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[ox] Jungle World 44/2000-Robert Kurz zu UMTS



Jungle World 44/2000

                  Nichts ist unmöglich 

                  Überall in Europa werden derzeit UMTS-Lizenzen
                  versteigert. Die Folgekosten der neuen Technik könnten
                  die Telekomindustrie ruinieren. Von Robert Kurz 

Jedes Jahr eine neue Epoche, jedes Quartal ein neues ökonomisches
Wunder, jede Woche eine neue Terminologie. Der Turbokapitalismus scheint        
sich selbst zu überholen, so schnell ist er - und so unmöglich. Das jüngste     
Kind der New Economy heißt UMTS (Universal Mobile Telecommunications            
System). Mit anderen Worten: das Internet per Handy zum Mitnehmen für           
unterwegs; »schnurlos« und mit zwei Millionen Bit pro Sekunde ungefähr          
zweihundertmal schneller als bei den heute gängigen mobilen Anschlüssen.        
Dabei handle es sich, so die offiziellen Optimisten vom Dienst, um ein          
Zukunftsgeschäft ersten Ranges. 

ieser Optimismus wird mit dem Boom bei den jetzigen Handys begründet,           
die unter Jugendlichen längst zum Statussymbol geworden sind. Die              
Phantasie blüht. Mit dem neuen Standard von UMTS und dem mobilen                
Internet soll europaweit endlich der lang ersehnte Durchbruch eines neuen       
tragfähigen Massenkonsums kommen, der Verwertungschancen für                  
Industrie und Telekom-Dienstleistungen in einer ungeahnten Größenordnung       
bietet - diesmal angeblich wirklich ausreichend für einen großen                
selbsttragenden Aufschwung der Ökonomie. 

Allein in Deutschland versprechen Wirtschaftsministerium und elektronische      
Industrie 700 000 neue Arbeitsplätze schon in den nächsten fünf Jahren.         
Und auch in Italien, wo vergangene Woche die Versteigerung von fünf            
UMTS-Lizenzen begann, erhofft man sich neue Wachstumspotenziale.                
Schließlich gibt es dort mittlerweile mehr Funktelefone als                 
Festnetzanschlüsse. 

Die optimistische Prognose dürfte wie zahlreiche ähnliche Hoffnungen und       
Versprechen in den letzten Jahren schon bald als Luftnummer entzaubert          
werden. Nach ersten Umfragen denken weniger als 25 Prozent der                  
bisherigen Handy-Nutzer daran, auf UMTS umzusteigen. Der von Marketing,         
Unternehmensberatern und Regierungen erzeugte Mobilitätswahn kann               
nicht ewig gesteigert werden. Schon allein wegen der möglicherweise             
mangelnden Nachfrage könnte UMTS ökonomisch ein ähnlicher Flop werden           
wie das Pay-TV, dessen Protagonisten - etwa der deutsche Medienzar Leo          
Kirch - heute verzweifelt am Rande des großen Bankrotts lavieren. 

Damit aber noch längst nicht genug. Auch die technischen          
Voraussetzungen sind mangelhaft. Es hört sich wie ein Witz an, aber es ist      
Tatsache: Nicht nur die komplette Infrastruktur für UMTS fehlt, sondern        
auch die Technologie selbst ist noch gar nicht ausgereift. Nach Berichten     
gibt es Endgeräte bisher nur als Studien. In Japan sollen vielleicht 2001      
erste Geräte auf den Markt kommen. 

Unabhängig von den technologischen und infrastrukturellen Mängeln lauert       
auch noch eine andere Gefahr: Es gibt Hinweise darauf, dass die            
zusätzliche Belastung durch elektromagnetische Strahlen in einem Ausmaß,       
wie es bei UMTS angestrebt wird, gesundheitliche Schäden verursachen         
kann. Zwar versucht die Telekom-Lobby solche Warnungen als             
»Panikmache von Spinnern und Sektierern« abzutun. Aber immerhin gibt es       
bereits eine »Salzburger Resolution« von ernstzunehmenden               
Wissenschaftlern, die niedrigere Grenzwerte als die bisher in der EU         
gültigen fordern. 

Immerhin hat Professor Heyo Eckel, keineswegs ein Öko-Sektierer, sondern        
Mitglied der honorigen deutschen Bundesärztekammer, auf Tierversuche         
hingewiesen, die denVerdacht bestätigen, dass elektromagnetische              
Strahlung auch unterhalb der gegenwärtig gültigen Grenzwerte                
gesundheitliche Schäden auslösen kann. Und die Sache ist offenbar so            
ernst zu nehmen, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine                
Großstudie in Auftrag gegeben hat, um das Krebsrisiko bei extensiver           
Handy-Benutzung zu untersuchen. Der an einem Hirntumor erkrankte               
US-Neurologe Christopher Newman, der seine Krankheit auf die Strahlung          
von Mobiltelefonen zurückführt, hat nach den Gepflogenheiten seines         
Landes bereits vorsorglich Motorola und andere Mobilfunkunternehmen auf         
die Zahlung von 800 Millionen Dollar Schadenersatz verklagt. 

Dass solche Vorstöße nach dem Muster der Klagen gegen die               
Zigarettenindustrie durchaus ähnliche Erfolgschancen haben, zeigt die        
panikartige Reaktion: Motorola, Nokia und andere Handyhersteller kündigten   
an, dass sie ab 2001 ihre Geräte mit Hinweisen auf die Strahlenbelastung        
kennzeichnen wollen. Nicht gerade eine gute Werbung. 

Nie war ein vollmundig angekündigtes »Zukunftsgeschäft« unsicherer. Und         
selbst wenn sich mit UMTS ein gewisses neues Marktsegment der          
Telekommunikation eröffnen sollte, so wird es mit Sicherheit keine              
Größenordnung und Dynamik erreichen, die gesamtwirtschaftlich zu Buche        
schlagen könnte. Schon gar nicht im Hinblick auf die »Beschäftigung«. Der      
laufende Betrieb des mobilen Internet wird auf hoher Stufe der          
Rationalisierung beschäftigungsarm bleiben, während die Netzausrüster         
zwar kurzfristig große Aufträge zu bewältigen haben; aber             
erfahrungsgemäß wird eine solche zeitlich begrenzte Auftragsschwemme           
nicht durch Neueinstellungen, sondern durch Überstunden des vorhandenen       
Personals bewältigt. 

Am Ende wird es wieder einmal heißen: Außer Spesen nichts gewesen. Es         
gibt allerdings einen Unterschied zu allen früheren Hoffnungsträgern der      
High-Tech-Industrie. Die »Spesen«, sprich die Vorauskosten, sprengen          
diesmal alle Dimensionen. Lange bevor auch nur ein einziges UMTS-Handy       
in Betrieb genommen ist, kündigt sich die beispiellose Kosteninflation schon  
bei der staatlichen Vergabe der Lizenzen für das neue Mobilfunk-System         
an. 
             
Nachdem die chronisch finanzschwachen Staatskassen in den neunziger             
Jahren durch das »Verscherbeln des Tafelsilbers«, d.h. durch die              
Privatisierung von staatlichen Unternehmen, Einrichtungen der Infrastruktur     
usw. kurzfristig saniert worden sind, beginnt sich diese Methode mangels        
Masse allmählich zu erschöpfen. Und da die globalisierten Konzerne            
weiterhin wenig oder gar keine Steuern zahlen, greifen immer mehr Staaten     
zu neuen Mitteln der Geldbewschaffung. Sie versteigern die Lizenzen für         
den UMTS-Betrieb. 

Die bisherigen Auktionen haben alle Erwartungen weit übertroffen.               
Nachdem die Telekom-Konzerne im April 2000 bei der Versteigerung der         
Lizenzen für Großbritannien den Preis auf 42 Milliarden Euro hochgepokert       
hatten, steigerten sich die Teilnehmer bei der deutschen Auktion im August     
2000 in einen regelrechten Bieterrausch hinein. 50 Milliarden Euro mussten     
sie am Ende zahlen. In Italien soll die Versteigerung in den nächsten          
Wochen bis zu 35 Milliarden Euro bringen. Und bis Mitte 2001 stehen unter       
anderem noch Auktionen in Österreich, Belgien, Dänemark, Frankreich,          
Portugal und Schweden an. Weltweit sind insgesamt über 80               
UMTS-Lizenzen zu vergeben. 

Man kann sich vorstellen, welche Belastung der beteiligten Unternehmen          
mit diesem Pokerspiel verbunden ist. Die Lizenz ist nichts als ein Stück      
Papier, ein juristisches Zertifikat, mit dem der Staat einen weiteren Teil    
seiner territorialen »Souveränität« kurzfristig in Geldwert verwandelt. 

Unternehmensberater haben ausgerechnet, dass beispielsweise jeder der           
sechs Sieger der deutschen UMTS-Auktion einen Marktanteil von 30 bis 40        
Prozent erreichen muss, nur um die Kosten der ersteigerten Lizenz wieder       
hereinzuholen. Macht zusammen zwischen 180 und 240 Prozent. Die            
Mehrheit der Mitspieler muss daher zwangsläufig auf der Strecke bleiben. 

Doch mit der Ersteigerung der Lizenzen hat die Kosteninflation erst            
begonnen, denn die milliardenschweren Investitionen in Technik,              
Infrastruktur und Sendenetze stehen noch aus. Da in einem relativ kurzen        
Zeitraum alle Mobilfunkunternehmen auf einen Schlag um die begrenzten          
Kapazitäten der Netzausrüster konkurrieren müssen, also die Nachfrage das      
Angebot weit übersteigt, gewinnen die Ausrüster eine enorme              
Anbietermacht, die sie sich teuer bezahlen lassen. 

Nach einer Berechnung des Spiegel kosten die Investitionen in das               
UMTS-Projekt inflationsbereinigt mehr als der Bau des gesamten                
europäischen Eisenbahnnetzes. Diese irreale Dimension macht es                
unwahrscheinlich, dass daraus jemals ein profitabler Massenkonsum               
entstehen könnte. Die Kosten sind einfach zu hoch, und sie können nicht         
auf die Endverbraucher umgewälzt werden. Denn die voraussichtlich              
geringer als erwartet ausfallende Nachfrage und die Überlebenskonkurrenz       
der Telekom-Konzerne untereinander drückt zwangsläufig die Preise für die     
Benutzer ebenso herunter, wie sie die Preise der Netzausrüster hochtreibt.     
Die Anbietermacht ist gering und zwingt zu einem ruinösen               
Preiswettbewerb. 

Selbst die überlebenden Unternehmen des UMTS-Projekts werden also in            
den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren nur Verluste machen, da sie die         
Inflation der Vorauskosten nicht mehr durch den laufenden               
Geschäftsbetrieb hereinholen können. Daher stellt sich die Frage, warum        
sich die Telekom-Konzerne trotz der absehbaren Folgen gegen jede               
ökonomische Rationalität in dieses Abenteuer stürzen. 

Wie die New Economy im allgemeinen, so hat auch das UMTS-Projekt im           
besonderen eine irrationale und nicht mehr zu stoppende Eigendynamik           
entwickelt. Schon unmittelbar nach dem Ende der deutschen Auktion, so         
hieß es in der Wirtschaftspresse, habe sich bei den siegreichen Managern        
Katzenjammer verbreitet - das unfreiwillige Eingeständnis, dass sie im          
»Bieterrausch« nicht mehr voll zurechnungsfähig waren. Den italienischen       
Auktionären könnte es bald ähnlich ergehen. 

Zwar geht es bekanntlich in der gesamten Ökonomie schon seit langem             
nicht mehr um Profit aus realen Warengeschäften; vielmehr haben wir es in       
Gestalt des »fiktiven Kapitals« (Marx) mit einer zweiten Ebene                
ökonomischer Rationalität zu tun, auf der nur noch die Kapitalisierung        
irrealer Optionen für eine imaginäre Zukunft interessant ist. Aber gerade die  
Kosten von UMTS zeigen an, dass die spekulative Börsenkapitalisierung in      
eine kritische Phase einzutreten beginnt. Bislang durften die oft winzigen     
Unternehmen der New Economy unbeschwert in ihrem völlig unprofitablen          
Realgeschäft Geldkapital »verbrennen«; je mehr, desto besser -              
Hauptsache, die Börsenkurse stiegen. Der Überschuss dieser Spielgewinne        
über das im Realgeschäft »verbrannte« Investitionskapital machte die          
Binnenrationalität der kasinokapitalistischen New Economy aus. 

Aber genau diese spekulative Option funktioniert nun bei UMTS nicht mehr,       
weil die »verbrannten« Vorauskosten zu groß sind. Das Verhältnis von           
Kosten und Gewinn kehrt sich auch auf der spekulativen Ebene um. Diese         
Entwicklung hat sich schon seit längerem bei den großen                
Übernahmeschlachten angedeutet. Die Preise für das Erlangen so                 
genannter »strategischer Optionen« beginnen die möglichen spekulativen          
Gewinne zu übersteigen; das UMTS-Projekt ist dafür nur ein besonders           
drastisches Beispiel. 

Daher ist es nicht auszuschließen, dass sich die UMTS-Auktionen                 
mittelfristig als Debakel erweisen könnten. Denn die beteiligten               
Unternehmen der Telekom-Sparte sind als defizitäre ehemalige              
Staatsbetriebe schon hoch verschuldet in den Markt entlassen worden. Die       
riesigen Auslands-Aquisitionen im Zuge der Globalisierung vergrößerten das     
Schuldenloch, das nun wegen des UMTS-Abenteuers umso bedrohlicher             
klafft. Da in dieser Kosten- und Schuldenfalle auch die spekulativen          
Gewinne ausbleiben, sucht sich das Management in Unternehmensanleihen         
zu retten. Doch die gigantische Verschuldung bei gleichzeitigem Absacken       
ihrer Börsenwerte führt dazu, dass die Rating-Agenturen ihre Bonität          
herunterstufen. Folglich müssen die Telekom-Konzerne zu allem Überfluß für     
diese Anleihen überhöhte Zinsen bezahlen. Die Deutsche Telekom hat im          
Juli 2000 mit 16 Milliarden Euro die größte Unternehmensanleihe aller Zeiten  
aufgelegt. 

Auch in dieser Hinsicht nimmt der Telekomsektor nur eine allgemeine           
Entwicklung vorweg. Das heraufziehende Überangebot von               
Unternehmensanleihen der hochverschuldeten New Economy hat bereits zu          
einer inversen Zinsstruktur geführt: kurzfristige Papiere bringen mehr         
Zinsen als langfristige - ein untrügliches Zeichen für eine baldige           
»Korrektur« mit anschließender Rezession. Die zu erwartende große Pleite       
einiger Telekom-Konzerne könnte der Auslöser sein. 

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