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Re: [ox] Tausch



hallo leute!

Quasi (Casimir Purzelbaum) wrote:

Hallo Paul & Alle!

     <!-- mehr so eine Sammelantwort -->

Ich kann den Aufwand erfassen welcher noetig ist um
zB ein Elektronenmikroskop herzustellen,

Das halte ich für ein Gerücht.

[...]

Jede Kalkulation macht das, manche ziehen Dir vielleicht
auch noch die Pinkelpause ab.


Da liegt ja schon der Hase im Pfeffer: entweder willst Du
die Zeit _erfassen_ oder Du willst sie _kalkulieren_ (bzw. vom jeweiligen Kollektiv kalkulieren lassen).

Wenn Du die Zeit, die Dir als Tausch-Maßstab dienen sollte
nicht konkret für jedes getauschte Objekt _erfaßt_, sondern
_kalkulierst, dann hast Du ja schon wieder alle über einen
Kamm geschoren. Ob Du den Kamm nun Geld nennst oder nicht.


Ich finde prinzipiell die Idee, (Arbeits-)Zeit als universellen Massstab herzunehmen, zwar verlockend aber im Endeffekt ziemlich bedenklich. Diese "Zeitwaehrung" waere ja wieder nur eine quantitative Groesse, und solange ich meinem Tauschprozess quantitative, eindimensionale, numerische Groessen zugrundelege, wird der Versuch unternommen werden, Prozesse ueber diese Groesse - im Prinzip rein mathematisch - zu optimieren und dadurch "Verbesserung" zu definieren. (Sei es jetzt im Sinne von "Marktvorsprung" oder "Erhoehung der Produktivitaet des Kollektivs")

Diese Sichtweise laesst aber die _Qualitaet_ der aufgewendeten Zeit (sowohl im Sinne des arbeitenden Individuums als auch im Sinne der Qualitaet, die in das Produkt einfliesst) voellig ausser Acht, und stellt, was die Transaktionen betrifft, die Gleichung "schneller = besser" auf. Und was machen die, die nicht so schnell arbeiten koennen/wollen?

Natuerlich kann man jetzt sagen "naja, da kann man dann ja als Konsument/in drauf achten und bewusst entscheiden etc." aber das ist IMHO Schmarrn - solange du dem Tausch eine lineare, kalkulierbare Groesse zugrundelegst, wird die Gesellschaft en gros versuchen, ueber diese Groesse zu optimieren. Beim Geld kann man sich ja noch bis zu einem gewissen Grad der _Illusion_ hingeben, dass diese Qualitaetsaspekte vielleicht Beruecksichtigung finden koennten - eine Stunde Arbeit, die Spass macht, kostet weniger, als eine, die nervt, und Arbeit, die gefaehrlich ist oder die Gesundheit beeintraechtigt, kostet noch mehr. Wir alle wissen, dass dies eine Illusion ist, wie man sich ganz leicht an den Stundenloehnen von z.B. Programmiererinnen ;] im vergleich zu dem von Putzmaennern veranschaulichen kann (wobei das Gefaelle bei umgekehrten geschlechtlichen Vorzeichen natuerlich noch groesser ist).

Aber ich z.B. halte es schon so, dass eine Stunde Arbeit fuer ein interessantes Projekt weniger kostet als eine Stunde Arbeit fuer ein reines Kommerzprojekt. Also hab ich mit Geld zumindest ein _bisschen_ Spielraum, da einen subjektiven Qualitaetsaspekt reinzubringen, der bei einer reinen Zeitwaehrung nicht gegeben waere.

Meine Oma hat uebrigens gemeint, dass unter den Nazis (ein gewisser Finanzminister Schacht und ein Arbeitsminister Ley) ein solches Zeitwaehrungssystem unter dem Namen "Leistungslohn" eingefuert wurde - was jetzt natuerlich nicht automatisch ein Gegenargument darstellt, aber mich wuerde interessieren ob da irgendjemand mehr darueber weiss?

Der zweite Haken an der Idee von Tauschsystemen (neben dem der einheitlichen "Waehrung", sei es Zeit oder abstrakte Tauscheinheiten) ist IMHO die Illusion von der Symmetrie des Tausches: es wird immer vom Ideal des Tauschs unter gleichberechtigten Partner/innen ausgegangen. Nun ist es aber erstens so, dass in unserer Gesellschaft Machtstrukturen existieren, fuer deren Ueberwindung die Tauschsysteme kein Konzept liefern - solange wir keine konkrete _Umverteilung_ von Macht und Ressourcen in die Wege leiten, wird sich daran nichts aendern. Und zweitens meine ich, dass Tausch vor dem Hintergrund solcher existierender Machtkonzentrationen sogar immer immanent von _arm_zu_reich_ umverteilt - ganz egal wie du ihn im Detail konzipierst. Wer viel hat, hat es ja gar nicht notwendig, etwas herzugeben um etwas anderes zu bekommen. Wer nichts hat, muss das, was er hat (und sei es nur die Arbeitszeit) im Endeffekt _um_jeden_Preis_ auf den "Markt" werfen, um ueberhaupt seine notwendigsten Grundbeduerfnisse abdecken zu koennen.

Wir werden uns also um eine aktive Umverteilung und ein Bekenntnis zum sozialen Handeln genausowenig herumdruecken koennen, wie um ein konkretes (="gewalttaetiges" im weitesten Sinne) Aufbrechen von existierenden Machtstrukturen. Den meisten hier duerfte das eh klar sein, ich sage das nur explizit weil es immer wieder Markt- und Tauschfanatiker gibt, die meinen man muesste nur ein "gerechteres" Tauschsystem etablieren oder die Zinsen abschaffen etc. und alles ist geloest. Ich war ja selbst eine Zeit lang in dieser Richtung unterwegs, aber mir ist mittlerweile klar, dass der Versuch ein "objektives", "effzientes" oder "logisches" System zu schaffen um soziale Probleme zu loesen, klar scheitern muss, und man im Endeffekt immer bei der Frage nach moralischem oder sozialem Handlen ankommt.

so long,

f/0
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