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Re: [ox] Zur Kritik der Freien Kooperation



Hi Annette und Liste!

4 days ago Annette Schlemm wrote:
ich hab mir Eure Diskussion zur FK ausgedruckt, es ist schon eine ganze
Broschüre!!!

Und erst der Anfang ;-) .

Ich finds super, daß Du, Stefan Mn. das noch mal angeschoben hast.

Hab' ich gar nicht. Ich wollte einfach nur mal los werden, was mir
beim Lesen so eingefallen war. Natürlich hatte ich mit einer Reaktion
gerechnet, aber das wir eine so breite Debatte hinkriegen, hatte ich
selbst nicht erwartet. Aber super :-) .

Ich hab
aus Deiner Kritik allerdings eher das bekannte Unbehagen wieder gefunden,
aber nicht so viel, wo sich das Ganze weiter zu führen lohnt.

Das war auch eingangs nicht mein Thema - wie du dem Subject noch
entnehmen kannst. Allerdings kommen wir da ja hin.

Du fragst, warum das Paper so weit rezipiert wird und teils enthusiastisch
gefeiert wird. Ich kann ja da nur für mich schreiben:
Ich empfinde Christophs Ansatz als Bereicherung. Methodisch könnte man von
einem Paradigmenwechsel sprechen: Von der Konstruktion eines "optimalen
Konzepts" weg - hin zur Diskussion der Bedingungen, die geschaffen werden
müssen, damit ALLE ihre  Konzepte machen können.

Gähn... Ja, ja der Anarchismus. Ist ja auch alles richtig. Aber neu?

"Freie Kooperation" ist für mich die Einheit von Herrschaftskritik,
Strategie der Befreiung/Emanzipation und durchaus auch politischer Utopie.
Über die Kapitalismuskritik hinausgehend berücksichtigt das Konzept die
Problematik, die wir ansonsten auch "unter uns" oft haben (bei Oekonux
                                                             ^^^^^^^^^^^
erstaunlicherweise tatsächlich nicht): daß sich auch da neue Dominanzen und
  ^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^
herrschaftliche Strukturen entwickeln.

Das freut mich nun wirklich zu hören :-) .

(wie Stefan Mz. schreibt: "Hey, wenn
die ganze Wertscheisse weg ist, haben wir exakt das Problem am
Hals!")

Klar.

(und
daß wir es bei Oekonux nicht haben, harrt ja auch der Frage: WARUM, wíe ist
das verallgemeinerbar für andere Organisierungsstrukturen? Wie siehst Du
das, Stefan Mn.?).

Na ja, weil wir hier nach den Prinzipien der Freien
Software-Entwicklung tätig werden: Die Entfaltung der Einzelnen ist
die *Bedingung* für die Entfaltung aller. Herrschaft, Dominanzen, etc.
sind da schlicht für je mein Interesse kontraproduktiv. Und wir
schaffen es halt scheinbar auch ganz brauchbar, das auch zu
verwirklichen :-) .

Ich habe in Vorträgen und Diskussionen meist mehr Erfolg (d.h. erziele mehr
Interesse, darüber nachzudenken), wenn ich allgemein das Konzept der FK
vorstelle, da können sich die Leute eher was drunter vorstellen.

Das ist ja meine Kritik: Daß es strukturell das Gleiche ist, wie das,
was die Leute tagtäglich vorfinden. Klar, daß sie sich darunter was
vorstellen können :-( .

Dann nehme
ich Freie Software/Oekonux als EINE am weitesten gediehene Form von
FK.

Dazu hatte ich mich schon verschiedentlich ausgelassen.

Wenn ich mit Freier Software anfangen müßte, hätten die Hälfte der
Anwesenden abgeschaltet, ehe ich zu den interessanten
gesellschaftspolitischen Bezügen komme.

Na, bei meinen Vorträgen klappt das besser :-) . Soll ich dir mal
meine Folien schicken ;-) . BTW: Nimm einfach die Überschriften von
den zugehörigen Texten und du hast die Folien :-) .

Ich würde denken, es geht auf beiden "Schienen". Ich sehe sehr viel, was
übereinstimmt:
- daß eben keine "optimale Organisationsform" vorgesehen ist (sondern sie
sich in Freier Vereinbarung der Beteiligten herausbildet) - oder gibt es die
bei Freier Software? Grad hier unterscheiden sich die beiden Stefans oft:
St.Mz. betont die Maintainerform - St. Mn. betont, daß das nicht festgelegt
ist, sondern verschieden erfolgt.

Ja. Die Organisationsform ist je Kollektiv individuell.

- daß durch die Bestimmungen der FK (die berühmten 3) implizit die
Bedingungen des Kapitalismus kritisiert werden -

Was zumindest ich heftigst bestreite.

kann man "übersetzen" in
Wertkritik (indem man zeigt, inwieweit Wert-Vergesellschaftung die
Bedingungen außer Kraft setzt und inwieweit sie ohne Wert-Vergesellschaftung
möglich sein könnten: dann bleibt aber noch ein "Rest" von möglichen anderen
Herrschaftsformen!!! - siehe oben "Hey...".
- daß zumindest für mich diese Bestimmungen auch schon real
handlungsorientierend waren (bei Bemühung um Organisierung von einigen
Sachen)

Auch die Oekonux'schen?

- daß die Freie Software für mich EIN - ziemlich gut funktionierendes -
Modell für FK ist, und das Konzept (ohne es gewußt zu haben) EINE mögliche
Verallgemeinerungsrichtung der Erfahrungen mit Freier Software angibt.

Nein. Es gibt keinen Scheidungspreis bei Freier Software.
Glücklicherweise...

Unterschiede, die Stefan anführt, sehe ich z.T. einfach nicht:
- Christoph meint nicht unbedingt Geld, wenn er von "Preis" spricht.

Ja, das sehe ich auch. Aber das Konzept von Preis ist nur vernünftig
denkbar, wenn du von beliebig teilbaren Einheiten ausgehst. Einfaches
Beispiel: Was ist denn z.B. mit einer Freien Kooperation, die ein Haus
gekauft hat, das die Mitglieder bewohnen. Wenn jetzt eineR gehen will
- dessen Wohnung rausschneiden? De facto geht Freie Kooperation ohne
Geld nicht.

Das,
was er mit "Preis" meint, gibts sicher auch in der Freien Softwareszene.

Das sehe ich jedenfalls nicht. Aber da kann ja vielleicht wer
Beispiele bringen?

Da
denkt jede/r selber drüber nach, mit welchem persönlichen Aufwand er in
welches Projekt einsteigt und was es ihn "kostet", wenn er womöglich nicht
ganz das erreicht, was er will. Aber darüber wird eher nicht gesprochen, mit
Christophs Bestimmung wird das transparent.

Momang. Wenn jemensch für sich, in eigener Verantwortung eine
Entscheidung trifft, dann ist das etwas anderes, als die Möglichkeit
anderen die Pistole auf die Brust zu setzen.

- Einstreuen von Fragmenten? Ich denke, hier deutet sich der Überblick aus
vielen Bereichen an, die sonst immer getrennt abgehandelt werden. Es wäre
schön, wenn wir mehr solcher Fragmente hätten!!! Gesamtgesellschaftliche
Zusammenhänge können nur auf vorhandenen Fragmenten beruhen, die wir für
Oekonux aus dem Bereich Geschlechterfrage, Transnationalismus etc. so gut
wie gar nicht haben.

Bring sie ein. Vielleicht wird's fruchtbar.

- Fehlende Kapitalismuskritik: dies stimmt für diesen Text tatsächlich. Aber
implizit ist sie vorhanden, denn es ist ja wohl klar, daß die notwendigen
Bedingungen für Freie Kooperationen im Kapitalismus nicht gegeben sind.

An einigen Stellen durchaus. Stichwort Vertragsfreiheit.

Mehr
ansonsten wirklich in den anderen Büchern von Christoph. Und daß die
Kapitalisten von ihm abschreiben könnten - wird uns das mit Freier Software
nicht auch allzuoft vorgeworfen? Das ist doch kein Gegenargument.

Der Vorwurf ist natürlich kein Gegenargument. Aber ob er haltbar ist,
scheint mir dann doch unterschiedlich.

In beiden
Fällen hilft dagegen, die Bedingungen für das Ganze zu diskutieren, und die
sind anti-kapitalistisch.

Skepsis...

- Leute sind atomisiert.
Das lese ich bei Christoph nirgendwo. Er diskutiert nur jene Bedingungen,
die notwendig sind, damit Menschen ihre Gesellschaftlichkeit FREI leben und
entfalten können.

So definiert es die Freie Kooperation zumindest...

- Allgemeines Verpissen und absolute Regellosigkeit? Hoppla, das ist eine
gute Zusammenfassung Deines Verständnisses der Bestimmungen der FK. Es macht
mir deutlich, warum Du so davor scheust.

Gut.

Ich weiß jetzt nicht, wie Christoph
das sieht - aber ich denke mal, die frei Verhandelnden sind auch frei, sich
Regeln zu machen, denen sie dann auch eine Weile folgen.

Ja - bis sie einem der versammelten Partikularinteressen nicht mehr
hinreichend entsprechen - dann werden sie sofort, einseitig und
gewaltbewehrt aufgekündigt.

Ein gutes Beispiel Freier Kooperation wäre vermutlich eine
marodierende Bande von Banditen, die andere mit dem Argument berauben,
daß sie Gewalt einsetzen dürfen, weil die je Ausgeraubten nicht
verhandeln wollten bzw. sie sich gerade ihren Scheidungspreis holen...

Nur muß sie dann
immer wieder hinterfrag-, kritisier- und veränderbar sein.

Ich bin nicht der Ansicht, daß immer alles veränderbar sein sollte -
zumindest nicht einfach so. Die Verweigerungsdrohung (von wichtigen
Leuten) kann aber genau das erreichen. Es ist halt auch nur ein
Machtmittel...

Wenn die Leute
nicht völlig regellos leben wollen, werden sie sich Regeln machen. Die
Bestimmung der Freien Kooperation verlangt nur, immer wieder darauf zu
achten, daß keine dieser Regeln sakrosankt... wird, wenn Beteiligte damit
unzufrieden werden. Wenn alle damit zufrieden bleiben, wird niemand eine
Änderung anregen. Aber alle müssen immer wissen und erfahren, daß sie es
könnten.

Und nur durch Verweigerung - super...

In einer späteren Mail lese ich wieder heraus, daß Du annimmst, wer mit
irgendwas nicht zufrieden sei, würde sofort die anderen erpressen (mit
Drohung zu gehen und die Kooperation durch seinen Scheidungspreis zu
ruinieren) die Regeln zu ändern. Ich weiß wirklich nicht, warum Du Dich an
dieser Möglichkeit so festbeißt.

Weil das die richtige Verhaltensweise ist, wenn wir von
Partikularinteressen ausgehen. Und wenn sich eine Kooperation spaltet,
dann gibt es eben (wieder und endgültig) Partikularinteressen. Wie die
Dominanz der Partikularinteressen gebrochen wird, ist bei der Freien
Kooperation m.E. nicht erkennbar. Darum müßte es aber gerade gehen und
Oekonux hat an exakt diesem Punkt eine Menge zu bieten IMHO.

Ich würde denken, wenn dieses Problem
besteht, werden die Beteiligten sich eine geeignete Umfangsform damit
ausdenken. Regeln bilden - die dann immer wieder mal verhandelt werden. Aber
da drehen wir uns im Kreis: Du denkst wieder, daß die Verhandlungsfähigkeit
die sofortige Veränderbarkeit qua Erpressung bedeute...

Nicht Verhandlungsfähigkeit an sich, sondern solche nach den Regeln
der Freien Kooperation.

Du fragst "Bin ich der Einzige, der Christophs Regularien zu Ende denkt?".
Mensch, das machen doch so viele auch mit den Oekonux-Gedanken, zerfetzen
sie in der Luft, indem sie ihm einfach nichts vernünftig Realisierbares
abgewinnen können und immer gleich das Schlechteste von den Menschen denken
(daß die z.B. nicht ohne Tauschäquivalent war hergeben würden usw. usf.).

Na, die Retourkutsche ist hier vielleicht nicht so angebracht.

Aber als ich meine Kritik schrieb, habe ich schon über diese Frage
nachgedacht: Was, wenn du so an Oekonux herangehen würdest. Nicht
lange zugegeben, aber ich denke dennoch, daß wir da deutlich mehr
Substanz aufzubieten haben.

Wenn Du nicht so einen bekannten Namen hättest, würde ich immer denken, so
einer nimmt sich nun auch die FK vor. Dann würde ich mich nicht so
wundern...

Na, daß ich dich jetzt seit einiger Zeit kenne, sollte wohl kaum etwas
mit dem Inhalt meiner Kritik zu tun haben.

- Allgemeines Verpissen
Wie Du das Beispiel in der Freien Software interpretierst zeigt mir, daß Du
das Konzept von Christoph doch tatsächlich normativ verstehst. Als MÜSSE
eine/r gehen, wenns Probleme gibt, als dürfe es überhaupt keine Regeln
geben. Hier setzt DU ein atomisiertes Menschenbild voraus, denn nur
"eigentlich" isolierte, atomisierte Menschen nutzen diese Bestimmung der FK
so, wie Du es beschreibst ("allgemeine  Drohung: Ihr tut was ich will, oder
ich verpisse mich und nehme meinen Anteil"!). Ich gehe dagegen von
"natürlich gesellschaftlichen" und freien Menschen aus, die nur dann gehen,
wenn es für sie und ihre Selbstentfaltung wirklich wichtig ist. Die Einheit
der Interessen an persönlicher Selbstentfaltung für Individuum und
Kooperation sollte beim Konzept der FK  mitgedacht und in Zukunft wohl auch
explizit erwähnt werden.

Und einen Prozeß, der diese Einheit fördert. Dann aber sicher nicht
die Regeln der Freien Kooperation.

- FK zerstört Selbstentfaltung und fordert stattdessen permenanten Deal? Hä?
Da haben wir wirklich was ganz Unterschiedliches gelesen. In einer späteren
Mail bekomme ich es genauer: "Das Problem kommt daher, daß jedeR zugleich
die von Christoph abgesegnete Möglichkeit bekommt, die Kooperation zu
zerstören - über die Scheidungspreisforderung..." - hm, das sehe ich nicht
so. Vielleicht bin ich ja zu naiv, aber ich sehe nicht viel Sinn darin,
immer nur die die worst-case-Situation zu sehen.

Nicht immer nur. Aber für eine best-case-Situation brauche ich keine
Theorie - die funktioniert ja schon. Wenn wir zur best-case-Situation
übergehen wollen, dann können wir den Laden hier zu machen, denn laut
der ProtagonistInnen des herrschenden Systems leben wir bereits in der
bestmöglichen aller Welten.

- Ausblenden von wesentlichen Teilen der Welt durch Verallgemeinerung bei
Christoph? Hm, ich habe das Ganze eigentlich nie als "vollständige Theorie
der Kritik des Kapitalismus und seiner Aufhebung" gelesen. Als Moment davon.
Ich würde auch bei Oekonux nicht viel mehr Vollständigkeit verlangen oder
sehen. Es hätte sie auch nicht.

Wir schaffen dran :-) .

StefanMn., kannst Du mit dieser Grundeinschätzung mitgehen?: "Es geht bei FK
nicht darum, die "optimalen guten Regeln" aufzustellen, sondern wir haben so
viel Vertrauen in alle Menschen, sich in freien Verhandlungen diese Regeln
selbst zu ermitteln und damit so umzugehen, wie es für sie (individuell und
in Gemeinschaft) am Besten ist." ?

Nein. Dann müßte die Freie Kooperation konsequenterweise selbst keine
Regeln mehr aufstellen.

Würdest Du Möglichkeiten sehen, Christophs Bestimmungen zu "retten", indem
sie umformuliert werden, damit sie das meinen, was bisher positiv
hineingelesen wurde und Du auch zustimmen kannst?

Hmm... Insbesondere nachdem Christoph ja scheinbar am allerwenigsten
interessiert scheint, ginge es mir vor allem darum, an den neu
begonnen Diskussionsfäden einfach für unseren Diskurs einiges zu
lernen. Und das klappt ja auch schon.

Oder möchtest Du lieber einen positiven "guten" Bestimmungskatalog?

Darüber müßte ich nachdenken. Ad hoc denke ich eher nicht.

Oder was ganz anderes?

Ja, das klingt gut ;-) .

An beidem könnten wir arbeiten (das letztere nicht als Norm, aber z.B.
durchaus als Hilfestellung für jene, die etwas vereinbaren wollen, ohne alle
Fehler und Erfahrungen anderer wiederholen zu müssen).

Kommt in Kürze. [Benni schaut mir gerade über die Schulter ;-) .]

Mir würde z.B. mehr dazu helfen, wieso Deiner Meinung nach Freie Software
keine FK in diesem Sinne ist.

Das hatte ich ja schon mehrfach geschrieben.

In welchem Sinne wäre sie es?

Ich wüßte nicht, warum das eine spannende Frage ist.

Wie müßte das
Konzept anders aussehen, wenn sie dem entsprechen sollte?

Dito. Ich habe kein Interesse an einer Renovierung der Freien
Kooperation.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
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