Re: [ox] Grundsicherung: Anstatt einer Zusammenfassung
- From: Hans-Gert Graebe <graebe informatik.uni-leipzig.de>
- Date: Fri, 16 Feb 2001 15:24:34 +0100 (MET)
Stefan Merten (09 Feb) als Replik auf Franz J Nahrada
> Es geht um die Frage der Effizienz, dazu hab ich mal
> was geschrieben: Sorry für die Länge, aber es läuft alles
> auf die räumliche Frage zu....
Das teile ich nicht. Gerade die räumliche Frage ist heute nahezu
irrelevant - die Reise des Joghurtbechers als Beispiel. Und wenn du
die Fernoperationen nimmst, die von Ärzten übers Internet mit Hilfe
von Operationsrobotern vorgenommen werden, dann frage ich mich sehr
ernsthaft, wie du die räumliche Frage im Sinne von "Wir müssen
zusammenrücken" auch nur irgendwo wachsen siehst.
Ich dachte, die Perversionen mit dem Joghurtbecher wollen wir gerade
abschaffen? Franz hatte seine Position an einem Beispiel ziemlich
genau erläutert und auch gezeigt, dass es ihm dabei primär um
_materielle_, nicht immaterielle Bedingungen geht, die lokal zu
organisieren sind. Dein virtuelles Ärzteteam nutzt ja nur etwas, wenn
_lokal_ die entsprechende Schnittstelle in Form von Operationsrobotern
installiert ist.
Ich mache es Franz nach und bringe auch mal (wieder) ein längeres
Zitat (aus "Zur Globalisierung der Ökonomie", geht da weiter, wo ich
letztlich aufgehört habe, mit
... dann muß versucht werden, jedes solche Konzept, so falsch und
schädlich es auch sein mag, zu realisieren. Die Virtualität
kollidiert mit der Realität; und gewinnt oft genug die Oberhand. Da
es in der Natur von Konzepten liegt, Teile der Wirklichkeit
auszublenden, sind dabei "Kollateralschäden" unvermeidbar, die in der
Kalkulation nicht erfaßt sind.)
Und nun weiter:
Hier kommt ein anderer Gegensatz von Globalem und Lokalem zum Tragen:
An keinen physischen Ort gebundene Virtualität kann diesen realen
Schäden ausweichen. Realität ist damit gegenüber Virtualität ein
weiteres Mal benachteiligt: Sie kann dies nicht, denn sie ist
gegenständlich und damit immer an konkrete Orte gebunden.
Die neuen Möglichkeiten der Computernetze haben die Mobilität von
Virtualität noch einmal deutlich gesteigert - aber dies ist kein
grundsätzlich neuer Effekt. Wissenschaft etwa als eines der sehr
wichtigen Elemente menschlicher Virtualität war schon immer ein
globales, weitgehend ortsunabhängiges gesellschaftliches
Ereignis. Deshalb ist auch der Begriff vom "globalen Dorf" sehr
irreführend.
Auch ich verwende den Begriff, denn er ist medial so omnipräsent, dass
es langsam Zeit wird, seine Inhalte 'durckzudeklinieren', wie die
Philosophen so schön zu sagen pflegen.
Es handelt sich weder um ein Dorf, in dem jeder über jeden alles
weiß, Wirkzusammenhänge also weitestgehend transparent sind, noch um
ein wirklich globales Konstrukt, sondern um einen gut abgrenzbaren
(gesellschaftlichen) Raum mit Zugangsbarrieren und -beschränkungen,
aber eben nicht um ein territorial lokalisierbaren, sondern um einen
"virtuellen Raum". In diesem Raum, den ich anderenorts ([Gräbe-97])
als Informationsraum bezeichnet habe, kursieren Wissen und allgemein
relevante Informationen, die dort eine ähnliche und doch vollkommen
andere Sozialisation erfahren als die Individualarbeit durch den
Austausch der Produkte am Markt. Sie sind der wesentliche Rohstoff,
aus dem produktionsrelevante Konzepte entstehen.
Globalisierung bezeichnet also im ökonomischen Bereich vor allem die
zunehmende Verlagerung der produktionsentscheidenden Aufwendungen der
transnational operierenden HiTech-Konzerne in diesen virtuellen
Bereich. Die geballte Macht dieser ökonomischen Strukturen wird
darauf konzentriert, die entsprechenden Reproduktionsbedingungen
dieses virtuellen Bereichs zu sichern. Virtualität dominiert damit
zunehmend Realität. Letztere wird allein noch dafür benötigt, um die
Verwertungskette zu schließen - ein für den virtuellen Bereich ebenso
notwendiges wie zweitrangiges Ereignis. Die Welt steht kopf - der
Schein bestimmt das Sein. Die Menschheit hat sich damit in kausale
Zusammenhänge hineinmanövriert, die einem Golem gleichen, der nach
eigenen realitätsfremden Gesetzen agiert und nur ein einziges Ziel
kennt: die Reproduktionskette zu schließen. Ein Golem, der sein Ziel
unbeeinflußbar von jeglicher Vernunft verfolgt, dem es vollkommen
egal ist, an welchem Ort und mit welchen Nebeneffekten er diese
Reproduktionskette schließen kann, solange dieser produktive Abschluß
ökonomischer Aktivität nur überhaupt noch gelingt. Die menschliche
Vernunft hat eine Maschinerie geschaffen, deren blindes Agieren sich
zunehmend gegen ihre eigene Lebensgrundlage wendet.
Steht im "Manifest gegen die Arbeit" natürlich viel schöner,
ausführlicher, logisch zwingender usw.
Orte der Realisierung produktiver Aktivität sind allerdings nicht ganz
beliebig auf dem Globus wählbar. Sie müssen mindestens die
Infrastruktur bieten, in der das zu verwirklichende Konzept
implementierbar wird.
Und hier setzt, so habe ich ihn verstanden, Franz den Hebel seiner
Argumente an.
Das Vorhalten einer solchen Infrastruktur ist der Kern der Debatte um
den "Standort Deutschland" und trifft so oder in ähnlicher Form auch
auf andere Standorte in einem angeblich globalen Standortwettbewerb
zu. Die zunehmend knappen Kassen, die diesen Wettbewerb prägen, sind
dabei Ausdruck desselben Dilemmas der verqueren
Verwertungsbedingungen für Konzepte wie oben beschrieben. Im Sinne
der Sozialisierung von Lasten sind zu dessen Auflösung an dieser
Stelle bereits politische Institutionen aufgerufen, die dem mit einer
immer unverschämteren Umverteilung Herr werden wollen.
Was hier auf der Liste mehrfach (und im "Manifest gegen die Arbeit"
ebenfalls) als vollkommen illusorisch bezeichnet wurde. Es gibt aber
einen Sachzwang dafür, der in Franz' Argumentation (wie ich sie
verstanden habe) eine sehr subtile Rolle spielt:
Den zunehmenden Problemen mit der Reproduktion dieser
Infrastrukturleistungen, die aus knappen Kassen resultieren, können
Regionen allerdings nicht ausweichen. Sie sind sehr real, weil
territorial lokalisiert. Regionen sind damit potentiell der
natürliche Widerpart der ungebremsten Herrschaft einer nur im
virtuellen Raum verankerten Logik.
Der einzig mögliche Ausweg aus der Sackgasse, in die sich die
menschliche Sozialisation hineinmanövriert hat, liegt damit klar auf
der Hand: Es muß die Kausalität zwischen Virtuellem und Realem wieder
vom Kopf auf die Füße gestellt werden, indem Virtualität wieder
vernünftig an Realität zurückgebunden wird. Dies ist ein zutiefst
politisches Problem der verschiedenen Regionen, an denen diese
Rückbindung erfolgt: Die Regionen müssen der Kapitallogik eigenes
Selbstbewußtsein entgegensetzen, um deren blindes Agieren
einzudämmen. Eine solche Politik erfordert allerdings das Gegenteil
heutiger Standortrhetorik. Über die immensen Widerstände, die
Virtualität einem solchen Ansatz entgegenzusetzen vermag, darf man
sich angesichts des Scheiterns von Lafontaine, aber auch im Lichte
des Kosovo-Krieges, keine Illusionen machen. Es gilt deshalb, an
verschiedene Formen der lokalen Realität gebundene (insbesondere
ökologische, soziale und kulturelle Belange widerspiegelnde)
Gegenmächte anzuknüpfen, diese zu formen und zu vernetzen. Kurz: Es
geht um die (schrittweise) Ablösung von aus dem virtuellen Raum
gespeister Machtpolitik durch regional orientierte Sachpolitik.
Und da sind wir schon wieder bei C. Spehr und der Dekonstruktion von
Herrschaft im heutigen (Fetisch)-Sinn.
Stefan schrieb dann noch
Und auf meine Bananen bestehe ich! Eine Gesellschaft ohne Bananen ist
es schließlich nicht wert dafür zu kämpfen!
Haben wir in der DDR auch mal gedacht ;-)
Hans-Gert
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