Materielle Produkte(was: [ox] Umsetzung)
- From: Thomas Uwe Gruettmueller <sloyment gmx.net>
- Date: Sat, 14 Jul 2001 11:58:59 +0200
Hi, Franz und alle!
On Friday, 13. July 2001 11:57, Franz J. Nahrada wrote:
Wir sind uns aber gar noch nicht einig wie eine freie
materielle Produktion gehen soll. Wiederum haben wir
beim geistigen Anteil derselben ziemlich klare
Vorstellungen (siehe OSCAR - free design),
Dann sollten wir das mal schleunigst diskutieren.
Ich stell hier mal ein paar Ideen dazu zur Debatte. das meiste
davon wurde IIRC hier schonmal besprochen.
Inhalt
1. Übertragung der Prinzipien freier Software auf Produkte
1.1. Rechtliche Übertragung
1.1.1. Definition der Begriffe:
1.1.1.1. "freier Bauplan"
1.1.1.2. "freies materielles Produkt"
1.1.2. Copyleft-Lizenz
1.2. Übertragung des Phänomens "freiwillige Arbeit"
1.3. Übertragung der Arbeitsorganisationsprinzipien
2. Projekt "GPL-Wirtschaft"
Im Einzelnen:
1. Übertragung der Prinzipien freier Software auf Produkte
----------------------------------------------------------
1.1. Rechtliche Übertragung
1.1.1. Definition der Begriffe "freier Bauplan" und "freies
materielles Produkt"
Diese Begriffe müßten definiert werden. Hierzu ein Vorschlag:
1.1.1.1 "freier Bauplan"
Ein Bauplan ist ein softwareartiges Informationsprodukt. Bei der
Definition des "freien Bauplans" können also die meisten
Kriterien von der Definition freier Software übernommen werden.
Die Definition sollte aber zusätzlich mit aufnehmen, daß es
rechtlich möglich sein muß, das im Bauplan beschriebene
materielle Produkt aufzubauen. Es wäre nämlich denkbar, daß ein
Bauplan an sich verändert verbreitet werden darf, jedoch ein
Patent oder ein anderes Gesetz verletzt wird, wenn es an die
Produktion geht. Das Recht bei einem Bauplan, das beschriebene
Produkt aufzubauen ist m.E. vergleichbar mit dem Recht, ein
Programm auszuführen.
In einer strengeren Definition ("frei++") könnte man später
festlegen, daß zur Produktion nur freie Software und freie
Produkte (dazu gleich mehr) zum Einsatz kommen dürfen.
1.1.1.2. "freies materielles Produkt"
Nun zu "freien materiellen Produkten": Materielle Produkte haben
völlig andere Eigenschaften als Informationsprodukte. Sie werden
nicht selbst durch Urheber- oder Patentrecht "geschützt",
sondern ihre Baupläne bzw. ihre Funktions- oder
Herstellungsweisen. Daher möchte ich folgende, kurze Definition
vorschlagen:
Ein "freies materielles Produkt" nennt sich ein solches, wenn
es nach einem "freien Bauplan" hergestellt wurde und dieser dem
Produkt beiliegt (oder in einem öffentlichen Computernetzwerk
kostenfrei abgerufen werden kann).
Ein "freies Buch" wäre demnach ein solches, von dem die
maschinenlesbare Druckvorlage unter einer freien Lizenz steht
und dem Buch als Diskette bei- oder im Netz herumliegt.
Nicht für sinnvoll halte ich die Überlegung, daß freie
materielle Produkte das materielle Eigentum auf den Kopf stellen
müßten, wie es freie geistige Produkte mit dem "geistigen
Eigentum" täten. Diese Überlegung halte ich insbesondere deshalb
für fatal, da m.E. die freie-Software-Bewegung das materielle
Eigentum in besonderem Maße achtet: Während Firmen, die
proprietäre Software vertreiben, ständig in die Rechte des
Hardware-Eigentümers eingreifen, indem sie darüber bestimmen,
wie sein Computer benutzt wird, ist bei freier Software dies
nicht der Fall.
Desweiteren halte ich die Überlegung nicht für sinnvoll, jeder
Benutzer müsse die technische Möglichkeit haben, Kopien
herzustellen, d.h. eine eigene, kleine Universalfabrik unter dem
Schreibtisch. Freie Software existiert, ohne daß jeder über
einen CD-Brenner verfügt, und freie Bücher, ohne daß jeder einen
Drucker und eine Bindemaschine hat. Und selbst wenn man diese
Geräte zu Hause hat, kann man damit dicht die materiellen
Produkte nicht in der Qualität herstellen, wie es eine darauf
spezialisierte Firma kann.
Aus dem selben Grund halte ich auch die Überlegung nicht für
sinnvoll, "Stückzahl 1" (wie beim CD-Brenner) sei ein
erstrebenswertes Ziel für die gesamte Wirtschaft. Wenn eine
technische Möglichkeit dazu besteht, sind Einzelanfertigungen
sicher sinnvoll für Entwickler. Für eine gesamte Wirtschaft
stünden derartige Verfahren, verglichen mit Massenproduktion
jedoch für Resourcenverschwendung (z.B. Zeit beim CD-Brenner).
1.1.2. Copyleft-Lizenz
Damit freie Baupläne auch frei bleiben, wird eine Copyleftlizenz
erstellt werden müssen. Dies ist eine bürokratische
Angelegenheit und sollte verantwortungsvoll (also nicht durch
mich ;o) geschehen, da man eine zu strenge Lizenz wegen des
viralen Charakters womöglich nicht mehr loswird.
Für freie materielle Produkte wird es vermutlich mangels
rechtlicher Grundlage keine Lizenz geben. (Die Möglichkeit, bei
der der Hersteller Eigentümer bleibt, das Produkt verleiht und
per Vertrag die Nutzung regelt, finde ich, wie oben schon
gesagt, abartig.)
1.2. freiwillige Arbeit
Freie Software entsteht, wie bereits andermails erwähnt, aus
verschiedener Motivation heraus:
o aus Überzeugung (Huhu, GNU-Leute!)
o aus Spaß am Programmieren (Huhu, Linus T.!)
o gegen Belohnung (Hacken als Dienstleistung o.ä.)
Interessant ist dabei, daß die ersten beiden Punkte, bei denen
die Arbeit freiwillig erfolgt, stark überwiegen. Genau dies hat
nämlich in den sozialistischen Versuchen nicht funktioniert.
Es muß also untersucht werden, wie sich bestimmte Arten von
Arbeit motivationsmässig unterscheiden:
Eine Arbeit wird aus Überzeugung ausgeführt, weil man selbst ein
Interesse am Zustandekommen des Produkts hat oder wenn sie einen
Fortschritt, d.h. die permanente Lösung eines Problems (z.B.
ihre eigene Verringerung) zur Folge und man Interesse an diesem
Effekt hat.
Auf den Spaß, den eine Arbeit macht hat einen positiven Einfluß,
wenn man von der Arbeit überzeugt ist, einen negativen, wenn die
Arbeit eintönig algorithmisch ist.
Künstlerische Betätigung stellt einen Sonderfall dar. Spaß und
Überzeugung sind hier eindeutig ausserhalb des Meßbaren.
# Inhalt Ziel Antrieb | Überz. Spaß
============================|================
0 schöpf. Erg. Muße | Error: overflow ;o)
----------------------------|----------------
1 schöpf. Bez. Not¹ | 0 0
2 schöpf. Bez. Forts.² | 1 1
3 schöpf. Erg. Not¹ | 1 1
4 schöpf. Erg. Forts.² | 2 2
----------------------------|----------------
5 algor. Bez. Not¹ | 0 -1
6 algor. Bez. Forts.² | 1 0
7 algor. Erg. Not¹ | 1 0
8 algor. Erg. Forts.² | 2 1
¹) Not: ständig wiederkehrendes Problem
(z.B. Essen ranschaffen)
²) Fortschritt: permanente Lösung eines Problems
Bei der Entwicklung freier Software liegt eine schöpferische
Arbeit vor. Ein Programmierer könnte (theoretisch) freie
Software schreiben, um durch das bezahlte Anbieten dieser
Diensleistung dadurch seinen Lebensunterhalt zu bestreiten(#1).
Er könnte ebenso motiviert sein, von seinem Einkommen sein
eigenes Unternehmen zu vergrössern (#2) oder durch das Schreiben
eines freien Programmes sein Fehlen permanent zu beseitigen
(#4). Letztgenenanntes erklärt angesichts der zu erwartenden
Motivation und des zu erwartenden Spaßes die weite Verbreitung
freiwilliger Arbeit.
Was die Entwicklung freier Baupläne angeht, ähnelt diese Arbeit
stark der Entwicklung freier Software.
Anders sieht es mit der Herstellung der materiellen Produkte
aus: Diese Arbeit ist kaum schöpferisch-abenteuerlich,
stattdessen zum Großteil eintönig algorithmisch. Materielle
Produkte unterliegen im Gegensatz zu Informationen dem
Verschleiß, weswegen sie regelmässig erneuert werden müssen.
Ergebnisorientierte Arbeit (z.B. Produktion zum Eigenbedarf) ist
sehr unwahrscheinlich. All dies deutet auf eine geringe
Motivation und keinen Spaß. Es ist nicht zu erwarten, daß diese
Arbeiten ohne Anreizsystem ausgeführt werden.
Es ist jedoch zu erwarten, daß die technische Entwicklung die
die Übertragung der rechtlichen Prinzipien freier Software auf
Baupläne auslösen wird, einen Großteil der eintönig
algorithmischen Arbeit automatisieren wird. Die wenige
verbleibende, geistig anspruchsvolle Arbeit (Einrichtung der
Roboter, Reparaturen, Überwachung) könnte schon eher von
Enthusiasten übernommen werden, obgleich das Amlaufenhalten der
materiellen Produktion nicht auf ein konkretes Ziel gerichtet
ist. Aber bei der Debian-Distribution ist das ja genauso, und da
klappt das auch... :o)
1.3. Übertragung der Arbeitsorganisationsprinzipien
Dinge wie "Release early, release often", CVS, Mailinglisten,
User Groups usw. sollten sich auf die Entwicklung freier
Baupläne aufgrund derer Ähnlichkeit mit Software leicht
übertragen lassen. Anders ist nur, daß vieles nicht sofort in
echt, sondern nur am Bildschirm in einer Simulation ausprobiert
werden kann.
Auf die Produktion und Anwendung freier materieller Produkte
sollten sich mindestens Mailinglisten (für organisatorische
Dinge, die keine Anwesenheit vor Ort benötigen) und User Groups
(für lokale Projekte) übertragen lassen.
2. Projekt GPL-Wirtschaft
Die Übertragung der Prinzipien freier Software auf ein ganzes
Wirtschaftssystem wäre m.E. analog zum GNU-Projekt, welches ein
nahezu komplettes Betriebssystem entwickelt hat, dessen
Komponenten ausschließlich freie Software sind, ein
Wirtschaftssystem zu entwickeln, dessen Produktionsmittel
ausschließlich freie materielle Güter sind.
Tschüß,
Thomas
}:o{#
ungelesene [ox]-Mails: 406
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Organisation: projekt oekonux.de