[ox] Die Anwendbarkeit der Wertkritik in der Informationsgesellschaft
- From: "rhizom 00" <rhizom00 hotmail.com>
- Date: Thu, 30 Nov 2000 19:36:36 +0100
Einer der Ausgangspunkte der Ueberlegungen zum Aufsatz ?Die Anwendbarkeit
der Werttheorie in der Informationsgesellschaft" war, ob das Schema der
erweiterten Reproduktion G-W..P..W?-G? eines Einzelkapitals heute
unveraendert anwendbar ist, da Veraenderungen auf Grund der Zunahme des
immateriellen und Dienstleistungs-Bereiches zu erwarten sind.
Marx ging bei diesem Schema von der rein stofflich-industriellen Produktion
aus. Dies zeigt sich z.B., wenn er von den ?materiellen Bedingungen" der
Akkumulation (MEW 23, S. 607, FN 21b) spricht oder in der folgenden Passage:
?Zunaechst muss die Jahresproduktion alle die GEGENSTAENDE (Gebrauchswerte)
liefern, aus denen die im Laufe des Jahres verbrauchten sachlichen
Bestandteile des Kapitals zu ersetzen sind. Nach Abzug dieser bleibt, das
Netto oder Mehrprodukt, worin der Mehrwert steckt. [...] Um zu akkumulieren,
muss man einen Teil des Mehrprodukts in Kapital verwanden. [...] der
Mehrwert ist nur deshalb in Kapital verwandelbar, weil das Mehrprodukt,
dessen Wert er ist, bereits die SACHLICHEN Bestandteile eines neuen Kapitals
enthaelt" (MEW 23, S. 606f).
Natuerlich geht es bei dieser einzelkapitalistischen Akkumulation, wie
Kraemer meint, um die Akkumulation von Geldkapital. Aber der Kreislauf des
Geldkapitals ist eben nur eine der drei von Marx betrachteten Figuren im 2.
Band des Kapitals. Denn da gibt es noch den Kreislauf des produktiven
Kapitals (P...W?-G?-W...P) und jenen des Warenkapitals (W?-G?-W...P...W??).
Und dieses Warenkapital ist eng mit dem Begriff des Mehrprodukts verbunden.
Denn das Mehrprodukt ist der Teil des Produkts, worin sich der Mehrwert
darstellt. Daher ist klar, dass die Akkumulation des Kapitals auch mit der
Akkumulation von Warenkapital und der Vergroesserung des Mehrprodukts
verbunden ist. Und das bedeutet fuer Marx auch eine Erhoehung der
Produktmasse, denn er sieht z.B. den Kreislauf des Warenkapitals als
?Bewegung der allgemeinen Produktenmasse" (MEW 24, S. 102). Das Warenkapital
als Traeger des Wertes hat fuer Marx unbedingt eine stoffliche Dimension, er
spricht beispielsweise immer wieder von der ?Warenmasse W?". Betrachten wir
nun W?-G?-W...P...W??, so ist folglich fuer Marx die Warenmasse W?? > W?.
Ich denke jetzt aber nicht, dass immaterielle Arbeit grundsaetzlich nicht
produktiv sein kann, sondern meine, dass wir uns heute genau ansehen
muessen, wie das Schema der erweiterten Reproduktion veraendert werden muss,
damit es weiter gueltig ist. Die Argumentationen von Kraemer und manchen
anderen gehen in die Richtung, dass es unveraendert angewendet werden kann.
Das denke ich nicht, da Marx bezogen auf den historischen Kontext nur den
materiell-industriellen Bereich betrachtet hat. Ich plaediere daher fuer
eine genaue Betrachtung jeder Arbeit, nicht aber fuer eine generelle
Subsumtion aller Arbeiten unter das Marxsche Schema der erweiterten
Reproduktion.
Wissensarbeit erscheint ?verdaechtig", da das Wissen spezielle Eigenschaften
hat, die von Marx nicht betrachtet werden konnten (vor allem, dass es nur
einmal produziert werden muss und nicht oder auf andere Art verschleisst).
Produktive Arbeit im Marxschen Sinn schliesst nun eben schon die
Akkumulierbarkeit des Warenkapitals mit ein. Fuer die Produktion von
Massensoftware habe ich versucht, den Prozess genau zu betrachten und
argumentiert, dass die Einheit von Wissensproduktion und Massenproduktion
mittels eines materiellen Traegermediums im Sinn von Marx dem erweiterten
Reproduktionsschema entspricht und so als produktive Arbeit gesehen werden
kann.
Bei Individualsoftware ist das nicht der Fall, da hier gar keine Warenmasse
entstehen kann. Die Gegenargumentation kenne ich schon: Es geht um viele
verschiedene hergestellte Einzelwaren, trotzdem ist es ein Reproduktions-
und Akkumulationsprozess, da es nur um die Akkumulation des Kapitals geht.
Nein. Der Begriff des Mehrprodukts macht nur Sinn, wenn er auf eine Warenart
bezogen wird. Das Warenkapital muss akkumulierbar sein, und damit es als
solches gelten kann, muessen die darin enthaltenen Waren von vergleichbarer
Art sein.
Bei der Produktion von Individualsoftware wird kein Warenkapital
akkumuliert, sie wird einmal hergestellt und dann verkauft. Es wird nicht
dieselbe oder eine aehnliche Ware nochmals in hoeherer Quantitaet
produziert. Dies ist aber beim Marxschen Schema erweiterter Reproduktion
notwendig, sonst kann nicht W?? groesser sein als W?. Und das ist aber fuer
Marx eine notwendige Bedingung (?Findet Reproduktion auf erweiterter
Stufenleiter statt, so ist das Schluss-W? groesser als das Ausgangs-W? und
soll deshalb hier mit W?? bezeichnet werden" MEW 24, S. 91).
W?, W?? sind fuer Marx Warenmassen, es geht hier also auch um quantitative
Vermehrung, so steht das nun mal im Kapital. Bei der Individualsoftware ist
daher das Schema der erweiterten Reproduktion, also das Akkumulationsschema,
in der von Marx konzipierten Form nicht anwendbar. Wenn es jemand anwenden
will, dann muss er/sie das Schema veraendern.
Marxens Argumentation geht in die Richtung, dass er keine Akkumulation von
Kapital durch immaterielle Arbeit fuer moeglich hielt. Deshalb wurde ihm
auch Stoff-Fetischismus (z.B. unlaengst in der Studie von Bjoern Daempfling
Ueber produktive und unproduktive Arbeit bei Marx) vorgeworfen. Ich sage
nicht, dass Kapitalakkumulation auf materielle Arbeit angewiesen ist, aber,
dass zur Untersuchung der Produktivitaet von immaterieller Arbeit das Schema
der erweiterten Reproduktion im Marxschen Sinn nicht geeignet ist. Fuer die
Diskussion um Massensoftwareproduktion habe ich das Schema quasi schon
erweitert, da ich von einer Einheit der Produktion von
materiell-gegenstaendlicher und immateriell-wissenschaffender Arbeit
ausgehe.
Kraemer beachtet die anderen Kreislaeufe des Kapitals nicht, die zu Beginn
des 2. Bandes des Kapitals beschrieben werden, sondern reduziert
Akkumulation, so wie Marx sie beschrieben hat, auf Geldkapital. Von wegen
jemandem Unsinn und eine ?falsche" Verwendung von Marxschen Begriffen
vorwerfen. Da wuerdest Du uebrigens auch nicht so gut aussteigen Kraemer,
denn dann mueßte ich z.B. auch Deinen Revenue-Begriff in Deiner Replik auf
die Replik als ?Unsinn" und ?falsch" bezeichnen. Aber solche Vorwuerfe mache
ich nicht.
Die Diskussion ueber produktive/unproduktive Arbeit in der Ookonux-Liste ist
inzwischen so umfassend geworden, dass es muessig waere, alles zu lesen und
darauf einzugehen. Ich habe es noch nicht annaehernd geschafft, alle
Beitraege durchzulesen, hoffe, das aber nachholen zu koennen.
Vor einem moechte ich noch warnen: Naemlich produktive und unproduktive
Arbeit einander entgegenzusetzen und unproduktive als positiv zu bewerten.
Unproduktive Arbeit ist naemlich geradezu eine kapitalistische
Notwendigkeit. Ich denke da vor allem an Reproduktionsarbeit, die in den
meisten Formen unproduktiv ist und sein muss, da das Kapital nicht alle
Formen der Arbeit bezahlen kann. Es benoetigt die unbezahlte Arbeit, um
Ueberhaupt existieren zu koennen. Reproduktionsarbeit sichert so die
Reproduktion der zumeist maennlichen dreifach freien Lohnarbeitenden (die
dritte Freiheit kommt daher, dass sie ?frei" von der Reproduktionsarbeit
sind) und des Kapitalismus. Produktive und unproduktive Arbeit sind in
diesem Sinn miteinander verschraenkt. Wertschaffende Arbeit waere ohne
dieser ?wertlosen" Arbeit gar nicht moeglich. Roswitha Scholz meint in ihrer
Wertabspaltungsthese (siehe ihre Ausfuehrungen in ?Das Geschlecht des
Kapitalismus") zwar, dass Reproduktionsarbeit und abstrakte Arbeit
voneinander abgespaltet sind und dass erste daher nicht werttheoretisch und
-kritisch erfasst werden kann. Ich meine trotzdem, dass hier eine
Verkopplung gegeben ist und dass die Wertproduktion von der ?wertlosen"
Arbeit abhaengig ist. Daher kann ich hier auch nicht wie Scholz die
Betrachtungsebene dichotomisieren und sagen, Reproduktionsarbeit stehe
ausserhalb der Wertkritik. Genausowenig steht die ?freie
Softwareentwicklung" ausserhalb der Wertproduktion, da eine Subsumtion unter
das Kapital wie bei Modzilla letzten Endes innerhalb der kapitalistischen
Produktionsweise immer gegeben sein wird. Die ?freien"
SoftwareentwicklerInnen werden somit zu den IdiotInnen der Ware und des
Werts. Diese ?Freiheit" unterstellt Entkopplung von kapitalistischen
Verwertungszusammenhaengen. Dies ist aber innerhalb des Kapitalismus nicht
oder nur aeusserst beschraenkt moeglich. Daher erscheint auch eine
oekonomische Emanzipationsbewegung, die ihren Ausgangspunkt im Kapitalismus
nimmt, als illusorisch, da innerhalb dieser Gesellschaftsform der Tauschwert
nicht aufgehoben werden kann. Daher sehe ich einen Primat der politischen
Emanzipation.
Christian Fuchs
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