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Re: [ox] Freie Resourcen fuer Alle



Horibbeck aol.com schreibt am Fri, 16 Feb 2001 

   zu graebe informatik.uni-leipzig.de:

   << Das ganze Unternehmen Markt wird immer schizophrener.  Die
    Alternativen sind nur 1) ein Marktsegment total beherrschen
    (vielleicht als Oligopol) oder 2) Spehrsche Freie Kooperation,
    zunächst der Marktpartner des jeweiligen Segments, ernst zu
    nehmen.  Und das _mitten in dieser Gesellschaft_ !  >>

   Ich bringe hier willkürlich dieses Zitat, weil da wieder mal die
   "Spehrsche Freie Kooperation" als etwas ernst zu nehmendes dasteht.

   In den von Thomas veröffentlichten Web-Adressen findet man zu Spehr 
   Bemerkungen unter dem (Unter)-Titel: "Neues vom deutschen 
   Kathedersozialismus". ....

http://home.t-online.de/home/bertram.koehler/bemerkun.htm (empfehle
ich ebenfalls zur Lektüre) schreibt aber, nach aller berechtigten
Kritik, die übrigens voll auf der Linie von Ralf Krämers Argumentation
liegt, dass man mit "Selbstentfaltung" und "Freier Kooperation" die
feingliedrige Staffelung der gegenseitigen Abhängigkeiten, die sich
aus heutigen arbeitsteiligen Verhältnissen ergeben, nicht unbedingt
einfangen kann, am Schluss zu Spehrs Theorie
   
   ... Sie ist geeignet, Bewegungen eine theoretische Grundlage zu
   bieten, welche die bestehenden Herrschaftsstrukturen aufbrechen
   wollen. Das ist schon sehr viel, für eine sozialistische Vision
   aber zu wenig.

   5.Schlussbemerkungen

   Spehr stellt in seinem Aufsatz "Gleicher als Andere - Eine
   Grundlegung der Freien Kooperation" eine Theorie vor, welche in
   ihrem Kern individualistisch, in ihrer Verwirklichung anarchistisch
   ist. Dabei mag sie durchaus für den Einzelnen verlockend sein,
   verspricht sie ihm doch, auf evolutionärem und gewaltfreiem Weg
   sein soziales Umfeld seinen individuellen Wünschen anpassen zu
   können - das Individuum möge es nur wollen. Spehr abstrahiert von
   den materiellen Grundlagen des Daseins, löst das Problem der
   existenziellen Sicherung im Wolkenkuckucksheim schöngeistig-
   humanistischer Diskussionsrunden. Dabei soll aber ausdrücklich
   betont werden, dass Spehrs Arbeit eine Vielzahl von Anregungen
   gibt, altmarxistische Thesen neu zu überdenken und
   weiterzuentwickeln, insbesondere zur Rolle des Individuums und
   seiner Rechte im sozialen Umfeld, ein Feld, welches insbesondere
   vom Leninismus sträflich missachtet wurde.

   Nichtsdestotrotz bleibt die Preisverleihung der Rosa-Luxemburg-
   Stiftung in der gegenwärtigen historischen Situation verständlich.
   Sicherlich hätte ein Gelehrtenverein zu Beginn des neunzehnten
   Jahrhundert nach den Wirren in Folge der Großen Französischen
   Revolution für die Antwort auf die gestellte Frage nach den
   Bedingungen der Vereinbarkeit von sozialer Gleichheit und
   politischer Freiheit auch Goethes "Wahlverwandtschaften" den Vorzug
   vor Saint Simons Schriften gegeben (ohne dabei auch nur
   andeutungsweise Spehr und den Verfasser vorliegender bescheidener
   Zeilen mit diesen Geistesleuchten irgendwie vergleichen zu wollen)
   - ohne damit allerdings gesellschaftliche Veränderungen zu
   bewirken.

Es ist also auch nach M.R.Richters Meinung ein Anfang und noch vieles
weiter zu denken. Ob ein simples "Wert muss weg, Wert muss weg, ..."
da entscheidend weiter bringt, wage ich (noch immer) zu bezweifeln,
obwohl das "Manifest gegen die Arbeit" nach Kurz' "Kollaps der
Modernisierung" die stringenteste kapitalismuskritische Argumentation
ist, die ich in letzter Zeit überhaupt gelesen habe. Zur Untersetzung,
in welche Richtungen mE weiter zu denken ist, ein paar Argumente aus
meinem Leserbrief an Disput in Replik auf einen Beitrag "Linke Politik
und Eigentumsverständnis" von Ralf Christoffers ("Wirtschaftsexperte"
und in Brb. jünst neu gewählter Landesvorsitzender der PDS), siehe
http://www.pds-online.de/disput/0101/01.htm

  ... dann sollten sich solche nicht marktkonformen Bereiche nicht nur
  fernab jeglicher Ökonomie herausbilden, sondern auch mitten in der
  ökonomischen Sphäre selbst wachsen.  Mit dem Übergang zur
  Informations- oder Wissensgesellschaft sind wir in der Tat immer
  stärker Zeuge derartiger Prozesse. Schließlich tritt neben den
  Austausch von Produkten und Leistungen immer stärker auch der
  <em>Austausch von Wissen und Kenntnissen</em>, der nicht einem
  marktwirtschaftlichen Kalkül unterworfen werden kann und darf, wenn
  man nicht die Wissensschätze der Menschheit als immanent nur kollektiv
  nutzbares Gemeingut, als die "Wissensallmende" (Volker Grassmuck),
  grundsätzlich in Frage stellen will.

  Das gilt auch und gerade für Marktteilnehmer, wenn diese nicht altem
  ökonomischem <em>Produkt</em>denken, sondern dem
  <em>Prozess</em>denken der "new economy" folgen und sich dabei der
  Focus der Geschäftsprozesse von der <em>Produktion selbst</em> auf die
  <em>Vorbereitung der Produktion</em> verschiebt.  Eine klar
  strukturierte Geschäftsidee ist im Zeitalter flexibler
  Produktionssysteme die Voraussetzung für flexible Produktion 'just in
  time' und letztere ohne große Anstrengung möglich, wenn die
  Rahmenbedingungen stimmen.  Einmal angestossen heckt eine solche
  Maschinerie Produkte über Produkte und damit Geld.  Der Goldesel als
  Traum jedes Geldverwerters ist damit erfunden - wenn denn die
  Bedingungen statisch wären.

  Die in einem Marktsegment herrschenden (technologischen und
  geschäftlichen) Bedingungen sind allerdings das <em>gemeinsame</em>
  Gut der Teilnehmer dieses Marktsegments und dessen kooperative
  Bewirtschaftung wesentlich effizienter als ein klassischer
  "Austausch", wie er offensichtlich Christoffers als allmächtiges
  Regulationsinstrument derartiger Beziehungen vorschwebt.  Inzwischen
  reden selbst große Konzerne mindestens so häufig von "strategischen
  Allianzen" und Partnerschaften wie von Konkurrenz und Wettbewerb.

  Eine solche kollektive Bewirtschaftung von Bedingungen kann auf zwei
  verschiedenen Wegen erfolgen. Der erste ist eine Neuauflage "zentral
  verwalteten Eigentums": Ein großer Konzern dominiert das Marktsegment
  und alle tanzen nach dessen Pfeife. Dies erfordert eine hohe
  Konzentration von Definitionsmacht in einer Hand und damit deutliche
  Beschneidung der "tatsächlichen Mitwirkungs- und
  Entscheidungskompetenz der Beteiligten".  Ein marktökonomisch
  logischer Weg in dieselbe technologische Sackgasse, in der die
  Sozialismusversuche des 20. Jahrhunderts endeten, der gleichwohl mit
  Blick auf die sich häufenden Fusionen und Superfusionen ein von den
  "Dinosauriern der Marktwirtschaft" favorisierter Weg zu sein scheint.

  Der zweite Weg bedeutet, Kooperation Ernst zu nehmen und eine viel
  engere Verflechtung ökonomisch vollkommen eigenständiger Subjekte
  einzugehen als durch reinen Austausch je möglich ist.  Die dabei zu
  Tage tretenden "öffentlichen Interessen" sind jedoch keineswegs "ein
  auf die Zusammenfassung von Zielbestimmungen im gesellschaftlichen
  Handeln orientiertes System, das von einer <em>Mehrheit</em> der
  gesellschaftlich agierenden Subjekte akzeptiert wird."  Ein kooperativ
  organisiertes System ist auf <em>jedes</em> seiner Subjekte angewiesen
  (wie übrigens auch umgekehrt, jedes der Subjekte auf das System), so
  dass berechtigte Minderheitsinteressen ebenso ihren legitimen Platz
  finden müssen, ja gerade in diesem Punkt die eigentliche Crux
  öffentlichen Interesses liegt.

  Öffentliche Interessen als Mehrheitsinteressen zu denken
  (Christoffers: "Das Ringen um demokratische Mehrheiten heißt für linke
  Parteien also, das was sie - ausgehend von ihrem gesellschaftlichen
  Selbstverständnis - als öffentliches Interesse definiert (!? - HGG)
  haben, tatsächlich mehrheitsfähig zu machen") blendet den Aspekt
  berechtigter Minderheitsinteressen vollkommen aus und perpetuiert
  damit ein weiteres der großen Defizite der Sozialismusversuche des
  20. Jahrhunderts, das schon Klaus Holzkamp ("Individuum und
  Organisation", 1980, http://www.kritische-psychologie.de/kh1980a.htm)
  grundlegend kritisiert hat. Dessen Ausführungen zu Allgemein- und
  Partikularinteressen ist wenig hinzu zu fügen. Vielleicht nur die
  Bemerkung, dass eine zukünftig in wesentlichen Teilen kooperativ
  organisierte Ökonomie <em>nur</em> aus (je anders kompetenten)
  Minderheiten bestehen wird.

Spehr kann man auf viele Arten lesen. Seinen Ansatz zur Dekonstruktion
von Herrschaftsverhältnissen (und da habe ich ihn so verstanden, dass
"Freie Kooperation" dazu ein Mittel, aber nicht der Zweck ist) sehe
ich vor allem im Licht dieser Minderheitsinteressen.  Wenn wir nicht
lernen, sorgsam mit dem (vor allem intellektuellen) Potential anderer
umzugehen, können wir uns gleich aufgeben. Die (negative)
Marktfixierung der Krisis-Leute ist da genauso hinderlich wie die
(positive) Marktfixierung der PDS-Wirtschaftsleute. "Kommunikation
statt Markt" schreibt Wolf Göhring sehr treffend, d.h. nicht nur über
das Medium Geldbörse miteinander reden.

-- 
Mit freundlichen Gruessen, Hans-Gert Graebe

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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