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Re: [ox] Re: Die Rolle der Politik



Hi rhizom und Liste!

BTW: Jetzt weiß ich zwar, was ein Rhizom sein soll, aber daß das auch
eine Person sein kann, verwundert mich doch etwas.

6 days ago rhizom 00 wrote:
Um zu versuchen, diesen Politikbegriff zu praezisieren, ein kurzer
Ausschnitt aus dem umfassenden Aufsatz Fuchs/Hofkirchner - Die Dialektik der
Globalisierung in Technik, Oekonomie, Politik und Kultur (wird bald im Netz
veroeffentlicht).

Einige Kommentare und Hinweise.

Weltinnenpolitik ist nicht (blosses) Aggregat der staatlichen
Aussenpolitiken, sondern es betreten (darueber hinaus) neue politische
Akteure das Parkett der internationalen Beziehungen: die internationalen
Nichtregierungsorganisationen, die Speerspitzen der neuen sozialen
Bewegungen, in welchen sich die Zivilgesellschaft globalisiert.

Ja, die NGOs sind als eine andere Keimform hier auch schon vor einiger
Zeit mal angesprochen worden. Eine Suche im Archiv nach NGO dürfte
einige Mails zu Tage fördern.

Das Dumme ist nur, daß es die vielgerühmten Neuen Sozialen Bewegungen
faktisch nicht gibt, deren Speerspitze sie dann auch folgerichtig
nicht sein können. Oder verstecken die NSB sich nur so gut?

Koessler und
Melber definieren diese als ?ein Netzwerk von Organisationen und informellen
Zusammenhaengen, das geeignet ist, als Widerlager und Widerpart gegenueber
dem jeweiligen Staatsapparat aufzutreten" (Koessler/Melber 1993, S. 93).

Nun, ich hab's nicht (mehr - seit Oekonux) so mit dem Widerstand. Und
in der Tat sind alle NGOs, die mir einfallen,
Widerstandsorganisationen. Schlecht. Das Neue zu *machen* finde ich
wichtiger, als das Alte zu verhindern - auch wenn das natürlich auch
wichtig ist.

Szusza Hegedus, langjaehrige Mitarbeiterin Alain Touraines, stellt fuer die
80er Jahre im Vergleich noch zu den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts einen
Transnationalisierungsschub der neuen sozialen Bewegungen fest. Diese
adressierten direkt planetare Belange und forderten die Problemloesung auf
einem globalen Niveau heraus.

Wir hatten damals die NGOs unter diesem, aber auch unter dem
Selbstentfaltungsaspekt diskutiert, der in ihnen vorhanden ist.

?Ein emanzipatorisches Subjekt ist also nach Marx dadurch gekennzeichnet,
dass es ein Bewusstsein, Beduerfnisse, Faehigkeiten und Kraefte besitzt, die
ueber die Lebensbedingungen der bestehenden Gesellschaft hinausweisen, und
dass es diese Eigenschaften in praktischen Kaempfen manifestiert, in
Kaempfen, deren Form den Charakter der gesellschaftlichen Lebenspraxis, wie
sie die buergerlichen Verhaeltnisse ausgepraegt haben, ueberwindet" (Mohl
1992, S. 73).

Das klingt brauchbar. Das sollten wir uns merken.

1.  Prinzip der Konnexion:
Jeder Punkt eines Rhizoms kann und muss mit jedem anderen verbunden werden.

Warum ist die totale Vernetzung Pflicht? Was soll das bringen? Warum
muß ich mich als Teil eines solchen Dings mit allen anderen in einem
solchen Netzwerk kurzschließen. Was ist daran emanzipatorisch?

Dieses Rhizom wird eigentlich dadurch geformt, dass sich soziale Bewegungen
aufeinander beziehen, sie haben eine gemeinsame Wirklichkeitskonstruktion,
auf Basis derer sie kooperieren, um gemeinsame Ziele zu erreichen.

Und das ist genau das, was in der Praxis der ganzen Widerstandsgruppen
nicht stattfindet. Seit mittlerweile über zehn Jahren höre ich mir
immer wieder die Appelle zum Aufbau einer Vernetzung an - und es ist
nie was draus geworden. Genausowenig wie in der Zeit bevor ich mir
diese Appelle angehört habe.

Das fundamentale Problem scheint mir aufgrund dieser Realität kein
ideelles, das evt. mit Appellen zu lösen wäre, sondern es liegt
schlicht nicht im Interesse der Beteiligten. Auch wenn das die
Erleuchteten Möchte-Gern-VernetzterInnen aller Lager nicht wahrhaben
wollen.

Anders ist das - und das ist der Kern meiner Argumentation in dieser
Mail - bei Freier Software. Die ProduzentInnen Freier Software haben
sich gemacht und machen sich immer mehr genau diese gemeinsame
Wirklichkeit, die im politischen Raum nicht gelingt. Und ohne ein
poltisches Programm, das sie da exekutieren, sondern aus ihrer ganz
persönlichen Bedürfnis-/Interessenlage. Und noch dazu breitet sich
diese Wirklichkeit wie von selbst in die breite Bevölkerung aus - das
genaue Gegenteil von der Marginalisierung all der vielen
Widerstandsgruppen.

D.h., dass es sich seine Regeln, Normen, Werte
selbstorganisiert und ohne Fremdbestimmung schafft.

Genau das passiert in der Freien Software.

Dabei sind eine
symmetrische Machtverteilung und eine gerechte Verteilung der Ressourcen,
die zur Partizipation bei der Entscheidungsfindung notwendig sind,
Voraussetzungen.

Das sehen die Freien-Software-Leute nach meiner Wahrnehmung nicht so
eng - sie sind halt keine politischen FundamentalistInnen. "Rough
consensus and running code" ist wohl die brauchbarste Formel. Und
zumindest Machtmißbrauch ist auch schlimmstenfalls kurzfristig
möglich, da die MachthaberInnen auf das Mittun anderer angewiesen
sind. Da braucht es schlicht kein politisches Programm um das
durchzusetzen, sondern es ergibt sich als Notwendigkeit der
Produktionsweise.

2. Prinzip der Heterogenitaet:
...
Die Elemente eines Rhizoms koennen auf verschiedene Arten miteinander
verknuepft sein. Was bedeutet eine solche Verknuepfung? Die sozialen
Bewegungen beziehen sich im Rahmen sozialer Beziehungen in der Form sozialer
Interaktionen aufeinander. Ein Kommunikations- und Austauschprozess ueber
Probleme, Ziele, Mittel, soziale Informationen usw. muss stattfinden,
ansonsten kann sich kein soziales Netzwerk bilden. Bei diesen
Kommunikations- und Entscheidungsvorgaengen muss die dezentrale und
nichthierarchische Form aufrechterhalten bleiben, die aus Prinzip 1 folgt,
damit von einem Rhizom gesprochen werden kann.

Genau das findet bei Freier Software statt. Vielleicht nicht so
kontrollfetischistisch wie es bei dir klingt - halt "Rough consensus
and running code".

3.  Prinzip der Vielheit:
Wesentlich im Rhizom sind nicht die Punkte, sondern die Linien, die sie
verbinden.

Uuh... Auch wenn ich auch gerne in Bildern spreche, finde ich doch,
daß hier die Analogie zur Geometrie ein bißchen arg weit geht. Aber
ich habe schon immer die KästchenmalerInnen gehaßt, die die große
weite Welt partout in ihre Kästchen einsperren wollten...

4.  Prinzip des asignifikanten Bruchs:
Ein Rhizom kann an jeder beliebigen Stelle zerstoert werden, es wuchert
entlang seiner eigenen oder entlang anderer Linien weiter.

Noch etwas, was auf Freie Software paßt - aber du bist ja der Meinung,
daß die Freie-Software-Bewegung nur die Deppen des Kapitals sind.
Warum sind es dann nicht deine nicht-existenten politischen Rhizome?

5. + 6. Prinzip der Kartographie und Prinzip der Dekalkomonie (=Verfahren,
Abziehbilder herzustellen): Ein Rhizom ist eine Karte und keine Kopie.

Da hat sich aber jemand sehr vergallopiert :-( .

Ein emanzipatorisches Subjekt hat ein Bewusstsein, das ueber den
Kapitalismus hinausweist. Es erkennt, dass diese Gesellschaftsformation eine
wesentliche Ursache der bestehenden globalen Probleme ist.

Mir wäre es wichtig, auch mal auf die eigenen, konkreten Probleme zu
schauen. Da ergeben sich Interessenlagen ganz von selbst. Oder
argumentiere ich dir zu materialistisch?

Und genau dieses
Bewusstsein fehlt vielen sozialen Bewegungen, damit sie als emanzipatorisch
bezeichnet werden koennen.

Ja, aber nicht weil sie zu dumm sind, sondern weil es ihnen nicht
hilft.

Die Moeglichkeit einer intellektuellen Avantgarde
kann daher in Betracht gezogen werden, die Aufklaerungsarbeit ueber die
Moeglichkeit von Alternativen zum Kapitalismus leistet, um die Bildung von
emanzipatorischen Rhizomen und Meta-Rhizomen zu triggern und um potentiell
emanzipatorische Subjekte zu tatsaechlich emanzipatorischen Subjekten zu
machen, die ihre Probleme als jene anderer und diejenigen anderer als ihre
eigenen begreifen.

Ach ja, die Avantgarde. Die hat uns ja schon immer so weit gebracht.
Tolle Idee...

Sorry, aber ich setze da mehr auf die Menschen selbst. Ist das jetzt
anti-emanzipatorisch?

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Da war's wieder...


						Mit Freien Grüßen

						Stefan


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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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