Message 01561 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT01561 Message: 1/38 L0 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] Re: Reproduktion, Arbeit, Leistungsprinzip?



Hallo Stefan und alle,

hier mal wieder ziemlich umfangreiche Antwort, ich hatte heute abend wohl zu 
viel Zeit.

Die Krisis-Spezialdefinition von "Arbeit", deren Bedeutung nüchtern 
 > betrachtet in etwa Erwrerbsarbeit ist, teile ich nicht.
 
 Ich würde auch UnternehmerInnenarbeit darunter fassen.

Das ist doch auch Erwerbsarbeit.
 
 > Arbeit ist 
 > zweckbestimmte Tätigkeit auf menschlichem Niveau, Erwerbsarbeit ein Teil 
 > davon, aber z.B. unbezahlte Hausarbeit ist auch Arbeit,
 
 Da hatten wir hier mal eine Debatte dazu. Was ich mir behalten habe:
 Es gibt den anthropologischen Arbeitsbegriff, den du hier wohl
 verwendest und den gesellschaftlichen Arbeitsbegriff, der im
 Kapitalismus im wesentlichen auf entfremdete Arbeit hinaus läuft.

Selbstverständlich ist Arbeit gesellschaftlich formbestimmt, aber ich sehe 
keinerlei Sinn darin, deshalb nicht auch im Kapitalismus wie in jeder anderen 
Gesellschaft "Arbeit" im allgemeinen, meinetwegen anthropologischen, Sinne zu 
verwenden. Die gesellschaftliche Spezifik ist doch problemlos mit 
angemessenen Attributen wie "abhängig" oder so oder durch zusammengesetzte 
Wörter wie "Lohnarbeit" z.B. zu bestimmen. Es sei denn, man wolle behaupten, 
im Kapitalismus sei per se alle Arbeit "entfremdet", das hielte ich für in 
der Sache falsch. Soweit das bezweckte Produkt, also z.B. Softwareprogramm, 
dabei zentral ist und nicht nur so zum Spiel etwas rumgehackt wird und 
hinterher ggf. wieder gelöscht, ist auch Programmieren freier Software Arbeit 
- nach deiner eigenen Auffassung aber nicht entfremdete.
 
 Als kurzer Versuch einer Arbeitsdefinition für uns würde ich mal
 sagen, daß das Zwang ist, was mit Gewalt durchgesetzt werden kann /
 muß, alles durch Menschen Erzwungene also. Das andere - durch die
 Natur Erzwungene? - würde ich dann mal als Notwendigkeit bezeichnen.
 In diesem Sinne wäre Essen an sich eine Notwendigkeit, aber die Art
 und Weise wie oder auch was gegessen wird, kann einem Zwang
 unterliegen. Ebenso natürlich die Art und Weise der Produktion der
 Nahrungsmittel.
 
 Wieder einige Abstraktionsniveaus nach oben geturnt würde ich also
 sagen, daß entfremdete Arbeit per Definition Zwang ist. Wäre sie nicht
 entfremdet würde sie tendenziell ja auch freiwillig gemacht. Und das
 ist ja genau das, was wir bei Freier Tätigkeit (d.h. Arbeit im
 anthropologischen Sinn) diagnostizieren und damit würde eben -
 weitergedacht - der notwendige Stoffwechselprozeß mit der Natur eben
 nicht mehr unter Zwangsbedingungen erledigt sondern freiwillig.

1. muss m.E. unbedingt unterschieden werden zwischen sozialem oder 
ökonomischem Zwang bzw. dem "stummen Zwang der Verhältnisse" einerseits und 
persönlichem, unmittelbar auf Gewalt gestützten Zwang andererseits. 
Kapitalismus beruht im Unterschied zu vorkapitalistischen 
Klassenverhältnissen primär auf ersterem, und das betrachte ich trotz aller 
Probleme als großen ziviisatorischen Fortschritt. Dabei ist klar, dass 
zugrundeliegende Eigentums- und andere Rechtsverhältnisse von der 
Staatsgewalt gewährleistet werden. Aber normalerweise werden die Leute nicht 
zu bestimmter Arbeit gezwungen wie bei Zwangsarbeit im eigentlichen Sinne, 
etwa in Arbeitslagern oder unter Sklaverei-Verhältnissen. Also entfremdete 
Arbeit und Zwangsarbeit sind nicht das Gleiche. Und grundsätzlich gehört m.E. 
Zwang in welcher Form auch immer keineswegs zur Definition von Arbeit.

2. Ich behaupte nicht, dass immer "entfremdete Arbeit" nötig sein wird, schon 
gar nicht Zwangsarbeit. Allerdings verwende ich den Begriff "Entfremdung" nur 
äußerst zurückhaltend, also wie der späte Marx eigentlich fast nie, weil er 
m.E. problematisch in seiner Definition ist. Im Sinne der Marxschen 
Frühschriften, wo dem die Vorstellung eines irgendwie anthropologisch 
bestimmten eigentlichen "Wesens" des Menschen zugrundeliegt, von dem er 
entfremdet ist, halte ich für unhaltbar und unbrauchbar. Im eng ökonomischen 
Sinne gibt es auch präzisere Begriffe. (Dazu kommt noch mehr unten.) Was ich 
schon für notwendig halte ist, wesentliche Teile der gesellschaftlichen 
notwendigen Arbeit (im anthrop. Sinne, also den Stoffwechsel mit der Natur 
vermittelnd, aber auch Dienstleistungen einschließend) gesellschaftlich zu 
organisieren, weil es keineswegs ausgemacht ist, dass Arbeit freiwillig 
gemacht wird, wenn sie nicht in "entfremdeten" Formen geleistet werden muss. 
Und diese gesellschaftliche Organisation über Tausch bzw. Geld zu vermitteln, 
finde ich in vielen Bereich weniger problematisch als viele andere Formen, 
weil es gewisse Wahlmöglichkeiten lässt und monetäre Anreize weniger 
Zwangscharakter haben als vieles andere. Das wäre unter sozialistischen 
Bedingungen etwa durchaus mit relativ großzügiger Grundsicherung 
kombinierbar, so dass Leute wirklich wählen könnten, ob sie das machen wollen 
und im Gegenzug immaterielle und materielle Anerkennung dafür bekomen oder ob 
sie darauf verzichten. Also diese hier von mehreren Leuten vertretene 
Fixierung darauf, möglichst überall Tausch und Wert beseitigen zu wollen, 
finde ich falsch.
 
 Meine Frage neu formuliert würde also heißen: Warum denkst du, daß ab
 einem bestimmten historischen Stand die Menschheit nicht (mehr) in der
 Lage sein sollte, den Stoffwechselprozeß mit der Natur so zu
 organisieren, daß ihn Leute freiwillig machen und aus Gründen der
 Selbstentfaltung bzw. um der Notwendigkeit nachzukommen?

Das Problem ist, dass zwar viele Arbeiten (da Arbeit eine Tätigkeit ist, kann 
man meinetwegen hier auch "Tätigkeiten" schreiben und es bleibt richtig, aber 
"Arbeit" ist genauer) gesellschaftlich notwendig sind, aber bei 
hochentwickelter Arbeitsteilung weder möglich noch sinnvoll ist, dass jedeR 
jede notwendige Arbeit selber macht. Es sind ständig viele tausende 
verschiedene Arten von Arbeit in bestimmten Quantitäten und Qualitäten und an 
bestimmten Orten notwendig zu erledigen, um die Gesellschaft bzw. die 
Menschen auf hohem Niveau am Leben und Laufen zu halten. Das wird sich weder 
zufällig mit den auf Selbstentfaltung gerichteten Arbeitsbedürfnissen der 
Einzelnen decken noch aus individueller Einsicht in den gesamten Prozess noch 
in unmittelbarer personaler Vergesellschaftung zwischen Millionen Beteiligten 
so ergeben, dass sich dafür jeweils gerade im richtigen Zeitraum die 
geeigneten Menschen daran machen, ihren Anteil an diesem gesellschaftlichen 
(und letztlich sogar global verflochtenen) Gesamtarbeitsprozess zu leisten. 
Das muss also in der einen oder anderen Weise organisiert werden. 

Das muss grundsätzlich nicht unbedingt über Tauschprozesse erfolgen, sondern 
ist auch über Kommunikation und abgestufte gemeinsame Planung von 
gesellschaftlichen Einheiten auf verschiedenen Ebenen, von der Familie oder 
Wohngemeinschaft bis zum interkontinentalen Austausch (Austausch meint hier 
nicht unbedingt Tausch, sondern jede Form von Geben und/oder Nehmen, und das 
wird immer nötig sein) möglich. Letztlich muss das Ergebnis aber immer sein 
ein tragfähiges Gesamtsystem, in dessen Rahmen alle notwendigen Arbeiten von 
geeigneten Personen erledigt werden. Da Selbstentfaltung durch 
Arbeit/produktive Tätigkeit und auch die allgemeine Einsicht in die 
Notwendigkeit von Arbeiten und eigenen Anteils daran etwas anderes sind als 
das Bedürfnis oder die Einsicht in die Notwendigkeit und die Akzepztanz der 
entsprechenden gesellschaftlichen Vereinbarung (die wohl nie in 100%-igem 
Konsens ausfallen dürfte), eine bestimmte Arbeit in bestimmter Weise und 
Quantität und Zeitraum zu erledigen, dürfte es auf absehbare Zeit nötig sein, 
der Freiwilligkeit etwas nachzuhelfen. Dies könnte durch moralischen oder 
sonstigen Druck oder durch immaterielle oder materielle Anreize geschenen,  
ich präferiere dabei entschieden für die Anreizvariante. 

Und auch der gesellschaftliche Kommunkations- und Planungsprozess ist nicht 
so einfach, wie es sich anhören könnte, auch nicht mit Internet und anderen 
modernen I+K-Techniken. M.E. dürfte es auf absehbare Zeit am besten sein, 
"nur" eine noch überschaubare Menge von für die gesellschaftliche Entwicklung 
auf den jeweiligen Ebenen grundlegenden und strategisch wichtigen 
Produktionen bzw. Arbeiten so zu planen, jedenfalls bei weitem nicht alles. 
Und auf jeden Fall muss der Planungsprozess auf allen Ebenen wesentlich 
demokratischer ablaufen als es im Staatssozialismus war. Ein weiterer Teil 
wird wie freie Software etwa tatsächlich aus eigenem Antrieb bzw. zur 
Selbstentfaltung produziert werden, ein weiterer Teil wird von der 
Gesellschaft selbst direkt organisiert oder in Auftrag gegeben (öffentliche 
Dienste und Infrastrukturen, auch Wissenschaft). Der Rest kann bzw. sollte 
m.E. weiter als Waren produziert werden. Auch zur Umsetzung der Planung 
dürften monetäre Mechanismen zentral und wesentlich effizienter als nur 
stoffliche Vorgaben sein. Der Staatssozialismus ist nicht an zuviel, sondern 
u.a. an zuwenig echten Ware-Geld-Beziehungen und damit verbundener 
Flexibilität gescheitert. Geldwirtschaft ist nämlich bei allen damit 
verbundenen Problemen auch ein ziemlich effizientes System der 
gesellschaftlichen Koordination der Produktion, denn Kauf und Verkauf sind 
zugleich als Kommunikationsakte wirksam über Qualität und Quantität der 
gesellschaftlich gewünschten Produkte und Dienste sowie der dafür notwendigen 
Arbeit (in Form von Wert). Ich habe keine Illusionen über 
nichtkapitalistische "einfache Warenproduktion", sondern dies schließt 
bewusst die Möglichkeit zu kapitalistischer Produktion in gesellschaftlich 
kontrolliertem Umfang und Rahmen ein. Sozialismus ist für mich dann erreicht, 
wenn diese gesellschaftliche Kontrolle und Lenkung sowie die Planmäßigkeit 
der Entwicklung der wesentlichen gesellschaftlichen Lebensbedingungen und 
strategischen Produktionen den Gesamtprozess dominiert und damit in der Lage 
ist, negative Wirkungen der verbleibenden kapitalistischen Produktion wirksam 
zu beschränken und zu kompensieren. Das setzt dann weiterhin voraus, in 
zentralen Bereichen, insb. im Finanzsektor, das kapitalistische Eigentum 
durch verschiedene Formen gesellschaftlichen Eigentums zu ersetzen. 

Jetzt kann mich wer will ganz nach Laune als Reformisten oder verkappten 
Staatssozialisten oder Staatskapitalisten oder sonstwas beschimpfen, das 
ändert nichts an der von mir dargestellten Realität und daran, dass ich einen 
solchen demokratischen Sozialismus als die realistischste Vorstellung einer 
gesellschaftlichen Alternative betrachte und als die Form, in der der sich 
dann auch die weitergehenden Elemente von auf Selbstentfaltung und 
Bedürfnisbefriedigung beruhender gesellschaftlicher Produktion (traditionell 
als "kommunistisch" bezeichnet) entwickeln und entfalten und immer größeres 
Gewicht erlangen können. Um noch einen draufzusetzen: Der ökonomische Tausch 
und damit der Wert und sogar das Kapital bedeuten nicht nur Abstraktion, 
Entfremdung, Ausbeutung usw., sondern sind auch und vor allem 
menschheitsgeschichtliche Errungenschaften als Basis der Entwicklung der 
Produktivkräfte (das sah Marx auch so). Man kann sie sinnvoll erst und nur 
insoweit abschaffen, wie die Gesellschaft andere Methoden entwickeln kann, 
die die Produktion größeren Reichtums der Menschen bei geringeren negativen 
sozialen und ökologischen Effekten ermöglichen. Seit geraumer Zeit und immer 
deutlicher werdend und sich zuspitzend überwiegen aber die negativen Seiten 
und Folgewirkungen kapitalistischer Produktion und Verteilung und führt ihre 
gesellschaftliche Dominanz tendenziell in immer weitere und größere soziale 
und ökologische Katastrophen. Sozialismus ist längst nötig und materiell 
möglich geworden, wenn er von den hoch entwickelten Gesellschaften ausgeht, 
sich auf die Zustimmung der Menschen stützen kann und sich nicht (wie der 
Staatssozialismus) übernimmt mit dem Versuch, die ganze Gesellschaft von 
einer Zentrale aus steuern zu wollen.
 
 Hmm... Vielleicht sollten wir den Begriff der Notwendigkeit stärker
 neben den der Selbstentfaltung stellen? Vielleicht so: Freie Software
 wird aus Gründen der Selbstentfaltung und aus Notwendigkeit heraus
 produziert. Das ist vielleicht stimmiger, als die Notwendigkeit
 einfach in die Selbstentfaltung zu integrieren.
 
Ich würde eher vorschlagen zu sagen, dass damit neben der Selbstentfaltung 
auch gesellschaftliche Bedürfnisse befriedigt werden.


So, jetzt kommen als Anhang noch etwas geänderte Teile aus einem älteren Text 
von mir zu Arbeit und Entfremdung, der sehr gut zur Problematik passt, 
irgendwie sind die Debatten doch nicht neu:

Ich halte die Kategorie "Entfremdung" nicht für geeignet, um die Entwicklung 
und Spezifik der Arbeit und der gesellschaftlichen Verhältnisse der Menschen 
zueinander und zur Natur zu analysieren.

- Arbeit ist bewußte Tätigkeit zu dem Zweck, ein vorher ideell vorgestelltes 
Produkt zu erzeugen. Sie ist in jeder, auch in "entfremdeter" Form eine 
spezifisch menschliche, weil bewußte, Tätigkeit, und sie ist immer 
zweckorientiert. Der grundlegende Zweck menschlicher Arbeit ist "in allen 
Gesellschaftsformen und unter allen möglichen Produktionsweisen" (MEW 25, S. 
828, vgl. auch MEW 23, S. 192ff. und 198) die Gewährleistung der zur 
Befriedigung der Lebensbedürfnisse notwendigen Produktion und 
Stoffwechselprozesse zwischen Menschen und Natur. Es ist nicht sinnvoll, 
diese Notwendigkeit als "Zwang" zu bezeichnen, von dem "die Arbeit" oder "die 
Tätigkeit" zu befreien sei. Wesentlich in und auf Grundlage ihrer 
Arbeitstätigkeit entwickeln die Menschen ihre schöpferischen Fähigkeiten. Ob 
diese Potentiale in verantwortungsvoller Rücksicht gegenüber der Natur und 
anderen Menschen angewendet werden, ist dabei überhaupt noch nicht ausgemacht.

- "Entfremdung" ist ein sehr schillerndes und in unterschiedlichen 
Bedeutungen gebrauchtes Wort. Ich folge dabei der Position von Labica (im 
KWM, S.300): "Entfremdung ist außerhalb ihrer strikt rechtlich-ökonomischen 
Verwendung oder ihrer ursprünglichen philosophischen Bedeutung, welche beide 
nicht marxistisch sind, nur ein undeutlicher Begriff, dem man nicht trauen 
sollte." Bei Marx spielt er m.E. nur in den Frühschriften eine zentrale 
Rolle, die in der dort vorherrschenden idealistischen und teleologischen 
Vorstellung vom "menschlichen Wesen" begründet ist, und von der sich Marx und 
Engels schon der Deutschen Ideologie deutlich kritisch distanzieren (z.B. MEW 
3, S. 34: "Diese 'Entfremdung', um den Philosophen verständlich zu 
bleiben..."). In den späten ökonomischen Werken spielt er eine Nebenrolle in 
einer auf die Produktionsverhältnisse verengten Bedeutung (daran orientierte 
sich die Darstellung des Begriffs in ML-Lexika), bestimmte damit verbundene 
Dimensionen werden mit den klareren Begriffen von Ausbeutung, Unterordnung, 
Herrschaft, Zwang, Fetischismus, Mystifikation etc. behandelt.

- Zum zweiten wird der Eindruck erweckt, als würde eine Befreiung der Arbeit 
bzw. der Tätigkeit und der Arbeitenden von der Unterordnung unter einen 
fremdbestimmten (konkret: kapitalistisch bestimmten) Zweck, also die 
Entfaltung und Befreiung der Arbeit oder der "Tätigkeiten" von der 
kapitalistischen Regie als solche zu einem "Umschlagen" des Charakters der 
Arbeit von Zwanghaftigkeit zu schöpferischer Kraftentfaltung in zugleich 
sozial und ökologisch rücksichtsvoller Weise führen. Aber erstens bleibt wie 
gesagt  "immer ein Reich der Notwendigkeit. Jenseits dessen beginnt die 
menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich 
der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis 
aufblühen kann. Die Verkürzung des Arbeitstags ist die Grundbedingung." (MEW 
25, S,. 828).

- Zweitens ist es keineswegs mehr oder minder im Selbstlauf gewährleistet, 
weder in einem nichtkapitalistisch, etwa in Formen von 
Arbeiterselbstverwaltung, organisierten Bereich der gesellschaftlichen 
Arbeit, noch im Reich der freien Selbsttätigkeit, daß es dort besonders 
sozial oder ökologisch rücksichtsvoll zugeht. Dies ist vielmehr vor allem 
eine Frage des bewußt und in zivilgesellschaftlichen Diskursen in diese 
Richtung zu entwickelnden gesellschaftlichen Bewußtseins und einer 
gesellschaftlichen Regulierung der Produktions- und Lebensweise, die dies 
wirksam geltend macht und durch Konkurrenzmechanismen gesteigerte 
Bestrebungen um die Aneignung relativ größerer Anteile des gesellschaftlichen 
Reichtums zu Lasten anderer Menschen oder der Natur zurückdrängt. Ich gehe 
davon aus, daß es solche Motive auch unter nicht mehr kapitalistisch 
dominierten gesellschaftlichen Verhältnissen noch geben wird, zumindest in 
absehbarer Zeit. Ob späteren Generationen eine kulturelle Entwicklung 
gelingt, die solche gesellschaftlichen Regulierungen zunehmend überflüssig 
macht, wird die Zukunft zeigen und hilft uns heute jedenfalls nicht.

Hier liegt auch eine strategische Differenz: Sozial-ökologischer Umbau und 
die Perspektive des Sozialismus ist m.E. primär eine Frage gesellschaftlicher 
Regulierung und nicht der Freisetzung von Kompetenzen im unmittelbaren 
Arbeitsprozeß. Das steht natürlich überhaupt nicht gegeneinander, sondern muß 
beides sein. Aber die Orientierungen und Schwerpunkte dabei sind doch 
unterschiedlich.

Und ich denke, daß auch mein Problem mit der "Gemeinschaftlichkeit" mit den 
genannten Fragen zu tun hat. Dieser ebenfalls poblematische Begriff 
bezeichnet in der Sozialwissenschaft v.a. Fomen des menschlichen 
Zusammenlebens, die auf unmittelbarer Kommunikation beruhen und gerade nicht 
durch gesellschaftliche Institutionen vermittelt sind (z.B. Familie). Auch 
bei der Verwendung von "personal-konkrete Vergesellschaftung" schwingt m.E. 
ein Moment von quasi naturwüchsiger Herstellung solcher Formen des 
Zusammenlebens mit, sobald die deformierenden Zwänge kapitalistischer 
Entfremdung beseitigt sind. Jedenfalls ist von den gesellschaftlichen 
Institutionen und Regulierungsmechanismen in diesem Zusammenhängen kaum die 
Rede, dabei sind genau diese m.E. entscheidend und liegt hier ein Problem, 
vor dem man sich nicht drücken kann. 

Da sich die Gegenstände, deren vernünftige Gestaltung Sozialismus anstrebt, 
auf der Ebene der Gesellschaft und z.T. der Menschheit, aber jedenfalls 
überwiegend oberhalb der Ebene einzelner überschaubarer Gemeinschaften und 
auch einzelner Betriebe darstellen, besteht die zentrale Aufgabe in der 
Durchsetzung einer sozial und ökologisch orientierten Regulierung, die diesen 
Gegenständen und den Ebenen, auf denen sie sich darstellen, gerecht wird. Das 
bedeutet nicht, daß diese Regulierung primär über staatliche Sanktionierung 
laufen müßte, keineswegs. Sie kann weitgehend in Formen bzw. dezentralen 
Institutionen gesellschaftlicher Selbstverwaltung sich vollziehen und 
Eigenmotivation und Initiative der einzelnen Akteure (Einzelpersonen, 
Organisationen, Unternehmen, Initiativen etc.) ist dabei unumgänglich.

Diese sind allerdings als Momente eines gesellschaftlichen 
Regulierungssystems zu betrachten, das ihnen den Rahmen und 
Wirkungsmöglichkeiten gewährleistet und ihre Entwicklung fördert und 
verallgemeinert. Dies muß letztlich der Staat gewährleisten (der natürlich 
selbst entschieden zu demokratisieren ist), und zumindest in absehbarer Zeit 
wird der Staat auch selbst als Akteur des notwendigen sozial-ökologischen 
Umbaus eine zentrale Rolle spielen müssen. Auch vor der zentralen Aufgabe, um 
den Staat und seine Politik zu kämpfen, wird sich die Linke nicht drücken 
können, wenn sie ernsthaft einen gesellschaftlichen Gestaltungsanspruch 
durchsetzen will.

Freundliche Grüße

Ralf Krämer
Fresienstr. 26
44289 Dortmund
Tel. 0231-3953843
Fax 0231-3953844

_________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



[English translation]
Thread: oxdeT01561 Message: 1/38 L0 [In index]
Message 01561 [Homepage] [Navigation]