[ox] Swpat-Konsultationsfragen
- From: PILCH Hartmut <phm a2e.de>
- Date: Sat, 12 May 2001 21:16:59 +0200 (CEST)
Derzeit sind einige europäische Regierungsstellen damit beschäftigt, allerlei
Studien zum Thema Swpat zu veranlassen, deren Fragestellung unklar ist und die
z.T. die Funktion erfüllen, die Situation verworrener zu machen, um den
Politikern zwischen den Stühlen der Interessengruppen einen Freiraum zu
schaffen, der ihnen erlaubt, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen,
ohne sich dabei unversehens weh zu tun.
Wir listen unter
http://swpat.ffii.org/stidi/
seit einiger Zeit die Fragen auf, die eigentlich zu erörtern wären. Diese
Frageliste wurde noch mal um einiges verfeinert, insbesonders die zentrale
Frage 7, bei der es um die Wahlmöglichkeiten bei der EU-Richtlinie geht.
Softwarepatente-Konsultationsfragen
Verschiedene Regierungsorgane haben immer wieder Konsultationen über
die Patentierbarkeit von Computerprogrammen durchgeführt, aber in den
meisten Fällen wurden von vorneherein falsche Fragen gestellt, die zu
Scheindebatten und weitgehend nutzlosen Studien führten. Wir glauben,
dass eine seriöse Diskussion von den folgenden Fragen ausgehen sollte.
1. Bei wieviel % der [36]bislang vom EPA gewährten ca 30000
Softwarepatente ist der beanspruchte Beitrag zum technischen
Fortschritt so wertvoll, dass es sich für uns als Gesetzgeber
lohnen könnte, diesen Beitrag mit einem mehrjährigen Monopol zu
erkaufen? (Bitte zitieren Sie die Hauptansprüche von ein paar
EPA-Softwarepatenten, um Ihre Aussage zu erläutern?)
Was wird typischerweise bei EPA-Softwarepatenten beansprucht,
welcher Erfindungsaufwand steckt dahinter und wie wahrscheinlich
ist es, dass jemand unabhängig auf die gleiche Idee kommt?
2. Inwieweit leidet die Innovationsfreude der Softwarebranche an zu
schneller Nachahmung?
Bedarf das Software-Urheberrecht einer Verbesserung oder einer
Ergänzung durch das Patentrecht?
Wie müsste ein optimales "maßgeschneidertes
Software-Vergütungsrecht" (lex sui generis) aussehen?
3. Warum gibt es Freie Software aber nicht freie Hardware?
Wie unterscheidet sich die Ökonomie der immateriellen Güter von
der der materiellen Güter?
Welche Rolle kann/soll freie Software für die
Informationsgesellschaft spielen?
Unter welchen Regeln können proprietäre und freie Software
produktiv zusammenwirken?
4. Nach welchen Regeln beurteilen EPA, BGH und BPatG heute die
Patentierbarkeit von Software?
Sind diese Regeln klar?
Wo wurden sie am klarsten formuliert?
5. Nach welchen Regeln beurteilten EPA, BGH und BPatG um 1980 die
Patentierbarkeit von Software?
Waren diese Regeln klar?
Wo wurden sie am klarsten formuliert?
6. Gibt es internationale Verträge oder andere rechtliche
Beschränkungen, welche unseren gesetzgeberischen
Handlungsspielraum bezüglich Softwarepatenten einengen, etwa indem
sie eine Patentierbarkeit von Software erfordern, verbieten oder
an Bedingungen knüpfen?
7. Welche klaren Abgrenzungsregeln zur Patentierbarkeit oder
Patentdurchsetzbarkeit stehen derzeit zur Debatte?
Wie viel % der bisher erteilten EPA-Patente (Hard- und Software)
würden durch die jeweilige Abgrenzungsregel als rechtsbeständig
und durchsetzbar bestätigt?
Beurteilen Sie bitte zunächst die folgenden Optionen:
Bereich der patentierbaren Ideen:
[37]"Praktische und wiederholbare Problemlösungen":
Handlungsanweisungen aller Art könen patentiert
werden, sofern sie unabhängig von einem Menschen
wiederholbar sind und einen vorhersehbaren Effekt
erzielen. D.h. die Lösung sollte unabhängig von den
teilnehmenden menschlichen Subjekten funktionieren,
und sie sollte sich in der materiellen Welt
ereignen. Rein mathematische Lösungen sind
patentierbar, müssen aber auf bestimmte praktische
Anwendungen eingegrenzt werden. Diese Doktrin wird
sowohl vom US-Patentamt als auch von führenden
Rechtsdogmatikern des EPA bevorzugt.
[38]Technik als angewandte Naturwissenschaft
Die Erfindung muss neue Wirkungszusammenhänge von
Naturkräften lehren und darf sich nicht in
"Organisations- und Rechenregeln" erschöpfen. Wer
nicht Probleme des unmittelbaren
Naturkräfteeinsatzes sondern nur Probleme innerhalb
einer abstrakten Maschine oder eines bekannten
Modells löst, trägt nichts zum "Stand der Technik"
bei. Diese Doktrin wurde von deutschen Gerichten
(BPatG und BGH) bis in die 80er Jahre zur Reife gebracht
und findet sich in Gesetzeskommentaren,
Prüfunsrichtlinien und BPatG-Urteilen bis ins Jahr 2000
wieder. Die Eurolinux-Allianz fordert für die Zukunft
eine konsequente Anwendung und Weiterentwicklung dieser
Doktrin.
[39]Abstraktionen in Reinform:
Diese gelegentlich von Freunden der äußersten
Konsequenz ins Gespräch gebrachte Doktrin erlaubt
die Patentierung rein abstrakt-mathematischer
Methoden ohne Bindung an bestimmte praktische
Anwendungen. Die Frage der Patentierbarkeit wird
nicht mehr gestellt. Das lenkt den Blick auf die zu
oft vernachlässigte Frage, gegen welche konkreten
Realitäten die abstrakten Ansprüche denn
durchsetztbar sein sollen.
[40]"Dynamischer Technikbegriff":
"Man rühre alle drei obigen Doktrinen durcheiander
und treibe in Zickzack-Bewegungen von Urteil zu Urteil
auf einen Zustand grenzenloser Patentierbarkeit zu. Um der
"Rechtssicherheit" (= Verhinderung des Widerstandes
"konservativer" Gerichte) willen lasse man sich
diesen Kurs gelegentlich vom Gesetzgeber durch
allerlei biegsame Gesetze und Richtlinien
bestätigen." Böse Zungen behaupten, diese Realität
sei gemeint, wenn interessierte Patentjuristen die
Vorzüge eines "dynamischen Technikbegriffs"
preisen.
Bereich der Verletzungshandlungen:
Informationsgebilde und andere Immaterialgüter tendieren
dazu, Gemeingut zu sein oder zu werden. Für sie gelten
ähnliche ökonomischen Regeln wie für menschliche
Gedanken. Es wäre möglich, sie grundsätzlich nicht als
Verletzungsgegenstände zu betrachten, egal was im
Patentanspruch steht. Patente könnten dann nicht genutzt
werden, um die Verbreitung von Immaterialgütern zu
unterbinden. [41]Lutterbeck, Horns und Gehring
formulieren dies als "Quelltextprivileg", aber auch eine
grundsätzliche "Privilegierung" aller Immaterialgüter
(z.B. Informationsstrukturen jedweder Art auf
Datenträger, sowie der Einsatzes solcher
Informationsstrukturen auf Universalrechnern,
Musikabspielgeräten u.dgl.) wäre denkbar. Nicht nur die
Privatsphäre sondern auch die öffentliche
Informationsallmende bliebe patentfrei, und der Raum der
potentiellen Verletzungsgegenstände würde auf die Sphäre
der (ihrem Wesen nach für den privaten Besitz bestimmten,
industriell hergestellten) materiellen Güter eingegrenzt.
Die Frage, ob Patente auf "Organisations- und
Rechenregeln" u.dgl. zulässig sein sollen oder nicht,
rückt in den Hintergrund. Beliebige Kombinationen mit
lascheren oder strengeren Patentierbarkeitsdoktrinen sind
möglich.
Erfindunghöhe:
Einige Leute suchen nach wirksamen Kriterien und
Spielregeln, die es erlauben, mit der Forderung nach
Erfindungshöhe ernst zu machen und triviale Patente zu
eliminieren. Das holländische Parlament hat etwa
gefordert, dass dieses Problem gelöst werden müsse, bevor
über die Patentierbarkeit von Software diskutiert werden
könne.
Organisation des Patentwesens:
Seit Jahrzehnten wird oft kritisiert, das
Patentprüfungssystem sei seiner Aufgabe,
ungerechtfertigte Patentansprüche schnell und zuverlässig
auszusortieren, nicht gewachsen, und es habe sich eine
Eigendynamik entwickelt, die zu immer mehr und immer
fragwürdigeren Patenten führe. Der französische
Abgeordnete Le Déaux fordert gar, eine Kommission
einzurichten, die Fehlsteuerungen im europäischen
Patentwesen untersuchen und Empfehlungen zu einer
institutionellen Reform geben soll. Manche Leute meinen,
der Schlüssel zur Verbesserung liege weniger in den
Gesetzesregeln der Patentierung als in dem
institutionellen Rahmen, in dem diese Regeln angewendet
werden.
8. Was passiert mit den Patenten, die nach einer neuen Richtlinie
keinen Bestand mehr haben?
Verweise
36. http://swpat.ffii.org/vreji/pikta/index.de.html
37. http://swpat.ffii.org/vreji/papri/jwip-schar98/
38. http://swpat.ffii.org/stidi/eurili/
39. http://swpat.ffii.org/vreji/papri/irle-laat00/indexen.html
40. http://swpat.ffii.org/stidi/korcu
41. http://swpat.ffii.org/vreji/papri/bmwi-luhoge00/indexde.html
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Hartmut Pilch
FFII e.V. http://www.ffii.org/
Petition Fuer ein Softwarepatentfreies Europa http://petition.eurolinux.org/
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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de