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Wtr: [ox] Re: Reproduktion, Arbeit, Leistungsprinzip?



[1  <text/plain; ISO-8859-1 (quoted-printable)>]
Ich hoffe ist nicht doppelt, bei mir nicht angekommen, deshalb nochmal.

Ralf Krämer
Fresienstr. 26
44289 Dortmund
Tel. [PHONE NUMBER REMOVED]
Fax [PHONE NUMBER REMOVED]
[2  <message/rfc822>]

[2.1 Re: [ox] Re: Reproduktion, Arbeit, Leistungsprinzip?
	 <text/plain; ISO-8859-1 (quoted-printable)>]
Return-path: <RalfKrae aol.com>
From: RalfKrae aol.com
Full-name: Ralf Krae
Date: Mon, 12 Feb 2001 08:12:20 EST
Subject: Re: [ox] Re: Reproduktion, Arbeit, Leistungsprinzip?
To: liste oekonux.de
X-Mailer: AOL 5.0 for Windows sub 113

Hallo Stefan und alle.

1. Es gibt Tätigkeiten, die *können* aus irgendwelchen Gründen
    niemals, zumindest aber in absehbarer Zeit nicht so gestaltet
    werden, daß sie
 
    * entweder automatisiert sind oder
 
    * Leute das als Selbstentfaltung im erweiterten Sinne (also incl.
      Notwendigkeit) machen werden.
 
Das ist noch vereinfacht, denn neben dem Motivationsproblem geht es mir um 
das Koordinationsproblem: es muss in der notwendigen Quantität, Qualität, am 
richtigen Ort und zur richtigen Zeit gemacht werden. Und es darf in der 
Produktivität nicht übermäßig viel hinter bisheriges Niveau zurückfallen, 
d.h. unter anderem, dass die allermeisten Inanspruchnahmen der Leistungen 
anderer, unmittelbar oder mittelbar, zustandekommen müssen, ohne dass darüber 
lange diskutiert werden muss.

 
 2. Damit braucht Ralf ein Zwangssystem und da fällt ihm nichts
    besseres ein als Geld. Er zieht dieses "Anreizsystem"
    (Liberalen-Speak, den ich so nicht teile) direktem Zwang vor.
 
Ich hatte schon Einwand dagegen erhoben, so undifferenziert von "Zwang" zu 
sprechen. Zumindest wenn es zum durchaus akzeptablem Leben nicht nötig ist 
(z.B. Grundsicherung von 2000, das war die Prämisse an dieser Stelle 
gewesen), betrachte ich es nicht als Zwang, wenn jemandem angeboten wird, für 
bestimmte finanzielle Gegenleistung eine bestimmte Arbeit zu machen.

 3. Und weil ihm nichts besseres einfällt, muß er das Geldsystem
    natürlich auch gleich verteidigen und der strukturelle
    Zwangscharakter des Lohns wird ihm zum Lebenselixier der
    Gesellschaft - womit natürlich en passant eine Grundsicherung, die
    den Effekt der Lohnpeitsche aufhebt für ihn nicht mal denkbar ist.
 
Es geht wie oft gesagt nicht um denkbar, sondern darum, dass eine 
Grundsicherung immer darauf beruht, dass genug Leute arbeiten, um die Güter 
und Dienstleistungen zu produzieren, die den Gegenwert der Grundsicherung 
darstellen. Unabhängig von aller Moral und Durchsetzbarkeit kann eine 
Grundsicherung nur höchstens so hoch sein, dass diese Bedingungen nicht 
verletzt wird.

Darüber hinaus ist es aber in der Tat so, dass ich den Kapitalismus v.a. 
aufgrund seiner sozialen und ökologischen Folgen, der mit ihm untrennbar 
verbundenen sozialen Ungleichheits- und Herrschaftsverhältnisse etc. 
kritisiere. Geld und Warenaustausch als solche finde ich nicht sehr 
problematisch und sehe nicht, dass viele Leute darunter leiden (außer wenn 
sie kein bzw. nicht genug Geld haben, aber das ist andere Frage). Geld und 
Warenproduktion sind selbstverständlich ebenfalls notwendig mit Kapitalismus 
verbunden und die Vorstellung, man könne Geld und Warenproduktion haben, ohne 
dass sich daraus kapitalistische Produktion entwickele, halte auch ich für 
naiv. Aber ebenfalls naiv die Vorstellung, man könne das einfach abschaffen. 
Auch halte ich es für Quatsch, die konkreten Probleme schlicht darauf zu 
reduzieren, dass Wert und Geld daran schuld seien und sich konkretere Analyse 
damit zu sparen. Gesellschaftliche Kontrolle und Beschränkung 
kapitalistischer Ökonomie halte ich durchaus für möglich.

Unabhängig von der Geldfrage ist m.E. entwickelte Gesellschaft davon 
gekennzeichnet, dass weit entfaltete Arbeitsteilung herrscht und für einen 
Großteil der Produktivität ursächlich ist. D.h. die meisten ProduzentInnen 
arbeiten für eine Vielzahl ihr zumeist ganz unbekannter KonsumentInnen und 
ohne mit denen jemals Kontakt zu haben oder sich für die Zwecke zu 
interessieren, wofür die die Produkte weiter verwenden wollen. Ob mit oder 
ohne Geld: damit habe ich kein Problem, weil ich es für unumgänglich halte 
und für Quatsch, daran große Entfremdungs- und Systemkritik festzumachen. 
Meine Perspektive besteht darin (wie es auch Marx an etlichen stellen in 
Grundrissen und Kapital etc. schreibt), diesen Bereich der notwendigen Arbeit 
aufgrund der hohen und wachsenden Produktivität (die also auch ein Ziel ist) 
zeitlich möglichst kurz zu gestalten, also letztlich mit deutlich unter 20 
Stunden pro Woche, und so angenehm und wenig belastend wie möglich, und unter 
weitgehnder Reduzierung schädlicher Wirkungen auf die Natur. Und auch dass 
möglichst alle sich an dieser Arbeit beteiligen, ist eine Bedingung für ihre 
weitestgehende Verkürzung, auch wenn es einige hier ärgert. Allerdings sind 
viele Arbeiten als gesellschaftlich notwendige und sinnvolle hier 
anzuerkennen, die bisher nicht so behandelt werden, von Kindererziehung bis 
zu freie Softwareproduktion, und ich bin auch dafür, dass die Gesellschaft 
über das bisherige Maß hinaus Möglichkeiten bietet, sich am 
gesellschaftlichen Arbeitsprozess nicht zu beteiligen. Aber solche 
Grundsicherung hat eben immer Grenzen und bedeutet immer, dass andere dann 
mehr abeiten müssen, als es sonst nötig wäre.

Noch mal ein längeres Marx-Zitat aus dem Kapital I (also garantiert von Marx 
selbst und bewusst für Veröffentlichung geschrieben), MEW 23, S. 552:

"Die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsform erlaubt, den Arbeitstag 
auf die notwendige Arbeit zu beschränken. Jedoch würde die letztre, unter 
sonst gleichbleibenden Umständen, ihren Raum ausdehnen. Einerseits weil die 
Lebensbedingungen des Arbeiters reicher und seine Lebensansprüche größer. 
Andrerseits würde ein Teil der jetzigen Mehrarbeit zur notwendigen Arbeit 
zählen, nämlich die zur Erzielung eines gesellschaftlichen Reserve- und 
Akkumulationsfonds nötig Arbeit. 

Je mehr die Produktivkraft der Arbeit wächst, um so mehr kann der Arbeitstag 
verkürzt werden, und je mehr der Arbeitstag verkürzt wird, desto mehr kann 
die Intensität der Arbeit wachsen. Gesellschaftlich betrachtet, wächst die 
Produktivität der Arbeit auch mit ihrer Ökonomie. Diese schließt nicht nur 
die Ökonomisierung der Produktionsmittel ein, sondern die Vermeidung aller 
nutzlosen Arbeit. Während die kapitalistische Produktionsweise in jedem 
individuellen Geschäft Ökonomie erzwingt, erzeugt ihr anarchisches System der 
Konkurrenz die maßloseste Verschwendung der gesellschaftlichen 
Produktionsmittel und Arbeitskräfte, neben einer Unzahl jetzt 
unentbehrlicher, aber an und für sich überflüssiger Funktionen. 

Intensität und Produktivkraft der Arbeit gegeben, ist der zur materiellen 
Produktion notwendige Teil des gesellschaftlichen Arbeitstags um so kürzer, 
der für freie, geistige und gesellschaftliche Betätigung der Individuen 
eroberte Zeitteil also um so größer, je gleichmäßiger die Arbeit unter alle 
werkfähigen Glieder der Gesellschaft verteilt, je weniger eine 
Gesellschaftsschichte die Naturnotwendigkeit der Arbeit von sich selbst ab- 
und einer andren Schichte zuwälzen kann. Die absolute Grenze für die 
Verkürzung des Arbeitstags ist nach dieser Seite hin die Allgemeinheit der 
Arbeit. In der kapitalistischen Gesellschaft wird freie Zeit für eine Klasse 
produziert durch Verwandlung aller Lebenszeit der Massen in Arbeitszeit."

Beste Grüße

Ralf Krämer
Fresienstr. 26
44289 Dortmund
Tel. 0231-3953843
Fax 0231-3953844

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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