Re: [ox] Re: Reproduktion, Arbeit, Leistungsprinzip?
- From: RalfKrae aol.com
- Date: Sun, 10 Dec 2000 15:59:16 EST
Hallo Stefan und alle,
hier mal wieder ziemlich umfangreiche Antwort, ich hatte heute abend wohl zu
viel Zeit.
Die Krisis-Spezialdefinition von "Arbeit", deren Bedeutung nüchtern
> betrachtet in etwa Erwrerbsarbeit ist, teile ich nicht.
Ich würde auch UnternehmerInnenarbeit darunter fassen.
Das ist doch auch Erwerbsarbeit.
> Arbeit ist
> zweckbestimmte Tätigkeit auf menschlichem Niveau, Erwerbsarbeit ein Teil
> davon, aber z.B. unbezahlte Hausarbeit ist auch Arbeit,
Da hatten wir hier mal eine Debatte dazu. Was ich mir behalten habe:
Es gibt den anthropologischen Arbeitsbegriff, den du hier wohl
verwendest und den gesellschaftlichen Arbeitsbegriff, der im
Kapitalismus im wesentlichen auf entfremdete Arbeit hinaus läuft.
Selbstverständlich ist Arbeit gesellschaftlich formbestimmt, aber ich sehe
keinerlei Sinn darin, deshalb nicht auch im Kapitalismus wie in jeder anderen
Gesellschaft "Arbeit" im allgemeinen, meinetwegen anthropologischen, Sinne zu
verwenden. Die gesellschaftliche Spezifik ist doch problemlos mit
angemessenen Attributen wie "abhängig" oder so oder durch zusammengesetzte
Wörter wie "Lohnarbeit" z.B. zu bestimmen. Es sei denn, man wolle behaupten,
im Kapitalismus sei per se alle Arbeit "entfremdet", das hielte ich für in
der Sache falsch. Soweit das bezweckte Produkt, also z.B. Softwareprogramm,
dabei zentral ist und nicht nur so zum Spiel etwas rumgehackt wird und
hinterher ggf. wieder gelöscht, ist auch Programmieren freier Software Arbeit
- nach deiner eigenen Auffassung aber nicht entfremdete.
Als kurzer Versuch einer Arbeitsdefinition für uns würde ich mal
sagen, daß das Zwang ist, was mit Gewalt durchgesetzt werden kann /
muß, alles durch Menschen Erzwungene also. Das andere - durch die
Natur Erzwungene? - würde ich dann mal als Notwendigkeit bezeichnen.
In diesem Sinne wäre Essen an sich eine Notwendigkeit, aber die Art
und Weise wie oder auch was gegessen wird, kann einem Zwang
unterliegen. Ebenso natürlich die Art und Weise der Produktion der
Nahrungsmittel.
Wieder einige Abstraktionsniveaus nach oben geturnt würde ich also
sagen, daß entfremdete Arbeit per Definition Zwang ist. Wäre sie nicht
entfremdet würde sie tendenziell ja auch freiwillig gemacht. Und das
ist ja genau das, was wir bei Freier Tätigkeit (d.h. Arbeit im
anthropologischen Sinn) diagnostizieren und damit würde eben -
weitergedacht - der notwendige Stoffwechselprozeß mit der Natur eben
nicht mehr unter Zwangsbedingungen erledigt sondern freiwillig.
1. muss m.E. unbedingt unterschieden werden zwischen sozialem oder
ökonomischem Zwang bzw. dem "stummen Zwang der Verhältnisse" einerseits und
persönlichem, unmittelbar auf Gewalt gestützten Zwang andererseits.
Kapitalismus beruht im Unterschied zu vorkapitalistischen
Klassenverhältnissen primär auf ersterem, und das betrachte ich trotz aller
Probleme als großen ziviisatorischen Fortschritt. Dabei ist klar, dass
zugrundeliegende Eigentums- und andere Rechtsverhältnisse von der
Staatsgewalt gewährleistet werden. Aber normalerweise werden die Leute nicht
zu bestimmter Arbeit gezwungen wie bei Zwangsarbeit im eigentlichen Sinne,
etwa in Arbeitslagern oder unter Sklaverei-Verhältnissen. Also entfremdete
Arbeit und Zwangsarbeit sind nicht das Gleiche. Und grundsätzlich gehört m.E.
Zwang in welcher Form auch immer keineswegs zur Definition von Arbeit.
2. Ich behaupte nicht, dass immer "entfremdete Arbeit" nötig sein wird, schon
gar nicht Zwangsarbeit. Allerdings verwende ich den Begriff "Entfremdung" nur
äußerst zurückhaltend, also wie der späte Marx eigentlich fast nie, weil er
m.E. problematisch in seiner Definition ist. Im Sinne der Marxschen
Frühschriften, wo dem die Vorstellung eines irgendwie anthropologisch
bestimmten eigentlichen "Wesens" des Menschen zugrundeliegt, von dem er
entfremdet ist, halte ich für unhaltbar und unbrauchbar. Im eng ökonomischen
Sinne gibt es auch präzisere Begriffe. (Dazu kommt noch mehr unten.) Was ich
schon für notwendig halte ist, wesentliche Teile der gesellschaftlichen
notwendigen Arbeit (im anthrop. Sinne, also den Stoffwechsel mit der Natur
vermittelnd, aber auch Dienstleistungen einschließend) gesellschaftlich zu
organisieren, weil es keineswegs ausgemacht ist, dass Arbeit freiwillig
gemacht wird, wenn sie nicht in "entfremdeten" Formen geleistet werden muss.
Und diese gesellschaftliche Organisation über Tausch bzw. Geld zu vermitteln,
finde ich in vielen Bereich weniger problematisch als viele andere Formen,
weil es gewisse Wahlmöglichkeiten lässt und monetäre Anreize weniger
Zwangscharakter haben als vieles andere. Das wäre unter sozialistischen
Bedingungen etwa durchaus mit relativ großzügiger Grundsicherung
kombinierbar, so dass Leute wirklich wählen könnten, ob sie das machen wollen
und im Gegenzug immaterielle und materielle Anerkennung dafür bekomen oder ob
sie darauf verzichten. Also diese hier von mehreren Leuten vertretene
Fixierung darauf, möglichst überall Tausch und Wert beseitigen zu wollen,
finde ich falsch.
Meine Frage neu formuliert würde also heißen: Warum denkst du, daß ab
einem bestimmten historischen Stand die Menschheit nicht (mehr) in der
Lage sein sollte, den Stoffwechselprozeß mit der Natur so zu
organisieren, daß ihn Leute freiwillig machen und aus Gründen der
Selbstentfaltung bzw. um der Notwendigkeit nachzukommen?
Das Problem ist, dass zwar viele Arbeiten (da Arbeit eine Tätigkeit ist, kann
man meinetwegen hier auch "Tätigkeiten" schreiben und es bleibt richtig, aber
"Arbeit" ist genauer) gesellschaftlich notwendig sind, aber bei
hochentwickelter Arbeitsteilung weder möglich noch sinnvoll ist, dass jedeR
jede notwendige Arbeit selber macht. Es sind ständig viele tausende
verschiedene Arten von Arbeit in bestimmten Quantitäten und Qualitäten und an
bestimmten Orten notwendig zu erledigen, um die Gesellschaft bzw. die
Menschen auf hohem Niveau am Leben und Laufen zu halten. Das wird sich weder
zufällig mit den auf Selbstentfaltung gerichteten Arbeitsbedürfnissen der
Einzelnen decken noch aus individueller Einsicht in den gesamten Prozess noch
in unmittelbarer personaler Vergesellschaftung zwischen Millionen Beteiligten
so ergeben, dass sich dafür jeweils gerade im richtigen Zeitraum die
geeigneten Menschen daran machen, ihren Anteil an diesem gesellschaftlichen
(und letztlich sogar global verflochtenen) Gesamtarbeitsprozess zu leisten.
Das muss also in der einen oder anderen Weise organisiert werden.
Das muss grundsätzlich nicht unbedingt über Tauschprozesse erfolgen, sondern
ist auch über Kommunikation und abgestufte gemeinsame Planung von
gesellschaftlichen Einheiten auf verschiedenen Ebenen, von der Familie oder
Wohngemeinschaft bis zum interkontinentalen Austausch (Austausch meint hier
nicht unbedingt Tausch, sondern jede Form von Geben und/oder Nehmen, und das
wird immer nötig sein) möglich. Letztlich muss das Ergebnis aber immer sein
ein tragfähiges Gesamtsystem, in dessen Rahmen alle notwendigen Arbeiten von
geeigneten Personen erledigt werden. Da Selbstentfaltung durch
Arbeit/produktive Tätigkeit und auch die allgemeine Einsicht in die
Notwendigkeit von Arbeiten und eigenen Anteils daran etwas anderes sind als
das Bedürfnis oder die Einsicht in die Notwendigkeit und die Akzepztanz der
entsprechenden gesellschaftlichen Vereinbarung (die wohl nie in 100%-igem
Konsens ausfallen dürfte), eine bestimmte Arbeit in bestimmter Weise und
Quantität und Zeitraum zu erledigen, dürfte es auf absehbare Zeit nötig sein,
der Freiwilligkeit etwas nachzuhelfen. Dies könnte durch moralischen oder
sonstigen Druck oder durch immaterielle oder materielle Anreize geschenen,
ich präferiere dabei entschieden für die Anreizvariante.
Und auch der gesellschaftliche Kommunkations- und Planungsprozess ist nicht
so einfach, wie es sich anhören könnte, auch nicht mit Internet und anderen
modernen I+K-Techniken. M.E. dürfte es auf absehbare Zeit am besten sein,
"nur" eine noch überschaubare Menge von für die gesellschaftliche Entwicklung
auf den jeweiligen Ebenen grundlegenden und strategisch wichtigen
Produktionen bzw. Arbeiten so zu planen, jedenfalls bei weitem nicht alles.
Und auf jeden Fall muss der Planungsprozess auf allen Ebenen wesentlich
demokratischer ablaufen als es im Staatssozialismus war. Ein weiterer Teil
wird wie freie Software etwa tatsächlich aus eigenem Antrieb bzw. zur
Selbstentfaltung produziert werden, ein weiterer Teil wird von der
Gesellschaft selbst direkt organisiert oder in Auftrag gegeben (öffentliche
Dienste und Infrastrukturen, auch Wissenschaft). Der Rest kann bzw. sollte
m.E. weiter als Waren produziert werden. Auch zur Umsetzung der Planung
dürften monetäre Mechanismen zentral und wesentlich effizienter als nur
stoffliche Vorgaben sein. Der Staatssozialismus ist nicht an zuviel, sondern
u.a. an zuwenig echten Ware-Geld-Beziehungen und damit verbundener
Flexibilität gescheitert. Geldwirtschaft ist nämlich bei allen damit
verbundenen Problemen auch ein ziemlich effizientes System der
gesellschaftlichen Koordination der Produktion, denn Kauf und Verkauf sind
zugleich als Kommunikationsakte wirksam über Qualität und Quantität der
gesellschaftlich gewünschten Produkte und Dienste sowie der dafür notwendigen
Arbeit (in Form von Wert). Ich habe keine Illusionen über
nichtkapitalistische "einfache Warenproduktion", sondern dies schließt
bewusst die Möglichkeit zu kapitalistischer Produktion in gesellschaftlich
kontrolliertem Umfang und Rahmen ein. Sozialismus ist für mich dann erreicht,
wenn diese gesellschaftliche Kontrolle und Lenkung sowie die Planmäßigkeit
der Entwicklung der wesentlichen gesellschaftlichen Lebensbedingungen und
strategischen Produktionen den Gesamtprozess dominiert und damit in der Lage
ist, negative Wirkungen der verbleibenden kapitalistischen Produktion wirksam
zu beschränken und zu kompensieren. Das setzt dann weiterhin voraus, in
zentralen Bereichen, insb. im Finanzsektor, das kapitalistische Eigentum
durch verschiedene Formen gesellschaftlichen Eigentums zu ersetzen.
Jetzt kann mich wer will ganz nach Laune als Reformisten oder verkappten
Staatssozialisten oder Staatskapitalisten oder sonstwas beschimpfen, das
ändert nichts an der von mir dargestellten Realität und daran, dass ich einen
solchen demokratischen Sozialismus als die realistischste Vorstellung einer
gesellschaftlichen Alternative betrachte und als die Form, in der der sich
dann auch die weitergehenden Elemente von auf Selbstentfaltung und
Bedürfnisbefriedigung beruhender gesellschaftlicher Produktion (traditionell
als "kommunistisch" bezeichnet) entwickeln und entfalten und immer größeres
Gewicht erlangen können. Um noch einen draufzusetzen: Der ökonomische Tausch
und damit der Wert und sogar das Kapital bedeuten nicht nur Abstraktion,
Entfremdung, Ausbeutung usw., sondern sind auch und vor allem
menschheitsgeschichtliche Errungenschaften als Basis der Entwicklung der
Produktivkräfte (das sah Marx auch so). Man kann sie sinnvoll erst und nur
insoweit abschaffen, wie die Gesellschaft andere Methoden entwickeln kann,
die die Produktion größeren Reichtums der Menschen bei geringeren negativen
sozialen und ökologischen Effekten ermöglichen. Seit geraumer Zeit und immer
deutlicher werdend und sich zuspitzend überwiegen aber die negativen Seiten
und Folgewirkungen kapitalistischer Produktion und Verteilung und führt ihre
gesellschaftliche Dominanz tendenziell in immer weitere und größere soziale
und ökologische Katastrophen. Sozialismus ist längst nötig und materiell
möglich geworden, wenn er von den hoch entwickelten Gesellschaften ausgeht,
sich auf die Zustimmung der Menschen stützen kann und sich nicht (wie der
Staatssozialismus) übernimmt mit dem Versuch, die ganze Gesellschaft von
einer Zentrale aus steuern zu wollen.
Hmm... Vielleicht sollten wir den Begriff der Notwendigkeit stärker
neben den der Selbstentfaltung stellen? Vielleicht so: Freie Software
wird aus Gründen der Selbstentfaltung und aus Notwendigkeit heraus
produziert. Das ist vielleicht stimmiger, als die Notwendigkeit
einfach in die Selbstentfaltung zu integrieren.
Ich würde eher vorschlagen zu sagen, dass damit neben der Selbstentfaltung
auch gesellschaftliche Bedürfnisse befriedigt werden.
So, jetzt kommen als Anhang noch etwas geänderte Teile aus einem älteren Text
von mir zu Arbeit und Entfremdung, der sehr gut zur Problematik passt,
irgendwie sind die Debatten doch nicht neu:
Ich halte die Kategorie "Entfremdung" nicht für geeignet, um die Entwicklung
und Spezifik der Arbeit und der gesellschaftlichen Verhältnisse der Menschen
zueinander und zur Natur zu analysieren.
- Arbeit ist bewußte Tätigkeit zu dem Zweck, ein vorher ideell vorgestelltes
Produkt zu erzeugen. Sie ist in jeder, auch in "entfremdeter" Form eine
spezifisch menschliche, weil bewußte, Tätigkeit, und sie ist immer
zweckorientiert. Der grundlegende Zweck menschlicher Arbeit ist "in allen
Gesellschaftsformen und unter allen möglichen Produktionsweisen" (MEW 25, S.
828, vgl. auch MEW 23, S. 192ff. und 198) die Gewährleistung der zur
Befriedigung der Lebensbedürfnisse notwendigen Produktion und
Stoffwechselprozesse zwischen Menschen und Natur. Es ist nicht sinnvoll,
diese Notwendigkeit als "Zwang" zu bezeichnen, von dem "die Arbeit" oder "die
Tätigkeit" zu befreien sei. Wesentlich in und auf Grundlage ihrer
Arbeitstätigkeit entwickeln die Menschen ihre schöpferischen Fähigkeiten. Ob
diese Potentiale in verantwortungsvoller Rücksicht gegenüber der Natur und
anderen Menschen angewendet werden, ist dabei überhaupt noch nicht ausgemacht.
- "Entfremdung" ist ein sehr schillerndes und in unterschiedlichen
Bedeutungen gebrauchtes Wort. Ich folge dabei der Position von Labica (im
KWM, S.300): "Entfremdung ist außerhalb ihrer strikt rechtlich-ökonomischen
Verwendung oder ihrer ursprünglichen philosophischen Bedeutung, welche beide
nicht marxistisch sind, nur ein undeutlicher Begriff, dem man nicht trauen
sollte." Bei Marx spielt er m.E. nur in den Frühschriften eine zentrale
Rolle, die in der dort vorherrschenden idealistischen und teleologischen
Vorstellung vom "menschlichen Wesen" begründet ist, und von der sich Marx und
Engels schon der Deutschen Ideologie deutlich kritisch distanzieren (z.B. MEW
3, S. 34: "Diese 'Entfremdung', um den Philosophen verständlich zu
bleiben..."). In den späten ökonomischen Werken spielt er eine Nebenrolle in
einer auf die Produktionsverhältnisse verengten Bedeutung (daran orientierte
sich die Darstellung des Begriffs in ML-Lexika), bestimmte damit verbundene
Dimensionen werden mit den klareren Begriffen von Ausbeutung, Unterordnung,
Herrschaft, Zwang, Fetischismus, Mystifikation etc. behandelt.
- Zum zweiten wird der Eindruck erweckt, als würde eine Befreiung der Arbeit
bzw. der Tätigkeit und der Arbeitenden von der Unterordnung unter einen
fremdbestimmten (konkret: kapitalistisch bestimmten) Zweck, also die
Entfaltung und Befreiung der Arbeit oder der "Tätigkeiten" von der
kapitalistischen Regie als solche zu einem "Umschlagen" des Charakters der
Arbeit von Zwanghaftigkeit zu schöpferischer Kraftentfaltung in zugleich
sozial und ökologisch rücksichtsvoller Weise führen. Aber erstens bleibt wie
gesagt "immer ein Reich der Notwendigkeit. Jenseits dessen beginnt die
menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich
der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis
aufblühen kann. Die Verkürzung des Arbeitstags ist die Grundbedingung." (MEW
25, S,. 828).
- Zweitens ist es keineswegs mehr oder minder im Selbstlauf gewährleistet,
weder in einem nichtkapitalistisch, etwa in Formen von
Arbeiterselbstverwaltung, organisierten Bereich der gesellschaftlichen
Arbeit, noch im Reich der freien Selbsttätigkeit, daß es dort besonders
sozial oder ökologisch rücksichtsvoll zugeht. Dies ist vielmehr vor allem
eine Frage des bewußt und in zivilgesellschaftlichen Diskursen in diese
Richtung zu entwickelnden gesellschaftlichen Bewußtseins und einer
gesellschaftlichen Regulierung der Produktions- und Lebensweise, die dies
wirksam geltend macht und durch Konkurrenzmechanismen gesteigerte
Bestrebungen um die Aneignung relativ größerer Anteile des gesellschaftlichen
Reichtums zu Lasten anderer Menschen oder der Natur zurückdrängt. Ich gehe
davon aus, daß es solche Motive auch unter nicht mehr kapitalistisch
dominierten gesellschaftlichen Verhältnissen noch geben wird, zumindest in
absehbarer Zeit. Ob späteren Generationen eine kulturelle Entwicklung
gelingt, die solche gesellschaftlichen Regulierungen zunehmend überflüssig
macht, wird die Zukunft zeigen und hilft uns heute jedenfalls nicht.
Hier liegt auch eine strategische Differenz: Sozial-ökologischer Umbau und
die Perspektive des Sozialismus ist m.E. primär eine Frage gesellschaftlicher
Regulierung und nicht der Freisetzung von Kompetenzen im unmittelbaren
Arbeitsprozeß. Das steht natürlich überhaupt nicht gegeneinander, sondern muß
beides sein. Aber die Orientierungen und Schwerpunkte dabei sind doch
unterschiedlich.
Und ich denke, daß auch mein Problem mit der "Gemeinschaftlichkeit" mit den
genannten Fragen zu tun hat. Dieser ebenfalls poblematische Begriff
bezeichnet in der Sozialwissenschaft v.a. Fomen des menschlichen
Zusammenlebens, die auf unmittelbarer Kommunikation beruhen und gerade nicht
durch gesellschaftliche Institutionen vermittelt sind (z.B. Familie). Auch
bei der Verwendung von "personal-konkrete Vergesellschaftung" schwingt m.E.
ein Moment von quasi naturwüchsiger Herstellung solcher Formen des
Zusammenlebens mit, sobald die deformierenden Zwänge kapitalistischer
Entfremdung beseitigt sind. Jedenfalls ist von den gesellschaftlichen
Institutionen und Regulierungsmechanismen in diesem Zusammenhängen kaum die
Rede, dabei sind genau diese m.E. entscheidend und liegt hier ein Problem,
vor dem man sich nicht drücken kann.
Da sich die Gegenstände, deren vernünftige Gestaltung Sozialismus anstrebt,
auf der Ebene der Gesellschaft und z.T. der Menschheit, aber jedenfalls
überwiegend oberhalb der Ebene einzelner überschaubarer Gemeinschaften und
auch einzelner Betriebe darstellen, besteht die zentrale Aufgabe in der
Durchsetzung einer sozial und ökologisch orientierten Regulierung, die diesen
Gegenständen und den Ebenen, auf denen sie sich darstellen, gerecht wird. Das
bedeutet nicht, daß diese Regulierung primär über staatliche Sanktionierung
laufen müßte, keineswegs. Sie kann weitgehend in Formen bzw. dezentralen
Institutionen gesellschaftlicher Selbstverwaltung sich vollziehen und
Eigenmotivation und Initiative der einzelnen Akteure (Einzelpersonen,
Organisationen, Unternehmen, Initiativen etc.) ist dabei unumgänglich.
Diese sind allerdings als Momente eines gesellschaftlichen
Regulierungssystems zu betrachten, das ihnen den Rahmen und
Wirkungsmöglichkeiten gewährleistet und ihre Entwicklung fördert und
verallgemeinert. Dies muß letztlich der Staat gewährleisten (der natürlich
selbst entschieden zu demokratisieren ist), und zumindest in absehbarer Zeit
wird der Staat auch selbst als Akteur des notwendigen sozial-ökologischen
Umbaus eine zentrale Rolle spielen müssen. Auch vor der zentralen Aufgabe, um
den Staat und seine Politik zu kämpfen, wird sich die Linke nicht drücken
können, wenn sie ernsthaft einen gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch
durchsetzen will.
Freundliche Grüße
Ralf Krämer
Fresienstr. 26
44289 Dortmund
Tel. 0231-3953843
Fax 0231-3953844
_________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de