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Re: [ox] Re: Nochmal zum Thema Eigentum



Sollte aber bei der Auslegung eines Gesetzes nicht danach
gegangen werden, wie es der Verfasser gemeint hat?

In der Tat.
Allerdings haben wir generell das Problem, dass die Judikative meistens
mehr Ueberblick ueber die Regeln hat und die Legislative, die eigentlich
Recht setzen sollte, mehr oder weniger mitschwimmt.
Wenn das BVerfG nicht ziemlich aktiv an der Rechtsordnung mitgewirkt
haette, waeren vielleicht die meisten Bausteine des GG schon voellig
verfallen.

Nach dieser Logik müßte auch folgendes, abartiges
"Eigentums"-Recht unbedingt als Grundrecht in die Verfassung
aufgenommen werden:

  Der Maintainer einer Mailingliste erhält eine lebenslange
  Verfügungsgewalt an den Gedanken und Gefühlen, dem Bewußtsein
  und dem Seelenheil der Mitglieder seiner Community und ihrer
  sämtlichen Nachfahren...

Nein. Es stimmt zwar, dass "Eigentum" vom BVerfG inzwischen von
materiellen Gegenstaenden abstrahiert als "Verfuegungsgewalt" gesehen
wird.  Das gilt uebrigens auch fuer das lateinische Aequivalent
"dominium". Daraus folgt aber nicht, dass es ein Eigentum an allem gibt,
was man selbst einmal (oder auch als erster) geschaffen hat. Letzterer
Grundsatz steht nirgends im Gesetz. Wie Eigentum entsteht, ist durch
Gesetze zu regeln, und diese Gesetze muessen ausgewogen sein und dem
Gemeinwohl dienen. Darueber hinaus gibt es die Schrankenbestimmung von der
Sozialpflichtigkeit des Eigentums.

Aus dem Einrichten und langjaehrigen Pflegen der Mailingliste folgt
vielleicht eine besondere moralische Legitimierung, aber ob und wie daraus
ein materielles Verfuegungsrecht werden muss, hat der Gesetzgeber bisher
nicht geregelt.  Haette er dort etwas geregelt, so koennten die
entstandenen Rechte nicht ohne weiteres entzogen werden.

Wenn ich mit meinem Toecherlein einen guten Platz zum Rehefuettern suche
und geduldig ein Reh anlocke, moegen wir es nicht, wenn eine Gruppe von
Jugendlichen dazwischenplatzt und das Reh verscheucht.  Natuerlich haben
diese Jugendlichen kein formell garantiertes Eigentumsrecht verletzt.
Aber auf der Ebene eines informellen moralischen Konsenses ist vielleicht
tatsaechlich schon so etwas wie Eigentum, naemlich ein Anrecht auf
kurzzeitiges In-Ruhe-Gelassen-Werden an einem bestimmten Platz,
entstanden, und etwas reifere Menschen verstehen und achten das auch. Art
14 GG koennte als Auftrag verstanden werden, solche Arten von
Eigentumskonsens dort, wo es in angemessener und dem Gemeinwohl dienlicher
Weise moeglich ist, in Rechte zu giessen.  D.h. die Zivilgesellschaft soll
geachtet und nicht etwa irgendwelchen Eigentums- oder
Eigentumlosigkeits-Utopien unterworfen werden.  Dieser Gedanke gibt uns
gerade im Falle der Swpat-Sklavenhalter-Utopie eine verfassungsrechtliche
Handhabe.  Aber ebenso im Falle einer von irgendeiner Partei
aufoktroyierten kommunistischen Utopie.

Aehnliches gilt eigentlich auch fuer materielles Eigentum, und ich finde
es nicht schlecht, wenn man daran erinnert wird.  Von wegen Naturrecht.
Ein Naturrecht auf materielles Eigentum begruendet noch nicht einmal das
Grundgesetz.  Garantiert ist nur, dass Regeln gesucht werden und, sobald
sie gefunden wurden, nicht nach Belieben veraendert werden koennen.

Nein, es ist durchaus eine Rangfolge erkennbar:

1.) Man darf sich kein materielles Eigentum schaffen, das ein
geistiges Eigentum verletzen würde (z.B. eine Windows-CD selber
brennen).

2.) Man darf sich kein urheberrechtlich-geistiges Eigentum
schaffen, das ein patentrechtlich-geistiges Eigentum verletzen
würde (z.B. einen freien MP3-Encoder schreiben).

Diese Rangfolge hat nichts mit dem Interpretationsrahmen des BVerfG zu
tun.  Sie ist z.T. hoechst unausgewogen und gerade mithilfe dieses
Interpretationsrahmens anfechtbar.

Ich finde es besser, zunaechst von
Moralkategorien wie etwa der besonderen Beziehung zwischen dem
Urheber und seiner individuellen Schoepfung auszugehen

Ist das der Gedanke hinter dem Urheberrecht oder
Hineininterpretiertes?

Dieser Gedanke durchzieht tatsaechlich das Urheberrecht.  Vgl auch

	http://swpat.ffii.org/vreji/papri/bgh1-bs90/

--
Hartmut Pilch                                      http://phm.ffii.org/
Schutz der Innovation vor der Patentinflation:   http://swpat.ffii.org/
85000 Stimmen gegen Logikpatente:            http://www.noepatents.org/

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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