[ox] Freie Hardware und Abgang des Kapitalismus
- From: Thomas Uwe Gruettmueller <sloyment gmx.net>
- Date: Tue, 19 Dec 2000 04:24:48 +0100
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Hi, Kurt!
KXX4493553 aol.com schrieb:
Diese, ich nenn sie mal "Linux-Philosophie", klingt ja auf den
ersten Blick recht anschaulich: weil Software nahezu beliebig
reproduzierbar und distribuierbar ist, wird sie dadurch immer
weniger wert und unterminiert damit das kapitalistische Profit-
und Verwertungsprinzip. So weit, so gut. ABER: m. E. kann das nur
bei "immateriellen" Produkten funktionieren. Das hört schon bei
der Hardware auf, d. h. beim Computer, den Du halt nun mal
brauchst, um Deine Software auch benutzen zu können. Es kann so
nicht funktionieren bei "materiellen" Produkten, die halt nun mal
nur endlich verfügbar sind, im Gegensatz zur potentiell
"unendlichen" Software.
Du unterstellst hier etwas, was gar nicht gesagt wurde.
Projekte zu Freier Hardware basteln keine Hardware, um sie kostenlos
zu verteilen. Sie *entwickeln* Freie Hardware, um sie kostenlos jedem
zu *lizensieren* und nahezu uneingeschränkt Benutzung, Weitergabe,
Studium und Verbesserung zu ermöglichen. Heraus kommt dabei ein
Bauplan, also Information, ein "immaterielles Produkt". Herstellen
können die einzelnen *Exemplare* kapitalistische Betriebe,
Einzelpersonen oder (wenn die Bedingungen es einmal erlauben) von
Organisationen, die ergebnis- statt bezahlungsorientiert arbeiten.
Beispiel 1: Freie CD
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Ein Set aus sechs Freien Installations-CDs ist ein ziemlich
materielles Objekt, also Freie Hardware. Das Debian-Projekt
entwickelt unter anderem solche CDs. Dabei entsteht pro CD eine
Image-Datei, die die spätere CD bereits haargenau wiederspiegelt. Es
fehlt lediglich der alles entscheidende materielle Klecks Plaste.
Die materiellen Exemplare kann jeder herstellen. Als Vorlage dient
die ISO-Datei. Mit dieser kann man dann zum Preßwerk gehen und ein
paar tausend Exemplare herstellen lassen. Die entstandenen Exemplare
kann man dann verkaufen (was auch viele Firmen tun, gewöhnlich für
ca. 10,-- DEM pro CD).
Man kann mit einem CD-Brenner die Exemplare auch selber herstellen.
Dazu nimmt man stofflich betrachtet nahezu fertige CDs ("Rohlinge")
und verpaßt ihnen anhand der ISO-Datei den Hauptanteil ihrer
Funktionalität. Dieses Verfahren ist zwar billiger (ca. 1,--DEM pro
CD), macht aber auch viel Arbeit und verschwendet unnötig Zeit.
Es wäre auch möglich, daß sich LUGs oder andere Gruppen die CDs zum
Eigenbedarf, also ohne Zwischenhandel, pressen liessen. Auch könnten
sie selbst ein Preßwerk betreiben. Das wäre preiswert (10 Pfennig pro
CD?) und rational, erforderte aber auch einiges an Absprache.
Beispiel 2: Freies Buch
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Auch Bücher sind Hardware. Der letzte Schritt an der Grenze zum
Materiellen ist hier die PS- oder PDF-Datei. Auch hier Beispiel für
ein Freies Buch ist der Debian-Guide von J. Goerzen und O. Othman.
Auch hier kann jeder, wie oben im Beispiel mit den CDs, zur Druckerei
gehen und dann die Exemplare verkaufen. New Riders verkauft diese
z.B. für 24,99 USD.
Das Selbstdrucken auf Tintenstrahlern o.ä. ist abartig (Tinte ständig
leer u.ä.). Herkömmliche Buchbindung (mit vernähtem Rücken) ergibt
schönere Ergebnisse als die gekauften Paperback-Bücher, allerdings
ist dabei Handarbeit angesagt. Bei Heißbindung ist das Binden zwar
einfacher, jedoch ergeben sich andere Probleme (Bei zu kurzer
Bindedauer fallen Seiten raus, bei zu langer bricht das Buch später
auseinander. Die Bindemappen sind nur für 50 Blatt Rückenstärke und
im unhandlichen DIN A4-Format erhältlich usw.). Die Kosten liegen
(ohne Einband) bei 4Pf pro Blatt (=4 Buchseiten), im obigen Beispiel
also 4,-- DEM und ebensoviel für die Heißbindemappen.
Auch hierbei könnten LUGs oder andere Gruppen das Buch zum
Eigenbedarf selbst drucken und binden lassen oder selbst Druckereien
und Bindereien betreiben.
Beispiel 3: Freie Elektronik
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Leiterplatten, sowie ICs unterscheiden sich in der Herstellung nicht
wesentlich von Büchern oder CDs. Auch hier wird ein in den Grundzügen
standardisiertes Produkt hergestellt, das vom Materialwert her im
Pfennigbereich liegt und dessen ganze Funktionalität erst durch den
verwendeten Bauplan entsteht. Einen solchen Bauplan kann ein Projekt
Frei lizensieren. Das F-CPU-Projekt versucht z.B., eine Freie CPU zu
entwickeln. Ergebnis wird ein fertiges CAD-Layout sein.
Auch hier kann wieder jeder Exemplare im Chipwerk (bzw.
Leiterplattenwerk) herstellen lassen und auch verkaufen.
Im privaten Bereich ist die Herstellung von ICs zur Zeit nicht
möglich. Für die Herstellung von Leiterplatten gelten ähnliche
Einschränkungen wie für Bücher. Professionelle Technik fehlt hier
noch.
Eine nicht-marktorientierte Herstellung der Exemplare ist bei ICs zur
Zeit noch schwer vorstellbar, da kleine Serien pro Stück und grosse
Serien insgesamt zu teuer und Chipfabriken zu knapp sind. Bei
Leiterplatten sieht das alles aber schon wesentlich machbarer aus.
Beispiel 4: andere Freie Sachen
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Andere Produktionsbereiche sind nach heutigem Stand der Technik noch
nicht so weit vereinheitlicht oder gar automatisiert, so daß man
schwer mit fertigen Designs ankommen kann. Ein solches Produkt wäre
beispielsweise ein Auto, bei dem, anders als bei Büchern, ICs oder
CDs ein hoher Anteil an Material- und Personalkosten im Endpreis
steckt, ähnlich wie in elektronischen Geräten zu Röhren-Zeiten.
Dennoch wagt sich das OSCar-Projekt daran.
Vorgesehen sind auf alle Fälle kommerzielle Distributoren.
Die Möglichkeiten des Eigenbaus sind eher begrenzt.
Eine nicht-marktorientierte Herstellung der Exemplare ist auch hier
als Fernziel denkbar.
Ich stelle mir den Abgang des Kapitalismus so vor:
1. Allen proprietären Informationsprodukten (Software, Musik,
Baupläne...) werden Freie Alternativen (Linux statt Unix usw.)
gegenübergestellt. Die proprietären Informationsprodukte werden
gnadenlos in Qualität und Preis niederkonkurriert. Ferner wird
mittels Copyleft dem Aufkeimen neuer Wissenshorterei ein Riegel
vorgeschoben.
2. Wenn das geschafft ist, gibt es de facto kein "geistiges Eigentum"
mehr. Demnach gibt es auch keinen Handel mit Informationen mehr.
Damit ist der Kapitalismus bereits ein ganzes Stück zurückgedrängt.
3. Nun machen sich die kapitalistischen Betriebe bei der Herstellung
der Produkte so richtig schön Konkurrenz. Dadurch werden die
Kosten, sowie der Profit minimiert und die Produktion
rationalisiert. Produktionsmittel selbst werden dadurch natürlich
auch billigst.
4. Die stark verbilligten Produktionsmittel ermöglichen den Aufbau
von Betrieben, die die Produktion nicht mehr nach dem Markt,
sondern nach den Vorstellungen und Bedürfnissen der Beteiligten
erlauben. Da hier mehr persönlicher Einsatz zu erwarten ist als
bei Lohnarbeit werden dadurch die kapitalistischen Betriebe
wegkonkurriert.
5. Nun ist der Kapitalismus ganz weg.
Dieser Schritt-für-Schritt-Plan bringt folgende Besonderheiten mit
sich:
o Es wird kein derzeit geltendes Recht verletzt. Daher kann gefahrlos
sofort begonnen werden.
o Der Kapitalismus wird mit seinen eigenen Waffen geschlagen.
o Der Kapitalismus wird erst dann und nur dort abgeschafft, wo
bereits eine bessere Lösung vorliegt.
o Es wird kein Reichtum beschränkt, sondern neuer erzeugt.
Problematisch ist die hohe Anzahl Arbeitsloser, die die
Rationalisierungen mit sich bringen. Daher muß mit geeigneten
Maßnahmen (z.B. Bürgergeld) eine Absicherung und Förderung erfolgen.
Tschüß,
Thomas
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