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[ox] "Ende des Mangels" von John Gilmore



Hi!

Irgendwer hatte mal

	http://www.heise.de/ct/copyright/

hier rumgeschickt - wenn ich mich recht erinnere. Der Artikel ist sehr
interessant und der Schluß ab "Ende des Mangels" so sehr, daß ich ihn
hier reproduziere.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

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Das Ende des Mangels

Es ist falsch, dass wir zwar Technologien erfunden haben, mit denen
wir Mangel abschaffen können, dass wir sie aber freiwillig zugunsten
der Leute in den Wind schießen, die vom Mangel profitieren.

Wir haben jetzt die Möglichkeit, beliebige Informationen, die kompakt
auf digitalen Medien untergebracht werden können, zu duplizieren. Wir
können sie weltweit vervielfältigen und Milliarden von Menschen zur
Verfügung stellen - zu sehr niedrigem Preis und für alle
erschwinglich. Wir arbeiten hart an Technologien, mit denen wir andere
Ressourcen, zum Beispiel auch beliebige materielle Objekte auf so
einfache Weise duplizieren können [6].

Der Fortschritt in der Wissenschaft, Technologie und freien
Marktwirtschaft hat in vielen Bereichen ein Ende des Mangels bewirkt.
Vor hundert Jahren benutzten noch 99 Prozent der Amerikaner das
Plumpsklo im Hof, und eines von zehn Kindern starb im Kleinkindalter.
Jetzt haben selbst die ärmsten Amerikaner Autos, Fernseher, Telefon,
Heizung, sauberes Wasser, Kanalisation - Dinge, die sich um 1900 nicht
einmal der reichste Millionär kaufen konnte. Neue Technologie
verspricht in naher Zukunft ein Ende des materiellen Mangels.

Wir sollten uns freuen, damit gemeinsam einen Himmel auf Erden zu
schaffen! Stattdessen schleichen griesgrämige Geister umher, die ihr
Geld mit der Aufrechterhaltung des Mangels verdienen, und überzeugen
ihre Mitverschwörer, dass unsere billige Duplizierungstechnologie an
die Kette muss, damit niemand Kopien machen kann - zumindest nicht von
den Gütern, die sie uns verkaufen möchten.

Das ist die schlimmste Art von Wirtschaftsprotektionismus - die eigene
Gesellschaft an den Bettelstab bringen, und zwar zum Schutz einer
ineffizienten, lokalen Industrie. Die Platten- und Filmgesellschaften
versuchen zwar tunlichst, uns dies zu verheimlichen, aber dies sind
die Fakten.

Wenn wir 2030 einen Materie-Replikator erfunden hätten, der so billig
arbeitet wie das CD-Kopieren heutzutage - würden wir ihn verbieten und
in den Untergrund verbannen? Damit die Bauern weiterhin davon leben
können, teure Lebensmittel zu verkaufen, damit die Schreiner ihren
Lebensunterhalt damit verdienen können, den Leuten Betten und Stühle
vorzuenthalten, die nur ein paar Mark kosten, damit Bauunternehmer
nicht arm werden, weil man ein Haus mit allem Komfort für ein paar
hundert Mark duplizieren kann?

Freilich, Entwicklungen dieser Art würden bestimmt wirtschaftlichen
Aufruhr erzeugen. Aber sollen wir sie in den Untergrund verbannen und
die Welt arm halten, nur damit diese Leute nicht ihren Job verlieren?
Und würden sie wirklich im Untergrund bleiben, oder würden die
natürlichen Vorteile der Technologie dafür sorgen, dass der
`Untergrund' ganz schnell den Rest der Gesellschaft überholt?

Ich denke, wir sollten dieses Zeitalter des Überflusses willkommen
heißen und daran arbeiten, dass alle gut darin leben können. Ich
denke, wir sollten verstehen lernen, wie man seinen Lebensunterhalt
mit kreativen neuen Dingen und Dienstleistungen verdienen kann,
anstatt damit, die Vervielfältigung bestehender Dinge zu verhindern.

Damit beschäftige ich mich persönlich seit zehn Jahren, in denen ich
eine erfolgreiche Supportfirma für freie Software auf die Beine
gestellt habe. Dieses Unternehmen, Cygnus Solutions, investiert
jährlich über 10 Millionen Dollar in die Entwicklung neuer Software,
die kostenlos verfügbar ist und von jedermann modifiziert oder kopiert
werden kann. Finanziert wird das ganze mit über 25 Millionen Dollar
von Kunden, die von der Existenz, Zuverlässigkeit und weiten
Verbreitung der Software profitieren. Das Unternehmen gehört
inzwischen zu Red Hat - wo der Profit wiederum dadurch entsteht, dass
Kunden mächtige Arbeitsmittel ohne Kopierbeschränkungen an die Hand
bekommen.

Es ist kein Zufall, dass bei den Leuten aus den Open-Source-,
Free-Software- und Linux-Communities angesichts des Themas
Kopierschutz mit als erstes die Alarmglocken läuten. Sie beschäftigen
sich damit - als Beruf oder Hobby -, Mangel aus der Welt zu schaffen
und die Freiheit in den Märkten für Betriebssysteme und
Anwendungssoftware zu fördern. Sie sehen die daraus resultierenden
Fortschritte in der Welt - und die hässlichen Reaktionen der mono- und
oligopolistischen Kräfte, denen durch diese Entwicklung der Wind aus
den Segeln genommen wird.

Die Aufgabe

Die Umstellung auf eine Welt, die ohne Mangel funktioniert, ist eine
riesengroße Aufgabe. Eine umfangreiche wirtschaftliche
Umstrukturierung dieser Art würde Jahrzehnte brauchen, bis sie die
gesamte Weltwirtschaft durchdrungen hat, und es würden Milliarden von
neuen Siegern und neuen Verlierern entstehen. Wir können uns schon
extrem glücklich schätzen, wenn wir bis 2030 den Mangel auf der Welt
ohne massiven sozialen Aufstand mit Ausschreitungen, Bürgerunruhen und
Weltkrieg beenden können.

Ein friedlicher Pfad in ein Zeitalter des Überflusses sollte hier und
jetzt beginnen, mit der Umstrukturierung der Wirtschaftszweige, in
denen wir den Mangel bereits besiegt haben: Text, Audio, und Video.
Unternehmen, die nicht anpassungsfähig sind, sollten von der
Bildfläche verschwinden und durch anpassungsfähige ersetzt werden.

Der Lern- und Anpassungsprozess dieser Wirtschaftszweige auf dem Weg
zum Erfolg ohne künstlichen Mangel kann als Modell und
Erfahrungsschatz für andere Industrien dienen, wenn bei ihnen in zehn
bis fünfzehn Jahren unwirtschaftliche Produktionsmethoden durch
effiziente Vervielfältigungsmethoden ersetzt werden müssen. Sich jetzt
auf den Kopierschutz zu verlassen wäre ein Schritt in die falsche
Richtung!

Kopierschutz gaukelt uns vor, dass Gesetze und ein bisschen
Fleißarbeit in Industriekartellen unsere gegenwärtigen
Wirtschaftsstrukturen aufrecht erhalten können - im Angesicht eines
Wirbelsturms von positiven technologischen Veränderungen, der diese
Strukturen erfasst und herumwirbelt wie Blätter im Herbst.

Mag sein, dass diese Besprechung länger war als erwartet, Ron. Aber
wie Sie sehen, glaube ich, dass eine Menge falsch daran ist, wie
Kopierschutztechnologien einer ahnungslosen Öffentlichkeit
untergejubelt werden.

Um selbst für einen Moment lang des Teufels Advokat zu sein: Warum
sollten wir es Unternehmen mit Eigeninteresse erlauben, das
Gleichgewicht der freiheitlichen Grundrechte aus dem Lot zu bringen
und dabei die Rede- und Ausdrucksfreiheit, die freien Märkte, den
wissenschaftlichen Fortschritt, die Verbraucherrechte, die
Gesellschaftsstabilität und das Ende des materiellen und
informationstechnischen Mangels aufs Spiel setzen? Weil jemand ein
Lied klauen könnte? Das erscheint mir doch als ziemlich fadenscheinige
Ausrede.


________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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