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[ox] Vorabversion Kongressbericht



Hallo Oxen,

Folgender Text ist eine Vorabversion eines (Hyper-)Textes fuer die
Online-Zeitschrift comunefarce (www.copyriot.com/unefarce) als
Bericht über den Kongress und allgemein über Ökonux. 

Ich würde mich freuen, wenn ihr noch ein paar Anmerkungen habt, die
ich dann noch berücksichtigen kann.

Bitte diesen Text in dieser Vorversion aber _nicht_ weiterleiten.
Die endgültige Version kann dann gerne für Contraste oder RLS oder
ähnliches benutzt werden, solange die comunefarce als
Ersterscheinungsort genannt wird. Die wollen halt auch ein bisschen
Werbung für ihr Projekt...

Alles in eckigen Klammern sind hyperlinks entweder extern oder auf
weiter unten aufgelistete Seiten oder auf andere comunefarce-Seiten.

Grüße, Benni
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Erster Oekonux-Kongress in Dortmund

Inzwischen haben ja viele schon mal was von dem Phänomen [Linux]
bzw. [freie Software] gehört. Seit zwei Jahren gibt es ein paar
Leute rund um eine Mailingliste namens [oekonux], die sich mit den
politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Fragen, die in
diesem Zusammenhang auftreten, beschäftigen.

Vom 28. bis 30. April haben sich nun in Dortmund ca. 160 Leute zur
ersten "Ökonux-Konferenz" getroffen, die unter dem Motto "Von der
[Freien Software] zur freien Welt?" stand. Es wurde in einem sehr
dicht gedrängten [Programm] darüber diskutiert wie (und ob) man die
Prinzipien freier Softwareentwicklung auch auf andere Bereiche
übertragen kann; es wurden Projekte vorgestellt, die genau das
versuchen in dem sie Hardwareentwürfe ([fCPU]), Enzyclopädien ([Enz.
Encarta]) oder selbst Autos ([OSCar]) nach diesen Prinzipien
entwickeln; es wurde die Entwicklung der Produktivkräfte untersucht
oder Beziehungen zwischen Kritik und Widerstand betrachtet. 

Die Teilnehmer kamen dabei aus einem sehr breiten politischen
Spektrum. Da waren Traditionsmarxisten ebenso vertreten wie
Postmoderne, Reformisten oder Marktwirtschaftler. Daneben gab es
viele Leute, die eher einen technischen Zugang zum Thema hatten. Auf
der Mailingliste reden diese Leute mit den unterschiedlichsten
Ansätzen schon seit einiger Zeit durchaus sehr produktiv
miteinander. Auch auf dem Kongress hat das erstaunlich gut geklappt
und die Offenheit der Diskussionen, die Verständigung möglich machte
aber auch Auseinandersetzungen verdeutlichte wurde von vielen
Beteiligten gelobt. 

Ich beteilige mich selbst nun auch seit geraumer Zeit an der
Mailingliste und will mal kurz versuchen ein paar typische
Positionen zu umreissen, die dort vertreten werden und die auch auf
dem Kongress vielfach die Diskussion bestimmten. Weniger aus
Interesse an Vollständigkeit, sondern eher um den Versuch zu machen
Außenstehenden zu verdeutlichen worum es da so geht.

Die sicher nach Außen hin bekannteste "Fraktion" werden meist als
"Keimformanhänger" bezeichnet. Sie vertreten die Auffassung, daß
freie Software und die Art wie sie produziert wird eine Keimform
einer neuen Gesellschaft innerhalb des Kapitalismus sei. Der Begriff
der "Keimform" hat dabei schon zu vielen Mißverständnissen geführt.
Hier vielleicht nur soviel: Es geht weder um einen platten
Technikdeterminismus noch ist eine Keimform einfach etwas, das nur
immer mehr wachsen braucht um dann den Kapitalismus einfach
einzusaugen.

In der Analyse der Keimformanhänger ist die
Produktivkraftentwicklung an einem Punkt angekommen, wo die
Selbstentfaltung der Individuen zum wichtigen Faktor wird.
Verwertung widerspricht aber der Selbstentfaltung und aus diesem
Widerspruch entsteht die Keimform. Darin besteht meiner Meinung nach
eine Ähnlichkeit zu den Postoperaisten wie Negri, etc. [vielleicht
hier auch ein Link?], die ja auch im Übergang zum Postfordismus
solche emanzipativen Momente entdeckt haben. Andere theoretsiche
Bezüge bestehen zu den Thesen der Gruppe [Krisis] rund um Robert Kurz.
Die Analyse des Kapitalismus als wertverwurstende Maschiene
übernehmen sie von dort. Dem manchmal etwas apokalyptisch
anmutenden Gestus der Krisis stellen sie jedoch ihre Keimform-Utopie
entgegen.

Als Einstieg in diese Sicht der Dinge bietet sich vielleicht der
Text ["Linux & Co. Freie Software - Ideen für eine andere
Gesellschaft"] von Stefan Meretz an.

Da dies eine sehr steile These ist, dreht sich natürlich oft die
Diskussion um diese Position. Sei es jetzt in positivem oder in
negativem Bezug.

Es gibt zwei wichtigse Einwände gegen die "Keimformer", die zur Zeit
diskutiert werden. Einmal wird ihnen Technikdeterminismus
vorgeworfen und zum anderen wird gesagt, dass sie die Versuche des
Kapitals freie Software für die Verwertung einzuspannen, nicht Ernst
genug nämen.

Diese Diskussion wurde auch beim Kongress wieder geführt und ich
meine wahrgenommen zu haben, dass das eine oder andere
Missverständnis aus der Welt geräumt werden konnte. Was natürlich
nicht heißen muß, das jetzt alle einer Meinung sind. Das war auch
nie das Ziel von Oekonux und wird es auch in Zukunft wohl nicht
sein. So etwas wie ein gemeinsames Ziel gibt es sowieso nicht,
ausser natürlich dem gemeinsamen Interesse an dem Phänomen freier
Software und wohl bei den allermeisten ein irgendwie
emanzipatorischer Ansatz.

Ein weiterer Strang der Diskussion dreht sich um [freie Kooperation]
und das Verhältnis von Widerstand und Perspektive und was das alles
mit freier Software zu tun hat. Auf dem Kongress
gab es zu diesem Thema einen [Workshop] mit Christoph Spehr, Annette
Schlemm, Stefan Meretz, Jörg Bernstedt und ... Die Diskussion dort
war erstaunlich produktiv und es ist jetzt daraus ein offenes
[Buchprojekt] bei [Open Theory] entstanden an dem sich jeder
beteiligen kann.

Einen weiteren Schwerpunkt der Diskussion bilden Reformansätze wie
z.B. Existenzgeld oder die Frage vom Sinn oder Unsinn von Utopien.
Es gibt einen sehr schönen Text von Annette Schlemm, ["Das Utopische
Klo"], der aus dieser Diskussion und der Keimformtheorie entstanden
ist.

Ich kann die Oekonux-Diskussionen auf jeden Fall jedem, der sich für
das Spannungsfeld zwischen Informationstechnik, Politik und
Oekonomie interessiert nur empfehlen.

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[Open Theory] ist ein Versuch von Stefan Meretz die Prinzipien der
Produktion von freier Software auf die Produktion von Theorie
anzuwenden. Es gibt schon einige Dutzend Open-Theory-Projekte
unterschiedlichsten Inhalts. [www.open-theory.de]

[Programm] Link auf Konferenzprogramm

[Linux] Ein [freies] Betriebssystem mit zugehörigen
Anwendungsprogrammen aus so gut wie allen Bereichen, dass von
tausenden von Leuten selbstorganisiert und über die ganze Welt
verteilt entwickelt wurde. Linux wird vom heimischen PC bis hin zur
Großrechenanlage auf Millionen von Rechnern erfolgreich eingesetzt.
Große Teile der Internetinfrastrukur basieren auf dem System. Dabei
dürfen für die meisten Programme selbst keinerlei Gebühren erhoben
werden (aber zum Beispiel für begleitende Massnahmen, wie Support
oder Distribution sehr wohl). Das Projekt hat inzwischen einen
Status erreicht, so dass selbst der Monopolist Microsoft diese
Entwicklung nicht mehr ignorieren kann, da in wichtigen
Marktsegmenten (z.B. Webserver) diese Konkurenz sehr erfolgeich ist.

[Freie Software] ist Software, die nicht zwingend umsonst ist, aber
frei kopierbar. Um dies zu gewährleisten steht sie oft unter der [Gnu]
General Public Lizence ([GPL]). 

[oekonux] www.oekonux.de

[Gnu] Gnu steht als rekursives acronym für "Gnu is not Unix" und
bezeichnet den Versuch der Free Software Foundation (FSF) ein freies
Bestriebssystem zu schreiben. Linux war zu diesem Vorhaben nur der
letzte noch fehlende Teil. [www.gnu.org]

[GPL] Diese [Lizenz] benutzt das copyright
subversiv um es zu unterlaufen in dem dem Lizenznehmer einige
wichtige Rechte eingeräumt werden, eben vor allem das Programm
weiterzuverbreiten, so lange man sich an gewisse Bedingungen hält.

[freie Kooperation] Ein Konzept von Christoph Spehr aus seinem Buch
["Die Aliens sind unter uns"] (Link auf Dirks Besprechung)

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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