[ox] Jungle World 44/2000-Robert Kurz zu UMTS
- From: UlrichLeicht t-online.de (Ulrich Leicht)
- Date: Thu, 26 Oct 2000 07:51:54 +0200
Jungle World 44/2000
Nichts ist unmöglich
Überall in Europa werden derzeit UMTS-Lizenzen
versteigert. Die Folgekosten der neuen Technik könnten
die Telekomindustrie ruinieren. Von Robert Kurz
Jedes Jahr eine neue Epoche, jedes Quartal ein neues ökonomisches
Wunder, jede Woche eine neue Terminologie. Der Turbokapitalismus scheint
sich selbst zu überholen, so schnell ist er - und so unmöglich. Das jüngste
Kind der New Economy heißt UMTS (Universal Mobile Telecommunications
System). Mit anderen Worten: das Internet per Handy zum Mitnehmen für
unterwegs; »schnurlos« und mit zwei Millionen Bit pro Sekunde ungefähr
zweihundertmal schneller als bei den heute gängigen mobilen Anschlüssen.
Dabei handle es sich, so die offiziellen Optimisten vom Dienst, um ein
Zukunftsgeschäft ersten Ranges.
ieser Optimismus wird mit dem Boom bei den jetzigen Handys begründet,
die unter Jugendlichen längst zum Statussymbol geworden sind. Die
Phantasie blüht. Mit dem neuen Standard von UMTS und dem mobilen
Internet soll europaweit endlich der lang ersehnte Durchbruch eines neuen
tragfähigen Massenkonsums kommen, der Verwertungschancen für
Industrie und Telekom-Dienstleistungen in einer ungeahnten Größenordnung
bietet - diesmal angeblich wirklich ausreichend für einen großen
selbsttragenden Aufschwung der Ökonomie.
Allein in Deutschland versprechen Wirtschaftsministerium und elektronische
Industrie 700 000 neue Arbeitsplätze schon in den nächsten fünf Jahren.
Und auch in Italien, wo vergangene Woche die Versteigerung von fünf
UMTS-Lizenzen begann, erhofft man sich neue Wachstumspotenziale.
Schließlich gibt es dort mittlerweile mehr Funktelefone als
Festnetzanschlüsse.
Die optimistische Prognose dürfte wie zahlreiche ähnliche Hoffnungen und
Versprechen in den letzten Jahren schon bald als Luftnummer entzaubert
werden. Nach ersten Umfragen denken weniger als 25 Prozent der
bisherigen Handy-Nutzer daran, auf UMTS umzusteigen. Der von Marketing,
Unternehmensberatern und Regierungen erzeugte Mobilitätswahn kann
nicht ewig gesteigert werden. Schon allein wegen der möglicherweise
mangelnden Nachfrage könnte UMTS ökonomisch ein ähnlicher Flop werden
wie das Pay-TV, dessen Protagonisten - etwa der deutsche Medienzar Leo
Kirch - heute verzweifelt am Rande des großen Bankrotts lavieren.
Damit aber noch längst nicht genug. Auch die technischen
Voraussetzungen sind mangelhaft. Es hört sich wie ein Witz an, aber es ist
Tatsache: Nicht nur die komplette Infrastruktur für UMTS fehlt, sondern
auch die Technologie selbst ist noch gar nicht ausgereift. Nach Berichten
gibt es Endgeräte bisher nur als Studien. In Japan sollen vielleicht 2001
erste Geräte auf den Markt kommen.
Unabhängig von den technologischen und infrastrukturellen Mängeln lauert
auch noch eine andere Gefahr: Es gibt Hinweise darauf, dass die
zusätzliche Belastung durch elektromagnetische Strahlen in einem Ausmaß,
wie es bei UMTS angestrebt wird, gesundheitliche Schäden verursachen
kann. Zwar versucht die Telekom-Lobby solche Warnungen als
»Panikmache von Spinnern und Sektierern« abzutun. Aber immerhin gibt es
bereits eine »Salzburger Resolution« von ernstzunehmenden
Wissenschaftlern, die niedrigere Grenzwerte als die bisher in der EU
gültigen fordern.
Immerhin hat Professor Heyo Eckel, keineswegs ein Öko-Sektierer, sondern
Mitglied der honorigen deutschen Bundesärztekammer, auf Tierversuche
hingewiesen, die denVerdacht bestätigen, dass elektromagnetische
Strahlung auch unterhalb der gegenwärtig gültigen Grenzwerte
gesundheitliche Schäden auslösen kann. Und die Sache ist offenbar so
ernst zu nehmen, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine
Großstudie in Auftrag gegeben hat, um das Krebsrisiko bei extensiver
Handy-Benutzung zu untersuchen. Der an einem Hirntumor erkrankte
US-Neurologe Christopher Newman, der seine Krankheit auf die Strahlung
von Mobiltelefonen zurückführt, hat nach den Gepflogenheiten seines
Landes bereits vorsorglich Motorola und andere Mobilfunkunternehmen auf
die Zahlung von 800 Millionen Dollar Schadenersatz verklagt.
Dass solche Vorstöße nach dem Muster der Klagen gegen die
Zigarettenindustrie durchaus ähnliche Erfolgschancen haben, zeigt die
panikartige Reaktion: Motorola, Nokia und andere Handyhersteller kündigten
an, dass sie ab 2001 ihre Geräte mit Hinweisen auf die Strahlenbelastung
kennzeichnen wollen. Nicht gerade eine gute Werbung.
Nie war ein vollmundig angekündigtes »Zukunftsgeschäft« unsicherer. Und
selbst wenn sich mit UMTS ein gewisses neues Marktsegment der
Telekommunikation eröffnen sollte, so wird es mit Sicherheit keine
Größenordnung und Dynamik erreichen, die gesamtwirtschaftlich zu Buche
schlagen könnte. Schon gar nicht im Hinblick auf die »Beschäftigung«. Der
laufende Betrieb des mobilen Internet wird auf hoher Stufe der
Rationalisierung beschäftigungsarm bleiben, während die Netzausrüster
zwar kurzfristig große Aufträge zu bewältigen haben; aber
erfahrungsgemäß wird eine solche zeitlich begrenzte Auftragsschwemme
nicht durch Neueinstellungen, sondern durch Überstunden des vorhandenen
Personals bewältigt.
Am Ende wird es wieder einmal heißen: Außer Spesen nichts gewesen. Es
gibt allerdings einen Unterschied zu allen früheren Hoffnungsträgern der
High-Tech-Industrie. Die »Spesen«, sprich die Vorauskosten, sprengen
diesmal alle Dimensionen. Lange bevor auch nur ein einziges UMTS-Handy
in Betrieb genommen ist, kündigt sich die beispiellose Kosteninflation schon
bei der staatlichen Vergabe der Lizenzen für das neue Mobilfunk-System
an.
Nachdem die chronisch finanzschwachen Staatskassen in den neunziger
Jahren durch das »Verscherbeln des Tafelsilbers«, d.h. durch die
Privatisierung von staatlichen Unternehmen, Einrichtungen der Infrastruktur
usw. kurzfristig saniert worden sind, beginnt sich diese Methode mangels
Masse allmählich zu erschöpfen. Und da die globalisierten Konzerne
weiterhin wenig oder gar keine Steuern zahlen, greifen immer mehr Staaten
zu neuen Mitteln der Geldbewschaffung. Sie versteigern die Lizenzen für
den UMTS-Betrieb.
Die bisherigen Auktionen haben alle Erwartungen weit übertroffen.
Nachdem die Telekom-Konzerne im April 2000 bei der Versteigerung der
Lizenzen für Großbritannien den Preis auf 42 Milliarden Euro hochgepokert
hatten, steigerten sich die Teilnehmer bei der deutschen Auktion im August
2000 in einen regelrechten Bieterrausch hinein. 50 Milliarden Euro mussten
sie am Ende zahlen. In Italien soll die Versteigerung in den nächsten
Wochen bis zu 35 Milliarden Euro bringen. Und bis Mitte 2001 stehen unter
anderem noch Auktionen in Österreich, Belgien, Dänemark, Frankreich,
Portugal und Schweden an. Weltweit sind insgesamt über 80
UMTS-Lizenzen zu vergeben.
Man kann sich vorstellen, welche Belastung der beteiligten Unternehmen
mit diesem Pokerspiel verbunden ist. Die Lizenz ist nichts als ein Stück
Papier, ein juristisches Zertifikat, mit dem der Staat einen weiteren Teil
seiner territorialen »Souveränität« kurzfristig in Geldwert verwandelt.
Unternehmensberater haben ausgerechnet, dass beispielsweise jeder der
sechs Sieger der deutschen UMTS-Auktion einen Marktanteil von 30 bis 40
Prozent erreichen muss, nur um die Kosten der ersteigerten Lizenz wieder
hereinzuholen. Macht zusammen zwischen 180 und 240 Prozent. Die
Mehrheit der Mitspieler muss daher zwangsläufig auf der Strecke bleiben.
Doch mit der Ersteigerung der Lizenzen hat die Kosteninflation erst
begonnen, denn die milliardenschweren Investitionen in Technik,
Infrastruktur und Sendenetze stehen noch aus. Da in einem relativ kurzen
Zeitraum alle Mobilfunkunternehmen auf einen Schlag um die begrenzten
Kapazitäten der Netzausrüster konkurrieren müssen, also die Nachfrage das
Angebot weit übersteigt, gewinnen die Ausrüster eine enorme
Anbietermacht, die sie sich teuer bezahlen lassen.
Nach einer Berechnung des Spiegel kosten die Investitionen in das
UMTS-Projekt inflationsbereinigt mehr als der Bau des gesamten
europäischen Eisenbahnnetzes. Diese irreale Dimension macht es
unwahrscheinlich, dass daraus jemals ein profitabler Massenkonsum
entstehen könnte. Die Kosten sind einfach zu hoch, und sie können nicht
auf die Endverbraucher umgewälzt werden. Denn die voraussichtlich
geringer als erwartet ausfallende Nachfrage und die Überlebenskonkurrenz
der Telekom-Konzerne untereinander drückt zwangsläufig die Preise für die
Benutzer ebenso herunter, wie sie die Preise der Netzausrüster hochtreibt.
Die Anbietermacht ist gering und zwingt zu einem ruinösen
Preiswettbewerb.
Selbst die überlebenden Unternehmen des UMTS-Projekts werden also in
den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren nur Verluste machen, da sie die
Inflation der Vorauskosten nicht mehr durch den laufenden
Geschäftsbetrieb hereinholen können. Daher stellt sich die Frage, warum
sich die Telekom-Konzerne trotz der absehbaren Folgen gegen jede
ökonomische Rationalität in dieses Abenteuer stürzen.
Wie die New Economy im allgemeinen, so hat auch das UMTS-Projekt im
besonderen eine irrationale und nicht mehr zu stoppende Eigendynamik
entwickelt. Schon unmittelbar nach dem Ende der deutschen Auktion, so
hieß es in der Wirtschaftspresse, habe sich bei den siegreichen Managern
Katzenjammer verbreitet - das unfreiwillige Eingeständnis, dass sie im
»Bieterrausch« nicht mehr voll zurechnungsfähig waren. Den italienischen
Auktionären könnte es bald ähnlich ergehen.
Zwar geht es bekanntlich in der gesamten Ökonomie schon seit langem
nicht mehr um Profit aus realen Warengeschäften; vielmehr haben wir es in
Gestalt des »fiktiven Kapitals« (Marx) mit einer zweiten Ebene
ökonomischer Rationalität zu tun, auf der nur noch die Kapitalisierung
irrealer Optionen für eine imaginäre Zukunft interessant ist. Aber gerade die
Kosten von UMTS zeigen an, dass die spekulative Börsenkapitalisierung in
eine kritische Phase einzutreten beginnt. Bislang durften die oft winzigen
Unternehmen der New Economy unbeschwert in ihrem völlig unprofitablen
Realgeschäft Geldkapital »verbrennen«; je mehr, desto besser -
Hauptsache, die Börsenkurse stiegen. Der Überschuss dieser Spielgewinne
über das im Realgeschäft »verbrannte« Investitionskapital machte die
Binnenrationalität der kasinokapitalistischen New Economy aus.
Aber genau diese spekulative Option funktioniert nun bei UMTS nicht mehr,
weil die »verbrannten« Vorauskosten zu groß sind. Das Verhältnis von
Kosten und Gewinn kehrt sich auch auf der spekulativen Ebene um. Diese
Entwicklung hat sich schon seit längerem bei den großen
Übernahmeschlachten angedeutet. Die Preise für das Erlangen so
genannter »strategischer Optionen« beginnen die möglichen spekulativen
Gewinne zu übersteigen; das UMTS-Projekt ist dafür nur ein besonders
drastisches Beispiel.
Daher ist es nicht auszuschließen, dass sich die UMTS-Auktionen
mittelfristig als Debakel erweisen könnten. Denn die beteiligten
Unternehmen der Telekom-Sparte sind als defizitäre ehemalige
Staatsbetriebe schon hoch verschuldet in den Markt entlassen worden. Die
riesigen Auslands-Aquisitionen im Zuge der Globalisierung vergrößerten das
Schuldenloch, das nun wegen des UMTS-Abenteuers umso bedrohlicher
klafft. Da in dieser Kosten- und Schuldenfalle auch die spekulativen
Gewinne ausbleiben, sucht sich das Management in Unternehmensanleihen
zu retten. Doch die gigantische Verschuldung bei gleichzeitigem Absacken
ihrer Börsenwerte führt dazu, dass die Rating-Agenturen ihre Bonität
herunterstufen. Folglich müssen die Telekom-Konzerne zu allem Überfluß für
diese Anleihen überhöhte Zinsen bezahlen. Die Deutsche Telekom hat im
Juli 2000 mit 16 Milliarden Euro die größte Unternehmensanleihe aller Zeiten
aufgelegt.
Auch in dieser Hinsicht nimmt der Telekomsektor nur eine allgemeine
Entwicklung vorweg. Das heraufziehende Überangebot von
Unternehmensanleihen der hochverschuldeten New Economy hat bereits zu
einer inversen Zinsstruktur geführt: kurzfristige Papiere bringen mehr
Zinsen als langfristige - ein untrügliches Zeichen für eine baldige
»Korrektur« mit anschließender Rezession. Die zu erwartende große Pleite
einiger Telekom-Konzerne könnte der Auslöser sein.
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