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[ox] Die amerikanische Verschuldungsmaschine



UlrichLeicht t-online.de

aus: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/co/4718/1html
(dort auch links zur Untermauerung des Artikels und Diskussionsbeiträge zum 
Text)

Die amerikanische Verschuldungsmaschine

Artur P. Schmidt   19.01.2001

Die meisten Schulden wurden gemacht, um den Hightech-Boom in den USA zu 
finanzieren

Betrachtet man das amerikanische Wirtschaftswunder etwas näher, so sieht man 
immer weniger ein Wunder und ist zunehmend verwundert über das Ausmaß der 
Verschuldung, das sich dieses Land leistet. Fast hat es den Anschein, also ob 
die vor allem auf Technologie basierende Net Economy sich auf einem Drogentrip 
befände. Zumindest kamen einem die Bewertungen zahlreicher Technologiefirmen 
im Frühjahr 2000 wie eine Halluzination vor, an der Timothy Leary seine helle 
Freude gehabt hätte. Das als Aktienkapitalismus gefeierte System hat bei
näherem Hinsehen jedoch gravierende Mängel. Der Hauptmangel ist der immense 
Schuldendienst, den die Amerikaner leisten müssen.

Am 18. August 2000 betrug der öffentliche Schuldenstand 5.670.329.490.959,40 
US-$ oder, anders ausgedrückt, etwa 5,7 Billionen US-$. Bei einer 
Bevölkerungszahl von etwa 276.200.220 Amerikanern entspricht dies einer 
Verschuldung von etwa 20.450 US-$ pro Bürger. Die Schulden nehmen pro Tag um 
weitere 45 Millionen US-$ zu und haben mittlerweile etwa 350 % des 
Sozialproduktes der USA erreicht. Am 17.1. 2001 betrug der Schuldenstand 
bereits 5,718,517,343,351.92 Dollar.

Man kann es drehen, wie man will: Nach den klassischen Buchhaltungsprinzipien 
wäre Amerika pleite, wenn wir nicht wissen würden, dass ein Staat nicht pleite 
gehen kann, da er ja jederzeit die Notenpresse ankurbeln oder im Falle aller 
Fälle eine Währungsreform durchführen kann. Betrachtet man die Verschuldung pro 
Fiskaljahr seit 1989, so sieht man, dass sich in den zurückliegenden 10 Jahren 
die Verschuldung von 2,86 auf 5,66 Billionen US-$ zwar verdoppelt hat, was 
jedoch nichts im Vergleich zur Verschuldungsexplosion während der Reagan- und 
Bush-Ära ist, als sich die Schulden in etwa vervierfachten.

Die Kehrseite des amerikanischen Wirtschaftswunders

Für Ludwig Erhard war es unvorstellbar, dass ein Volk mehr an Werten verzehren 
kann, als es geschaffen hat. Da der gemessene Produktivitätsanstieg in den USA 
zwischen 1970 und 1995 deutlich niedriger ist, als während der gesamten Phase 
der Nachkriegszeit bis zum Ende der 60er Jahre, muss man sich die Frage 
stellen, warum in den USA von einem anhaltenden Produktivitätswunder 
gesprochen wird.

Der US-Ökonom Robert Gordon von der Northwestern University entlarvte diese 
Thesen als statistische Manipulationen, da sich außerhalb der Computerindustrie 
keine Beschleunigung des Produktivitätswachstums feststellen ließ. Die 
Euphorie speist sich im Wesentlichen aus dem Mythos der New Economy, bei der 
mittlerweile ein riesiger spekulativer Bubble geplatzt ist, der im Kursverlauf 
Ähnlichkeiten zum Platzen der japanischen Blase Ende der 80er Jahre aufweist.

Die Auftürmung eines gigantischen Schuldenberges bei Unternehmen und privaten 
Haushalten, die Aushöhlung des Sozialhaushaltes, Reallohnverluste sowie die 
Vernachlässigung der Erneuerung von Infrastrukturen haben den Lebensstandard 
der Amerikaner trotz angeblichen Wirtschaftswunders mittlerweile deutlich 
sinken lassen. So stieg die Verschuldung der privaten Haushalte in den 90er 
Jahren von etwa 3,3 auf mehr als 6 Billionen US-Dollar. Die Unternehmen 
weiteten ihre Schulden von ebenfalls 6 Billionen US-$ auf etwa 13 Milliarden 
US-$ aus. Und auch die Schulden des Staates belaufen sich mittlerweile, wie 
bereits erwähnt, auf etwa 6 Billionen US-$. Zusammen also etwa 25 Billionen 
US-$ oder zum Mitschreiben: 25.000.000.000.000 US-$.

Zu dieser bereits beeindruckenden Zahl kommen noch einmal etwa 60 Billionen 
US-$ an kurzfristigen Verbindlichkeiten von US-Banken hinzu, die vorwiegend 
aus Finanzderivaten resultieren. Das elektronische Wirtschaftswunder offenbart 
sich deshalb zunehmend als Verschuldungswunder, dessen besondere Leistung 
darin besteht, dass die Schulden etwa drei Mal so schnell wachsen wie das 
Bruttosozialprodukt. Da die privaten Haushalte in den USA mehr ausgeben, als 
sie einnehmen, und die amerikanische Wirtschaft mehr Güter und Dienstleistungen 
einnimmt, als sie selbst produziert, war die starke Ausweitung des 
Handelsbilanzdefizits die logische Folge.

Gefangenendilemma

Das Problem mit Schulden ist, dass diese die Entwicklung blockieren, da ein 
immer größerer Betrag für den Schuldendienst aufgebracht werden muss. Während 
in den letzten 4 Jahrzehnten keine führende Industrienation eine Verschuldung 
des öffentlichen Sektors von mehr als 135 % des Bruttosozialproduktes hatte, 
kommen die USA heute diesem Wert mit 132 % gefährlich nahe. Auch Amerikas 
Verschuldungsproblem der privaten Haushalte ist wegen der mittlerweile 
negativen Sparquote der Amerikaner (sie geben mehr aus, als sie einnehmen) 
ein zunehmendes Problem. Zwar werden momentan in den USA Haushaltsüberschüsse 
erwirtschaftet, jedoch reichen diese aufgrund der hohen Tilgungslasten für die 
Schulden nicht aus, das Gesamtdefizit zu senken.

Die meisten Schulden wurden gemacht, um den Hightech-Boom in den USA zu 
finanzieren, d.h. der Produktivitätsboom ist vor allem kreditfinanziert und 
erinnert fatal an den berühmten Schweinezyklus, den Peter Senge in seinem Buch 
"Learning Organizations" beschrieben hat. Wer zu schnell wächst, muss dieses 
hohe Wachstum mit Jahren der Stagnation bezahlen. Eine ähnliche Erfahrung 
musste in den 90er Jahren Japan machen. Während es dort die 
Immobilienseifenblase war, die platzte, könnte in den USA eine 
Technologieseifenblase platzen und zwar dann, wenn viele der kreditfinanzierten 
Hightech-Firmen nicht in die schwarzen Zahlen kommen.

Gemäß einem Bericht des Economist erhöhten "Non-financial-Unternehmen" in den 
USA ihre Schulden um 900 Milliarden US-$. Die steigenden Aktienpreise und die 
Bezahlung von Mitarbeitern mit Aktienoptionen haben in den USA den Eindruck 
erweckt, dass die Haushalte reicher geworden seien, was den Konsum noch mehr 
angekurbelt hat. Die Zahlen sind jedoch ernüchternd. So ist die Verschuldung 
der Haushalte von 85 % des persönlichen Einkommens auf 103 % im letzten Jahr 
angestiegen. Hierin dürfte auch einer der Hauptgründe für den starken 
Kursverfall der Nasdaq-Börse im Jahr 2000 liegen.

Papiergewinne versus reale Verluste

Das eigentliche Problem beim Schuldenmachen auf steigende Vermögenswerte ist, 
dass die Schulden bleiben, die Buchgewinne jedoch bei sinkenden Aktienkursen 
dahinschmelzen. Da alles, was sehr stark in den Kursen steigt, sich auch wieder 
nach unten bewegen kann - der sogenannte Wellenaspekt von Angebot und Nachfrage 
-, gilt es, exponentiellen Bewegungen in der Verschuldung Einhalt zu gebieten. 
Da Schulden nur durch Einnahmen zurückgeführt werden können und Gewinne erst 
dann tatsächlich eingetreten sind, wenn die Papiere verkauft sind, muss 
spekulativen Auswüchsen frühzeitig begegnet werden, wenn der Staatshaushalt und 
die Haushalte der Privatpersonen nicht aus dem Ruder laufen sollen.

Wer in Zeiten einer boomenden Ökonomie keine Rücklagen bildet, braucht sich 
nicht zu wundern, wenn die Rechnung im Falle einer wirtschaftlichen 
Abschwächung höher als erwartet ausfällt. Die Venture-Capital-Szene in Amerika 
wäre zwar ohne den Rückgang der Sparquoten sicherlich nicht so reichlich mit 
Kapital versorgt worden. Es muss jedoch die Frage gestellt werden, ob dies 
angesichts der mittlerweile ausufernden Verschuldung nicht vielleicht besser 
gewesen wäre, da eine Konkurswelle bei Start-Up-Firmen die Liquiditätslage 
einer Vielzahl von Investoren auch in den USA dramatisch verschlechtern würde.

Kein Aufschwung dauert ewig

In Amerika hat die langanhaltende Phase wirtschaftlichen Aufschwungs und 
geringer Zinsen zu einer ausufernden Ausleihmentalität von Kapital geführt. 
Doch kein Boom dauert ewig. Phasen des wirtschaftlichen Aufschwunges werden 
stets von wirtschaftlichen Abschwüngen abgelöst, die oftmals völlig unerwartet 
einsetzen.

Konnte man in Zeiten hoher Inflation darauf hoffen, dass das geliehene Geld 
weniger wert sein wird und so in Zukunft leichter zurückbezahlt werden kann, 
so gilt dies nicht in Zeiten sehr geringer Inflation. Wer sich aktuell 
überschuldet, muss den Ausleihwert Pfennig für Pfennig mit Zins und Zinseszins 
zurückbezahlen. Die Frage, ob es langfristig ein sogenanntes Soft-Landing der 
US-Wirtschaft gibt, wird mit ziemlicher Sicherheit mit Nein zu beantworten 
sein. Dies heißt nicht, dass sich mittelfristig der Aufwärtstrend nach einer 
Wachstumsdelle nicht noch einige Jahre fortsetzen kann. Ohne Veränderung der 
Verschuldungssituation besteht dann jedoch die Gewissheit, dass ein Niedergang 
der US-Ökonomie die gesamte Weltwirtschaft in eine tiefgreifende Krise führen 
wird.

Es war kein Geringerer als Thomas Jefferson, der folgende Worte sagte: 
"I place economy among the first and most important virtues, and public debt 
as the greatest of dangers. To perserve our independence, we must not let our 
rulers load us with perpetual debt."

Verhinderung der Kettenreaktion

Einer der bedenklichsten Indikatoren der amerikanischen Volkswirtschaft ist 
die rückläufige persönliche Sparquote. Betrug diese Anfang der 80er Jahre noch 
10 bis 12 %, so fiel diese bis Anfang 2001 auf unter Null zurück.

Dies ist in zweierlei Hinsicht alarmierend. Einerseits wird durch das 
ausufernde Kaufverhalten der Amerikaner das Rückschlagspotential für die 
Finanzmärkte immer größer, andererseits dürften im Falle einer Rezession eine 
Vielzahl von Haushalten vor dem Konkurs stehen. Die Kombination von rapidem 
Wachstum der Schulden und steigenden Zinsen in den letzten Monaten hat die 
Schuldenbelastung der Haushalte auf eine Ebene angehoben, die seit Ende der 
80er Jahre nicht mehr gesehen wurde. Erkennbar wird die ausufernde 
Verschuldung auch am amerikanischen Aktienhandelsvolumen im Vergleich zum 
Bruttosozialprodukt. So wird mittlerweile für jeden erwirtschafteten Dollar 
etwas das Dreifache in Aktien investiert. Da man jedoch nur das ausgeben kann, 
was man einnimmt, stellt sich natürlich die Frage nach der Rückzahlung der 
Schulden.

Amerikas Wirtschaft wandelt auf einem gefährlichen Grat. Ein Absturz bedeutet 
die Gefahr einer Kettenreaktion, die die wirtschaftliche Krise noch weiter 
verstärken könnte.


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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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