Message 01867 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT01826 Message: 7/9 L1 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] Wieder mal: Vergesellschaftung



Hallo nochmal,

im Unterschied zu voriger Mail, in der ich die Fragestellung von Ralf
unterstützt hatte, möchte ich auch die kritischen Positionen noch mal
beleuchten - ich weiß auch nicht, wie weit wir diese Debatte führen
wollen, aber da ich mal längere Pausen gemacht habe, will ich das doch
aus meiner Sicht etwas zusammenfassen.  

A.S.:
Ralf, wenn ich Dich richtig verstehe meinst Du, wenn die kapitalistische
 ökonomische Form der Vergesellschaftung wegfällt, brauchen wir erstmal
 immer noch den Staat, damit nicht alles durcheinandergeht...?
Ralf:
1. meine ich das, 2. wird die kapitalistische Vergesellschaftung m.E. nicht
so einfach "wegfallen", sondern eher über längeren historischen Prozess
zurückgedrängt werden, also in bestimmten Bereichen abgeschafft werden, in
anderen noch existieren., 3. auch außerhalb der kapitalistischen Ökonomie
vielleicht  Warenproduktion und -austausch noch sinnvoll sein.

Alles, was ich bisher über den Kapitalismus verstanden habe (schon vor
KRISIS) besagt, daß genau dieser langsame transformatorische Weg hier
nicht funktionieren kann. Der Kapitalismus ist von seinem Wesen her eine
eine "totalitäre" Gesellschaftsformation und wird es immer mehr. Darin
war Marx sich übrigens nicht widersprüchlich... 

Würd ich nicht so abstrakt entgegensetzen. Ausgangspunkt müssen aber, auch
für Nachdenken über mögliche Alternativen und Betrachten von dem Standpunkt
aus dann, die Realitäten sein, wenn es materialistisch bleiben und nicht in
idealistische Spekulation und irreale Utopie abgleiten soll. 

Was sind den "Realitäten"??? Gerade das für die Zukunft möglich Werdende
ist äußerst real!!! 
Daß wir unser Konzept durchaus auch materialistisch - aus der
Entwicklung der Produktivkräfte heraus - ableiten, wird Dir sicher nicht
entgangen sein. 

realen Prozess der gesellschaftlichen Veränderung gilt immer, dass er aus der
alten Gesellschaft irgendwie hervorgeht und es einen Übergang gibt und dass
nicht einfach irgendwann und irgendwie alles ganz anders ist. 

Aber "Übergänge" werden immer kürzer... Meist waren sie eh mit Umbrüchen
an Kriegsenden verbunden, da gings immer ganz gewaltig schnell. Geistige
Umorientierungen - entsprechend Paradigmenwechsel - gehen noch
schneller... 
Das wäre also kein Grund, sich jahrelange andere "demokratische
Zwischeninstitutionen und Rest-Warenproduktionsbereiche" vorzustellen. 

bestimmte Entwicklungen Keimformen sind, entscheidet sich nicht, indem einige
sie dazu ernennen, 

siehe Argumentationen zur Produktivkraftentwicklung... (tausendmal
gesagt, wahrscheinlich immer noch einmal zu wenig...)

 Bzgl. Marx Widersprüchlichkeit stimme ich zu, wobei
ich in Gesamttendenz einen Erkenntnisfortschritt im Lebensverlauf annehme.

Heißt aber auch, das Frühere bleibt positiv enthalten (Frühschriften),
weil er sich später konzentrierte und nicht auch alle Felder allein
beackern konnte. 

Jetzt kommen wir wohl zu einem Kern der Kontroverse. Es gibt in der real
existierenden bürgerlichen Gesellschaft nicht nur kapitalistische Produktion,
es gibt auch Arbeit im familiären bzw. Haushaltszusammenhang oder auch in
Alternativprojekten, die keine Warenproduktion ist, es gibt diverse
Institutionen und Gruppen, die unentgeltlich ihre Leistungen abgeben oder
Betriebe, die zumindest damit keinen Profit erwirtschaften, sondern
subvesntioniert werden (sog. Non-Profit-Sektor, 3. Sektor), es gibt den
öffentlichen Dienst und öffentliche Unternehmen, es gibt Leute, die Freie
Software in die Welt setzen, es gibt die Umverteilung großer Teile des
Volkseinkommens über den Staat und die Sozialversicherungen - das findet
alles nicht außerhalb, sondern in der bürgerlichen, kapitalistischen
Gesellschaft statt, und trotzdem ist das alles nicht kapitalistische
Organisation. Für den gesellschaftlichen Lebensprozess insgesamt spielen
darüber hinaus Formen der Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft eine enorme
Rolle, die man ebenfalls nicht so schlicht als nur dem Kapital unterworfen
begreifen kann.

Gerade sie werden es aber in der Gegenwart mehr und mehr. 
Nach 1990 konzentrierte ich mich - weil alle restkommunistischen
Rückstände auch einfach total unkreativ waren - auch auf diese von Dir
genannten "dritten Wege". Die Erfahrung damit - Bereich Alternative
Ökonomie, Nachhaltigkeitsengagement des Zivilen Sektors,
Arbeitsproblematik - bringt mich immer mehr dazu, hier erstens einen
realen inhaltlichen Niedergang (bei tlw. paralleler Verhärtung, d.h.
Bürokratisierung ihrer Institutionalisierung) zu konstatieren und 2.
auch immer mehr zu verstehen, wieso diese Nischen gerade jetzt mehr und
mehr vom Kapital instrumentalisiert (zur Verwaltung der auf seinem
Raubzug hinterlassenen regionalen Verelendung...) und - sobald sie ein
Stückchen Alternative behalten wollen - brutalst zerstört werden. 
Nein, diese Bereiche sollten sich zwar so lange halten wie sie können -
um einiges Elend abzufangen. Aber sie verstricken sich immer mehr in die
kapitalistische, d.h. ökonomische Logik, solange sie nicht aus dieser
Logik ausbrechen, was Stefan deutlicher als ich einfordert.

Für mich bedeutet Überwindung des Kapitalismus nicht, dass es
keinerlei Warenproduktion mehr geben darf, sondern dass kapitalistische
Produktion nicht mehr die Gesellschaft dominieren darf. 

Hier war Marx auch ganz eindeutig: Warenproduktion tendiert
notwendigerweise zur Dominanz, weil ihre Koordination (lt. Definition)
über "blinde Märkte" nur mit Profitorientierung erfolgt. Auch
"alternative" Ökonomie beweist dies nur allzuoft.  

Anders als Sklaverei und Leibeigenschaft
beruht bürgerliche Gesellschaft und Warenproduktion auf persönlicher Freiheit
und ist darum nicht wie die einfach abzuschaffen.

Aber aufzuheben!!! 1. kann ich mir keine "bürgerliche" Gesellschaft
außerhalb des Kapitalismus vorstellen. 
2. Es geht doch nicht drum, persönliche Freiheit im positiven Sinne
abzuschaffen: Die Isoliertheit der Warenproduzenten, die Vereinzeltheit
der Arbeitskraftvermarkter etc., die schaffe ich dagegen gern ab. 

Sicher gibt es viele Beispiele, wo das Fehlen eines funktionierenden Staates
unter gegebenen Verhältnissen zu Horrorszenarien gegenwärtig schon führt. Mit
funktionierendem Rechtsstaat ist der Horror um >95 % minimierbar 

Das bezweifle ich. Das kannst du nur aus der Sicht eines in diesem Sinne
Privilegierten behaupten. Mancher Sozialhilfeempfänger sieht das anders.
Die Verfügung über das eigene Leben wird durch die neue
"Sozial"gesetzgebung massiv eingeschränkt. Aber das wissen meist nur die
Betroffenen, alle anderen glauben das nicht. 
Werner B. schrieb einige Tage, bevor er den AA-Direktor von Verden
erschlug:
"Mein Leben ist der Mord durch Armut - dieser Mord wird von den
Herrschenden damit legitimiert, daß ich nicht arbeite."
Nichts rechtfertigt seine Tat. Aber daß ein Mensch so weit gebracht
wird, ist schlimm genug. 
Andere Opfer unserer - auch staatlicherseits gesicherten -
Privilegierung in
aller Welt sehen das noch ganz anders... 

und die Bedingungen sind dann angenehmer für
fast alle Beteiligten für Überwindung von Klassenherrschaft strategisch
besser.

Wieso??? Diesmal wird es ein Polizist mit "rot-grünem" Befehl sein, der
mich vom Castor wegschleppt - wieso ist das für mich besser?  Mal sehen,
vielleicht setzen sie doch keine Wasserwerfer und Gummiknüppel ein???
Dann kriegen sie aber den Castor nicht durch. Und dann können die AKWs
nicht weiterproduzieren. Das schadet doch der kapitalistischen
Wirtschaft.... Na, wir werden sehen. 

würde deshalb falsch fragen. Oder ich solle doch selber bessere Antworten
suchen, wenn mir die geäußerten nicht reichen. Ich meine dagegen: Fragen
können nicht falsch sein. Und wer behauptet, er habe eine Alternative, muss
sich schon die Fragen gefallen lassen und selber versuchen, darauf bessere
Antworten zu finden.

Okay. Allerdings geht das u.U. wirklich nicht, wenn die Voraussetzungen
völlig andere sind.
Ich denke schon, daß die Suche nach Antworten in völlig
unterschiedlicher Richtung erfolgt, wenn der Hintergrund der Frage ein
anderer ist... 

Ahoi Annette

*****************************************
*   Annette Schlemm                     *
*   URL: http://www.annette-schlemm.de  *
*****************************************



________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT01826 Message: 7/9 L1 [In index]
Message 01867 [Homepage] [Navigation]