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Drittstandpunkt (was: Re: [ox] Der wilde Dschungel der Kooperation)



Hi Stefan,

Stefan, über die im folgenden zitierten Passagen deiner Mail habe ich mich ziemlich geärgert:-((

Ich habe jetzt aber keine Lust auf einen Flamewar (vielleicht sollte ich
doch, hat ja auch was befreiendes...), sondern will mich mit der Art
und Weise, wie du da mit mir umgehst, auseinandersetzen. Ich will dir
begründen, warum ich meine, dass das so nicht geht. Es hat mit dem
diskutierten Thema sehr unmittelbar zu tun. Und es hat nicht nur mit mir
zu tun.

Vielleicht ist ja auch alles nur ein Missverständnis. Das liesse sich
dann schnell klären.

Diese einleitenden Zeilen habe ich erst am Schluss geschrieben.

Stefan Merten wrote:
>>>>Hätte ich früher die Unterschiede und Defizite
>>>>hervorgehoben, um die Schärfe und Stärke meiner eigenen Sprachwelt
>>>>hervorzuheben,
>>>>
>>>Das "um zu" hatte ich gestern glatt überlesen - oder war es da noch
>>>nicht drin? Aber dieses "um zu" ist natürlich ein Mega-Problem. Es
>>>ist eine Entfremdung von deinem eigentlichen Gegenstand. Du
>>>instrumentalisierst dein Gegenüber dann einfach nur für deine je
>>>eigenen Zwecke. Das ist nicht nur entfremdet, sondern auch einfach
>>>doof.
>>>
>>Entfremdung von meinem eigentlichen Gegenstand? Das verstehe ich
>>nicht.
>
> Dein Gegenstand wäre hier die Kritik gewesen, das Hinweisen auf
> Unterschiede und Defizite - weil es diese Unterschiede und Defizite
> IYHO gibt. Punkt aus.

Was mein Gegenstand ist, will ich gerne selbst entscheiden. Ich habe
Unterschiede und Defizite benannt - was soll das? Lass das sein. Grrr...

Kann es sein, dass du was überlesen hast:
"-
Hätte ich früher die Unterschiede und Defizite hervorgehoben, um die
Schärfe und Stärke meiner eigenen Sprachwelt hervorzuheben,
-"
Ich habe über *früher* geschrieben, um darüber zu reflektieren, was ich
da gemacht habe (kommt dann im Text). Und habe begründet, warum ich das
jetzt anders machen will.

>>Instrumentalisieren heisst für mich, einen anderen zum Instrument
>>meines Weiterkommens zu machen, also mich auf Kosten des anderen
>>durchzusetzen.
>
> Wenn du sie hervorhebst *um zu* was-auch-immer, dann entfremdest du
> dich deinem eigentlichen Gegenstand. In diesem Falle entfremdest du
> dich einerseits dem Text bzw. der Kritik daran, weil du sie zur
> Durchsetzung deiner je eigenen Interessen instrumentalisierst. Im
> weiteren Sinne instrumentalisierst du aber sogar Christoph, da sein
> Werk dir nur noch als Instrument deiner Profilierung dient. Damit
> entwürdigst du ihn.

Das finde ich sehr ärgerliche Unterstellungen. Von welchem Standpunkt
nimmst du dir solche Behauptungen heraus? Warum spielst du Oberlehrer,
Scheinanalytiker, der anderen ihre verborgenen Absichten erklärt?
Grrrrrr....

> Das auch BTW einer der Gründe, warum ich gerne beim Originaltext
> bleiben würde, wenn es um eine Kritik dieses Textes geht: Christophs
> Werk zu würdigen - kritisch halt.

Du meinst also, nur deine Weise, damit umzugehen, sei die angemessene,
oder was? Dass du würdigst und ich entwürdige, oder was?

> Ob es wie du voraussetzt in irgendeinem Sinne "auf Kosten" von
> Christoph geht, ist dabei unerheblich. Es ist einfach eine
> Entfremdung, die an sich schon schlecht ist. In jedem Fall geht es
> aber auf Kosten der Hauptsache: der Kritik des Textes - um mal bei
> diesem Beispiel zu bleiben.
>
> Vielleicht ist jetzt klarer, was ich sagen will.

Ja, es ist klarer. Aber das finde ich ziemlich daneben.

Ich finde es überheblich, weil du mit Zuschreibungen wie "damit
instrumentalisierst du..." einen scheinbaren Aussenstandpunkt einnimmt,
von dem aus du per Bewertung, Menschen abkanzelst - in dem Fall mich.

Ich habe keine Lust, mich mit sollten doofen, mich kränkenden
Bewertungen inhaltlich auseinanderzusetzen. Im übrigen kapiere ich immer
noch nicht, was du mit "Entfremdung" in diesem Kontext meinst - da habe
ich wohl einen sehr anderen Begriff von.

Ich will stattdessen etwas über diese Art der Zuschreibungen schreiben,
die ich kein bisschen FK-like und erst recht nicht oekonuxlike finde.

Ich schreibe jetzt nicht über dich, sondern über die Struktur und
ideologische Konstruktion und Konstitution des Aussenstandpunktes.

Der Aussenstandpunkt ist ein typisches, weitverbreitetes und in der
Regel institutionalisiertes Konstrukt. Es ist der Staat, der Lehrer, der
Chef. Es ist die scheinneutrale Instanz, die sich der Macht des
unhinterfragten Dritten bedient und sie ontologisiert. Dazu hat Petra
einiges ausgeführt, das ich voll teile (und mit der sie ja die
"Machtkritik" an Spehr unterstützte). Es ist der Standpunkt der
bürgerlichen Kontrollpsychologie, die Menschen nur als Resultat der auf
sie einwirkenden Bedingungen versteht - und nicht als sich zu den
Bedingungen verhaltende Individuen. Es ist ein selbstentmächtigender
Standpunkt, denn als Resultat von Bedingungen "kann ich ja nichts
machen" - das "ich bin Schuld" bzw. "du bist Schuld" ist die
personalisierende andere Seite der Medaille: wenn ich meine Bedingungen
nicht verändern kann, dann müssen die Ursachen wohl bei mir liegen.

Jede Bewertung von Menschen setzt den Bewerter in einen solchen
Aussenstand. Ich nehme eine Instanz ausserhalb in Anspruch (den Staat,
die Funktion, das Wissen, das Vorgegebene, das Unhinterfragbare, das
"Objektive"), um mich zu autorisieren, über andere zu urteilen. Damit
wird die (eigentlich immer such bestehende) intersubjektive Beziehung
mindestens partiell aufgekündigt.

Es macht einen Unterschied, ob ich sage: "ich (emp)finde / nach meinem
Eindruck / ich verstehe es so / meinst du, dass / das teile ich nicht /
IMHO" usw. oder: "du machst das / du bist so / das ist soundso / das ist
falsch" usw. Die Übergänge sind fliessend und der Ton macht hier oft die
Musik: Nehme ich mir den Aussenstandpunkt heraus oder spiegele ich hier
meine Meinung nur besonders deutlich wieder; rekurriere ich auf die
autorisierende Instanz und nehme ich mich damit aus dem Prozess oder bin
ich in dem intersubjektiven Prozess drin.

Bei einem intersubjektiven Prozess gibt es keinen anderen Standpunkt als
den der individuellen Menschen, die an ihm beteiligt sind. Das schliesst
Erkennen objektiver Zusammenhänge überhaupt nicht aus (falls das wer
denkt), im Gegenteil: Das Erkennen ist immer je mein Erkennen. Es
wird nicht dadurch "besser" oder "leichter erreicht", dass ich dem zu
Erkennenden eine scheinhafte Autorität verleihe. Wieder im Gegenteil:
Wenn ich das tue, reproduziere ich strukturell das Rekurrieren auf das
sakrosankte Dritte, das bei uns immer der Wert-Fetisch ist.

Mir geht da schon so manches dahin geworfenes "Quark" oder "Falsch" oder
"bullshit" in mancher Debatte an die Grenze.

>>>>so kann ich heute die Gemeinsamkeiten herausholen und
>>>>dadurch ein gemeinsames Lernen einleiten. Wenigstens bei mir.
>>>>
>>>So, wie du das unten tust, ist es - sorry - aber leider auch nicht
>>>weit von der o.g. Instrumentalisierung entfernt.
>>>
>>Wieso? Weil ich elegant mir die FK hinbiege, um doch wieder als
>>"Sieger" dazustehen? So hört sich für mich deine Kritik an.
>
> Gar nicht mal "um als Sieger dazustehen". Nur wegen der Nichtwürdigung
> und Instrumentalisierung, um eigentlich deine eigene Blaupause
> vorzubringen.

Wenn du hier behauptest, es ginge darum, meine eigene Blaupause
voranzubringen, dann nimmst du meine Anstrengungen nicht ernst. Dann
würdigst du meine Anstrengung nicht. Dann schiebst du mir was unter, was
ich nirgends geschrieben habe, was du nur auf spekulativem Grund
behaupten kannst.

Ja, es mag dein Eindruck sein. Hättest du es so geschrieben, hättest du
dich da nicht rausgenommen, dann hätte ich mich mit deinem Eindruck
beschäftigen können (denn dafür gibt es einen Grund). Auf die
Behauptung, mir ginge es nur um meine Blaupause und dafür
instrumentalisiere und entwürdige ich Christoph und wer weiss wen noch,
kann ich nichts mehr sagen. Es gibt ja keinen intersubjektiven Raum
mehr, in dem du drin bist. Ich könnte sagen "Quatsch" - aber das was
ändert das, wo du doch "weisst", was ich warum tue. Jedes Wort in diesem
Diskursmodus wäre gleichsam Rechtfertigung und Verschleierung für meine
"eigentlichen" Absichten.

Das ist das fiese an solchen Konstellationen: Du kannst sagen was du
willst, du reichst an dein Gegenüber nicht ran, weil dieses nicht mehr
"da" ist, sondern im immunen Aussenstandpunkt hockt. Von da aus kann es
gnädig wieder hereinkommen in den intersubjektiven Diskurs und z.B.
sagen "war ja nicht so gemeint" oder draussen sitzen bleiben und weiter
"Recht" haben. Beides ist nicht angenehm für den Beurteilten.

Allgemeiner will ich deutlich machen: Es gibt zwei Diskursmodi.

Der Bedingungsmodus enthält den Aussenstandpunkt, den es nur geben kann,
weil Menschen als kontingente Produkte ihrer Bedingungen ausgefasst
werden (die anderen Menschen sind darin auch nur Bedingungen). Es ist
die ideologische Widerspiegelung des Wertfetischs, der sakrosankte
Bedingungen setzt (die sog. zweite Natur), unter denen die Menschen
"funktionieren".

Der Begründungsmodus kennt nur intersubjektive Standpunkte von
Individuen, die für ihr Handeln Gründe haben. Diskurs bedeutet, sich
über diese Gründe und Perpektiven zu verständigen. Es gibt keine
übergeordnete Instanz, keine Autorität ausser die der Beteiligten
selbst. Es ist der Modus einer freien Kooperation.

Nochmal: Ich sage nicht, dass du das also so machst, sondern ich will
die Implikationen bestimmter Herangehensweisen verdeutlichen, so wie ich
sie sehe.

>>- Ich meine nicht,
>>dass ich mich auf Kosten von Christoph profiliere, sondern woran mir
>>gelegen ist, ist gemeinsam weiter zu kommen.
>
> Das ist jetzt auch nicht unbedingt als konkreter Vorwurf zu lesen.

Als was denn sonst, wenn du doch vorher *ganz konkret* mir erklärst, was
ich da (falsch) mache? Als "ganz neutraler" Hinweis, oder was? Aber ein
bisschen mulmig wurde dir wohl schon, wenngleich dein "nicht unbedingt"
nur eine sehr zaghafte Relativierung ist.

> Aber es bietet sich an, daran was klar zu machen.

"Es bietet sich an". Die Situation erfordert. Es ist doch so, dass. -
Das sind so Illustrationen für das oben Ausgeführte.

Wenn es da so Instanzen gibt, die einem "klar machen", was los/falsch ist (auch mit mir los/falsch ist), dürfte es Ox-Neue nicht gerade ermutigen, sich zu äußern.

Ich hoffe, jetzt nicht eine "Formulierungdebatte" oder "Sprachdebatte"
losgetreten zu haben. Ich hoffe, dass deutlich werden konnten, dass es
mir um Sprache nur insoweit geht, als das Sprache ein Mittel ist, das wir nutzen, um Inhalte zu kommunizieren. Ich kann kann auch in der
allerfreundlichsten Sprache jemanden zur Sau machen und sehr derb
zeigen, dass ich jemanden ernst nehme auch wenn ich manches anders sehe.

Und noch eins: Ich nehme mich durchaus nicht von der Kritik aus, die
Kritik ist auch Selbstkritik (ich müsste vermutlich nur kramen, um
Beispiele von mir zu finden).

Anschliessend ein Zitat von dir aus einer anderen Mail:
"-
Ich denke der entscheidende Hintergrund für ein konkretes Handeln muß
der Versuch, Wunsch, ja eigentlich das Bedürfnis sein, eine andere
Kultur zu etablieren, von der wir denken, daß diese für eine utopische
Gesellschaft vernünftig wäre. In unserem Rahmen hieße das also, eine
Kultur der Selbstentfaltung zu schaffen.
-"

Hier mache ich Schluss. Den ganzen inhaltlichen Teil deiner Mail, der
mich eigentlich viel mehr interessiert, verschiebe ich. Hier geht's um
eine Störung der Kommunikation, und die hat Vorrang für mich.

Ciao,
Stefan

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