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Re: [ox] Re: Gutachten zu Softwarepatenten



*
* Kopie an Hubertus Soquat, BMWi
* zur Kenntnis
*

Hallo, Hans-Gert!

On Mon, 08 Jan 2001, Hans-Gert Graebe wrote:
Einen Verweis auf das Gutachten "Sicherheit in der
Informationstechnologie und Patentschutz für Software Produkte -
Ein Widerspruch?"

Allerdings nur ein "Kurzgutachten" (192 pp. :-<). Hat schon mal
jemand reingeschaut?

Ja, ich, gerade eben, und zwar in die Forderungen am Beginn des 
Textes, sowie in Kapitel 4. Letzteres ist relativ gut recherchiert.

Folgendes wird im Gutachten gefordert:

|  PP 1: Der Umgang mit dem Quelltext von Computerprogrammen muss
|  patent-rechtlich privilegiert werden. Das Herstellen, Anbieten, 
|  in Verkehr bringen, Besitzen oder Einführen des Quelltextes eines
|  Computerprogrammes in seiner jeweiligen Ausdrucksform muss vom 
|  Patentschutz ausgenommen werden. (Quelltextprivileg)
|
|  Begründung:
|  Diese Empfehlung muss als oberster, schlechthin unverzichtbarer
|  Grundsatz alle Bemühungen um die künftige Patentpolitik leiten. 
|  Über den Sicherheitsgewinn hinaus setzt dieser Vorschlag die 
|  richtigen ökonomischen Anreize:
|
|  · Die Entwickler von "Open Source"-Software vermeiden das Risiko 
|    einer Patentverletzung.
|
|  · Der nichtgewerbliche Anwender beispielsweise beim privaten
|    Gebrauch darf die von den privilegierten Entwicklern und 
|    Distributoren bereitgestellten Quelltexte ohne patentrechtliche 
|    Einschränkungen nutzen.
|
|    Der gewerbliche Anwender fällt unter das Patent und muss für den 
|    Gebrauch des Programmes die Zustimmung des Patentinhabers 
|    einholen.

Hier wird etwas Wichtiges übersehen:

Baut ein Programmierer eine patentgeschützte Funnktion in ein bereits 
bestehendes GPL-geschütztes Programm ein, und verbreitet er sein 
Derivat, so macht er sich durch eine Regelung wie der obigen zwar 
nicht mehr der Patentverletzung schuldig, dafür aber der Verletzung 
der GPL:

|  Finally, any free program is threatened constantly by software
|  patents.  We wish to avoid the danger that redistributors of a free
|  program will individually obtain patent licenses, in effect making 
|  the program proprietary.  To prevent this, we have made it clear 
|  that any patent must be licensed for everyone's free use or not
|  licensed at all.

Dieser Absatz ist zwar Teil der Präambel und hat somit keine 
Rechtsgültigkeit, er gibt aber die Intention der Lizenz wieder, was 
für die Auslegung wichtig sein kann. Jedoch werden zusätzlich 
folgende zwei rechtswirksame Punkte verletzt:

|  You must cause any work that you distribute or publish, that in
|  whole or in part contains or is derived from the Program or any
|  part thereof, to be licensed as a whole at no charge to all third
|  parties under the terms of this License. (§2, Bedingung b)

|  If you cannot distribute so as to satisfy simultaneously your 
|  obligations under this License and any other pertinent 
|  obligations, then as a consequence you may not distribute the 
|  Program at all. (§7)

Das Schlimme ist, daß nur der Upstream-Autor gegen diese 
GPL-Verstösse vorgehen kann. Solche Angriffe innerhalb der der 
Freien-Software-Bewegung ufern leicht emotional aus und können 
schnell zu einer Spaltung führen, wie man bereits am vergleichsweise 
harmlosen Beispiel KDE--GNOME erkennen kann.

Die geforderte Unterscheidung in "gewerbliche" und "nichtgewerbliche" 
Anwender steht übrigens auch im Widerspruch zur OSD, §§ 5 und 6. 
Daher sollte es schwierig sein, selbst bei einer Neuimplementation 
des Programmes im obigen Beispiel eine geeignete OSI-konforme Lizenz 
zu finden.

Im Gutachten wird desweiteren gefordert:

|  PP 3: Das künftige Patentrecht sollte eine kollektive Lizenzierung 
|  bzw. Rechtewahrnehmung ermöglichen.

Die Begründung dazu geht davon aus, daß es auf "Open Source"-Software 
vergütungspflichtige Patentansprüche gemäß PP 1 geben kann. Dies ist 
zu bezweifeln.

|  PP 5: Eine Neuheitsschonfrist von 12 Monaten soll in das
|  Patentrecht (wieder) eingeführt werden.
|
|  Begründung:
|  Will ein Erfinder im Geltungsbereich des Europäischen 
|  Patentübereinkommens in den Genuss eines Patentschutzes für seine
|  Erfindung kommen, ist er gezwungen, diese bis zur Einreichung der
|  Patentanmeldung beim Patentamt gegenüber der Öffentlichkeit geheim 
|  zu halten.
|
|  Eine derartige Geheimhaltungspflicht ist mit Ethos und praktischer
|  Arbeitsweise vieler "Open Source"-Softwareentwickler nicht
|  vereinbar.

Dies ist die schrecklichste all dieser Forderungen. Jeder einzelne 
Mitwirkende an einem Programm hätte so die Möglichkeit durch ein zur 
GPL und anderen Lizenzen inkompatibles Patent den einmal gewährten 
Freien Status des Programmes wieder aufzuheben. Um dies zu verhindern 
müßte nach jedem einzelnen eingegangenen Patch zur Sicherheit ein 
Jahr gewartet werden. 

Im Moment ist die Situation umgekehrt: einmal durch die GPL gewährte 
Rechte können nie mehr zurückgenommen werden, und proprietäre 
Derivate können nur zusätlich zu den bereits vorher Frei 
herausgegebenen Versionen und im Konsens aller beteiligten Autoren 
herausgegebenen werden.

 
Tschüß,
Thomas
 }:o{#

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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