Re: [ox] Die Anwendbarkeit der Wertkritik in der Informationsgesellschaft
- From: RalfKrae aol.com
- Date: Fri, 1 Dec 2000 05:39:41 EST
Hallo Christian,
In einer eMail vom 30.11.00 20:01:29 (MEZ) Mitteleuropäische Zeit schreibt
rhizom00 hotmail.com:
"Um zu akkumulieren,
muss man einen Teil des Mehrprodukts in Kapital verwanden. [...] der
Mehrwert ist nur deshalb in Kapital verwandelbar, weil das Mehrprodukt,
dessen Wert er ist, bereits die SACHLICHEN Bestandteile eines neuen
Kapitals
enthaelt" (MEW 23, S. 606f).
Das ist doch lediglich der Hinweis darauf, dass für einen realen
Akkumulationsprozess, also die Investition von Profit in zusätzliche
Produktionsmittel oder erweiterten Lohnfond, diese (gegenüber der Vorperiode
zusätzlichen) Produktionsmittel und Konsumgüter (für die der Lohn verwendet
wird), auch produziert worden sein müssen (über dabei möglicherweise
auftretende Friktionen und die grundsätzliche Problematik der möglichen
Differenz zwischen Produktion und Nachfrage geht es hier nicht). Das ist klar
und wäre für Profit aus Dienstleistungen oder Softwareprodukten auch dann
gegeben, wenn dieser Profit (Geld) in zusätzliche Gebäude und Gehälter für
mehr Personal investiert würde, die von anderen Sektoren produziert werden.
Bedingung wäre nur, dass dort das aus den Dienstleistungens- oder
Software-Profiten gezahlte Geld als kauffähig akzeptiert wird, und das ist
wohl so. Dem Geld sieht man nicht nur nicht an, wo es herkommt, auch für den
kapitalistischen Produktionsprozess ist das unmittelbar gleichgültig. Dieser
Profit ist also genauso gut wie anderer auch, und die dazu geleistete Arbeit
also genauso gut produktiv wie die in anderen Zweigen auch. Jedenfalls aus
der Perspektive der kapitalistischen Produktion, und darum geht es hier.
Alles weitere und die anhaltende Differenz unserer Auffassung betrifft die
grundsätzliche Frage, inwieweit auch Dienstleistungen analog wie materielle
Waren zu behandeln sind, also selbstverständlich unter Berückschtigung der
realen Unterschiede zwischen ihnen. Also z.B., dass die meisten
Dienstleistungen erst produziert werden, wenn die Nachfrage real wirksam
wird, also statt Produktion von Waren für einen Markt, der erst ex post den
Wert auch monetär realisiert, hier die Bereitstellung von
Produktionskapazitäten für Dienstleistungen, wo sich erst danach am Markt
zeigt, ob sie gebraucht werden und Dienstleistungsproduktion nachfragt wird,
deren Wert den Rücklauf des vorgeschossenen Kapitals plus Profit realisiert.
In der Tat geht Marx fast immer nur von Gütern, materiellen Waren aus. M.E.
gibt es aber eben einige Stellen (die ich z.T. zitierte), wo er sich darüber
klar wird, dass eigentlich Dienstleistungen analog zu behandeln sind. In dem
Kapitel "Produktive und unproduktive Arbeit" aus "Resultate des unmittelbaren
Produktionsprozesses" schreibt er auch, weshalb er das nicht weiter
berücksichtigt: "Im ganzen sind die Arbeiten, die nur als Dienste genossen,
(...), aber dennoch kapitalistisch exploitiert werden können, verschwindende
Größen, verglichen mit der Masse der kapitalistischen Produktion. Sie sind
deshalb ganz außer acht zu lassen ..." Das mag schon damals unzutreffend
gewesen sein, heute ist es auf jeden Fall so, dass diese Arbeiten einen
großen und wachsenden Anteil an der gesamten produktiven Arbeit entwickelter
kapitalistischer Gesellschaften ausmachen, und deshalb auch ein wichtiges
Thema der Debatte geworden sind.
Und unabhängig davon, was wo an Marx-Zitaten dazu zu finden ist, vertrete ich
die Auffassung, dass zu einer realitätsgerechten Analyse des heutigen
Kapitalismus es notwendig ist, Dienstleistungsproduktion und materielle
Warenproduktion analog zu betrachten, nach den gleichen Kriterien ihre
ökonomische Bedeutung im kapitalistischen Gesamtprozess zu bestimmen.
Wachsende Dienstleistungsproduktion ist dann durchaus als wachsende
Produktenmasse zu betrachten. Das gilt auch für Softwareproduktion
(Spezialprobleme wie die Aneignung von Informationsrenten mal nicht
berücksichtigt, vgl. dazu meinen Artikel in spw 115, 5/00). Auch in Software
kann akkumuliert werden, wenn z.B. ein kapitalistisches Unternehmen Teile
seines Profits dafür ausgibt, sich neue Software installieren zu lassen, etwa
um seinen Produktionsfluss und Absatz zu effektivieren. Diese zusätzliche
Softwareproduktion ist dann ein Teil des gesellschaftlichen Mehrprodukts, das
so in Kapital verwandelt wird. Es ist nicht nur in der
betriebswirtschaftlichen und neuerdings auch volkswirtschaftlichen
Gesamtrechnung so (im neuen ESVG - Europäisches System der
Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen), dass so etwas als Investition
betrachtet wird, die wie andere auch über bestimmte Nutzungszeit
abgeschrieben wird, sondern auch in werttheoretischer Sicht ist es m.E.
korrekt und nur so analytisch angemessen, dies als akkumuliertes Kapital zu
betrachten, dessen Wert anteilig auf die unter Nutzung dieser Software
produzierten Waren übertragen wird wie bei anderen Produktionsmitteln auch.
Aus meiner Sicht ist die von Marx dargestellte ökonomische Theorie eben nicht
nur Kritik, sondern auch gemeint und geeignet zur Analyse der realen
kapitalistischen Ökonomie. Und ob sie geeignet ist, deren reale Entwicklung
und die dabei auftretenden Widersprüche und Krisen zu erklären, das ist
letztlich das Kriterium, an dem die Entwicklung von Begriffen und Theorie zu
messen ist (und nur dann ist auch die Kritik wirklich fundiert). Und da ist
meine Auffassung zu diesen Punkten einfach geeigneter, behaupte ich.
Von wegen
jemandem Unsinn und eine „falsche" Verwendung von Marxschen Begriffen
vorwerfen. Da wuerdest Du uebrigens auch nicht so gut aussteigen Kraemer,
denn dann mueßte ich z.B. auch Deinen Revenue-Begriff in Deiner Replik auf
die Replik als „Unsinn" und „falsch" bezeichnen. Aber solche Vorwuerfe
mache
ich nicht.
Ich hätte damit kein Problem, wenn sie vernünftig begründet sind. Ich bitte
sogar darum. Ich hatte doch erläutert, dass das nicht als persönlicher
Angriff oder so zu verstehen ist. Dafür grüße ich freundlicher.
Das meiste folgende teile ich übrigens, insb. das mit dem Primat der
politischen Emanzipation.
Freundliche Grüße
Ralf Krämer
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