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Re: [ox] Zur Kritik der Freien Kooperation



[1  <text/plain; iso-8859-1 (quoted-printable)>]
Hallo Stefan Merten,

nun gingen schon etliche Mails zur FK hin und her, aber ich
kann bisher nicht verstehen, weshalb Du so vehemente Kritik
an diesem Konzept übst.

Ich will deshalb versuchen, ein wenig zu erläutern, wie ich
FK verstehe, aber auch ein wenig darüber
nachdenken, was Dich in Deine vehemente Kritik treibt.

Macht scheint für Dich etwas sehr negatives zu sein.
Es hat etwas mit Erpressung zu tun. 

Freiheit dagegen scheint für Dich ein wichtiges Ziel zu
sein. Und Macht und Erpressung nicht die richtigen Mittel,
um dieses zu erreichen.

Es scheint mir, als ob für Dich die FK einen Weg in eine
gewalttätige Welt weist, in der Friede eine Art erpresster
Waffenstillstand ist.

Mir scheint es, als ob für Dich das Wort "Macht" etwas
bedeutet, was ich als Gewalt bezeichnen würde. Du scheinst
Dich gegen eine Welt zu sträuben, in der alles nur verhandelt
und unter Zwang geschieht.

Ich kann das teilweise nachempfinden, jedoch hat für
mich "Macht" auch andere Bedeutungen. "Ohnmächtig" erscheint
mir als ein nicht wünschenswerter Zustand, Macht als "Potenz" 
und "Fähigkeit um zu" erstrebenswert. Bin ich meiner
Stimme mächtig, so kann ich singen, ohne ihr Gewalt anzutun.
Macht an sich, als die Fähigkeit etwas oder andere zu beinflussen,
erscheint mir als weder gut oder böse. Ein "machtvolles Wort"
kann etwas böses verhindern oder dazu anspornen. Emanzipation
würde ich als Bemächtigung übersetzen.

Andererseits habe ich mit dem Wort "Freiheit" große Schwierigkeiten.

  - Unterdrücker haben zu allen Zeiten ihre Form der Unterdrückung 
    mit Freiheit gleichgesetzt. 
    
       Benjamin Barber in "Die Perversion der Freiheit"
       
  - Freiheit ist eine von der Scientology Kirche veröffentlichte 
    Zeitung, die sich für Menschenrechte und persönliche Freiheit einsetzt.  

       Zitat aus  http://www.freedommag.org/german/munich/frei_a02/index.htm 
       
  - Die Falle der völligen Freiheit: Scientology, Dianetik und L. 
    Ron Hubbard http://home.snafu.de/tilman/j/freiheit.html 

  - The name of today's military operation is Enduring Freedom. 

Freiheit erscheint mir als "Unbegriff", die "Theorie der freien Kooperation"
als ein Versuch,  einen bestimmteren Begriff zu besetzen.

Was streben wir an, wenn wir "Freiheit" in gesellschaftlichen 
Zusammenhängen fordern ? Im der allgemeinen Wahrnehmung scheint
mir dies oft als juristisch reglementierte allgemeine Unabhängigkeit
der Menschen voneinander aufzutauchen. Frei bin ich, wenn ich 
vom anderen Unabhängig bin. Ein abstraktes und gerechtes (noch
zwei Worte, die mir Unbehagen bereiten) Regelwerk,
soll diese Freiheit garantieren. 

Die "Freie Kooperation" richtet dagegen den Fokus auf den 
einzelnen Menschen. Jegliche Interaktion mit anderen bzw.
der Gesellschaft wird als Kooperation bezeichnet. 
Die "Theorie der Freien Kooperation" definiert nun ein
Schema, nach dem wir die "Freiheit" dieses gesellschaftlichen 
Verhältnises aus der Sicht des einzelnen prüfen können.

Wann ist ein einzelner Mensch bezogen auf seine gesellschaftliche
Interaktionen (ob nun mit einem anderen Menschen, mehreren oder
einer wie auch immer abstrakten Gesellschaft) frei ?

Mir scheinen die von Spehr aufgestellten Kriterien da erst einmal 
ganz brauchbar: 

a) Mensch ist frei, wenn Mensch wählen kann, d.h. in der Lage ist,
   Einfluß auf die Bedinungen der Kooperation zu üben (im obigen
   Sinne mächtig). 
b) Frei ist Mensch, wenn es Alternativen gibt. 
   Mensch muß in der Lage sein zu einem für _sie/ihn_ zumutbaren
   Preis (d.h. die sich dann ergebenden Konsequenzen) die Kooperation
   (das gesellschaftliche Verhältnis) zu verlassen.
c) Eine Kooperation ist nur dann frei, wenn sie von allen 
   beteiligten mit ertragbaren Folgen verlassen werden kann.
   
In meinen Augen ist es nicht abwegig, jedes gesellschaftliche
Verhältnis als Kooperation anzusehen. Eindrücklich ist mir
da zum Beispiel das Buch "Ein früher Abschied" von Arno Gruen
( http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3525458460 )
in Erinnerung, in dem er darlegt, daß plötzlicher Kindstod 
auch die Komponente der Lebensverweigerung des Kindes 
(Aufkündigung der Kooperation (des gesellschaftlichen Verh.) 
Eltern / Kind durch das Kind) beinhaltet.


Ich verstehe weiterhin nicht, auf welcher Grundlage, d.h. mit
welchem Anspruch Du die FK kritisierst.  

Aus meiner Sicht wäre eine Klärung der Frage:
  
  Wann wollen wir ein gesellschaftliches Verhältnis als 
  "frei" bezeichnen ?
  
weiterbringend. 

Mein Kritikpunkt an der FK wäre, daß sie die "kulturelle" 
Dimension von Freiheit nicht berücksichtigt.
Damit meine ich nicht den äußerlich totalitären Charakter des
gesellschaftlichen Zusammenhangs im Kapitalismus, sondern
eher den Aspekt des Wissens (der persönlichen Machtmittel), 
der Wahrnehmung sowie der verinnerlichten gesellschaftlichen
Strukturen. Diese Aspekte sind gesellschaftlich
vermittelt und ermöglichen bzw. versperren den Blick und
Weg in viele Wahlmöglichkeiten, die Mensch von höherer
Warte gesehen zur Verfügung hätte. 


Grüße,

Thomas Kalka

[2  <text/html; iso-8859-1 (quoted-printable)>]

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