[ox] Re: Überraschung! - Nein! "Marx lesen" gelesen
- From: UlrichLeicht t-online.de (Ulrich Leicht)
- Date: Wed, 24 Jan 2001 16:31:02 +0100
UlrichLeicht t-online.de
jonnycool gmx.de schrieb:
Eine Anzeige in der neuen Konkret:
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Marx macht mobil
Marx lesen
Mit der Krisenreife unseres hochentwickelten Kapitalismus
ist die Zeit auch reif für eine neue Marx-Lektüre. Robert Kurz,
Autor des 'Schwarzbuch Kapitalismus', präsentiert und
kommentiert Marx' wichtigste Texte, die von überraschender
Aktualität und Brisanz sind.
480 Seiten, Leinen gebunden, DM 49,80
(...)
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Eine Überraschung war es nicht, denn schon einmal Gegenenstand einer
unsäglichen Diskussion (um Ver-marktung und Ver-dienste von Kurz) mit der
unwiderstehlichen Angelika. Auch KWP war involviert.
Ich habe das Buch, das in der Tat noch rechtzeitig vor dem Jahrhundertwechsel
vom Verlag zu Weihnachten herausgebracht wurde, über die Feiertage gelesen.
Mit der Krisenreife unseres hochentwickelten Kapitalismus ist die Zeit auch
reif für eine neue Marx-Lektüre, doch fehlte auf dem Buchmarkt bislang eine
Marx-Ausgabe für das große Publikum.
zitiert jonnycool aus der Verlags-Ankündigung. Ich würde ergänzen und betonen,
für das kleinere linke Publikum und besonders die alte "mainstream-Linke"
könnte es, wenn sie denn wollte, orientierend sein.
Das Buch bringt eine Marx-Interpretation und -Auswahl aus "wertkritischer
Sicht" und Orientierung auf den anderen "esoterischen" Marx".
Dabei wird der Leser nicht mit Marx-Zitaten allein gelassen. In einer
Einführung "Die Schicksale des Marxismus - Marx lesen im 21. Jahrhundert"
und in kommentierten Einleitungen zu 8 Themenschwerpunkten wird er von Robert
Kurz zu den Texten hingeführt.
Im Vorwort heißt es u.a.:
"(...)
Es hat schon viele Editionen Marxscher Texte gegeben, wobei meistens ein
Verständnis stille Voraussetzung war, das Marx mit dem 'Marxismus' der
sozialistischen Arbeiter- und Staatsparteien identifizierte. ...
Aber dabei handelt es sich lediglich um eine bestimmte Lesart der Marxschen
Theorie und um einen bestimmten Strang seiner Argumentation, der in der Tat an
eine jetzt vergangene (wenngleich noch ganz und gar unbegriffene) Epoche
gebunden und daher heute nichts als Theoriegeschichte ist. Das ist allerdings
bloß der halbe Marx. ...
Bis jetzt ist noch nicht versucht worden, eine Edition speziell dieses
unbekannten Marx und seiner ganz anderen Kapitalismuskritik gewissermaßen aus
seinen hinterlassenen erheblichen Textmassen herauszupräparieren. ...
Die Marx-Texte des vorliegenden Lesebuchs sind deshalb bewußt aus dem
Zusammenhang mit der arbeiterbewegungsmarxistisch kompatiblen Textmasse
herausgeschnitten. So wird vielleicht der Vorwurf nicht ausbleiben, die Texte,
wie sie hier vorliegen, seien eben aus dem zusammenhang gerissen. deshalb
gleich vorweg ein Geständnis: Genau darin besteht auch die Absicht, nämlich die
aus der offiziellen Debatte weitgehend herausgehaltene 'andere', viel
radikalere Kapitalismuskritik des unbekannten Marx aus dem Zusammenhang des
gegenstandslos gewordenen Partei- und Arbeiterbewegungs-Marx herauszureißen,
kenntlich zu machen und damit zuzuspitzen. ...
Deshalb ist die vorliegende Auswahl für Leserinnen und Leser gedacht, die
weniger ein akademisches, philologisches Interesse an Marx haben, sondern ihn
als kritischen Theoretiker kennen lernen wollen, der auch nach dem Ende von
Arbeiterbewegung und Realsozialismus noch etwas zu sagen hat - und vielleicht
jetzt erst das Entscheidende. ...
Marx ist nicht nur widersprüchlich und ein 'doppelter Marx', er kann auch ein
unglaublicher Langweiler sein. ... Gerade dort aber, wo Marx' Kritik explizit
über seine Epoche hinausweist, verändert sich sogar sein Stil: er wird
messerscharf, apodiktisch, wuchtig, unwiderstehlich, eben weil er an
uneingestandene Tabugrenzen der Moderne rührt und sich darüber hinwegsetzt. es
sind diese Formulierungen des Zur-Sprache-Bringens von innerkapitalistisch
Unsagbarem, die noch heute Herzklopfen verursachen, weil sie auch nach 150
Jahren im wahrsten Sinne des Wortes 'unerhört' klingen und das
Selbstverständliche, verinnerlichte in Frage stellen.
Natürlich muß die kritische Thorie des 21. Jahrhunderts über Marx hinausgehen.
... Um überhaupt jemals über Marx hinauszukommen, ist es dagegen unabdingbar,
gerade an die verpönte und mit verlegenem Gestammel weggeschobene Seite seiner
Theorie anzuknüpfen. Um Marx wirklich überwinden zu können, muß man auf seinem
Schultern stehen können, statt ihm bloß dem Buckel runterzurutschen.
(...)"
Neben dem schon oben erwähnten Einführungstext von Kurz schließen dann jeweils
einleitend kommentierte folgende acht Kapitel mit Marx-Texten an:
1. Sie wissen es nicht, aber sie tun es: Die kapitalistische Produktionsweise
als irrationaler Selbstzweck
2. Das fremde Wesen und die Organe des Hirns: Kritik und Krise der
Arbeitergesellschaft
3. Die unwahre Erscheinung einer eingebildeten Souveränität: Kritik der Nation,
des Staates, des Rechts, der Politik und Demokratie
4. Aus allen Poren blut- und schmutztriefend: der häßliche Kapitalismus und
seine Barbarei
5. Die wahre Schranke der kapitalistischen Produktion ist das Kapital selbst:
Mechanik und historische Tendenz der Krisen
6 Jagd über die ganze Erdkugel, die Konkurrenz rast: Globalisierung und
Fusionitis des Kapitals
7. Die Mutter aller verrückten Formen und die Brut von Börsenwölfen:
Zinstragendes Kapital, spekulative Seifenblasen und die Krise des Geldes
8. Universelle Aneignung einer Totalität von Produktivkräften: Kriterien für
die Überwindung des Kapitalismus
Zudem sind die einzeenen Kapitel dann noch mit eigenen Abschnittsüberschriften
von und durch Kurz übersichtlich gemacht.
Mit einem Wort ein inhaltlich und von der Übersichtlich- und Lesbarkeit her ein
sehr spannendes und rundes Buch. Alles andere als überflüssig oder nur zum
Ver-dienst auf den Markt geworfen. Ein guter Auftakt von Kurz zum 21.
Jahrhundert, ein gelungenes Revival des kritischen Theoretikers Marx.
Gruß aus Dortmund
Uli
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