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Re: [ox] Die Anwendbarkeit der Wertkritik in der Informationsgesellschaft



Hallo Christian,

In einer eMail vom 30.11.00 20:01:29 (MEZ) Mitteleuropäische Zeit schreibt 
rhizom00 hotmail.com:

"Um zu akkumulieren, 
 muss man einen Teil des Mehrprodukts in Kapital verwanden. [...] der 
 Mehrwert ist nur deshalb in Kapital verwandelbar, weil das Mehrprodukt, 
 dessen Wert er ist, bereits die SACHLICHEN Bestandteile eines neuen 
Kapitals 
 enthaelt" (MEW 23, S. 606f).

Das ist doch lediglich der Hinweis darauf, dass für einen realen 
Akkumulationsprozess, also die Investition von Profit in zusätzliche 
Produktionsmittel oder erweiterten Lohnfond, diese (gegenüber der Vorperiode 
zusätzlichen) Produktionsmittel und Konsumgüter (für die der Lohn verwendet 
wird), auch produziert worden sein müssen (über dabei möglicherweise 
auftretende Friktionen und die grundsätzliche Problematik der möglichen 
Differenz zwischen Produktion und Nachfrage geht es hier nicht). Das ist klar 
und wäre für Profit aus Dienstleistungen oder Softwareprodukten auch dann 
gegeben, wenn dieser Profit (Geld) in zusätzliche Gebäude und Gehälter für 
mehr Personal investiert würde, die von anderen Sektoren produziert werden. 
Bedingung wäre nur, dass dort das aus den Dienstleistungens- oder 
Software-Profiten gezahlte Geld als kauffähig akzeptiert wird, und das ist 
wohl so. Dem Geld sieht man nicht nur nicht an, wo es herkommt, auch für den 
kapitalistischen Produktionsprozess ist das unmittelbar gleichgültig. Dieser 
Profit ist also genauso gut wie anderer auch, und die dazu geleistete Arbeit 
also genauso gut produktiv wie die in anderen Zweigen auch. Jedenfalls aus 
der Perspektive der kapitalistischen Produktion, und darum geht es hier.

Alles weitere und die anhaltende Differenz unserer Auffassung betrifft die 
grundsätzliche Frage, inwieweit auch Dienstleistungen analog wie materielle 
Waren zu behandeln sind, also selbstverständlich unter Berückschtigung der 
realen Unterschiede zwischen ihnen. Also z.B., dass die meisten 
Dienstleistungen erst produziert werden, wenn die Nachfrage real wirksam 
wird, also statt Produktion von Waren für einen Markt, der erst ex post den 
Wert auch monetär realisiert, hier die Bereitstellung von 
Produktionskapazitäten für Dienstleistungen, wo sich erst danach am Markt 
zeigt, ob sie gebraucht werden und Dienstleistungsproduktion nachfragt wird, 
deren Wert den Rücklauf des vorgeschossenen Kapitals plus Profit realisiert.

In der Tat geht Marx fast immer nur von Gütern, materiellen Waren aus. M.E. 
gibt es aber eben einige Stellen (die ich z.T. zitierte), wo er sich darüber 
klar wird, dass eigentlich Dienstleistungen analog zu behandeln sind. In dem 
Kapitel "Produktive und unproduktive Arbeit" aus "Resultate des unmittelbaren 
Produktionsprozesses" schreibt er auch, weshalb er das nicht weiter 
berücksichtigt: "Im ganzen sind die Arbeiten, die nur als Dienste genossen, 
(...), aber dennoch kapitalistisch exploitiert werden können, verschwindende 
Größen, verglichen mit der Masse der kapitalistischen Produktion. Sie sind 
deshalb ganz außer acht zu lassen ..." Das mag schon damals unzutreffend 
gewesen sein, heute ist es auf jeden Fall so, dass diese Arbeiten einen 
großen und wachsenden Anteil an der gesamten produktiven Arbeit entwickelter 
kapitalistischer Gesellschaften ausmachen, und deshalb auch ein wichtiges 
Thema der Debatte geworden sind. 

Und unabhängig davon, was wo an Marx-Zitaten dazu zu finden ist, vertrete ich 
die Auffassung, dass zu einer realitätsgerechten Analyse des heutigen 
Kapitalismus es notwendig ist, Dienstleistungsproduktion und materielle 
Warenproduktion analog zu betrachten, nach den gleichen Kriterien ihre 
ökonomische Bedeutung im kapitalistischen Gesamtprozess zu bestimmen. 
Wachsende Dienstleistungsproduktion ist dann durchaus als wachsende 
Produktenmasse zu betrachten. Das gilt auch für Softwareproduktion 
(Spezialprobleme wie die Aneignung von Informationsrenten mal nicht 
berücksichtigt, vgl. dazu meinen Artikel in spw 115, 5/00). Auch in Software 
kann akkumuliert werden, wenn z.B. ein kapitalistisches Unternehmen Teile 
seines Profits dafür ausgibt, sich neue Software installieren zu lassen, etwa 
um seinen Produktionsfluss und Absatz zu effektivieren. Diese zusätzliche 
Softwareproduktion ist dann ein Teil des gesellschaftlichen Mehrprodukts, das 
so in Kapital verwandelt wird. Es ist nicht nur in der 
betriebswirtschaftlichen und neuerdings auch volkswirtschaftlichen 
Gesamtrechnung so (im neuen ESVG - Europäisches System der 
Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen), dass so etwas als Investition 
betrachtet wird, die wie andere auch über bestimmte Nutzungszeit 
abgeschrieben wird, sondern auch in werttheoretischer Sicht ist es m.E. 
korrekt und nur so analytisch angemessen, dies als akkumuliertes Kapital zu 
betrachten, dessen Wert anteilig auf die unter Nutzung dieser Software 
produzierten Waren übertragen wird wie bei anderen Produktionsmitteln auch. 
Aus meiner Sicht ist die von Marx dargestellte ökonomische Theorie eben nicht 
nur Kritik, sondern auch gemeint und geeignet zur Analyse der realen 
kapitalistischen Ökonomie. Und ob sie geeignet ist, deren reale Entwicklung 
und die dabei auftretenden Widersprüche und Krisen zu erklären, das ist 
letztlich das Kriterium, an dem die Entwicklung von Begriffen und Theorie zu 
messen ist (und nur dann ist auch die Kritik wirklich fundiert). Und da ist 
meine Auffassung zu diesen Punkten einfach geeigneter, behaupte ich.

 Von wegen 
 jemandem Unsinn und eine „falsche" Verwendung von Marxschen Begriffen 
 vorwerfen. Da wuerdest Du uebrigens auch nicht so gut aussteigen Kraemer, 
 denn dann mueßte ich z.B. auch Deinen Revenue-Begriff in Deiner Replik auf 
 die Replik als „Unsinn" und „falsch" bezeichnen. Aber solche Vorwuerfe 
mache 
 ich nicht.

Ich hätte damit kein Problem, wenn sie vernünftig begründet sind. Ich bitte 
sogar darum. Ich hatte doch erläutert, dass das nicht als persönlicher 
Angriff oder so zu verstehen ist. Dafür grüße ich freundlicher.

Das meiste folgende teile ich übrigens, insb. das mit dem Primat der 
politischen Emanzipation.

Freundliche Grüße

Ralf Krämer
Fresienstr. 26
44289 Dortmund
Tel. 0231-3953843
Fax 0231-3953844

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