewerkschaftliche Wende zum marktradikalen Neoliberalismus.
Wirtschaftspolitisch ist es die Wende vom Keynesianismus zum Monetarismus, von
der Nachfragepolitik (Deficit spending, Stärkung der Massenkaufkraft) zur
Angebotspolitik (Kostensenkung, Abbau der Binnenkaufkraft, Exportorientierung).
Das ist das Endstadium beim radikalen Abbau jeder systemkritischen Position:
War die alte Arbeiterbewegung noch mit staatssozialistischen Vorstellungen
einerseits und utopischen Überschussmomenten andererseits angetreten, so wurde
diese Position in den westlichen Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg schon zum
Keynesianismus abgebaut, der sozusagen eine "schwache", mit dem westlichen
Kapitalismus kompatible Version des sozialen Staatsinterventionismus vertrat.
Damit einher ging die "wissenschaftspolitische" Wende von der Marxschen
Theorie zum platten Popper-Positivismus in Sozialdemokratie und Gewerkschaften
(in der BRD eindeutiger und weitergehend als im übrigen Westeuropa). Jetzt ist
die Zwickel-Seilschaft dabei, zusammen mit den SPD-"Modernisierern" auch noch
den Keynesianismus über Bord zu werfen und damit den letzten Schritt hin zur
Totalakzeptanz der puren Marktwirtschaft zu tun.
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