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[ox] post-conference mail



morgen allerseits!

nachdem ich am letzten tag bei der offenen runde leider nicht mehr anwesend sein konnte, auf diesem weg ein bisschen feedback und einige weiterfuehrenden gedanken/fragen, die ich noch loswerden moechte (fuer verweise auf faqs, literatur oder websites bin ich sehr dankbar).

zunaechst einmal war es fuer mich ein absolutes schluesselerlebnis, auf einer definitiv politischen veranstaltung zu sein (ich hatte im voraus eher eine starke linux/techlastigkeit befuerchtet), bei der es aber nicht um die verteidigung irgendwelcher grundsatzpositionen und das sich-eingraben in der eigenen ideologie, sondern das (de-)konstruktive arbeiten an visionen und neuen positionen ging. schlechte erfahrungen diesbezueglich hatten mir das linkssein (im "institutionellen" kontext) naemlich schon ziemlich verleidet. also grossen respekt an alle teilnehmerInnen, vortragenden (und natuerlich die organisatorInnen) und ihrem unter-beweis-stellen der moeglichkeit der (ideologischen) selbstentfaltung ohne gewalt.

was mich ein bisschen gestoert hat war der straffe zeitplan, immer wieder mussten rednerlisten geschlossen und diskussionen ohne ruecksicht auf den verlauf abgebrochen werden, weil die naechsten dranwaren. das naechste mal vielleicht mehr pausen einplanen, die auch als pufferzonen dienen um gespraeche und diskussionen zu ende fuehren zu koennen. ausserdem gabs natuerlich das problem, dass eigentlich immer drei interessante dinge parallel liefen, aber das laesst sich wohl nicht loesen wenn man nicht eine woche zeit zur verfuegung hat...

auf die konferenz bin ich mit zwei fragen gefahren, die zwar beide nicht "beantwortet" wurden, aber es war zumindest irrsinnig schoen, leute zu treffen, die sich die selben fragen stellen und an den antworten arbeiten wollen.

1: Wie kann ich als informationsproduzentIn (in meinem fall programmierer) freie information (in meinem fall software) herstellen und trotzdem davon leben?

die einzige antwort, die mir angeboten wurde, war "na da musst halt lohnarbeit machen". das mag schon sein, dass das in meinem fall ganz gut geht, ich lass das aber als konzept fuer eine frei gesellschaft oder auch nur den uebergang zu einer solchen nicht gelten. diese moeglichkeit ergibt sich nur aus meiner privilegierten lage als informatiker, sprich aus der knappheit von informatikerInnen, sprich aus dem bewertungssystem des kapitalismus. schon ein umlegen auf andere informationsproduzierende breiche scheitert, geschweige denn bereiche wo materiell etwas hergestellt/gefoerdert wird.

ein freund von mir ist musiker, und prinzipiell steht er all den ideen von freier software und freier information sehr aufgeschlossen gegenueber, aber diese frage konnte ich ihm nicht beantworten. er hat halt nicht die moeglichkeit, fuer 100-200 mark die stunde "lohnarbeit" zu verrichten, und wenn er seine musik (sie haben grad einen grossen plattendeal in aussicht, also durchaus im professionellen bereich) ins netzt stellt hoert sie zwar vielleicht alle welt, aber "die broetchen" kommen davon noch nicht auf den tisch.

in einer "informationsgesellschaft" ist der/die informationsproduzentIn (der/die "kulturschaffende") der neue arbeiter (nicht dass sich dadurch die lage des "alten" arbeiters irgendwie verbessert haette!): er/sie hat das, was viel wert ist, naemlich den content. der kapitalismus beschraenkt sich ja darauf, diesen moeglichst gut auszubeuten, und die informations-ausbeutungsstrukturen (= medien?) sind schon sehr ausgefeilt mittlerweile. ueberall gibt es (komerzielle) contentplattformen, die dir "die moeglichkeit geben" zu publizieren, geld gibts zwar keins, aber oeffentlichkeit. als koennte man anderswo keine oeffentlichkeit erreichen, als muesste man dem kapitalismus dankbar sein fuer diese moeglichkeit. da faellt mir ein, das ganze geht ja einher mit der systematischen zerstoerung, regulierung und ueberwachung des oeffentlichen raumes, sei es in der realitaet (in welcher stadt kann man sich heute noch als strassenmusikant "einfach so" hinstellen und spielen ohne schwierigkeiten zu bekommen) oder virtuell.

freie software unterscheidet sich da imho nur in zwei (vielleicht wesentlichen) details: zum einen die oben angesprochene privilegierte lage von informatikerInnen, zum anderen die nonhierarchische vernetzung ueber digitale kommunikation. aber welche rolle spielen plattformen wie sourceforge, slashdot etc. im kontext der gerade diskutierten aspekte? sie fuehren ressourcen an einen punkt zusammen, und machen sie damit ausbeutbar. sind nicht die slashdot-leser die kapitalisten von morgen? ist nicht .org das .com von morgen? in der struktur des web ist die notwendige zentralisierung und "eindeutige" strukturierung von information (= wissen = macht?) ja schon angelegt, weil man sonst nichts findet. ausser dem hyperlink gibt es keine peering- oder nonhierarchischen aspekte im web.

pfuh, ein bisschen abgeschweift, das hat sich jetzt eher spontan aus verschiedenen gedankenschnipseln zusammengefuegt, ich stelle es einfach mal so zur diskussion. und weiter zur naechsten frage:

2: Wie funktioniert die foerderung von rohstoffen, die herstellung industrieller gueter und die landwirtschaft in einer freien gesellschaft?

oder anders formuliert: wie verbessert sich durch freie software und die daraus abgeleitete gesellschaftsvision die lage eines minenarbeiters in afrika?

da sind wir halt im massiv materiellem, und bei arbeiten die meist denkbar wenig mit selbstentfaltung zu tun haben. im bereich der landwirtschaft und der herstellung hochtechnische produkte konnte z.b. franz nahrada mit seiner vorstellung der "globalen doerfer" einige ansaetze aufzeigen, sei es die permakultur-technologie oder die vernetzung von doerfern und staedten. aber der bereich der massiven scheissarbeit, der praktisch vollstaendig in die "3. welt" ausgelagert ist und dort unter miserabelsten sozialen, gesundheitlichen und umweltbedingungen verrichtet wird, kam mir doch in allen diskussionen und visionen zu kurz.

allerdings hab ich auch selbst hier weit weniger an vorschlaegen und gedanken anzubieten als beim vorigen punkt. aber ich denke, solange die verbindung zwischen dem konzept der freien information und dem "massiv materiellem" nicht hergestellt ist, koennen wir auch nicht von einer "keimform" sprechen, ohne uns damit selbst zu beluegen. eine solche "keimform" muss schon alle grundlegenden aspekte von menschsein und gesellschaft zumindest _irgendwie_ addressieren, und da gehts halt als erstes gleich mal ums materielle.

polemisch koennte man die opensource-bewegung ja auch als "rich boys movement" bezeichnen, ich will das gar nicht tun, aber nur um der gefahr von euphorie vorzubeugen ist das hin und wieder nicht schlecht.

uff, es gaebe noch einiges zu schreiben, ich belass es mal dabei und bin gespannt auf die weitere entwicklung,

lg,

f/0

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