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[ox] Auszuege aus den Kommunistischen Streitpunkten



Hi!

Wenn ich auch wegen der Konferenz schon seit einem Monat nicht mehr
dazu komme, die Liste zu lesen - geschweige denn zu antworten - muß
ich wenigstens mal ein paar Stückchen hierher posten, die mir vor
einiger Zeit aufgefallen sind. Das erste ist vielleicht nicht ganz so
spannend. Und laßt euch nicht vom Titel des Magazins schrecken ;-) .


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

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Von Werner Imhof stammt "Skizzen eines emanzipatorischen Kommunismus"
- im Web unter `http://hometown.aol.com/streitpkte/ks0502.html'.
Daraus fand ich folgende Ausschnitte besonders interessant:

  Was im Kapitalismus-Bild der sozialistischen bzw. kommunistischen
  Bewegung weitestgehend unter-, wenn nicht gänzlich unbelichtet war,
  ist der zwiespältige Charakter des Privateigentums und die
  "eigentümliche" Form, die die gesellschaftliche Arbeit unter seiner
  Herrschaft annimmt. Privateigentum an Produktionsmitteln ist nämlich
  nicht nur Verfügungsgewalt über sie (bzw. der juristische Ausdruck
  davon), Herrschaft über Sachen, sondern immer zugleich ihr
  Gegenteil: Beherrschung durch Sachen, Beherrschung der
  Privateigentümer (seien sie Privatkapitalisten, Aktiengesellschaften
  oder Belegschaften "selbstverwalteter" Betriebe) durch ihre
  Produkte. Denn das Privateigentum an Produktionsmitteln trennt nicht
  nur Eigentümer von Nichteigentümern, sondern auch - und wichtiger
  noch - die Privateigentümer bzw. -produzenten voneinander; es ist
  gerade Ausdruck ihrer Getrenntheit. Privateigentum an
  Produktionsmitteln heißt nichts anderes, als daß gesellschaftliche
  Arbeit unter vordergründig "unabhängigen" Teilproduzenten aufgeteilt
  ist, die tatsächlich voneinander abhängig sind. Dies ist die
  wesentliche Bestimmung des Privateigentums als einem sozialen
  Verhältnis und nicht die Bestimmung durch sein Gegenteil, das
  Nicht-Eigentum.

  ...

  Ich halte nichts davon, über das pragmatische Arrangement der
  Lohnabhängigen mit den bestehenden Eigentums- oder
  Herrschaftsverhältnissen die Nase zu rümpfen; am allerwenigsten
  dann, wenn die Nase Leuten gehört, die die kapitalistische
  Produktionsweise nur moralisch verurteilen oder abstrakt negieren,
  aber nicht angeben können, wie die gesellschaftliche Reproduktion
  jenseits von Staat und Markt praktisch zu regeln wäre. Die
  Bourgeoisie beherrscht die Gesellschaft durch ihre unbestrittene
  Hegemonie, die sie zum einen ihrer ungebrochenen Fähigkeit verdankt,
  die Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit zu entwickeln, und
  dem Zugeständnis, die Lohnabhängigen daran teilhaben zu lassen,
  statt sie allein zur Steigerung der Mehrarbeit auszunutzen, zum
  andern der scheinbaren Naturgegebenheit von Markt und Geld und damit
  auch des Kapitals. Und diese Hegemonie wird nur zu erschüttern sein,
  wenn ihre beiden Säulen morsch werden. Was die erste an­geht, so hat
  die Bourgeoisie bereits selbst begonnen, Hand an sie zu legen, und
  zumindest ihre glänzende Oberfläche beschädigt. Aber dies allein
  kann bei den Lohnabhängigen kein progressives Aneignungsinteresse
  wecken (eher ein reaktionäres Ausschließungsinteresse gegenüber
  Ausländern, Arbeitslosen, Kranken und Alten). Das kann nur
  entstehen, wenn sie erkennen, was sie selbst tatsächlich "anders und
  besser machen" könnten als die Ritter der "Marktwirtschaft", nämlich
  die gesellschaftliche Arbeit auch gesellschaftlich zu organisieren,
  indem sie die Markt- und Geldbeziehungen zwischen den allseits
  abhängigen Teilproduzenten durch direkte und selbstbewußte
  kooperative Beziehungen ersetzten und so das Privateigentum an den
  Produktionsmitteln vollständig aufhöben. Was die Kapitalisten zur
  Klasse vereint, ist die Aufrechterhaltung dessen, was sie
  voneinander und von den Lohnabhängigen trennt, des Privateigentums.
  Die Lohnabhängigen können sich überhaupt nur zur Klasse vereinigen
  durch doppelte Negation des trennenden Privateigentums, durch das
  Interesse, sich nicht nur der Produktionsmittel zu bemächtigen,
  sondern des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses in seiner
  Totalität (und das heißt notwendig: auch im internationalen
  Maßstab).

  An dieser Stelle wird sich wahrscheinlich manche/r zurücklehnen und
  einwenden: "Alles schön und gut. Aber das wird Utopie bleiben. Der
  Waren- und Geldfetisch wird die Menschen immer beherrschen. Die
  Geschichte hat bewiesen, daß der Marxismus ihm nichts anhaben
  konnte. Und schau dir doch die Leute an - ein Volk von Lottospielern
  und Egoisten, die gar nicht fähig sind, ein Interesse an ihrer
  gesellschaftlichen Arbeit zu entwickeln..." Ich halte das für eine
  Ausrede, für einen Versuch, die eigene gedankliche Bequemlichkeit
  oder Unfähigkeit dadurch zu verbergen, daß man sie anderen in die
  Schuhe schiebt. Wenn es möglich ist (und es ist möglich), die
  gesellschaftliche Arbeit gegen den Strich ihrer widerborstigen
  Erscheinungsformen der konkreten Erfahrung zugänglich zu machen,
  dann muß es auch getan werden, selbst wenn es zunächst als
  Sisyphusarbeit erscheint. Und ich meine, es gibt gute Gründe
  anzunehmen, daß sie es nicht sein wird. Einige davon liegen in der
  Geschichte der bisherigen sozialistischen bzw. kommunistischen
  Bewegung selbst.

  ...

  Das "moderne sozialistische Bewußtsein" kann gerade nicht, wie
  Kautsky meinte, dadurch entstehen, daß die Resultate "tiefer
  wissenschaftlicher Einsicht", also des abstrakten Denkens, "von
  außen" in die Köpfe der Lohnabhängigen "hineingetragen" werden und
  ihnen Bewußtsein "verleihen". Es kann nur dadurch entstehen, daß das
  abstrakte Denken selbst lernt, konkret zu werden und dem vorhandenen
  (oder doch jedermann zugänglichen) Wissen, der vorhandenen Erfahrung
  zur Einsicht in die konkrete gesellschaftliche Praxis zu verhelfen,
  in die gegebene, die die Menschen beherrscht, wie in die mögliche
  künftige, die die Menschen beherrschen. Der Durchgang durch die
  Marxsche Kritik der politischen Ökonomie und ihre Entdeckungen ist
  vorläufig noch der einzige Weg, das dazu notwendige methodische
  Rüstzeug zu erwerben. Und dieser Durchgang muß heute als Nadelöhr
  erscheinen. Aber je mehr und besser es gelingt, das Rüstzeug
  anzuwenden, desto leichter sollte es fallen, den ideologischen
  Schleier, den die kapitalistische Produktionsweise über sich selbst
  legt, zu zerreißen, die herrschenden "Gedankenformen" als
  Abstraktionen der mit sich selbst entzweiten gesellschaftlichen
  Arbeit zu entmystifizieren und diese selbst auf direktem Wege der
  konkreten Anschauung zugänglich zu machen, in ihren absurden
  Gegensätzen, in die sie durch das Privateigentum gezwängt ist,
  ebenso wie in ihrem stofflich-technischen Zusammenhang und den
  Beziehungen der konsumierenden Produzenten, die es obsolet machen.
  (Das jedenfalls ist meine Überzeugung, die plausibel zu machen ich
  noch versuchen werde.) Übermächtig bleiben die Fetischgestalten der
  gesellschaftlichen Arbeit nur für das abstrakte Denken, das meist
  noch nicht einmal ihre theoretische Erklärung nachvollziehen kann.
  Zu "entzaubern" sind sie allein dadurch, daß sie mit der konkreten,
  unverhüllten gesellschaftlichen Arbeit selbst konfrontiert werden.
  Die kapitalistische Produktionsweise ist wie ein absurdes Theater,
  dessen Akteure meinen, sie spielten ein naturalistisches Stück.
  Wissenschaftlicher Sozialismus (ohne Anführungszeichen) kann nichts
  anderes sein als die Methode, den Akteuren ihre wirkliche Rolle
  bewußt zu machen, eine Methode, die in Marx' "Thesen über Feuerbach"
  ihren konzentriertesten Ausdruck gefunden hat und die er schon in
  den "Deutsch-Französischen Jahrbüchern" formulierte: "Die Reform des
  Bewußtseins besteht nur darin, daß man die Welt ihr Bewußtsein
  innewerden läßt, daß man sie aus dem Traum über sich selbst
  aufweckt, daß man ihre eignen Aktionen ihr erklärt. Unser ganzer
  Zweck kann in nichts anderem bestehen... Es wird sich dann zeigen,
  daß die Welt längst den Traum von einer Sache besitzt, von der sie
  nur das Bewußtsein besitzen muß, um sie wirklich zu besitzen..."

  Die Geschichte ist bisher anders verlaufen. Der "offizielle" oder
  "parteiamtliche" Marxismus nach Marx hat gerade diesen methodischen
  Kern seines Denkens, die materialistische Dialektik, von Grund auf
  mißverstanden, verkannt, verdrängt und begraben und damit sein
  eigenes Schicksal besiegelt. Diese Entwicklung kann nicht allein,
  auch nicht primär als subjektives Versagen der Marx-"Epigonen"
  erklärt werden. Sie muß Gründe haben, die in der Entwicklung der
  gesellschaftlichen Praxis, der kapitalistischen Produktionsweise
  selbst liegen und erklären, warum sie sich so hartnäckig "gegen ihr
  Verständnis sträubt" (Engels) - was im Umkehrschluß bedeutet, daß
  dies Verständnis massenhaft nur möglich ist, wenn die
  kapitalistische Produktionsweise selbst dazu drängt und ihre
  ideologische Macht selbst untergräbt. Darauf komme ich noch zurück.
  Zunächst noch einige Anmerkungen zur subjektiven Geschichte des
  sozialistischen und kommunistischen Denkens, die zu verstehen nötig
  bleibt, wenn man nicht in seine verhängnisvollen Bahnen zurückfallen
  will.

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Von Ulrich Weiß stammt "Marx und der mögliche Sozialismus". Findet ihr
unter `http://hometown.aol.com/streitpkte/ks0511.html'. Daraus eine
längere Passage:

  Der erste springende Punkt - Sozialismus wird ökonomisch möglich

  Wann können nun nach Marx die Produktionsarbeiten ,,den Schein bloß
  äußrer Naturnotwendigkeit abgestreift erhalten und als Zwecke, die
  das Individuum selbst erst setzt, gesetzt werden"? Wann muß die
  Arbeit nicht mehr als ,,Lohnarbeit ... als äußre Zwangsarbeit ...
  und ihr gegenüber die Nichtarbeit als ,Freiheit und Glück`"
  erscheinen? Marx' Antwort: ,,Die Arbeit der materiellen Produktion
  kann diesen Charakter nur erhalten, dadurch, daß 1. ihr
  gesellschaftlicher Charakter gesetzt ist, 2. daß sie
  wissenschaftlichen Charakters, zugleich allgemeine Arbeit ist, nicht
  Anstrengung des Menschen als bestimmt dressierter Naturkraft,
  sondern als Subjekt, das in dem Produktionsprozeß nicht in bloß
  natürlicher, naturwüchsiger Form, sondern als alle Naturkräfte
  regelnde Tätigkeit erscheint." 27 Bleiben wir bei der zweiten
  Bedingung. Unter welchen materiellen Voraussetzungen kann der
  Produzent selbst Subjekt werden, muß von der Produktion selbst keine
  Spaltung der Gesellschaft mehr ausgehen, kann also massenhaft der
  bürgerliche Standpunkt verlassen werden? ,,In dem Maße", so eine
  Antwort, ,,wie die große Industrie sich entwickelt, wird die
  Schöpfung des wirklichen Reichtums abhängig weniger von der
  Arbeitszeit und dem Quantum angewandter Arbeit als von der Macht der
  Agentien, die während der Arbeitszeit in Bewegung gesetzt werden und
  ... [das ist abhängig] vom allgemeinen Stand der Wissenschaft und
  dem Fortschritt der Technologie."28 Erst eine bestimmte
  Entwicklungsstufe der Technologie ermöglicht eine grundsätzlich
  andere des Menschen im bzw. zum Fertigungsprozeß als die der
  fordistisch-tayloristischen Wirtschaft, nämlich die, in der sich der
  Mensch verhält ,,als Wächter und Regulator zum Produktionsprozeß
  selbst ... Er tritt neben den Produktionsprozeß, statt sein
  Hauptagent zu sein." 29 Damit gewinnt Arbeit nicht nur einen
  wissenschaftlichen Charakter. Es wird zugleich der über die
  Lohnarbeit laufende Verwertung von Wert die Basis entzogen. Es ist
  dann ,,weder die unmittelbare Arbeit, die der Mensch selbst
  verrichtet, noch die Zeit, die er arbeitet, sondern die Aneignung
  seiner eignen allgemeinen Produktivkraft, sein Verständnis der Natur
  und die Beherrschung derselben durch sein Dasein als
  Gesellschaftskörper - in einem Wort die Entwicklung des
  gesellschaftlichen Individuums, die als der große Grundpfeiler der
  Produktion und des Reichtums erscheint." 30 Ab diesem ,,bestimmten
  Grad der Entwicklung der materiellen Produktivkräfte und daher des
  Reichtums ... erscheint die weitere Entwicklung [auf
  kapitalistischer Grundlage - UW] als Verfall und die neue
  Entwicklung beginnt von einer neuen Basis." 31 Die Ökonomie kann
  (nicht muß!) von diesem Zeitpunkt an aufhören, eine politische zu
  sein, weil materielle Produktion, damit sie überhaupt auf hohem
  Niveau stattfinde, nicht mehr der Sondierung der ,,Gesellschaft in
  zwei Teile" 32, nicht mehr der Klassenspaltung, nicht mehr des
  Staates bedarf. Von dem Zeitpunkt an können auch
  Emanzipationsbewegungen wie etwa die der Frauen eine andere
  Perspektive gewinnen als etwa die, unter der Losung der
  Gleichstellung zur kapitalistischen Modernisierung beizutragen,
  Frauen als Lohnarbeiterinnen, Unternehmerinnen oder Politikerinnen
  massenhaft in die Reproduktion von patriarchalen Verhältnissen
  einzubinden. Emanzipationsbewegungen können jetzt erstmalig einen
  sozialistischen, jegliche Herrschaftsstrukturen aufhebenden
  Charakter gewinnen.

  Ab den 60er Jahren gab es im Osten wie im Westen parallel zu den
  allerersten Übergängen zur automatisierten Fertigung kurzzeitig eine
  faßbarere Ahnung der Perspektive vom ,,allseitig, schöpferisch,
  spielerisch Arbeitenden" 33. Diese waren durchaus kompatibel mit den
  frühen Marxschen Aussagen über eine kommunistische Zukunft34, nicht
  aber mit dem ML und nicht mit den Grundstrukturen des Ostens. Es
  wurde schnell klar, daß soziale Bewegungen, die der beginnenden
  wissenschaftlich-technischen Revolution einen
  zivilisationsverträglichen sozialistischen Charakter hätten geben
  können, nur in der Rebellion gegen jegliche
  hierarchisch-patriarchale Gesellschaftsstruktur, also gegen die
  bürgerliche Spaltung in Herrschende und Beherrschte, entstehen
  konnten. Im Westen machte eine solche klassenungebundene
  emanzipatorische Bewegung neuer Art 1967/68 Furore. Mit dem Effekt
  des Ausschöpfens noch vorhandener ökonomisch-zivilisatorischer
  Potenzen in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft wurde sie
  in diese integriert. Diese Entwicklung hat ihren
  zivilisationsfördernden Höhepunkt längst überschritten und ihren
  vorläufigen Tiefpunkt mit der rot-grünen Bundesregierung erreicht.
  35 Im Osten wurde emanzipatorische Bewegung der 1960er Jahre und ihr
  theoretischer Reflex ohne eine temporär positive Wirkung wie im
  Westen gestoppt. Die Grenze der real-,,sozialistischen"
  Möglichkeiten war damit angezeigt. Der Osten ging schließlich bis
  1990 daran kaputt, woran der Westen zunehmend krankt: an der
  strukturell bedingten Unfähigkeit, eben jenem ganz ,,bestimmten Grad
  der Entwicklung der materiellen Produktivkräfte", durch welche ,,die
  Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums ... der große
  Grundpfeiler der Produktion und des Reichtums" 36 werden kann, den
  erforderlichen zivilisationsverträglichen Raum zu verschaffen. Die
  Organisations- und Herrschaftsfähigkeiten einer über der
  Gesellschaft erhabenen Klasse einerseits sowie die Fähigkeiten und
  der Willen der Subalternen zur Unterwerfung unter lebenslange
  Lohnarbeit andererseits sind nunmehr historisch erstmalig keine
  Bedingungen mehr für Reichtum und Zivilisation. Das
  lutherisch/real-,,sozialistische" Arbeitsethos gerät damit ins
  Wanken. In der postfordistischen Produktion formieren sich nun
  gerade solche Elemente, die nicht nur eine abstrakt-theoretische
  Beschreibung einer solchen Art von Produktion denkbar machen, die
  nicht mehr von Kapital und Lohnarbeit vorangetriebenen wird.
  Kapitalistisch betrieben erscheinen die neuen Fertigungsweisen
  allerdings für die meisten Menschen als Katastrophe. Diese ist bei
  Beibehaltung des kapitalistischen Rahmens auch tatsächlich von
  keinerlei reformerischen Reparaturversuchen aufzuhalten, egal ob
  sich diese in schwarzen, rötlichen oder grünen Farben präsentieren.
  Auf Marxsche Weise sozialistisch betrachtet und betrieben, könnten
  diese neuen Elemente jedoch als die endlich entstehenden
  Voraussetzungen einer reichen Entwicklung der Individuen auf der
  Basis gemeinschaftlich beherrschter moderner Produktivkräfte
  begriffen und genutzt werden. Von der Stellung des produzierenden
  und konsumierenden Individuums aus gesehen ist dies genau der Punkt,
  da die Aufhebung des Kapitalismus durch den Sozialismus-Kommunismus
  ökonomisch möglich wird.

  Diese Möglichkeit kann allerdings nur wirklich werden, wenn sich
  verbindende Menschen einen Weg finden, um die von Marx genannte
  erste Bedingung dafür zu schaffen, daß Arbeit nicht mehr als
  ,,Lohnarbeit ... als äußre Zwangsarbeit erscheint". Es muß ,,ihr
  gesellschaftlicher Charakter gesetzt" werden37, und zwar nicht durch
  das Kapital, sondern durch frei assoziierte Individuen, die selbst
  bewußt die Zwecke der Produktion ,,als Selbstverwirklichung,
  Vergegenständlichung des Subjekts" bestimmen. 38 Die derzeit
  scheinbar allmächtige kapitalistische Form des Setzens des
  gesellschaftlichen Charakters von Produktion ist es, was allerdings
  jeden Jubel über die o. g. Möglichkeiten einer mit der
  Automatisierung verbundenen Persönlichkeitsentfaltung erstickt und
  die menschlich-produktiven Möglichkeiten von Wissenschaft und
  Technik selbst beeinträchtigt. Mögen sich auch Hierarchien
  abflachen, möge enorme geistige Beweglichkeit gefordert sein und
  sich der technologische und betrieblich-soziale
  Verantwortungsbereich unmittelbarer Produzenten stark erweitern -
  über allem stehen weiterhin äußere, vom Individuum nicht beherrschte
  Zwecke: Die Verwertung von Wert, damit der unvermeidliche Zwang zur
  galoppierenden Reduzierung lebendiger, auch hochqualifizierter
  Arbeit, was nicht zu genießbarer Freizeit, sondern zu
  niederdrückender erzwungener Arbeitslosigkeit führt. Die
  Kapitalisierung durchdringt buchstäblich alle gesellschaftlichen
  Bereiche. Bis hinein in die intimsten Bereiche, etwa durch Auflösung
  der traditionellen Familienstrukturen wird alles der
  Kapitalvermehrung unterworfen. All dies macht das schönste
  Lean-Production-Team mit seinen abstrakt gegebenen Möglichkeiten zur
  Selbstentfaltung seiner Mitglieder innerhalb und außerhalb der
  Arbeit in Wirklichkeit zu einer Ansammlung konkurrierender, sich
  selbst kontrollierender und damit doch weiterhin von äußerem Zwang
  getriebener Lohnarbeiter. Das treibt Produktion zur Vernichtung
  natürlicher Existenzvoraussetzungen und zum Zerstören von
  Zivilisation. Wie gesagt, auch die östliche Variante des Setzens des
  gesellschaftlichen Charakters von Arbeit, also die Zwecksetzung
  durch den ,,sozialistischen" Staat, war eine Variante der
  bürgerlichen Ökonomie mit ,,sozialistischen" Ruhmestaten der
  ,,Nierreißung aller bestimmten einseitigen Zwecke als Aufopferung
  des Selbstzwecks unter einen ganz äußeren Zweck"39. An den ,,Straßen
  der Besten" und an Wandzeitungen (die heute in den Betrieben wieder
  Konjunktur haben) haben sich Helden wie wir gefeiert. Wenn also auch
  nicht auf real-,,sozialistischem" Wege, wie kann dann der
  unmittelbare Produzent zum gesellschaftlichen Individuum werden,
  selbst zwecksetzend der ,,große Grundpfeiler der Produktion und des
  Reichtums"? Es gibt immer wieder interessante Versuche alternativer
  Ökonomien, sich weitgehend selbst durch beschränkt-arbeitsteiliges
  Produzieren zu versorgen. Das zeigt den Drang einer zunehmenden
  Minderheit von Menschen, sich den entfremdeten kapitalistischen
  Verhältnissen zu entziehen. Es geht jedoch nicht um isolierte
  Kleingruppen von asketisch-gesellschaftlichen Individuen etwa in der
  ueckermärkischen Einsamkeit, es geht nicht sozusagen um die
  Reproduktion einer allerdings PC-bestückten urgesellschaftlichen
  Horde. Es geht um Zivilisationsgewinn auch unter Nutzung gerade der
  veränderten Stellung unmittelbarer Produzenten in den Kernbereichen
  von Lean-Production. So sehr sie als Ausdruck der Suche nach anderen
  Lebens- und Arbeitsweisen zu begrüßen sind, eine isolierte
  Entwicklung von Alternativprojekten ist noch nicht die Lösung. Deren
  Vernetzung verweist schon eher darauf, wenn sie unter anderem den
  High-tech-Bereich und die Erfüllung allgemeiner, bisher meist
  staatlicher Aufgaben einbeziehen können, wenn also assoziierte
  Individuen die Bedingungen ihrer materiellen Existenz auf hohem
  Niveau unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen.

  Der zweite Punkt - die Gesellschaft kann den Staat in sich
  zurücknehmen

  Marx benennt noch eine weitere Voraussetzung dafür, damit eine
  Gesellschaft (diese dann konstituiert durch frei-assoziierte
  Individuen) sich ihre dann nicht mehr entfremdete Herrschaft über
  die materielle Produktion ,,zurück"-erobern kann. Der Logik der
  kapitalistischen Entwicklung folgend sagt Marx sozusagen die heutige
  Privatisierung öffentlicher Einrichtungen (Verkehrs- und anderer
  Kommunikationsmittel, Schulbildung, Wissenschaft, Gesundheitswesen,
  polizeiliche Aufgaben, Kultureinrichtungen, die Verwertung jeglichen
  öffentlichen Raumes usw.) voraus. Er verweist zum Beispiel auf den
  Drang des Kapitals, sich auch ,,die Voraussetzungen der Zirkulation"
  zu assimilieren, also solche einst allgemeinen Aufgaben ,,in
  kapitalisierende Produktion oder Produktion von Kapital" zu
  verwandeln. Die Sicherung von gesellschaftlichen Bedingungen der
  kapitalistischen Produktion waren zuvor Staatsaufgaben. Sie konnten
  vom Einzelunternehmen oder vom assoziierten Kapital nicht erfüllt
  werden, weil dies keine Möglichkeit der Kapitalverwertung bot. Durch
  die fordistische Form der Vergesellschaftung in West und Ost wurde
  der Bereich dieser Staatsaufgaben im 20. Jahrhundert extrem
  ausgeweitet. Diese Funktionen werden nun gegenwärtig genau in dem
  Maße, in dem das Produktivkraftniveau auch hier eine angemessene
  Verwertung ermöglicht in einer großen Welle der Privatisierung durch
  das Kapital selbst übernommen. Dies nennt Marx ,,eine
  propagandistische (zivilisierende) Tendenz" des Kapitals. 40 Mit
  dieser sich in den heutigen Metropolen vollziehenden Entstaatlichung
  ist nach Marx ,,die höchste Entwicklung des Kapitals" erreicht. Die
  ,,allgemeinen Bedingungen des gesellschaftlichen
  Produktionsprozesses" werden dann nicht mehr ,,aus dem Abzug der
  gesellschaftlichen Revenu hergestellt ... sondern aus dem Kapital
  als Kapital. Es zeigt dies den Grad einerseits, worin das Kapital
  sich alle Bedingungen der gesellschaftlichen Produktion
  unterworfen", womit ,,alle Bedürfnisse in der Form des Austauschs
  befriedigt werden; auch die als gesellschaftlich gesetzten
  Bedürfnisse des Individuums, d.h. die, die es nicht als einzelnes
  Individuum in der Gesellschaft, sondern gemeinschaftlich mit andren
  konsumiert." 41 Die ganze Gesellschaft, jeder Lebensbereich, wird
  zur Geißel des Kapitals. Der Staat verliert die Fähigkeit, den
  Individuen in allen Wechselfällen von Konjunktur und Krise
  wenigstens ein Mindestmaß an Stabilität, Sicherheit, Kultur, Bildung
  usw. zu sichern.

  Was kann an diesen Prozessen, die von Regierungen unter Reagan,
  Thatcher, Blair und Schröder durchgepeitscht werden, zivilisierend
  oder gar sozialistisch sein? Nichts. Im Gegenteil. Die Gesellschaft
  wird in die nackte Barbarei getrieben. Dies ist unvermeidlich, wenn
  die Tendenz zum schlanken Staat sich unter kapitalistischen
  Bedingungen durchsetzt. Wer nur über eine innerkapitalistische
  Brille verfügt und wer sich nicht wie gegenwärtig alle führenden
  Politiker hinsichtlich des angeblichen Primats des Politischen beim
  Geltendmachen menschlicher Bedürfnisse hemmungslos in die Tasche
  lügt, der kann nur in ausweglose Verzweiflung oder Zynismus
  verfallen. In kommunistischer Perspektive jedoch markiert gerade die
  kapitalisierende Übernahme von bisher notwendig dem Staat
  zufallenden Aufgaben denjenigen Punkt des Kapitalismus, da mit ihrer
  ,,höchsten Entwicklung" die alte Formation selbst die Möglichkeiten
  ihrer Aufhebung produziert. In dieser Sicht sind die
  Entstaatlichungen Indizien dafür, daß emanzipatorische soziale
  Bewegungen nunmehr die kapitalistische Form der Produktion
  tatsächlich nachhaltig aufheben können. Wieso? Weil sie nicht wieder
  notwendig in antiemanzipatorische Entfremdung, in bürgerliche
  Herrschaftsstrukturen, in die Errichtung neuer Staatlichkeit wie die
  der sogenannten Diktatur des Proletariats zurückfallen müssen. Warum
  existiert dieser Zwang nicht mehr, der unter anderem dem Osten die
  sozialistische Perspektive verstellte? Wenn die
  zivilisationssichernden allgemeinen Aufgaben tatsächlich dem
  (bürgerlichen) Staat entrissen und von Einzelkapitalen selbst
  erfüllt werden oder werden können (was auf kapitalistisch die
  Verrottung der nicht zahlungsfähigen Träger entsprechender Nachfrage
  z. B. nach Bildung und Medizin einschließt), dann existieren
  erstmalig in der Geschichte auch die materiellen Voraussetzungen
  dafür, daß assoziierte Individuen bisherige Staatsaufgaben direkt
  unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen können. Dann wird für
  die Bewahrung von Gesellschaftlichkeit der Staat, der Ausdruck der
  bisherigen Spaltung der Gesellschaft in antagonistische Teile,
  überhaupt funktionslos. Der Staat, die ,,übernatürliche Fehlgeburt
  der Gesellschaft"42, einst in den Klassengesellschaften eine
  Bedingung zivilisatorischen Fortschritts, wird aufhebbar. Dann und
  erst dann ist die Aufhebung der sich im Kapital wie im Staat
  ausdrückenden Entfremdung, die Überwindung der knechtenden
  Arbeitsteilung und des (kapitalistischen) Privateigentums, dann ist
  also Sozialismus-Kommunismus möglich. Das ist dann aber auch
  dringend geboten. Im Gegensatz zur Ausgangssituation des
  Real-,,Sozialismus" gibt es nun auch bezüglich bisheriger
  Staatsfunktionen die Möglichkeit, daß eine revolutionäre Praxis,
  also die Veränderung der Verhältnisse und die Selbstveränderung der
  Menschen einen sozialistischen Charakter annehmen kann. Nicht nur in
  der Produktion, auch hinsichtlich allgemeiner Aufgaben müßte nach
  einer gesellschaftlichen Umwälzung heute nicht wieder die Spaltung
  der Gesellschaft in Herrschend und Beherrschte, nicht wieder die
  Rekonstruktion des Staates erfolgen. Die kapitalistische
  Wirklichkeit wächst heute auch hinsichtlich seiner Tendenzen zum
  schlanken Staat sozusagen den Marxschen Aussagen über die
  materiellen Voraussetzungen einer sozialistisch-kommunistischen
  Umwälzung entgegen.

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Zum Schluß nochmal eine längere Passage von Werner Imhof aus "Das
Ferne liegt so nah... - Über kommunistische Produktion als praktische
Möglichkeit oder mögliche Praxis"
(`http://members.aol.com/Streitpunkte/ks0607.html'):

			    Die "Internet-Revolution"

  Robert Schlosser hat die kommunistische Produktionsweise auch als
  "kommunikativen Prozeß der Selbstregulierung" umschrieben. Die
  technischen Mittel dazu werden derzeit perfektioniert durch die
  rasante Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnik, vor
  allem des Internet. Die Kommerzialisierung des Internet ist dabei,
  auch den "Kommerz" selbst, d.h. die kapitalistische
  Produktionsweise, zu verändern. In welchem Umfang und mit welchen
  Konsequenzen, das ist bisher noch kaum abzusehen. Der globale,
  dezentrale und öffentliche Charakter des Internet macht es aber auf
  jeden Fall zu einem Kommunikationsmedium, das auch für eine
  unmittelbar gesellschaftliche Produktionsweise als "kommunikativem
  Prozeß der Selbstregulierung" geeignet wäre. Schon die kommerzielle
  Nutzung des Internet läßt ahnen, welche Möglichkeiten es bieten
  könnte.

  Ein Beispiel ist die Logistik , die Organisation und Kontrolle von
  Güterströmen. Auch bisher schon ermöglichten Bar- oder Strichcodes
  (die z.T. bereits durch zweidimensionale Codes oder durch Chips
  ersetzt werden) die Erfassung individuell identifizierbarer Güter
  von der Produktion bis zur Ladenkasse. Das Internet eröffnet hier
  neue Dimensionen.

    "So richtig interessant werden die Strichcodes ... erst, wenn man
    sie in unternehmensweite Prozesse, globale Handelsstrukturen und
    Warenströme integriert. Mercedes-Benz verschafft sich den
    aktuellen Überblick seiner über die Weltmeere schippernden
    Warenwerte, der UPS-Kunde kann online übers Internet den aktuellen
    Standort seiner Paketsendung rund um den Kontinent nachvollziehen,
    und Airbus Industries sorgen mit Datenfunk- und Barcodegestützter
    Lagerhaltung dafür, daß die Airbusflieger möglichst lange in der
    Luft und nicht unnötig am Boden bleiben. Auch unter dem
    Blickwinkel der Produkthaftung kann sich die Investition in
    Barcode-Systeme lohnen. Die Wege von Gütern - man denke an die
    komplexe Nahrungsmittelkette - lassen sich besser
    nachvollziehen... Die Wirksamkeit der Rückrufaktionen etwa der
    Automobilhersteller ruht ganz wesentlich auf der
    Informationsquelle Barcode, die dort die Rückverfolgung
    fehlerhafter Chargen bis tief in die weltweiten Zuliefer- und
    Vertriebsnetze hinein ermöglicht." (FAZ vom 5.7.99)

  Ein anderes Beispiel ist die "kundenindividuelle Massenfertigung",
  die eine Entwicklung fortsetzt, welche gerade von der "Wertkritik"
  ignoriert wird, die nur die "Diktatur des Tauschwerts über den
  Gebrauchswert" (Kurz) sieht. Die kapitalistische Produktionsweise
  ist ja tatsächlich eine "Selbstzweckbewegung", Produktion um der
  Produktion willen, weil Produktion von Mehrwert. Doch während sie,
  wo immer möglich, die Bindung des Tauschwerts an den Gebrauchswert
  der Produkte zu überlisten oder zu vernachlässigen sucht (durch
  eingebauten Verschleiß, beschleunigte Produktinnovation, schlichten
  Schund oder einkalkulierte Gebrauchsrisiken), kann sie doch nicht
  verhindern, daß gleichzeitig die Bedeutung des Gebrauchswerts
  (Produktqualität, Service, Kundenberatung und -betreuung) für die
  Realisierung des Tauschwerts und damit auch des Mehrwerts zunimmt,
  bedingt durch die Entwicklung der Technik, des gesellschaftlichen
  Bewußtseins und - der Regreßrisiken. Durch das Internet wird dieser
  Trend noch verstärkt.

    "Die Beziehungen zwischen Kunden und Anbietern werden sich ... im
    kommenden Jahrhundert grundlegend ändern... Was produziert wird,
    entscheidet in Zukunft unmittelbar der Kunde. Konsumenten
    bestimmen zahlreiche Merkmale ihrer Produkte selbst. Die Produkte
    werden entsprechend den Kundenwünschen hergestellt, wie es zuvor
    nur im Handwerk möglich war... Die Massenproduktion für anonyme
    Käufergruppen wird so zu einer für den einzelnen Kunden
    maßgeschneiderten Massenfertigung. Möglich wird dies durch den
    Einsatz moderner Informationstechnologien in Vertrieb, Entwicklung
    und Herstellung. Der Kunde ... gestaltet etwa per Internet sein
    zukünftiges Auto: Verschiedene Modellvarianten und individuelle
    Ausführungen kann er 'durchklicken', sich das selbstgestaltete
    Auto dreidimensional anschauen und per Internet bestellen...
    Individuell konfigurierte Waschmaschinen sowie maßgenaue Armlängen
    maschinell hergestellter Strickpullover sind weitere Beispiele..."
    (FAZ vom 26.5.98)

    "BMW-Käufer können sich ihr Traumauto bereits im Internet
    zusammenstellen und dabei aus einer Million Gestaltungsoptionen
    aussuchen. Bestellen müssen die Käufer aber noch beim Händler -
    aus Rücksicht auf deren Gewinnmargen... Doch die
    Internet-Anwendung beschränkt sich nicht auf den Verkauf: In
    wenigen Jahren werden Autos erst nach einer Internet-Bestellung
    gebaut - ohne Lagerkosten, ohne Unsicherheit über den
    tatsächlichen Absatz und ohne teure Marktforschung. Diese
    kundenindividuelle Massenproduktion steckt noch in den Anfängen,
    aber alle Hersteller arbeiten in diese Richtung." (FAZ vom
    12.11.99)

  Man darf sich von der Euphorie über die "schöne neue Welt" des
  "E-Commerce" natürlich nicht blenden lassen. Was sich hier ändert,
  ist zunächst mal nur die Distributionsweise ; die Distributions
  verhältnisse bleiben weiterhin bestimmt durch die bornierten
  Produktionsverhältnisse. Und doch liegt in dieser Entwicklung ein
  subversives Potential, das sich gegen die Produktionsverhältnisse
  selbst richten (lassen) könnte. Die begriffliche Fassade des
  "Marktes", die eine grundsätzlich unbestimmte und unbestimmbare
  Nachfrage vorgaukelt, verliert hier ihren letzten Halt. Die
  "kundenindividuelle Massenproduktion" ohne "Absatzunsicherheit" und
  "Marktforschung" macht sichtbar, was technisch sowieso längst
  möglich und im Bereich der Produktionsmittelindustrien (und der
  Luxusgüterindustrien!) auch realisiert ist: daß die Produktion
  unmittelbar den qualitativen und quantitativen Anforderungen des
  gesellschaftlichen Bedarfs folgen könnte, auch im Bereich der
  Konsumtionsmittel. Was hier die Produktion hemmt, stört und
  krisenanfällig macht, ist nicht die "unberechenbare" und "launische"
  Natur des "Marktes", sondern einzig und allein die Fesselung der
  Nachfrage an die Zahlungsfähigkeit, also an die Warenform der
  Arbeitskraft und an die Kapitalform der Produktions- und
  Lebensmittel.

  Das Beispiel der "kundenindividuellen Massenproduktion" zeigt auch,
  daß sich die Bedeutung des Internet nicht in seiner Rolle als
  technisches Medium kommunikativer und kommerzieller Beziehungen
  erschöpft. Es verändert auch die Beziehungen selbst, nicht nur die
  zwischen Produzenten und individuellen Konsumenten, sondern auch die
  zwischen den Teilarbeiten in der Produktionssphäre selbst. Die
  fortschreitende Integration der Teilarbeiten zwecks Optimierung des
  Verwertungsprozesses bereitet dessen eigene Aufhebung vor, weil sie
  das Privateigentum an den Produktionsmitteln immer absurder macht.

    "In der Fabrik der Zukunft verschwinden die Grenzen zwischen
    Zulieferern und Unternehmen. Die Extremform ist das virtuelle
    Unternehmen, das sich abhängig vom einzelnen Auftrag aus mehreren
    Unternehmen bildet und nach der Auftragserfüllung wieder zerfällt.
    Die Lieferanten verfügen mittels Kommunikationstechnologien über
    alle notwendigen Informationen eines Auftrags. Sie liefern ihre
    Produkte zeitgenau an und werden so zu einem integrierten Teil der
    Produktionsprozesse..." (FAZ vom 26.5.98)

  Schließlich noch ein erstaunliches Beispiel dafür, wie das Internet
  Initiativen freisetzen und beflügeln kann, die die Autorität des
  Privateigentums und seine angebliche Unverzichtbarkeit und Effizienz
  regelrecht blamieren:

    "Es zählt zu den revolutionären Vorteilen des Internets, daß es
    die Bildung von weltweiten virtuellen Gemeinschaften ermöglicht.
    Jeder ist eingeladen, daran teilzunehmen und das Geschehen aktiv
    mitzugestalten. Ein Beispiel ist die Verbreitung sogenannter
    Open-Source-Software. Open Source bedeutet nicht nur freien Zugang
    zum Quellcode zusammen mit dem Recht, daß jeder diesen verändern
    kann, sondern auch die Pflicht, daß diese Veränderungen der
    Gemeinschaft wieder zur Verfügung gestellt werden. Linux, jenes
    erfolgreiche Open-Source-Betriebssystem, zeigt sehr deutlich, daß
    eine solche virtuelle Internet-Gemeinschaft mit viel Spaß an der
    Sache durchaus ernstzunehmennde Software entwickeln kann... Durch
    das Internet und das Open-Source-Konzept wurde es möglich, daß
    viele einzelne Entwickler im Rahmen einer virtuellen Gemeinschaft
    in rasantem Tempo Software weiterentwickeln - unabhängig
    voneinander und doch gemeinsam.

    Das Open-Source-Konzept führt zunächst zum Chaos. Doch gerade
    dadurch können Assoziation, Intuition und Kreativität ihre volle
    Kraft entfalten. Wie aber kann aus diesem Sammelsurium von Ideen,
    Vorschlägen und Änderungen ein Produkt reifen? Der Schlüssel zur
    Beantwortung dieser Frage liegt im offenen Wettbewerb zwischen
    diesen Ideen. Die virtuelle Gemeinschaft entscheidet über die
    Akzeptanz und damit den Erfolg einer Idee. Die künstliche
    Protektion von Irrtümern ist ausgeschlossen, das Beste setzt sich
    auf evolutionäre Weise durch." (FAZ vom 24.8.99)

  Selbst die FAZ mußte einräumen, daß Open-Source-Produkte
  "proprietärer Software" deutlich überlegen sind...

  Die Veränderungen der Arbeitsorganisation auf gesellschaftlicher
  Ebene sind nicht zu trennen von den Veränderungen der betrieblichen
  Arbeitsorganisation, die seit einem Jahrzehnt als Lean Management
  und Lean Production auf dem Vormarsch sind. Auch Gruppenarbeit, KVP,
  Qualitätsmanagement, Kundenorientierung, Just-in-time-Anlieferung
  usw. enthalten progressive Momente, die über den bornierten Zweck
  der Produktion hinausweisen, dem sie dienen sollen, die die
  Abschottung der betrieblichen Arbeit von ihren gesellschaftlichen
  Zusammenhängen aufbrechen und die den Produzenten bisher
  unterdrückte Fähigkeiten und Kompetenzen abverlangen. Joachim
  Bischoff von den SOST ist so weit gegangen, von einer "neuen
  gesellschaftlichen Betriebsweise" zu sprechen. Ich halte das für
  eine beschönigende Übertreibung. Einer, der es wissen muß, sieht das
  ganz anders:

    "Wenn heutzutage in Automobilunternehmen den inneren Marktkräften
    mehr freier Lauf gelassen wird und Entscheidungsbefugnisse an
    operative Einheiten abgegeben werden, dann geschieht das ... in
    erster Linie (zu) dem Zweck, Gemeinkosten zu sparen und Abläufe zu
    beschleunigen. Durch die Verschärfung des internen Konkurrenz- und
    Erfolgsdrucks, durch kurzfristige Ergebniserwartungen und die
    Politik der kurzen Berichtswege wird darüber hinaus versucht, die
    operativen Einheiten wieder besser unter zentrale Kontrolle zu
    bringen, den Zentralismus also wirkungsvoller zu gestalten. Diese
    provokanten Thesen stammen von Roland Springer, dem Leiter der
    Arbeitsorganisation und des Verbesserungsmanagements der
    Daimler-Chrysler AG... Der neue Zentralismus ist nach Springers
    Aussagen mit der Gewährung von größeren Handlungs- und
    Entscheidungsspielräumen in operativen Einheiten durchaus
    kompatibel, solange sich diese mit ihren Entscheidungen im
    Korridor zentraler Erwartungen, beispielsweise den vorgegebenen
    Kapitalrenditen, bewegen. Die heute in den Automobilunternehmen
    praktizierte Dezentralisierung sei keine Alternative zum
    Zentralismus, sondern eine Methode seiner Erneuerung, seiner
    Modernisierung. Unmittelbar sichtbar werde das am Instrument der
    Zielvereinbarung, das heute in allen Automobilunternehmen in
    Deutschland eingesetzt werde." (FAZ vom 19.4.99)

  Denn natürlich stehen alle Zielvereinbarungen unter dem Diktat der
  Kapitalverwertung und des Konkurrenzkampfes. Aber die
  fortschreitende und (wenn man denn sehen will) sichtbare
  Vergesellschaftung der Arbeit bis hinein in die Betriebsabläufe
  macht eben dieses verselbständigte Ziel mehr und mehr angreifbar,
  weil widersinnig. Dazu reicht es allerdings nicht, das Kapital bloß
  als Kapital zu bezeichnen und den Profit bloß als Profit. Das ist
  ohnmächtiges Kapitulieren vor der Erscheinungsform. Dazu muß man
  endlich wieder das beim Namen nennen und in Frage stellen, was das
  Kapitalverhältnis erst konstituiert: das Privateigentum an
  Produktionsmitteln, und imstande sein, die Möglichkeit unmittelbar
  gesellschaftlicher



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