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[ox] Theorie - Praxis





in "der Graf von Monte Christo" erzählt Italo Calvino die Geschichte
von zwei Gefangenen in einer Festung. der eine, Seemann Edmond
Dantès, lebt seit Jahren in einer Einzelzelle und versucht, den Plan
der Festung gedanklich zu rekonstruieren. der andere, Abbé Faria,
gräbt sich durch die mauern des Bauwerks und erleidet bei seinen
Ausbruchsversuchen immer neue Fehlschläge.

edmond dantès sagt:
"wenn ich keinen wunsch verspuere, dem abbé faria nachzueifern,
dann deshalb, weil es mir schon genuegt zu wissen, dass jemand
nach einem ausweg sucht, um mich zu ueberzeugen, dass es einen
ausweg geben muss; oder dass man sich wenigstens das problem
stellen kann, ihn zu suchen. so ist das geraeusch des grabenden
abbé faria ein notwendiges komplement zur konzentration meiner
gedanken geworden. ich empfinde faria nicht bloss als einen, der
seine eigene flucht versucht, sondern als teil meines plans; nicht
weil ich auf einen von ihm geoeffneten weg ins freie hoffte - er hat
sich inzwischen so oft geirrt, dass ich jedes vertrauen in seine
intuition verloren habe - sondern weil ich die einzigen informationen
ueber den ort, wo ich mich befinde, der abfolge seiner irrtuemer
verdanke. (...) so fahren wir fort, uns mit der festung zu messen:
faria, indem er die schwachen punkte der mauern sondiert und auf
neue widerstaende trifft; ich, indem ich ueber seine fehlschlaege
reflektiere und mir neue hypotetische mauern ausdenke, um sie in
den plan meiner konjektur-festung einzuzeichnen. wenn es mir
gelingt, in gedanken eine festung zu konstruieren, aus der eine flucht
unmoeglich ist, dann wird diese gedachte festung entweder gleich
der wirklichen sein - und in diesem fall ist es sicher, dass wir nie
hier hinauskommen werden, aber wenigstens koennen wir dann zur
ruhe dessen gelangen, der weiss, dass er hier ist, weil er nicht
woanders sein koennte - oder es wird eine festung sein, aus der
die flucht noch unmoeglicher ist als von hier - und DAS hiesse dann,
dass hier eine fluchtmoeglichkeit besteht: wir braeuchten nur den
punkt zu identifizieren, an dem die gedachte festung nicht mit der
wirklichen koinzidiert, um den ausweg zu finden."

klare schoene worte. 

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