Re: [ox] Wieder ausgegraben
- From: KXX4493553 aol.com
- Date: Wed, 13 Jun 2001 03:25:07 EDT
In einer eMail vom 12.06.01 23:53:37 (MEZ) - Mitteleurop. Sommerzeit schreibt
ingo.heer schwaben.de:
Worauf sollen Bewußtsein und Denken sonst zurückgeführt werden als auf
neurobiologische Prozesse im Gehirn. Wer dies negiert, muß eine andere
Quelle des
Hervorgehens angeben.
Ich stimme zu, dass Bewußtsein nicht funktional aus neurobiologischen
Prozessen
entsteht, aber eben relational. Die Kombination ist ein relationaler und
nicht
einfach ein funktionaler Prozess.
Gruß Ingo.
Hallo Ingo,
ich glaube, damit rennst du offene Scheunentore ein. Aber darum geht es gar
nicht. Ich glaube, dass die Kritik von Kurz eine andere Pointe hat: die
Strukturen der Wissenschaft, d. h. die Methoden ihrer Erkenntnisgewinnung,
haben von sich aus eine Tendenz hin zu Reduktionismus und Funktionalismus,
was ja allein schon im Zwang zum Ausdruck kommt, nach der Analyse wieder zu
synthetisieren und aus Fachdisziplinen im Nachhinein wieder
"Interdisziplinaritäten" zu basteln.
Zweifellos hat die Ausdifferenzierung der Wissenschaft in viele
Unterdisziplinen mit je eigener Fachterminologie ihre unbestreitbaren
Vorteile: Reduktion von Komplexität ist nötig, um den "Informationsüberhang"
auf irgendeine Weise zu ordnen, ohne Zweifel. Aber die Frage, um die es hier
geht, ist doch, ob diese Reduktion von Komplexität, wie sie vor allem die
Naturwissenschaft betreibt, strukturelle Affinitäten zum Kapital aufweist,
die überhaupt erst die Naturwissenschaft zur "ersten Produktivkraft" haben
werden lassen.
Es gibt ein Buch, das bereits 1979 bei Suhrkamp erschienen ist, das aber als
Studie noch immer lesenswert ist: Otto Ullrich, Technik und Herrschaft. Vom
Hand-werk zur verdinglichten Blockstruktur industrieller Produktion, Ffm 1979
(stw 277). Ullrich beschäft sich S. 49 ff. mit den strukturellen Affinitäten
zwischen Wissenschaft, Technik und Kapital, wobei er folgende strukturelle
Gemeinsamkeiten zwischen Wissenschaft und Kapital hervorhebt (das ist jetzt
sehr gerafft dargestellt):
- Trennung von Kopf- und Handarbeit
- Verdinglichungstendenz der Wissenschaft (d. h. sie macht die Welt zum
"Objekt" ihrer Forschung, der Subjektcharakter geht verloren)
- der nichteidetische Charakter der Wissenschaft, d. h. ihre Entsinnlichung;
die Empirie wird aus den "Kopfgeburten" vorausgesetzter Hypothesen abgeleitet
- die offene Zweckstruktur der Wissenschaft, d. h. sie ist für beliebige
Zwecke einsetzbar und verwertbar, Forschung ist "zweckfrei", d. h. im
Endeffekt käuflich für jedermann.
Ullrich betont, dass sich diese Tendenzen der Wissenschaft schon vor dem
Kapitalismus entwickelt haben, dass sie also keine "Erfindungen" der
kapitalistischen Produktionsweise sind; Voraussetzung für Wissenschaft sind
lediglich die Trennung in Kopf- und Handarbeit sowie eine ausreichende
Surplusproduktion, die bestimmte Bevölkerungsgruppen für "zweckfreie"
Forschung "freistellt". Aber erst im Kapitalismus haben sich diese internen
strukturellen Tendenzen der Wissenschaft im vollen Umfange entfalten können,
Kapital und Wissenschaft ergänzen sich in ihren Strukturen hervorragend, es
war eine "Liebesheirat auf den ersten Blick".
Das ist, so denke ich, mit dem "Reduktionismus" der Wissenschaft und seiner
Fungibilität fürs Kapital gemeint, auf den Kurz anspielt. Software und
Programmiersprachen kann man für alle möglichen Zwecke (offene Zweckstruktur)
ge- und missbrauchen, der Schutz vor Missbrauch entsteht erst dann, wenn - u.
a. - die Schöpfer dieser Software sich politisieren und über die
politökonomischen Konsequenzen ihrer Tätigkeit nachdenken. Aber das hat an
und für sich mit der Software selbst nichts zu tun; einem Computer ist es
egal, ob er mit Microsoft-Programmen oder mit Linux läuft.
Kurt-Werner Pörtner
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