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[ox] Konferenz-Beitrag: New Politics -- Politische Techniken für das 21. Jahrhundert



New Politics
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Raban Daniel Fuhrmann [Raban t-online.de]

Politische Techniken für das 21. Jahrhundert
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Gedanken- und Handlungs-Impulse ausgehend von der Frage:

Wie können/müssen/sollen die politischen Verfahren und Strukturen
aussehen, mit denen wir dem exponentiell sich verkomplizierenden
Problembewältigungsdruck einer postmodernen, sich immer weiter
ausdifferenzierenden und global vernetzenden Informationsgesellschaft
nicht nur reaktiv begegnen sondern selber proaktiv gestaltend
entgegentreten können?

Die digitale Revolution ist dabei, alle Formen unseres
gesellschaftlichen Lebens nachhaltig zu verändern. Durch die neuen
Möglichkeiten der digitalen Vermittlung und Verarbeitung von
Informationen - wie sie besonders durch das Internet möglich wird -
eröffnen sich neue Chancen aber auch Risiken für politisches Handeln.
Wenn alles sich wandelt, wie muß Politik darauf reagieren?

Wie soll, kann und muß sich die Art und Weise, wie wir uns
organisieren, um jene Probleme zu lösen, die wir alleine nicht
bewältigen können, ändern? (Dies ist der funktionale Kern von
Politik.)

Schließlich ist Politik weitaus mehr, als das staatszentrierte und
gesetzesgläubige Erlassen und bürokratische Anwenden von kollektiv
verbindlichen Entscheidungen (i.e. Gesetze). Politik im neuen,
prozeduralen Sinne einer dynamischen Bürgergesellschaft, umfasst
vielmehr alle möglichen Vorgehensweisen, wie kollektiv verbindende
Probleme gemeinsam angegangen werden können. Die staatliche Ebene ist
dabei nur noch eine von vielen. Der Schwerpunkt soll und wird vermehrt
hin zu markt- und bürgerschaftlichen Verfahrensweisen wandern.

Besonders im Hinblick auf die radikalen Umbrüche im IuK-Bereich ergibt
sich die Frage: Wie lassen sich jene aus Digitalisierung und
Miniaturisierung resultierenden technischen Neuerungen in den
politischen Prozessen nutzen?

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Es wird immer deutlicher, daß wir die Herausforderungen des 21.
Jahrhunderts nicht mit jenen veralteten politischen Techniken meistern
können, die viele Bereiche in Politik und Gesellschaft nach wie vor
noch prägen. Anstelle von nationalstaatlich verhafteten, im
hierarchisch, dirigistischen Denken verwurzelten, zentralistisch und
bürokratisch ausgeübten Vorgehensweisen werden vermehrt Verfahren
benötigt, die evolutionär vernetzend, auf selbst-organisierende,
individuell selbstbestimmende und fallbezogen flexible Art und Weise
funktionieren. Kurz: Anstelle von politischen Techniken des 19. und
20. Jahrhunderts, die auf command & control setzen, bedarf es eines
Paradigmenwechsels hin zu kollektiven Problemlösungsverfahren, die
interaktiv und partizipativ wirken.

Benötigt wird eine prozedurale Bewußtseinserweiterung, die die
vernachlässigte dritte Dimension von Politik wieder in das Augenmerk
rückt. Denn Politik besteht nicht nur darin, daß bestimmte
gesellschaftsrelevante Mißstände und Bedürfnisse (wie z.B. BSE,
Altersvorsorge, Straßenbau,) die auf bestimmten politischen Ebenen
(von der kommunalen bis zur inter- und supranationalen) Eingang in die
Öffentliche Debatte finden, von politischen Akteuren (staatlichen und
gesellschaftlichen wie Verbänden, Gewerkschaften, Bürgerinitativen)
angegangen werden, sondern, daß auch erkannt, debattiert und
entschieden wird, auf welche Art und Weise dies erfolgen kann. Mittels
welcher Verfahren (Wie) virulente Probleme (Was), durch/mit/gegen
bestimmte Personenkreise und Institutionen (Wer) angegangen werden,
stellt das Wesen von Politik dar. Das in diesen Impulsen postulierte
prozedurale Denken richtet seine Aufmerksamkeit dabei auf die
verfahrenstechnische dritte Dimension, denn auf das Wie kommt es im
Politischen insbesondere an: Wer die Spielregeln bestimmt, bestimmt
das Spiel.

Dieses Umdenken ist weniger kategorisch, als - aufgrund der sich
stetig zuspitzenden politischen Handlungsunfähigkeit - pragmatisch
begründet: Denn wie kann Politik in der Postmoderne auf eine humane
Art und Weise überhaupt noch gelingen? Wie können wir den rasanten
Fortschritt noch meistern, die Chancen nachhaltiger und gerechter
nutzen, die vermehrten Risiken dagegen besser im Griff behalten?

Zu meinen, daß dies mit den herkömmlichen Techniken aus einer
vergangenen industriestaatlichen Epoche noch gelänge, ist nicht nur
illusionär, sondern auch unverantwortlich. Doch wie sollen und können
diese politischen Techniken des 21. Jahrhunderts aussehen?

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Auffallend ist, daß durch das naturwissenschaftlich dominierte
Innovationsverständnis, ein krasses Ungleichgewicht zwischen der
Wertschätzung und Förderung von physischen und politisch-sozialen
Innovationen besteht.

Während es für praktisch jeden naturwissenschaftlichen
Technologiezweig Forschungs- und Gründerzentren gibt, besteht für die
nicht minder nützlichen politischen Zukunftstechnologien fast keine
Förderungsstrukturen und Forschungseinrichtungen. Dabei ist
offensichtlich, daß wir bei einer Staatsquote von fast 50% und einem
umfassenden Reformstau einen gewaltigen Innovationsbedarf auch und
gerade an politischen Techniken haben, um im steigenden
internationalen Standortwettbewerb unseren Lebensstandard verteidigen
zu können. In einer sich global vernetzenden
Dienstleistungsgesellschaft ist mit einem gewaltigen Markt für den
angepassten Einsatz von innovativen politischen Techniken zu rechnen.

Ohne damit einem mechanistischen Gesellschaftsbild der Plan- und
Steuerbarkeit das Wort zu reden, werden wir ohne einen umfassenderen
und nachhaltigeren Technik-Begriff die Zukunft nicht meistern können.
Dies stellt kein begrifflicher Mißbrauch dar; bezeichnet doch techne
im ursprünglichen Sinne des Wortes grundsätzlich all jene
(Kunst-)Fertigkeiten und Werkzeuge die benötigt werden etwas
Bestimmtes zu erreichen. Wieso sollen dazu nur die physisch fassbaren,
also naturwissenschaftlich beschreibbaren Hilfsmittel gehören, nicht
aber auch politische und soziale Verfahren und Strukturen? Gerade die
Art und Weise, wie wir an der Lösung gemeinsamer Probleme arbeiten,
hat doch einen entscheidenden Einfluß darauf, wie groß die Chancen
sind, daß wir kollektive Mißstände beheben können - wie hoch also
unser Wohlergehen ausfällt.

Will Politik darum weiterhin handlungsfähig sein, so bedarf sie selber
innovativerer tools & skills, die sich im funktionalen Sinne als
Techniken, eben als politische Techniken beschreiben lassen.

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Gemeinsames Charakteristikum dieser innovativen politische Techniken
des 21. Jahrhunderts ist, daß das Problem-Lösungs-System in einen Raum
geholt wird. Wie dies allerdings erfolgen kann, dafür gibt es 1001
Möglichkeiten; jedenfalls wesentlich mehr als die vorherrschenden.

Dieses Zusammenholen der betroffenen und geforderten Teilsysteme in
einen Raum kann - wie bei Beteiligungsverfahren und
Großgruppeninterventionen (z.B. Planungszellen, Bürgerforen,
Fokusgruppen, Zukunftskonferenzen) - in einem realen Raume, also
unmittelbar, face-to-face gelingen, dies kann prinzipiell aber auch
internetgestützt in einem virtuellen Raum - z.B. nach dem open-source
Prinzip arbeitend - erfolgen.

Diese innovativen, politischen Techniken basieren auf der schlichten
Erkenntnis, daß die Wahrscheinlichkeit, daß ein nachhaltig wirkender
Lösungsweg erarbeitet und umgesetzt wird, in dem Maße steigt, wie die
für das Problemverständnis und die Umsetzung notwendigen Personen,
Informationen und Standpunkte möglichst frühzeitig und umfassend in
den Prozeß einfließen. Zum Einen steigt die Qualität des Inputs und
die Legitimation der getroffenen Entscheidungen durch die Offenheit
und Transparenz der Verfahren. Des Weiteren vergrößert sich die
Umsetzungsbereitschaft durch die Inklusion der verschiedenen
Stakeholder: Alleine schon aufgrund der Tatsache, daß man eher bereit
ist jenes umzusetzen, woran man selber mitgearbeitet hat.

Allerdings sind hier keine automatisch wirkenden Wundermechanismen zu
erwarten. Vielmehr liegt die Kunst darin, die Verfahren
maßgeschneidert an den vorliegenden Problemlösungsbedingungen
auszurichten. Grundvoraussetzung der Funktionsfähigkeit aller
innovativen politische Techniken muß dabei sein, daß es ihnen gelingt,
die gestiegene Problemkomplexität im Verfahren selbst
wiederzuspiegeln. Die mangelnde Fähigkeit der Abbildung der
explodierenden Außenkomplexität in den herkömmlichen
experto-bürokratischen Verfahren unseres staatsfixierten,
überregulierten Wohlfahrtsstaates ist ein Hauptgrund für unsere
Gesellschaftskrise.

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Die maßgeschneiderte Weiterentwicklung und Erprobung nicht nur realer
sondern besonders auch virtueller politischer Techniken in Form
partizipativer und interaktiver Vernetzungsverfahren ist dringend
notwendig, um die Effizienz und Effektivität von Politik zu erhöhen.
Wir brauchen einen Innovationsschub in allen Zukunftstechnologien,
nicht nur den zur Zeit hofierten Gen- und IuK-Techniken.

Gesucht sind Theoretiker und Praktiker, die an der Entwicklung solch
eines F+E-Projektes Politische Innovationen für das 21. Jahrhundert
und deren Verbreitung und Umsetzung mitwirken.

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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