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[ox] Die Anwendbarkeit der Wertkritik in der Informationsgesellschaft



Einer der Ausgangspunkte der Ueberlegungen zum Aufsatz ?Die Anwendbarkeit der Werttheorie in der Informationsgesellschaft" war, ob das Schema der erweiterten Reproduktion G-W..P..W?-G? eines Einzelkapitals heute unveraendert anwendbar ist, da Veraenderungen auf Grund der Zunahme des immateriellen und Dienstleistungs-Bereiches zu erwarten sind. Marx ging bei diesem Schema von der rein stofflich-industriellen Produktion aus. Dies zeigt sich z.B., wenn er von den ?materiellen Bedingungen" der Akkumulation (MEW 23, S. 607, FN 21b) spricht oder in der folgenden Passage: ?Zunaechst muss die Jahresproduktion alle die GEGENSTAENDE (Gebrauchswerte) liefern, aus denen die im Laufe des Jahres verbrauchten sachlichen Bestandteile des Kapitals zu ersetzen sind. Nach Abzug dieser bleibt, das Netto oder Mehrprodukt, worin der Mehrwert steckt. [...] Um zu akkumulieren, muss man einen Teil des Mehrprodukts in Kapital verwanden. [...] der Mehrwert ist nur deshalb in Kapital verwandelbar, weil das Mehrprodukt, dessen Wert er ist, bereits die SACHLICHEN Bestandteile eines neuen Kapitals enthaelt" (MEW 23, S. 606f). Natuerlich geht es bei dieser einzelkapitalistischen Akkumulation, wie Kraemer meint, um die Akkumulation von Geldkapital. Aber der Kreislauf des Geldkapitals ist eben nur eine der drei von Marx betrachteten Figuren im 2. Band des Kapitals. Denn da gibt es noch den Kreislauf des produktiven Kapitals (P...W?-G?-W...P) und jenen des Warenkapitals (W?-G?-W...P...W??). Und dieses Warenkapital ist eng mit dem Begriff des Mehrprodukts verbunden. Denn das Mehrprodukt ist der Teil des Produkts, worin sich der Mehrwert darstellt. Daher ist klar, dass die Akkumulation des Kapitals auch mit der Akkumulation von Warenkapital und der Vergroesserung des Mehrprodukts verbunden ist. Und das bedeutet fuer Marx auch eine Erhoehung der Produktmasse, denn er sieht z.B. den Kreislauf des Warenkapitals als ?Bewegung der allgemeinen Produktenmasse" (MEW 24, S. 102). Das Warenkapital als Traeger des Wertes hat fuer Marx unbedingt eine stoffliche Dimension, er spricht beispielsweise immer wieder von der ?Warenmasse W?". Betrachten wir nun W?-G?-W...P...W??, so ist folglich fuer Marx die Warenmasse W?? > W?. Ich denke jetzt aber nicht, dass immaterielle Arbeit grundsaetzlich nicht produktiv sein kann, sondern meine, dass wir uns heute genau ansehen muessen, wie das Schema der erweiterten Reproduktion veraendert werden muss, damit es weiter gueltig ist. Die Argumentationen von Kraemer und manchen anderen gehen in die Richtung, dass es unveraendert angewendet werden kann. Das denke ich nicht, da Marx bezogen auf den historischen Kontext nur den materiell-industriellen Bereich betrachtet hat. Ich plaediere daher fuer eine genaue Betrachtung jeder Arbeit, nicht aber fuer eine generelle Subsumtion aller Arbeiten unter das Marxsche Schema der erweiterten Reproduktion. Wissensarbeit erscheint ?verdaechtig", da das Wissen spezielle Eigenschaften hat, die von Marx nicht betrachtet werden konnten (vor allem, dass es nur einmal produziert werden muss und nicht oder auf andere Art verschleisst). Produktive Arbeit im Marxschen Sinn schliesst nun eben schon die Akkumulierbarkeit des Warenkapitals mit ein. Fuer die Produktion von Massensoftware habe ich versucht, den Prozess genau zu betrachten und argumentiert, dass die Einheit von Wissensproduktion und Massenproduktion mittels eines materiellen Traegermediums im Sinn von Marx dem erweiterten Reproduktionsschema entspricht und so als produktive Arbeit gesehen werden kann. Bei Individualsoftware ist das nicht der Fall, da hier gar keine Warenmasse entstehen kann. Die Gegenargumentation kenne ich schon: Es geht um viele verschiedene hergestellte Einzelwaren, trotzdem ist es ein Reproduktions- und Akkumulationsprozess, da es nur um die Akkumulation des Kapitals geht. Nein. Der Begriff des Mehrprodukts macht nur Sinn, wenn er auf eine Warenart bezogen wird. Das Warenkapital muss akkumulierbar sein, und damit es als solches gelten kann, muessen die darin enthaltenen Waren von vergleichbarer Art sein. Bei der Produktion von Individualsoftware wird kein Warenkapital akkumuliert, sie wird einmal hergestellt und dann verkauft. Es wird nicht dieselbe oder eine aehnliche Ware nochmals in hoeherer Quantitaet produziert. Dies ist aber beim Marxschen Schema erweiterter Reproduktion notwendig, sonst kann nicht W?? groesser sein als W?. Und das ist aber fuer Marx eine notwendige Bedingung (?Findet Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter statt, so ist das Schluss-W? groesser als das Ausgangs-W? und soll deshalb hier mit W?? bezeichnet werden" MEW 24, S. 91). W?, W?? sind fuer Marx Warenmassen, es geht hier also auch um quantitative Vermehrung, so steht das nun mal im Kapital. Bei der Individualsoftware ist daher das Schema der erweiterten Reproduktion, also das Akkumulationsschema, in der von Marx konzipierten Form nicht anwendbar. Wenn es jemand anwenden will, dann muss er/sie das Schema veraendern. Marxens Argumentation geht in die Richtung, dass er keine Akkumulation von Kapital durch immaterielle Arbeit fuer moeglich hielt. Deshalb wurde ihm auch Stoff-Fetischismus (z.B. unlaengst in der Studie von Bjoern Daempfling Ueber produktive und unproduktive Arbeit bei Marx) vorgeworfen. Ich sage nicht, dass Kapitalakkumulation auf materielle Arbeit angewiesen ist, aber, dass zur Untersuchung der Produktivitaet von immaterieller Arbeit das Schema der erweiterten Reproduktion im Marxschen Sinn nicht geeignet ist. Fuer die Diskussion um Massensoftwareproduktion habe ich das Schema quasi schon erweitert, da ich von einer Einheit der Produktion von materiell-gegenstaendlicher und immateriell-wissenschaffender Arbeit ausgehe. Kraemer beachtet die anderen Kreislaeufe des Kapitals nicht, die zu Beginn des 2. Bandes des Kapitals beschrieben werden, sondern reduziert Akkumulation, so wie Marx sie beschrieben hat, auf Geldkapital. Von wegen jemandem Unsinn und eine ?falsche" Verwendung von Marxschen Begriffen vorwerfen. Da wuerdest Du uebrigens auch nicht so gut aussteigen Kraemer, denn dann mueßte ich z.B. auch Deinen Revenue-Begriff in Deiner Replik auf die Replik als ?Unsinn" und ?falsch" bezeichnen. Aber solche Vorwuerfe mache ich nicht. Die Diskussion ueber produktive/unproduktive Arbeit in der Ookonux-Liste ist inzwischen so umfassend geworden, dass es muessig waere, alles zu lesen und darauf einzugehen. Ich habe es noch nicht annaehernd geschafft, alle Beitraege durchzulesen, hoffe, das aber nachholen zu koennen. Vor einem moechte ich noch warnen: Naemlich produktive und unproduktive Arbeit einander entgegenzusetzen und unproduktive als positiv zu bewerten. Unproduktive Arbeit ist naemlich geradezu eine kapitalistische Notwendigkeit. Ich denke da vor allem an Reproduktionsarbeit, die in den meisten Formen unproduktiv ist und sein muss, da das Kapital nicht alle Formen der Arbeit bezahlen kann. Es benoetigt die unbezahlte Arbeit, um Ueberhaupt existieren zu koennen. Reproduktionsarbeit sichert so die Reproduktion der zumeist maennlichen dreifach freien Lohnarbeitenden (die dritte Freiheit kommt daher, dass sie ?frei" von der Reproduktionsarbeit sind) und des Kapitalismus. Produktive und unproduktive Arbeit sind in diesem Sinn miteinander verschraenkt. Wertschaffende Arbeit waere ohne dieser ?wertlosen" Arbeit gar nicht moeglich. Roswitha Scholz meint in ihrer Wertabspaltungsthese (siehe ihre Ausfuehrungen in ?Das Geschlecht des Kapitalismus") zwar, dass Reproduktionsarbeit und abstrakte Arbeit voneinander abgespaltet sind und dass erste daher nicht werttheoretisch und -kritisch erfasst werden kann. Ich meine trotzdem, dass hier eine Verkopplung gegeben ist und dass die Wertproduktion von der ?wertlosen" Arbeit abhaengig ist. Daher kann ich hier auch nicht wie Scholz die Betrachtungsebene dichotomisieren und sagen, Reproduktionsarbeit stehe ausserhalb der Wertkritik. Genausowenig steht die ?freie Softwareentwicklung" ausserhalb der Wertproduktion, da eine Subsumtion unter das Kapital wie bei Modzilla letzten Endes innerhalb der kapitalistischen Produktionsweise immer gegeben sein wird. Die ?freien" SoftwareentwicklerInnen werden somit zu den IdiotInnen der Ware und des Werts. Diese ?Freiheit" unterstellt Entkopplung von kapitalistischen Verwertungszusammenhaengen. Dies ist aber innerhalb des Kapitalismus nicht oder nur aeusserst beschraenkt moeglich. Daher erscheint auch eine oekonomische Emanzipationsbewegung, die ihren Ausgangspunkt im Kapitalismus nimmt, als illusorisch, da innerhalb dieser Gesellschaftsform der Tauschwert nicht aufgehoben werden kann. Daher sehe ich einen Primat der politischen Emanzipation.

Christian Fuchs
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