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Re: [ox] Fwd: Widerspruch!






- ------- Forwarded Message

Date:  Tue, 01 May 2001 00:10:10 [PHONE NUMBER REMOVED]
From:  Bojan Antonovic <bantonov iiic.ethz.ch>
Subject:  Widerspruch! (sollte in die Liste kommen)
To:  smerten oekonux.de
Message-Id:  <3AEDE2C2.C26958D iiic.ethz.ch>

Ich bin ganz Deiner Meinung, dass die Offenlegung von Informationen
(Software, Konstruktiondspläne, usw.) sehr stark zur Verbesserung ihrer
Qualität beiträgt. Open Source könnte z.B. die Sicherheit von was auch
immer erheblich erhöhen.

Sicherheitswiderspruch 1:
Bei der Nanotechnologie überlegt man sich, ob man einige Informationen
zurückhalten sollte, da nicht auszuschliessen ist, da diese missbraucht
werden können.

Dies betrifft auch zahlreiche andere Bereiche: Rüstung, Biotech, 
Finanzwirtschaft,...

Sicherheitswiderspruch 2:
Eine hochqualitative Software hilft auch den Missbrauchsentwicklern, ihr
Ziel schneller zu entwickeln.

Sicherheitswiderspruch 3:
Bei den sogenannten ?sicherheitsrelevanten? Informationen kann und darf 
nicht jder über dieses Wissen verfügen. Beim Vortrag von Andy 
Müller-Maguhn wurde das hervorragend geignete Beispiel von Cryptome 
gebracht. Auf diesem Server liegen zahlreiche Dokumente, die in vielen 
Staaten dieser Erde verboten sind, u.a. mehrere komplette Namenslisten 
verschiedener Geheimdienste. Unabhängig, ob in Jedermanns Augen diese 
Geheimdienste moralisch legitimiert sind nicht oder nicht, hat dies IMHO 
nichts mit vollendeter Freiheit zu tun, denn hier werden zugunsten der 
angeblichen Informationsfreiheit die freiheitlichen Rechte Anderer, 
nämlich der auf der Liste befindlichen Personen deutlich eingeschränkt. 
Da von keinem (!!!!!!) diesbezüglich ein Kommentar kam in der Diskussion 
und damit auch nicht auf die negativen folgen dieser ?Freiheit? 
hingewiesen wurde, nehme ich an, dass den Teilnehmern dies entweder nicht 
bewusst war und wenn doch, diese das zumindest billigend in Kauf nehmen. 
Damit hebt man den Rechtsstaat (Ja, ich weiss, in Wirklichkeit ist es ja 
ein ?Unrechtsstaat?) aus den Angeln, wessen Ziel das ist, kann leider mit 
mir als loyalen Staatsbürger einerseits und Staatsdiener andererseits 
nicht mit sonderlich viel Verständnis rechnen.

Allgemeiner Widerspruch 1:
Stichwort ?bounded rationality?. Alles Wissen jedermann frei zugänglich 
zu machen ist eine gute Idee, weil alle Menschen sicherlich auch in der 
Lage sein werden, die ihnen nun eröffnete Informationsflut zu bewältigen. 
Ich denke mal, dass in der heutigen Zeit und in der hier vorherrschenden 
Komplexität dann wohl jedermann eine S/390 bräuchte, um auch nur 
annähernd feststellen zu können, welche der zahlreichen Informationen für 
ihn relevant sind oder nicht.

Allgemeiner Widerspruch 2:
Stichwort Materielle Ressourcen: Wie bereits auf der Konferenz gesagt, 
endet eine Open Source Entwicklung genau da, wo der materielle Bereich 
anfängt. Ich weiss nicht, warum ich Ansätze wie ?dann hat jeder eine 
CNC-Frässmaschine an seinem PC am Parallelport hängen und baut sich sein 
Auto selber? mehr als nur belächeln sollte. Nicht nur, dass eine 
Privatperson selten über die notwendigen Ressourcen verfügt, sondern auch 
Stichworte wie ?Stückkostendegression? und ?economx of scales? sollten 
hier mal überdacht werden. Sich selbst ein einzelnes Auto herzustellen 
ist zwar prinzipiell möglich, sollte allerdings in etwa doopelt so hohe 
Kosten verursachen wie der Kauf eines Solchen beim Hersteller.

Allgemeiner Widerspruch 3:
Es gibt eine These, dass Wissen, wenn es digitalisiert wird, kein Wissen 
mehr ist, sondern nur noch Information. Hierzu würde ich gerne mal die 
Meinung der Wissensexperten hören.

Wirtschaftswiderspruch:
Im Kommunismus hies es: "arbeite soviel Du kannst, nimm soviel Du
brauchst". Wenn jetzt Aufgrund einer utopihaften Weiterwentwicklung von
Verfahren zur Herstellung von materiellen Gütern die Menschheit in Star
Trek-ähnliche Zustände kommt, bei denen jeder seine täglichen
Bedürfnisse frei und kostenlos replizieren kann, wer sollte dann noch
die Motivation haben, etwas zur Allgemeinheit beizutragen? 

Stichwort: ?Anreizsysteme?. Ich hatte schon mit einigen sarüber 
diskutiert, warum ein Manager mehr Geld bekommt als ein 
Fliessbandarbeiter, warum Wettbewerb inovationsfördernd ist und warum 
Konkurrenz letztendlich auch dem Kunden zugute kommt. Ein Ausbleiben des 
Anreizsystemes habe ich in meiner Kindheit ja erlebt, das überlegene 
technologische Know-how war überwältigend... Gerade in der Ex-DDR konnte 
man ja das fehlen ein lohnbezogenen Anreizsystemes wunderbar 
nachvollziehen. Es war den Leuten letzendlich egal, was und wie sie es 
taten, solange es den Plan erfüllte. Kennt jemand die Geschichte mit den 
Suppentüten, wo um den Plan sogar noch über zu erfüllen ganz einfach die 
darin enthaltene Packmenge reduziert wurde, und dadurch ein quantitativ 
höherer Output erzeugt werden konnte ? Dies ist sicherlich auch eine Art 
Innovation, allerdings leider in die falsche Richtung.

Es war eine
interessante Feststellung, dass auf dem kleinen Landstück, welches die
Bauern in einer Kolchose bearbeitet haben, mindestens genau so viel
wuchs wie auf dem restlichen zu betreuenden Grundstück zusammen! Es war
(auch) die Tatsache, dass direkt für sein Eigenwohl zu produzieren am
"profitabelsten" und motivierensten ist, 

Siehe dazu die Mail von Benni Baermann: Zitat:

?Tja, also mir z.B. geht das am Arsch vorbei einfach weil ich keinen
Zugriff auf einen solchen Rechner habe. Sollte ich ihn haben, wäre
das sicherlich ein interessantes Projekt. So einfach läuft das und
es funktioniert ja auch.?

Soviel zum Thema Gemeinwohl und allgemeines Interesse. Genau darin liegt 
die Ursache, dass es nicht funktioniert. Denn auch in einer vom 
Kapitalismus losgelösten Gesellschaft braucht es dann so was wie die 
S/390, aber wenn sich keiner davon in irgendeiner Form tangiert fühlt, 
wird das sicherlich den technologischen Fortschritt auf diesem Sektor 
erheblich vorantreiben.

welche den Sieg des
Kapitalismus über den Kommunismus herbeigebracht hat (Misswirtschaft,
Vetternwirtschaft und Ineffizienz sowie andere Gründe trugen nicht
weniger dazu bei).

Ob es ein ?Sieg? war oder nicht, lasse ich hier mal dahin gestellt. Denn 
auch der Sozialismus hat gewisse Vorteile, besonders was die 
soziologische Sichtweise betrifft. Nur liess sich das im Gesamtkonzept 
nicht richtig umsetzen. Wenn Du es schon  als ?Sieg? deklarierst, dann 
war es zumindest ein ?Sieg mit erheblichen Verlusten?. Aus ökonomischer 
Sicht hast Du sicherlich Recht, die Gründe sind ja zum teil hier 
angeführt.

Ich glaube nicht, das GNU, GPL und dergleichen den Kapitalismus
beseitigen werden. Sie werden vielmehr einen Teilbereich davon
übernehmen und erheblich verbessern. Die neue Wirtschaft wird dann auf
dieser Tatsache aufbauen, ebenso wie die ganze Weltordnung überhaupt.

Da stimme ich Dir zu, möchte allerdings noch hinzufügen, dass dies nur in 
den Teilbereichen funktioniert, in den eine solche Entwicklung überhaupt 
möglich ist, also in allen ?entmaterialisierten? Bereichen. Wenn man dies 
ausdehnt auf die Produktion und die kapitalistischen 
Wertschöpfungsketten, sind wir wieder oben an dem Punkt mit den 
Anreizsystemen.

Der Buchdruck und die Industrialisierung haben die Welt erheblich
verändert. Sie haben neue Produkte und Produktionsmöglichkeiten
geschaffen, alte Wert- und Weltvorstellungen zu Grabe getragen und
keinesfalls dazu beigetragen, den Kapitalismus oder jegliches aus der
Welt zu schaffen. Die zu entstehende Welt wird v.a. anders sein. In
einigen Bereichen für die Menschheit besser. Eintretten kann auch das
komplette Gegenteil: Sie könnte zum Ende der Menscheit beitragen, indem
die Wissenschaft durch einige Quantensprünge nach vorn eine
Nachfolgespezies (z.B. eine kybernetische) erschafft, welche die
Menschen überflüssig macht. Natürlich werden diese Menschennachfolger
diese Welt als die beste bisher entstandenen sehen, sowie wir es heute
mit der unseren tun.

Soweit will ich mal lieber nicht denken :-)

Dies dürfte wieder mal für Diskussionsstoff sorgen :-)

Mit freundlichen Grüßen


Dirk Herrmann

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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