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Re: [ox] Grundsicherung: Anstatt einer Zusammenfassung



liste oekonux.de schreibt:

Sicherlich kann man diesen Punkt auch auf Nicht-Software-Produktion
ausdehnen. Wenn ich Franz richtig verstanden habe ist das wohl vor
allem sein Projekt einer global-lokalen Grundsicherung.

Vor allem ist die Idee, Grundsicherung an ein konkretes
Reproduktionssystem rückzubinden und sich vom Geld
als Maßstab und Garant der Reproduktion zu entkoppeln.

Das heißt bei mir "Dorf", ist aber genausowenig mit einem
herkömmlichen Dorf ident wie mit einer Stadt oder einem
Wohnblock. Es geht um die Frage der Effizienz, dazu hab ich mal
was geschrieben: Sorry für die Länge, aber es läuft alles
auf die räumliche Frage zu....

(aus: Labor GIVE Forschungsprogramm 1998)
...

Die Effizienz von 
Netzwerken

Dem läßt sich nur entgegenhalten; es wird immer teurer, Schrott zu
produzieren und nicht abzusetzen. Die zunehmende Verwandlung von
Wirtschaft in Finanzspekulation und das verzweifelte Bemühen um
Firmenzusammenschlüsse von gigantischen Dimensionen verraten, daß die
bedingten Reflexe des Industriezeitalters auch der Industrie nicht mehr
guttun, sodaß ihr die Frage, in welchem Umfeld sie agiert, mitunter doch
mehr als dringlich zu Bewußtsein kommt. Die institutionellen Umbrüche zu
supranationalen Einheiten schaffen auch ein günstiges Klima für
Innovationen der anderen Art, und neben der Globalisierung gibt es auch
ein ganz neues Bewußtwerden des Wertes von Regionalisierung,
Akteurspakten, gemeinsamer Problembewältigung. Die Forderung der "Group of
Lisbon" nach einem "neuen Sozialvertrag" ist innerhalb der Europäischen
Union nicht ungehört geblieben und hat zu vielerlei regionalpolitischen
Arbeitsgemeinschaften geführt, die gerade auch mit wirtschaftlichen
Notwendigkeiten begründet werden.

Das ist auch ganz logisch und entspricht strenggenommen auch dem Gedanken
wirtschaftlicher Effizienz: denn wenn ein System beständig seine
Komplexität erhöhen muß, um den Anforderungen der Außenwelt zu genügen,
dann ergibt sich daraus eine Zunahme der Menge an Funktionen, Wegen und
Prozessen. Wenn in einer Zeit der Beschleunigung der Produktzyklen es
prinzipiell nicht mehr tolerabel ist, auf die Behebung eines technischen
Problems länger als eine halbe Stunde zu warten, ist es mehr als
notwendig, in einer "intelligenten" Umgebung zu agieren, die eine Vielzahl
von Funktionen bereitstellen kann, mit kurzen Wegen und wenig
Energieaufwand, die sich dann in Summe auch als ein Weniger an toten
Kosten summieren. Small is beautiful und Diversity is essential. 

Geht so der Zug der Zeit zumindest teilweise in eine Wiederentdeckung des
Werts der unmittelbaren Umwelt, so versucht das Labor GIVE das ganze
Spektrum der Umweltfaktoren sichtbar zu machen die im
betriebswirtschaftlichen Amoklauf einer ganzen Epoche verlorengegangen
sind, die sich aber gerade auf Grund der betriebswirtschaftlichen
Effizienzgewinne in einer völlig neuen und nachhaltigen Form restituieren
lassen - mit dem angenehmen Nebeneffekt, daß damit auch sehr radikale
Kostensenkungen und Effizienzsteigerungen im monetären Sinne verbunden
sind. 

Globales Dorf
im lokalen Sinn

Ausgangspunkt der Tätigkeit von GIVE ist dabei der revolutionäre Umstand,
daß sich die Hauptbeschäftigung industrieller Arbeitskraft immer mehr auf
den Umgang mit Symbolen und Information verlagert; Selbst in der
Industrieproduktion haben computergesteuerte Fertigungsmethoden
hauptsächlich dazu geführt, daß der Bedarf an Anpassungsarbeit immens
gestiegen ist, während die eigentliche Arbeit immer mehr von flexiblen
Automaten erledigt wird. 

Vieles von dieser Anpassungsarbeit setzt noch die unmittelbare Präsenz vor
Ort voraus, vieles kann aber zunehmend auf Distanz erledigt werden. Das
Potential der Telekommunikation, Arbeitsplätze ortsunabhängig zu
gestalten, und damit den Beitrag von Telearbeit, von Teledienstleistungen,
der Distance Education und so fort für die Entwicklung der "kritischen
Masse" lokaler Diversität sichtbar zu machen ist der Ausgangspunkt der
Arbeit von GIVE.

Dabei bezieht sich lokale Diversität nicht nur oder vielleicht gar nicht
primär auf die rein technologischen Funktionen; auf einen Telearbeiter
kommen in der "global integrierten Dorfumgebung" vielleicht vier rein
"lokale" Produzenten, die dennoch "ökonomisch" und technologisch von der
Präsenz und dem Funktionieren von Telearbeit abhängig sind.

Es geht also um eine ökologische Betrachtung, die nicht
technologiefeindlich ist sondern in höchstem Maße an bestimmten
Technologien -  vor allem an der Telekommunikation - interessiert ist und
diese  im Kontext ganzheitlicher Modelle lokaler Entwicklung sieht. Daß
dabei "ganzheitlich" auch im Sinne der größtmöglichen Außensynergien
verschiedener Räume und Regionen gemeint ist, versteht sich fast von
selbst. GIVE propagiert also nicht das "globale Dorf" als hermetisch
abgeschlossene Gettho- und Quarantänestation, wo die mit Chipkarten
bewaffneten wohlhabenden Bewohner sich in eine scheinbar noch heile Welt
der Dörflichkeit und Nachbarschaft flüchten können, sondern geradezu
umgekehrt eine Strategie der Einbeziehung und Vernetzung möglichst vieler
unterschiedlicher Siedlungs- und Arbeitsräume. Dafür steht paradigmatisch
die Vernetzung von Stadt und Land, von Zentrum und Peripherie, die
Benutzung jedes denkbaren Umstandes (einmal die Bevölkerungsdichte, einmal
der Reichtum an natürlichen Ressourcen) für die Aktivierung der
systemischen Potentiale des jeweiligen Lebensraumes im Verhältnis zu einer
globalen Gesellschaft.

Stadt-Pflanzen in 
globaler Noosphäre

Hauptachse der Tätigkeit ist also die Frage nach der Auswirkung der
Telematik auf den Raum, wobei Raum auch die sichtbarste und konkreteste
Ausdrucksform gesellschaftlicher Kategorien ist. Lebenschancen, Status,
Macht, soziale Integration: all das drückt sich in Räumen und ihrer
Ausgestaltung aus. Architektur und Raumplanung sind exekutive Gewalt
sozialer Kräfteverhältnisse und Werthaltungen. Räumliche Grenzen und ihre
Durchlässigkeit geben mehr Auskunft über das Funktionieren der
Gesellschaft als irgendein anderer Faktor. Vor allem aber ist der Raum das
Medium des stofflichen Metabolismus, der physikalischen, biologischen und
chemischen Prozesse, die unser Leben tragen. Der Raum ist präsent, er
braucht nicht hertransportiert werden, er ist sozusagen eine ewige
Gratisgabe.

Intelligenter Umgang mit Raum ist daher mehr gefordert als alles andere.
John Todd hat in seiner "Arche", einem Glashaus im New Alchemy Institute
auf Cape Codd in Massachusets, den Nachweis geführt, daß sich "lebende
Maschinen" bauen lassen, in denen hunderte von Naturprozessen so verbunden
sind wie in einem Industriebetrieb mit einem einzigen Unterschied: es
braucht keine Rohmaterialien und es gibt keinen Abfall. Die Energie der
Sonne (und der Anpassungsarbeit leistenden Menschen) kombiniert mit der
Vielgestaltigkeit der Materie reicht aus, eine Fülle von Prozessen am
Laufen zu halten, die wie von selbst Wärme, Nahrung, Baumaterial und alles
Lebensnotwendige in Hülle und Fülle hervorbringen.

Dieses "Paradigma der Pflanze" (Terence McKenna), die mit ihrem Raum und
ihrer Umwelt optimal korrespondiert, ist das Grundmodell für die
menschlichen Siedlungsformen, die aus der Erkenntnis der systemischen
Gesetzmäßigkeiten entstehen könnten; es ist leicht einzusehen, daß damit 
"Senkung der Lebenshaltungskosten" in höchstem Maße einhergeht, wenn frei
verfügbare lokale Ressourcen und Prozesse aus einer großen Fülle von
Möglichkeiten, den lokalen Gegebenheiten angepaßt, optimal kombiniert
werden können. Auch verfügen wir schon längst über Modelle der Eigenarbeit
und über Partnerschaften zwischen Industrie und dem Sektor der anpassenden
Eigenarbeit, wovon der Boom der Baumärkte ein sichtbares Zeugnis ablegt.
Daß diese Spielart von Eigenarbeit eher ein Notnagel von amateurhafter
Mangelbewältigung ist, weil der Schrott billig und die eigene Arbeit
gratis ist, tut der prinzipiellen Möglichkeit keinen Abbruch, daß lokale
Metabolismen mit Hilfe fortgeschrittener Technologien konstruiert und
verfeinert werden können, die mit Hilfe industrieller Produktion zustande
kommen. Die dramatische Verbesserung der Ressourceneffizienz, etwa durch
Biomasseeinsatz in dörflichen Kleinkraftwerken, ist ohne industrielle
Forschung und Entwicklung nicht zu haben. Ebenso bietet die "Noosphäre",
die Möglichkeit des Austausches von Information über die elektronischen
Medien, weit besser als alle bisherigen Methoden des Wissenstransfers die
Möglichkeit, die lokalen Besonderheiten und den Reichtum an globalen
Lösungsmöglichkeiten einander gegenüberzustellen, Lösungen simulativ zu
erproben und ständig neue Bausteine einzufügen. Schon jetzt sind Faktoren
für Entscheidungen im landwirtschaftlichen Anbau, die sich auf lokale
Besonderheiten stützen, mit Satellitenbildern und Computerauswertungen
besser zu treffen als rein aufgrund von lokaler Erfahrung oder Vermutungen
über die globale Marktlage. Dies könnte sich ebensogut auf die immanent-
ökologische Gestaltung von Stadt-Pflanzen beziehen, auf die Berechnung von
Stoffströmen, optimalen Standorten und optimalen Synergien. Wesentlich
ist, daß die Technik nicht um der Technik willen eingesetzt wird, sondern
weil wir erkennen, daß sie unseren Blick für komplexe Vorgänge,
Wechselwirkungen und zukünftige Entwicklungen zu schärfen vermag.


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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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