[ox] Die amerikanische Verschuldungsmaschine
- From: UlrichLeicht t-online.de (Ulrich Leicht)
- Date: Wed, 24 Jan 2001 15:46:26 +0100
UlrichLeicht t-online.de
aus: http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/co/4718/1html
(dort auch links zur Untermauerung des Artikels und Diskussionsbeiträge zum
Text)
Die amerikanische Verschuldungsmaschine
Artur P. Schmidt 19.01.2001
Die meisten Schulden wurden gemacht, um den Hightech-Boom in den USA zu
finanzieren
Betrachtet man das amerikanische Wirtschaftswunder etwas näher, so sieht man
immer weniger ein Wunder und ist zunehmend verwundert über das Ausmaß der
Verschuldung, das sich dieses Land leistet. Fast hat es den Anschein, also ob
die vor allem auf Technologie basierende Net Economy sich auf einem Drogentrip
befände. Zumindest kamen einem die Bewertungen zahlreicher Technologiefirmen
im Frühjahr 2000 wie eine Halluzination vor, an der Timothy Leary seine helle
Freude gehabt hätte. Das als Aktienkapitalismus gefeierte System hat bei
näherem Hinsehen jedoch gravierende Mängel. Der Hauptmangel ist der immense
Schuldendienst, den die Amerikaner leisten müssen.
Am 18. August 2000 betrug der öffentliche Schuldenstand 5.670.329.490.959,40
US-$ oder, anders ausgedrückt, etwa 5,7 Billionen US-$. Bei einer
Bevölkerungszahl von etwa 276.200.220 Amerikanern entspricht dies einer
Verschuldung von etwa 20.450 US-$ pro Bürger. Die Schulden nehmen pro Tag um
weitere 45 Millionen US-$ zu und haben mittlerweile etwa 350 % des
Sozialproduktes der USA erreicht. Am 17.1. 2001 betrug der Schuldenstand
bereits 5,718,517,343,351.92 Dollar.
Man kann es drehen, wie man will: Nach den klassischen Buchhaltungsprinzipien
wäre Amerika pleite, wenn wir nicht wissen würden, dass ein Staat nicht pleite
gehen kann, da er ja jederzeit die Notenpresse ankurbeln oder im Falle aller
Fälle eine Währungsreform durchführen kann. Betrachtet man die Verschuldung pro
Fiskaljahr seit 1989, so sieht man, dass sich in den zurückliegenden 10 Jahren
die Verschuldung von 2,86 auf 5,66 Billionen US-$ zwar verdoppelt hat, was
jedoch nichts im Vergleich zur Verschuldungsexplosion während der Reagan- und
Bush-Ära ist, als sich die Schulden in etwa vervierfachten.
Die Kehrseite des amerikanischen Wirtschaftswunders
Für Ludwig Erhard war es unvorstellbar, dass ein Volk mehr an Werten verzehren
kann, als es geschaffen hat. Da der gemessene Produktivitätsanstieg in den USA
zwischen 1970 und 1995 deutlich niedriger ist, als während der gesamten Phase
der Nachkriegszeit bis zum Ende der 60er Jahre, muss man sich die Frage
stellen, warum in den USA von einem anhaltenden Produktivitätswunder
gesprochen wird.
Der US-Ökonom Robert Gordon von der Northwestern University entlarvte diese
Thesen als statistische Manipulationen, da sich außerhalb der Computerindustrie
keine Beschleunigung des Produktivitätswachstums feststellen ließ. Die
Euphorie speist sich im Wesentlichen aus dem Mythos der New Economy, bei der
mittlerweile ein riesiger spekulativer Bubble geplatzt ist, der im Kursverlauf
Ähnlichkeiten zum Platzen der japanischen Blase Ende der 80er Jahre aufweist.
Die Auftürmung eines gigantischen Schuldenberges bei Unternehmen und privaten
Haushalten, die Aushöhlung des Sozialhaushaltes, Reallohnverluste sowie die
Vernachlässigung der Erneuerung von Infrastrukturen haben den Lebensstandard
der Amerikaner trotz angeblichen Wirtschaftswunders mittlerweile deutlich
sinken lassen. So stieg die Verschuldung der privaten Haushalte in den 90er
Jahren von etwa 3,3 auf mehr als 6 Billionen US-Dollar. Die Unternehmen
weiteten ihre Schulden von ebenfalls 6 Billionen US-$ auf etwa 13 Milliarden
US-$ aus. Und auch die Schulden des Staates belaufen sich mittlerweile, wie
bereits erwähnt, auf etwa 6 Billionen US-$. Zusammen also etwa 25 Billionen
US-$ oder zum Mitschreiben: 25.000.000.000.000 US-$.
Zu dieser bereits beeindruckenden Zahl kommen noch einmal etwa 60 Billionen
US-$ an kurzfristigen Verbindlichkeiten von US-Banken hinzu, die vorwiegend
aus Finanzderivaten resultieren. Das elektronische Wirtschaftswunder offenbart
sich deshalb zunehmend als Verschuldungswunder, dessen besondere Leistung
darin besteht, dass die Schulden etwa drei Mal so schnell wachsen wie das
Bruttosozialprodukt. Da die privaten Haushalte in den USA mehr ausgeben, als
sie einnehmen, und die amerikanische Wirtschaft mehr Güter und Dienstleistungen
einnimmt, als sie selbst produziert, war die starke Ausweitung des
Handelsbilanzdefizits die logische Folge.
Gefangenendilemma
Das Problem mit Schulden ist, dass diese die Entwicklung blockieren, da ein
immer größerer Betrag für den Schuldendienst aufgebracht werden muss. Während
in den letzten 4 Jahrzehnten keine führende Industrienation eine Verschuldung
des öffentlichen Sektors von mehr als 135 % des Bruttosozialproduktes hatte,
kommen die USA heute diesem Wert mit 132 % gefährlich nahe. Auch Amerikas
Verschuldungsproblem der privaten Haushalte ist wegen der mittlerweile
negativen Sparquote der Amerikaner (sie geben mehr aus, als sie einnehmen)
ein zunehmendes Problem. Zwar werden momentan in den USA Haushaltsüberschüsse
erwirtschaftet, jedoch reichen diese aufgrund der hohen Tilgungslasten für die
Schulden nicht aus, das Gesamtdefizit zu senken.
Die meisten Schulden wurden gemacht, um den Hightech-Boom in den USA zu
finanzieren, d.h. der Produktivitätsboom ist vor allem kreditfinanziert und
erinnert fatal an den berühmten Schweinezyklus, den Peter Senge in seinem Buch
"Learning Organizations" beschrieben hat. Wer zu schnell wächst, muss dieses
hohe Wachstum mit Jahren der Stagnation bezahlen. Eine ähnliche Erfahrung
musste in den 90er Jahren Japan machen. Während es dort die
Immobilienseifenblase war, die platzte, könnte in den USA eine
Technologieseifenblase platzen und zwar dann, wenn viele der kreditfinanzierten
Hightech-Firmen nicht in die schwarzen Zahlen kommen.
Gemäß einem Bericht des Economist erhöhten "Non-financial-Unternehmen" in den
USA ihre Schulden um 900 Milliarden US-$. Die steigenden Aktienpreise und die
Bezahlung von Mitarbeitern mit Aktienoptionen haben in den USA den Eindruck
erweckt, dass die Haushalte reicher geworden seien, was den Konsum noch mehr
angekurbelt hat. Die Zahlen sind jedoch ernüchternd. So ist die Verschuldung
der Haushalte von 85 % des persönlichen Einkommens auf 103 % im letzten Jahr
angestiegen. Hierin dürfte auch einer der Hauptgründe für den starken
Kursverfall der Nasdaq-Börse im Jahr 2000 liegen.
Papiergewinne versus reale Verluste
Das eigentliche Problem beim Schuldenmachen auf steigende Vermögenswerte ist,
dass die Schulden bleiben, die Buchgewinne jedoch bei sinkenden Aktienkursen
dahinschmelzen. Da alles, was sehr stark in den Kursen steigt, sich auch wieder
nach unten bewegen kann - der sogenannte Wellenaspekt von Angebot und Nachfrage
-, gilt es, exponentiellen Bewegungen in der Verschuldung Einhalt zu gebieten.
Da Schulden nur durch Einnahmen zurückgeführt werden können und Gewinne erst
dann tatsächlich eingetreten sind, wenn die Papiere verkauft sind, muss
spekulativen Auswüchsen frühzeitig begegnet werden, wenn der Staatshaushalt und
die Haushalte der Privatpersonen nicht aus dem Ruder laufen sollen.
Wer in Zeiten einer boomenden Ökonomie keine Rücklagen bildet, braucht sich
nicht zu wundern, wenn die Rechnung im Falle einer wirtschaftlichen
Abschwächung höher als erwartet ausfällt. Die Venture-Capital-Szene in Amerika
wäre zwar ohne den Rückgang der Sparquoten sicherlich nicht so reichlich mit
Kapital versorgt worden. Es muss jedoch die Frage gestellt werden, ob dies
angesichts der mittlerweile ausufernden Verschuldung nicht vielleicht besser
gewesen wäre, da eine Konkurswelle bei Start-Up-Firmen die Liquiditätslage
einer Vielzahl von Investoren auch in den USA dramatisch verschlechtern würde.
Kein Aufschwung dauert ewig
In Amerika hat die langanhaltende Phase wirtschaftlichen Aufschwungs und
geringer Zinsen zu einer ausufernden Ausleihmentalität von Kapital geführt.
Doch kein Boom dauert ewig. Phasen des wirtschaftlichen Aufschwunges werden
stets von wirtschaftlichen Abschwüngen abgelöst, die oftmals völlig unerwartet
einsetzen.
Konnte man in Zeiten hoher Inflation darauf hoffen, dass das geliehene Geld
weniger wert sein wird und so in Zukunft leichter zurückbezahlt werden kann,
so gilt dies nicht in Zeiten sehr geringer Inflation. Wer sich aktuell
überschuldet, muss den Ausleihwert Pfennig für Pfennig mit Zins und Zinseszins
zurückbezahlen. Die Frage, ob es langfristig ein sogenanntes Soft-Landing der
US-Wirtschaft gibt, wird mit ziemlicher Sicherheit mit Nein zu beantworten
sein. Dies heißt nicht, dass sich mittelfristig der Aufwärtstrend nach einer
Wachstumsdelle nicht noch einige Jahre fortsetzen kann. Ohne Veränderung der
Verschuldungssituation besteht dann jedoch die Gewissheit, dass ein Niedergang
der US-Ökonomie die gesamte Weltwirtschaft in eine tiefgreifende Krise führen
wird.
Es war kein Geringerer als Thomas Jefferson, der folgende Worte sagte:
"I place economy among the first and most important virtues, and public debt
as the greatest of dangers. To perserve our independence, we must not let our
rulers load us with perpetual debt."
Verhinderung der Kettenreaktion
Einer der bedenklichsten Indikatoren der amerikanischen Volkswirtschaft ist
die rückläufige persönliche Sparquote. Betrug diese Anfang der 80er Jahre noch
10 bis 12 %, so fiel diese bis Anfang 2001 auf unter Null zurück.
Dies ist in zweierlei Hinsicht alarmierend. Einerseits wird durch das
ausufernde Kaufverhalten der Amerikaner das Rückschlagspotential für die
Finanzmärkte immer größer, andererseits dürften im Falle einer Rezession eine
Vielzahl von Haushalten vor dem Konkurs stehen. Die Kombination von rapidem
Wachstum der Schulden und steigenden Zinsen in den letzten Monaten hat die
Schuldenbelastung der Haushalte auf eine Ebene angehoben, die seit Ende der
80er Jahre nicht mehr gesehen wurde. Erkennbar wird die ausufernde
Verschuldung auch am amerikanischen Aktienhandelsvolumen im Vergleich zum
Bruttosozialprodukt. So wird mittlerweile für jeden erwirtschafteten Dollar
etwas das Dreifache in Aktien investiert. Da man jedoch nur das ausgeben kann,
was man einnimmt, stellt sich natürlich die Frage nach der Rückzahlung der
Schulden.
Amerikas Wirtschaft wandelt auf einem gefährlichen Grat. Ein Absturz bedeutet
die Gefahr einer Kettenreaktion, die die wirtschaftliche Krise noch weiter
verstärken könnte.
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de